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Im Schloßhofe fand der Abt von Riddagshausen die Flüchtlinge und Schutzsuchenden von der Weser nicht. Man wies ihn in die Wachtstube.
Durch den Vertrag mit dem gegenwärtigen Verwalter Niedersachsens, L. F. A. Duplessis de Richelieu, war Seiner Durchlaucht Herzog Karl von Braunschweig gestattet worden, einige Schwadronen seiner Leibgardereiter, wenn nicht zum Schutze, so doch zur Aufrechterhaltung seiner hochfürstlichen Würde den getreuen Untertanen gegenüber, mit sich nach seinem »neutralen Gebiet« Blankenburg zu nehmen. In den Dörfern hatte jeder Ackermann einen Reiter und einen Gaul ins Quartier bekommen; in der Stadt lag eine Schwadron und auf dem Schloß eine stattliche Besatzung.
In der Wachtstube der letzteren fanden Seine Hochwürden denn auch wirklich, was sie suchten: die Wackerhahnsche in heftiger, aber kameradschaftlicher Auseinandersetzung mit Korporal Süllmann aus Hellenthal im Solling, mit dem sie eine langjährige, das heißt immer noch nicht verjährte Bekanntschaft aus dem Barwalde her sofort wieder erneuert hatte – die beiden jungen Menschen aber durch den überheißen Raum wiederum halb betäubt und ohnmächtig auf eine der Pritschen hingesunken. Doch sie fuhren alle auf oder herum, Reiter und Landstreicher, beim Eintritt des wohlbekannten geistlichen Herrn, die Reiter mit militärischem Gruß, die Schutzsuchenden zitternd, bebend vor Erschöpfung, Fieber, Frost und Hilflosigkeit. Jerusalem aber schlug die Hände vor der Brust zusammen:
»Aber Monsieur Wille, ist Er – sind Sie denn das? Um des Himmels willen, Herr, Sie? Wie kommen Sie in diese Lage, diese – Begleitung? Wie kommen Sie hierher, nach Blankenburg? Habe ich Ihnen deshalb aus der Waisenhausschule und dem Malersaal unseres Collegii Carolini zu Ihrem Platz im Malersaal auf Fürstenberg verholfen, um Sie so heute wiederzufinden?«
Herzoglicher Blumenmaler Wille versuchte es, Antwort zu geben, aber vermochte es nicht, und Immeke von Boffzen, die sich mit ihm von der harten Soldatenlagerstatt erhoben und mit dem Arm um seinen Nacken sich an ihm aufrechterhielt, vermochte es auch nicht. Sie weinten beide, die Kinder, und der Vater des jungen Werthers stand eben auch wortlos und ratlos vor ihnen: wiederum war es die Wackerhahnsche, welche die Vermittelung übernehmen mußte.
»Wenn der Herr Abt uns in Ihrem Zimmer anhören und nachher bei den Durchlauchtigsten Herrschaften ein gut Wort für meine zwei unmündigen Kreaturen hier sprechen wollten, so würde das wohl das beste sein«, meinte sie kurz. Und fast lächelnd fügte sie bei: »Es würde sich auch für Seiner Durchlaucht Komödienhaus ein fein Schaustück draus machen lassen, wenn der rechte Poete und Musikante drüber käme . . .«
In seinem Gemache hat denn auch Abt Jerusalem das Nähere über die Geschichte von Daphnis und Chloe, von Pold Wille und Hannchen Holtnicker, vernommen und aus mildem, menschenfreundlichem, weltüberlegenem Herzen das Seinige dazu getan, um aus Hauptmann Balzer Uttenbergers Beutestücke vom Hastenbecker Schlachtfeld das Wort des jungen Züricher Dichters:
»Klaget mir nach, ihr Felsenklüfte! Traurig töne mein Lied zurück, durch den Hain und vom Ufer!« in das:
»Klaget itzt nicht mehr, ihr Felsenklüfte! Freude töne itzt vom Hain zurück und vom Ufer!« umzuwandeln. –
Fürs erste freilich saß er in seinem Gastzimmer auf Schloß Blankenburg, nicht bloß gespannt lauschend wie Thyrsis der Hirt dem Sänger Mirtil am wärmenden Feuer gegenüber, und singen ließ er sich die Historie auch nicht.
