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Die Mädchen konnten über ihren Aufschrei weiter keine Rechenschaft ablegen, als daß es ihnen gewesen sei, als habe jemand ins Fenster geguckt. Auch das Immeken nicht; aber ob das nicht ein wenig genauere Auskunft über den Schrecken hätte geben können, nehmen wir nicht auf unsern Eid als Geschichts- und Geschichtenschreiber.
»Wo nur Börries bleibt?« rief der Pastor, den Kabinettprediger zuklappend. »Das ist nun so seit Hastenbeck, Herr Hauptmann, daß des Abends keiner mehr weiß, ob er nicht auf einem blutigen Kopfkissen, mit eingestoßener Tür, eingeschlagenen Schränken um sich und dem Dache in Brand über sich wieder aufwacht. O Herr, Herr, wie zeigest du uns itzo, in welchem Frieden wir durch deine Barmherzigkeit wohnten und deiner Güte nicht achteten!«
Hauptmann Uttenberger trommelte leise einen französischen Kriegsmarsch auf dem Salomon Geßner. Was konnte er sagen? Es war eine Erleichterung für alle, als in diesem Augenblick der gewünschte treue Knecht in die Stube kam und auch den andern, den vierbeinigen treuen Wächter des Pfarrhauses, mit sich hereinbrachte. Er, der gute Hund Ryn, und er, der gute Knecht Börries, wußten zu rechter Zeit Laut zu geben und das Maul zu halten. Ryn ging an den Ofen, schob mit seiner kalten Nase den Pfarrkater von seinem warmen Platz und legte sich an die Stelle, wie ein wackerer Gesell, der seine Pflicht getan zu haben glaubt. Börries, freilich mit einem besonderen Blick auf den Schweizer Gast im Rock des Königs von Frankreich, meinte, daß es mit dem Gesicht am Fenster wohl nur eine Einbildung der Jungfern gewesen sei. Draußen sei nichts Feindseliges heute abend zu verspüren gewesen, und was der Köter dafür gehalten habe, das möge auch wohl nur auf einen Marder im Baum oder auf einen infamigen Fuchsräkel im roten Diebsrock am Hühnerstall hinauslaufen.
»So ist es, wie ich es mir eigentlich gleich gedacht habe«, rief die Frau Pastorin, ihrer Erleichterung die richtige Form und Farbe gebend. »Gänse seid ihr wieder mal gewesen, ihr dummen Gösseln! Aber da tutet Vahldiek, also hat's schon vor einem halben Jahrhundert zehn geschlagen. Zu Bette, Mädchen! und daß ihr mir morgen früh zur richtigen Stunde wieder aus den Federn seid, oder ich werde euch kommen, aber nicht bloß als eine Einbildung!«
Was das »Bienchen« von Boffzen anbetraf, so war die letzte Warnung wirklich nicht notwendig; aber die beiden Mädchen waren nach kurzem Gutenachtgruß draußen auf dem Hausflur und faßten sich da zitternd gegenseitig nach den Armen.
»Gütiger Himmel, war es denn eine Einbildung, Dortchen?« flüsterte Mamsell Hannchen Holtnicker, halb schluchzend vor Angst und Aufregung.
