Wilhelm Raabe
Hastenbeck
Wilhelm Raabe

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Vierzehntes Kapitel

Weh, Niedersachsen, weh!«

Wie der Winter grimmiger wurde, ist auch die Faust des Fremden auf dem Lande zwischen der Elbe und der Weser, zwischen der Weser und dem Harz schwerer und schwerer geworden!

Und Gerüchte liefen im Lande um, daß gerade nun wieder das Kriegsgewölke an der Elbe, der Konvention von Kloster Zeven zum Trotz, sich gar schwarz zusammenballe. In das Boffzener Pfarrhaus brachte ein solches Gerücht zuerst die Wackerhahnsche von Höxter mit, und Hauptmann Uttenberger horchte darob hoch auf, schüttelte den Kopf und trat unwillkürlich mit seinem armen kranken Fuß im Pantoffel den Kriegsmarsch der Schweizer Truppen Seiner Majestät des Königs Louis des Fünfzehnten.

Sie hatten in Höxter gewußt: in der Landdrostei Stade, im Lager bei Zeven sei etwas passiert, mit dem man nicht gerechnet habe, weder in Paris noch in Wien. König Frédéric habe einen Mann in den Janhagel, zu dem der Duc de Cumberland das Königlich Großbritannische Hilfsheer heruntergebracht habe, hineingeschickt, und mit der Konvention sehe es nicht zum sichersten aus. Übrigens sei es mit ihr ja von Anfang an bei den hohen Mächten gewesen, als ob man ein totgeboren Kind noch des weiteren würgen wolle. Herzog Ferdinand von Braunschweig sei der Mann, der grand capitaine, den Monsieur le marquis de Brandebourg beordert habe, für ihn nach dem Rechten zu sehen und das Krumme gerade zu machen. Was nunmehr die nächste Zeit, aber besonders das nächste Frühjahr für hiesige Gegend bringen werde, das könne kein Mensch jetzt wissen und voraussagen. –

Sie saßen wieder im Boffzener Pfarrhause nach vollbrachter Tagesarbeit um den Tisch, wie wir sie kennengelernt haben am ersten Abend unserer Bekanntschaft mit ihnen, nur zwei Gäste des Hauses mehr unter sich. Der eine, der Blumenmaler von Fürstenberg und Ausreißer des Herzogs von Cumberland, der andere – die Wackerhahnsche, die aber nicht saß, sondern an der Stubentür lehnte, auf ihren Stab gestützt, und sonderliche Blicke vom einen zum anderen in der Freundschaft um den Tisch herumgehen ließ.

Von der »schönen Friedensjungfer« hatte gerade an diesem Abend der Kabinettprediger Cober durch den Mund des Hausvaters und geistlichen Herrns, Ehrn Gottlieb Holtnicker, wieder wackere Worte geredet, doch leider, leider wenig zum Zweck. Es war auch ohne die Höxterschen Nachrichten aus der Landdrostei Stade über den Krieg draußen wenig Friede unter diesem Dache und an diesem Herd!

Widerwille und verkniffener Grimm auf dem Gesichte der Hausmutter! Angsthaft, mit verhaltenen Tränen, geduckt wie ein Häslein in der Jagdzeit, das Pflegekind, das Kind des Hauses! Und nun gar der »Kümmerling«, der arme Pold Wille, der Feldflüchtige mit dem Strick um den Hals, in diesem seinem ihm wahrlich nicht aus Liebe, sondern nur aus christlicher Barmherzigkeit von der Frau Pastorin gegönnten Asyl! . . .

»Hm, hm, hm«, brummte die Alte aus dem Landwehrturm, mit ihrem Stabende die Begleitung zu dem Schweizermarsch des Hauptmanns Uttenberger gebend, wie sie ihre »Giftaugen« zwischen ihren beiden, wie sie meinte, jetzt ihr allein vom Herrgott anvertrauten Schützlingen hin und her wandern ließ. –

Der Kabinettprediger hatte seine heutige Vermahnung beschlossen mit dem Verse:

»Laß Güt und Treue sich begegnen,
Es küsse Fried und Recht sich hier:
Laß Sieg und Glück im Himmel regnen,
Auf Erden wachse Treu herfür:
Wir stimmen bei mit unserm Liede:
Du Friede-Fürst, gib Friede, Friede«,

als die Frau Pastorin fragte:

»Was ist denn nun dem Herrn Kapitän seine Meinung? Kann es denn wirklich noch schlimmer im Lande werden, als es schon ist?«

»Ich kann für das Gegenteil nicht einstehen, Madame.«

»Aber, barmherziger Himmel, weshalb denn?«

»Weil Monseigneur, Ihr Prinz Ferdinand, Madame, ein gar gewaltiger und rechter Kriegsmann ist, lieb Fraueli, und nunmehro erst den richtigen Krieg an der Weser wie an der Elbe in die Hand nehmen wird«, seufzte Hauptmann Uttenberger. »Der Herr Pfarrer wird es der Frau Pfarrerin besser als ich Ungelehrter sagen können, wie das Römische Reich Teutscher Nation solche Sach auf seinem Grund und Boden zu handhaben und in die Länge zu ziehen beliebet. Was der Herr Herzog von Richelieu in Hannover zu der Sache tun werden unter so veränderten Umständen –«