Auf und ab schritt er, itzt vor der jungen Frau, itzt vor dem jungen Ehemann und itzt vor der greisen Altenteilerin aus dem Boffzener Landwehrturm stehenbleibend. Wir aber wollen hier nur von den kürzesten seiner Bemerkungen und Ausrufe berichten; wir unserseits müßten ja sonst unseren Sang zum zweitenmal singen und bei dem Bericht Seiner Hochwürden vor der hohen Freundin und Gönnerin Philippine Charlotte wohl gar noch zum drittenmal. Ach, der Vater Werthers hat über dem Vorwort zu seines Sohnes Leiden wohl mit gesenktem Haupte gesessen und des Sammelfleißes und der zu ausführlichen Berichterstattung Doktor Goethes über Privatgeschichten nicht mit Behagen gedacht! –
»Man glaubet von Traumbildern zu hören! . . . Kinder, Kinder, ist denn solches eine Möglichkeit? . . . Und Sie, Frau, Fraue – was hat Sie so spät im Leben zu allem anderen noch auf Ihre Schultern, auf Ihr Gewissen genommen? . . . Und dann mein jetziger Herr Amtsbruder in Derenthal! mein stiller Emanuel – – Störenfreden! Ja, Störenfreden! Hat der zur Erlernung von solchen Streichen auf der Schulbank unter meinem Lehrstuhl vor mir gesessen? Hab ich dem solcher geistlichen Amtswidrigkeiten, solcher kirchenamtlicher Pflichtvergessenheit wegen mit zu seiner Pfarre dort im Walde verholfen? . . . Nun, mit dem jungen Herrn wird man ja wohl vor Herzoglichem Konsistorio des weiteren ein ernstes Wort reden können; aber – ihr, ihr, ihr Kinder, junges Volk, was soll ich zu euch sagen? zu eurem Tun? zu dem, was ihr auf euch geladen habt, wahrlich in Unmündigkeit, als liege Arkadia rund um euch – in unserer Zeit! die Erde rot von Blut, der Himmel rot von Feuer, der Kriegsdonner rundum im Morgen, Abend, Mittag und Mitternacht! Kinder, Kinder, was soll hieraus werden, was soll aus euch werden? Wie denkt ihr euch, wie man euch hieraus an festes Land wird retten können, ihr Hof-, Haus-, Heimatlosen, ihr törichten, kindischen – närrischen Kinder?« . . .
Sie waren ihm unter den Händen eingeschlafen, Pold und Hannchen Wille, und das war auch das Beste, was sie hatten tun können. Er hatte ja schon seine Hände in ihrem kleinen Dasein auf der Erde, der brave große Mann!
Die Wackerhahnsche nahm er sich freilich – nachdem er die zwei anderen der ob Prinzeß Allerleirauh und dem zerzausten, taumelnden jungen Vagabunden sehr verwunderten Schloßverwalterin mit seinem und der Frau Herzogin Wunsche, daß man sie fürs erste nicht aus dem Tore stoße, als selbst für Herzoglichen Hofstaat im Asyl nicht hoffähig, übergeben hatte – noch eine Weile scharf vor.
Die blieb ihm aber wach unter den Händen, und am Ende hätte er ihr gar noch segnend die Hände auf das Haupt gelegt, wenn die Hexe aus dem Landwehrturm, die Marketenderin des Königs von Hispanien, die Kameradin des alten Dessauers, die Wilddiebsjägerin aus dem Barwalde den Wunsch danach geäußert haben würde. Daß sie zu reden wußte, wissen wir. Wie der Pastor von Derenthal erfuhr es nun der Abt von Riddagshausen, welch eine Macht der Suada ihr vom Himmel verliehen worden war.
Kopfschüttelnd und gerührt lächelnd murmelten Seine Hochwürden, als Sie die Staatstreppe zu den Gemächern der Herrschaften wieder hinaufstiegen:
»Ach, mein armer Sohn und Schüler Emanuel! mein guter, weichherziger Freund Störenfreden! Bin ich so sicher, daß ich ihr nicht den Willen getan und die Kinder amtlich zusammengegeben haben würde, um ihr – auch ihr noch zum Großmutterrecht hier unten im Jammertal der Erdenwelt zu verhelfen?«
Dabei trug er auch gar noch den Türkenbeutel aus dem Unterrock der Alten in der Hand, trug ihn aber mit weit vom Leibe weggestrecktem Arm und murmelte, ihn nach hinten in der Tasche seines schwarzen geistlichen Rockes versenkend:
»Stammt das nun in Wahrheit aus Monsieur Perraults ›Contes de ma mère l'Oye‹ oder doch aus dem Raubsack des Monsieur Cartouche? Hm, hm, behalten wir Seiner Durchlaucht das Urteil für eine gelegenere Zeit vor. Kindsköpfe! Kindsköpfe! O allweiser, gütiger Vater im Himmel, wie lächelnd wirst du herniedersehen auf unser Treiben und Gelärm in der Kinderstube dieser Welt!«
»Nun, Herr Abt?« fragte in ihrem Gemach die Frau Herzogin.