»Meine Hand lege ich drauf ins Feuer, daß es ein richtiges Gesichte am Fenster war, Jungfer Hannchen. Und Börries hat auch was gesehen und sich über sein Gesichte weggelogen vor der Frau Mutter und dem Herrn Vater. Aber der soll mir schon noch mit der Wahrheit heraus. Mit dem rede ich diese Nacht noch drüber. Da sei Sie nur ganz ruhig, Jungfer.«
Glücklicherweise für das zitternde Pfarrtöchterchen konnte die Unterredung doch noch früher als im Laufe der Nacht vorgehen. Mit einem: »Verlasse sich der Herr Pastor drauf, ich wache –«, zog der gute Knecht Börries die Stubentür hinter sich zu, stand hin, scheu und behutsam, zu den beiden Mädchen und flüsterte nun seinerseits, abwehrend nach der geschlossenen Tür hinwinkend:
»Nur stille! Ich weiß nicht, wer der Schlimmste und Gefährlichste wäre, die Frau Mutter oder der deutsche Franzmann, wenn's herauskäme, wer da doch vorhin in unser Fenster in seinem Elend geguckt hat. Nur sachte! nur ruhig, Jungfer Hannchen! Er ist es gewesen in Fleisch und Blut, soviel davon noch an ihm ist. Ja, er ist von seinem Zuge hinterm Trommelfell mit dem Kummerland wieder da im Lande, und ich bin zur rechten Zeit dazugekommen mit unserem Ryn. Wir haben es nun so mit ihm gemacht, die Wackerhahnsche und ich: nämlich daß er uns nicht zu guter Letzt noch auf der Straße eingehe, hat ihn die Wackerhahnsche mit nach ihrem Turm genommen und versteckt ihn dort unter ihrem Stroh, und kein Mensch erfährt von ihm, bis wir hier, Sie, Jungfer, und du, Dortchen, und – vielleicht auch der Herr Vater, genauer wissen, was wir eigentlich zu seinem Besten mit ihm anfangen sollen, wenn er aus dem Fieber, dem Hunger und Verdruß uns mit seinem Leben davonkommt.«
»Oh, lieber Vater! . . . oh, Gottes Wunderwagen –«
»Stille doch, Mamsellchen! Da ist die Frau Mutter schon!« –
»Bist du noch immer nicht zu Bette, Johanne? und auch du nicht, Dörthe?« fragte die Frau Pastorin aus der Stubentür. »Wie lange soll denn Sein Geschwatze mit den Mädchen noch währen, Börries? Ich meine, Er paßt jetzt auch schon längst besser von Seinem Stall aus des weiteren auf Haus, Hof und Garten.«
»Das war es ja eben, Frau Pastorin! Vom Stall aus fragte ich nur noch wegen unserem Schweinekoben mal bei unserer Mamsell Tochter an und welches die Frau Pastorin gedenket ans Messer zu geben.«
»Darum braucht Er mir doch nicht jetzt in der Nacht das Kind auf der Treppe aufzuhalten, Börries!«
»Ach ja, es kam mir auch nur so in den Sinn hinter der Stubentür, Frau Pastorin. Nämlich wie ich vorhin vernommen habe, soll wieder viel fremdes Volk im Anmarsch auf die Höxtersche Brücke sein, und da –«
»Ja, ja, da hat Er leider Gottes recht! Der Herr Hauptmann meinte das auch! O Herr, wo soll das hinaus mit uns?«
»Na, wenn es zum Schlimmsten kommt, gehen wir alle in die Weser; aber bis heute sind wir ja bei aller Drangsal immer noch auf 'm Trockenen geblieben. Also eine recht wohlschlafene Nacht, Frau Pastern, und auch Sie, Mamsell. Bei Tageshelle morgen früh sieht sich der Mensch doch alles besser an als so im Stichdunkeln, wo jedweder Engel vom Himmel dem Menschen zum Spukeding werden kann. Und unser Herr Pastor wird ja auch wohl noch seinen Trost für uns parat haben, aus seinem Buche und dem Herrn Hauptmann seinem.«
Damit schob sich Knecht Börries ducknackig, den Kopf zwischen den Schultern, kopfschüttelnd, aber dazu leider heimtückisch grinsend, nach seiner Ruhestatt im Kuh- und Pferdestall. Die Frau Pastorin sah ihm nach und sah nun auch ihr Pflegekind mit seiner kleinen Blechlampe treppauf zu Neste gehen und murmelte seufzend:
»Das hat es für jetzt in seinem jungen Leben auch noch leichter als unsereine, aus dem Herrn Kabinettprediger Cober und seinem Gotteswunderwagen einen Trost zu ziehen. Was gaffst du denn noch nach der Haustür, Dortchen? Schieb den Riegel vor, und daß mir vom Herd aus kein Unglück geschieht! Da macht sich auch der Wind auf! Es fehlt mir gerade noch der rote Hahn auf dem Dach zu allem andern Jammer. Und das Kind – immer wieder das Kind! Ja, Gottes Wunderwagen – wie will ich dem lieben Gott dankbar sein, wenn er mir ferner mit seinem himmlischen Fuhrwerk hilft, das Kind, mir und sich und meinem Alten zum Trost, zu Sicherheit und Frieden in Derenthal, in seinem eigenen, lieben, ehrlichen Pastorhause abzuladen bei meinem letzten Trost im Elend, Störenfreden, meinem guten, braven Nevöh Emanuel. Selbst dem lieben Jungen sein Name aus der heiligen Taufe muß mir ja noch eine Tröstung sein in jetziger Unruhzeit.«