»Ich kann nur wünschen und raten, daß Eure Königliche Hoheit die Herablassung haben möge, von der Sache aus dem eigenen Munde der gejagten Kreatur zu hören wie Ihre Erlaucht von Stolberg.«
»Und nachher, Jerusalem?«
»Würde Königliche Hoheit den Ihren mächtigen Schutz Ansuchenden vielleicht wohl ebenso einen Geleitsbrief zum ferneren Fortkommen im Leben mitgeben wie die Frau Gräfin.«
»Kann ich die Leute jetzt sehen?«
»Wohl nicht. Die Jungen liegen im halben Todesschlaf, und repräsentationsfähig ist keiner von den drei Wanderern. Seit dem Heiligen Abend sind sie vor dem Herzog von Richelieu auf der Flucht und auf dem Wege zu dem mächtigen Schutz Dero erhabenen Herrn Gemahls.«
»Zu diesem unserem Asyl von Richelieus Gnaden, o Freund, Freund?« rief Philippine Charlotte bitter lachend. »Wollen auch Sie unserer noch spotten? Lassen Sie die Armen so lange als möglich ruhig schlafen, hochwürdiger Herr! Wer weiß, was wir ihnen zu bieten haben nach ihrem Erwachen?«
»Auch möchte ich wünschen«, sagte der Abt von Riddagshausen nach einer langen trüben Pause, schwer seufzend, »daß Seine Herzogliche Durchlaucht die Gnade haben würden, bei dieser sonderlichen Audienz gegenwärtig zu sein. Auf meines gnädigsten Herrn Gnaden und mildherziges Eintreten wird der junge Mann und Deserteur aus der Kloster Zevener Konvention, der mit den beiden Frauen jetzt hier auf Schloß Blankenburg Schutz sucht, vor allem angewiesen sein.«
»Sei dem also so! Verschieben wir diese Audienz auf morgen. Ach, ehrwürdiger Herr und Freund, auch wir haben von Weimar Nachrichten bekommen, die unsere Sorgen nicht leichter und die Aussicht in die Zukunft nicht leichter machen. Wir tragen wahrhaftig kein Verlangen nach dem kleinsten Tropfen mehr in den schon übervollen Eimer unserer Lebensnot!« – – –
Die erste Nacht auf Schloß Blankenburg im Asyl haben die armen Kinder und argen Sünder, Monsieur und Madame Wille, in einem todähnlichen Schlaf gelegen, die Wackerhahnsche hat einen guten Schlaf getan, und alle drei haben jedenfalls besser geschlafen als Philippine Charlotte in ihren mütterlichen Ängsten und Bangen um die Söhne auf den Schlachtfeldern des Bruders Friedrich und des Schwagers Ferdinand und um die junge Tochter zwischen Wiege und Sarg zu Weimar an der Ilm. Auch auf dem Tischchen der Frau Herzogin hat neben dem Bett das Modebuch der Zeit, das Idyllenbuch des Züricher Poeten Salomon Geßner, gelegen. Ob sie beim Scheine der Nachtlampe in ihren Sorgen drin geblättert hat, können wir nicht sagen; aber am anderen Morgen hat auch sie die Geschichte von Daphnis und Chloe bei beginnendem Siebenjährigen Krieg vernommen und den Sang des Dichters mit der Wirklichkeit vergleichen können. –
Zu gelegener Stunde sind durch den guten Abt von Riddagshausen Pold Wille und Hannchen Holtnicker aus den Weserfluren und -wäldern und der Wolf, der in Arkadien fehlte – die alte wilde Wölfin aus dem Landwehrturm –, der Landesmutter und dem Landesvater vorgeführt worden; denn auch Serenissimus, Herzog Karl, hat, bénignement lächelnd, bei dem Gericht und zum letzten Urteilspruch gegenwärtig sein wollen. Bei dem Bericht Jerusalems am gestrigen Abend über des Hauptverbrechers Fahnenflucht aus dem Lager bei Stade hatte Seine Durchlaucht nur im Anfang bedenklich und mißmutig den Kopf geschüttelt. Nachher mochte er wohl an seinen eigenen Herrn Sohn und Erbprinzen Karl Wilhelm Ferdinand denken, der ihm in ebendem Lager bei Stade seine eigenen Generale Behr, Imhof und Zastrow mit gefangengesetzt hatte und nunmehr unter des Herrn Onkels Fahnen gegen den Herrn Vater und – dem Herrn Vater zur Hilfe und zur Befreiung aus seinem »Asyl« im Vormarsch gegen die getreue Landes- und Residenzstadt Braunschweig sich befinden sollte. Sonst würde er wohl nicht bloß geseufzt haben: »Wir leben eben in einer deplorablen Epoche, Hochwürden, und müssen uns mit deren Bizarrerien abzufinden wissen. Führet doch mein Herr Sohn meine eigenen Truppen gegen mich. Es wird wohl noch längere Zeit in der Welthistorie in Schrift und Wort die Rede sein über die Konvention von Kloster Zeven. Ihren Burschen aber, mon cher, wollen wir morgen früh über sein Verhältnis zu ihr gnädigst selber vernehmen und behalten uns das Weitere vor.« –
Es ist gnädigst ausgefallen, das Verhör; aber das Beste dazu haben die jungen Prinzessinnen Elisabeth Christine, Friederike Wilhelmine und Auguste Dorothee, die auch bei ihm zugegen gewesen sind, getan.
Still und lautlos haben sie das alte Weib und ihre zwei jungen Begleiter unter der Führung des Herrn Abts eintreten sehen und Papa und Mama mit ihnen verhandeln hören. Sie haben in den letzten Zeiten auch schon viel Angst gehabt in ihrem jungen Dasein, die kleinen Mädchen, trotzdem daß sie Prinzessinnen waren, und sie haben wohl gemerkt, daß der junge Mensch da und das arme junge Mädchen große Angst vor Papa und Mama hatten, und haben in ihrem Winkel mit ihnen gezittert und sich die Tränen gewischt und hätten gern wie sie die Knie gebeugt, bis auf einmal Auguste Dorothee die Schwestern anstieß und ihnen etwas ins Ohr flüsterte. Laut dreinzureden wagten sie schon Seiner Hochwürden wegen nicht; aber in das Nebengemach schlichen sie sich mit einem Male alle drei, und wenn man auf sie geachtet hätte, würde man sie dort an Schränken und Kommoden kramen und Stühle zum Aufsteigen haben rücken hören können.
»Qu'avez-vous là, petites?« fragte dann plötzlich Herzog Karl von Braunschweig; doch die reichten ihm nur eine Porzellanfigur von einer »Etagère« hin, untereinander kichernd und halb in Scheu, halb wie mit allergrößter Vertraulichkeit auf die Wackerhahnsche deutend.
Einen Augenblick hielt Durchlaucht die Puppe zweifelnd in der Hand, bald auf sie, bald auf seine Töchter, bald auf die Greisin blickend. Mit einem Male aber ging ihm das Verständnis auf.
Aus der Verblüffung wurde ein sogar recht freundliches Lächeln, und zu seiner Gemahlin sich wendend, rief er:
»Aber das ist ja wahr, Liebden! Voilà notre sorcière du Véser! Das ist ja unsere Weserhexe in Fleisch und Blut! Ecco la mia cara, carissima Strega di Fürstenberg!«
»A' suoi comandi, altezza serenissima!« grinste die Alte aus dem Landwehrturm, mit einem vollkommenen Hofknicks zurücksinkend. »Jawohl, Durchlaucht, zu Befehl. Es fehlt nur die Ofengabel oder der Besenstiel. Euer Durchlaucht Schlingel auf Schloß Fürstenberg haben die Fetzenliese, die Unhuldin aus dem Barwalde und vom Köterberg dem Herrgott oder, wenn Eure Fürstlichkeit lieber wollen, dem bösen Feind nicht übel abgestohlen und in ihrem Ton abgedrückt! Das ist die Försterin Wackerhahn und –«
»Und hier ist das Gesichtchen auf dem Teeservice, so mir Euer Liebden aus Ihrer berühmten Porcelainefabrik zu meinem letzten Geburtstage präsentiert haben!« rief Philippine Charlotte, mit einer bemalten Teekanne aus Fürstenberg dicht an die junge Madame Wille herantretend, während die Prinzessinnen auf den übrigen Gerätschaften das wirkliche Bienchen aus dem Boffzener Pfarrgarten mit dem auf den Tassen und Schälchen in ihren Händen verglichen.
»Aber die Blumen und Kränze um mich her sind von meinem Pold, meinem armen, lieben Pold!« rief es laut schluchzend und auf den Knien die Hände zu dem Herzog und der Frau Herzogin emporringend. »Er ist ja nur ein Maler, ein Blumenmaler, und kein Soldat! Und sie haben ihn ja auch nur durch meine Schuld dem allergnädigsten Herrn Herzog vom Schloß Fürstenberg weggestohlen und mit sich in den blutigen Krieg genommen! Ach, wenn doch die Frau Herzogin bei dem Herrn Kurfürsten von Hannover und dem Herrn Herzog von Cumberland oder dem Herrn König von England nachsuchen wollten, daß sie mir meinen liebsten Pold nicht in die Spitzruten jagen wollten, weil er lieber zu mir und unserem Herrn Herzog Karl nach Boffzen und nach Fürstenberg hat heimkommen als da hinten umkommen wollen vor Elend und Hunger und Krankheit und Heimweh!«
Das Kichern der Prinzessinnen hatte längst aufgehört. Sie hatten die Fingerknöchel in den Augenwinkeln oder die Mouchoirs vor dem Gesicht und zupften Mama am Rock, und die Frau Herzogin von Braunschweig legte sanft und beruhigend die Hand der Boffzener Immeke auf das Haupt und meinte, zu dem Gemahl sich wendend:
»Wir könnten einen guten Maître de dessin für die Kinder hier in Blankenburg recht wohl gebrauchen, Charles. Der Herr Abt kennen diesen Monsieur Wille von Eurer Durchlaucht Collegium Carolinum her als einen recht geschickten Menschen in seiner Kunst, bürgen auch sonst für seinen Charakter und löbliche Lebensführung . . .«
»Es gehört nicht ein deutscher Reichsfürst, sondern das ganze Reichskammergericht zu Wetzlar dazu, um die Konfusion, die nach Hastenbeck die Konvention von Kloster Zeven über uns gebracht hat, nach Recht und Unrecht, Eidestreu und Meineid zu ordnen und zu sichten«, seufzte Karl der Erste von Braunschweig melancholisch. »Schieben wir den Prozeß, den Seine Liebden von Hannover und Großbritannien wegen unseres Untertans und Bediensteten Pold Wille gegen uns anstrengen könnten, auch einmal auf die lange Bank, wie die Herren zu Wetzlar!« rief er dann lächelnd. »Musketier Wille, ich nehme Ihn auf Wunsch Ihrer Königlichen Hoheit, meiner allergnädigsten Gemahlin und Herrin, und der drei Demoiselles da in meinen Dienst als meinen Blumenmaler bis zu geendigten gegenwärtigen Kriegsläuften zurück. Seine Hochwürden der Herr Abt werden die Güte haben, das übrige mit Ihm zu besprechen, Seine sonstigen Umstände nach Möglichkeit ordnen. Ist Er damit einverstanden, maître Wille?«
Die Wackerhahnsche, am Abend auf ihrem Bett im neutralen Gebiet Seiner Durchlaucht des Herzogs Karl von Braunschweig-Lüneburg sitzend, sagte beim Abschleudern der Schuhe und Abstreifen der Strümpfe:
»Daß mich unser Herrgott noch mal als Porzellanpuppe zum Besten seiner Kreatur verwenden würde, hätte ich mir auch nicht träumen lassen – weder auf dem Anstande mit der Büchse hinter dem Buchenstamm noch auf meinem Wagen bei meinem Brandeweinsfaß im Königreich Neapolis und bei Kesselsdorf. Der Herr Kabinettprediger Cober bei unserem Herrn Pastor in Boffzen hatte wahrhaftig nicht so unrecht mit seinem Wunderwagen. Blutiger Tod, es sitzt ein absonderlicher Fuhrmann drauf und führt die Peitsche zu seinem Hott und Hüh! Nu denn, felicissima notte, altes Gerippe, und glückliche Reise weiter – junges Volk!«