Der Hauptmann zuckte hier die Achseln, murmelte Unverständliches und fuhr erst nach einer Weile fort:

»Madame de Pompadour wird den Herrn Herzog eben bei veränderten Umständen recht gern wieder bei sich sehen in Paris. Er ist ein recht unterhaltsamer Herr und versteht es, anderen Orts sein Spiel wohl aufzunehmen, sollte es ihm jetzt an der Elbe aus der Hand geschlagen werden. Doch wie es auch kommen mag im Frühjahr, wenn das Eis aufgeht, der Herzog von Richelieu wird seine Zeit ausnützen hier zu Lande! Ihr da, Frau an der Tür, wie heißen wir ihn unter uns schon drüben in Höxter?«

»Petit Père La Maraude, mon capitaine!« sagte die Wackerhahnsche, die Hand militärisch grüßend zur Stirn hebend. »Ihr fanget jetzt schon an, selber Euch der Sache zu schämen; aber verdeutschet es nur den Herrschaften des besseren Verständnisses wegen, Hauptmann Uttenberger!«

Sie stieß so zornig den Stab auf, daß allen drei Weibern am Spinnrade der Faden brach, der Pastor seinen Lehnstuhl zurückschob und der Blumenmaler Wille wie Schutz suchend seinen Schemel hinter den Stuhl des Hauptmanns rückte.

»Vater Plünderung! Ätti Greifzu! Väterli Raubsack!« murmelte der alte Söldner des Königs von Frankreich, am greisen Schnurrbart kauend, als ob er zum Ingrimm auch so etwas wie Scham und Schande seinen Wirten und Wohltätern gegenüber dran zu verbeißen habe. Schwer ließ er dann die flache Hand auf seinen auch an diesem Abend vor ihm aufgeschlagen liegenden Hirtensänger vom Schlachtfeld bei Hastenbeck fallen und seufzte:

»Ich kann dem nicht widerreden, Herr Pfarrer. Wir greifen von oben zu und werden in diesen unseren Winterquartieren keinen mehr um Diebstahl und Rapuse unten durch die Spitzruten jagen –«

»Vivat Prinz Ferdinand!« klang es von der Tür her, drohend scharf und rauh, hier an der Weser der erste Nachhall des Geschreis und Waffenklirrens, das sich am dreiundzwanzigsten November im Lager bei Stade an der Elbe erhoben hatte.

Sie stieß von neuem mit ihrem Stocke auf, die Veteranin aus dem Landwehrturm, und streckte drohend die Faust gegen den Schweizer Söldner aus.

»Um Diebstahl, Raub und Mordbrand jagen sie keinen bei euch durch die Ruten, Hauptmann Uttenberger; dafür aber von den Ausreißern von Kloster Zeven alles, was in die Lande Braunschweig und Hannover gehört. Er hätte doch besser getan, bei Seiner Fahne zu bleiben, Musche Wille: nur einer hier im Haus, ich will mal sagen, Frau Pastern, unser Hund Ryn, braucht nur einen Blaff darob nach Höxter hin zu tun, und sie haben Ihn an den Schlafittchen, Musche Wille! He, he, he, gute Freundschaft und Kameradschaft, liebster Herr Pastor und Frau Pastorin, wir, wie im Feldlager so in der Garnison, verstehen uns auch auf das Blumenmalen! Blaurot, rosenrot, blutrot: Nehme Er Seinen Buckel vor unseren Pinseln in acht, Musketier Wille, und bitte Er Freund und – Feind hier im Hause, daß ein jeglicher, wenn auch nur aus christlicher Barmherzigkeit, Ihm den Weg durch die Gasse, ein Sponton hinter sich, ein Sponton voraus und die Bleikugel im Maule erspare . . . Da hat sie so eine, liebste Frau Pastorin!«

Sie hatte in der Tasche im Unterrock gesucht, und nun trat sie an den Tisch und warf etwas auf ihn hin, was der Frau Pastorin am Spinnrade und dem Idyllenbuch vor dem Hauptmann Uttenberger zurollte.

»Es ist ein guter Freund von mir gewesen, der sich die Zähne dran ausgebissen hat. Junge, junge, gesunde Zähne – Sie zeigt keine hübscheren, Mamsell Holtnicker, wenn Sie lacht beim Tanze! Auf der Insel Sizilia, in der Stadt Messina war's, wo er auf dem blutigen Stroh nach seiner Mutter schrie und mir unter den Händen einging, mit dem Gesicht in meinem Schoß. Einer spanischen Mutter Kind war's, aber das bleibt sich gleich, ob spanisch, kaiserlich, preußisch oder fransch – die beste Kameradschaft macht's immer am mitleidigsten ab, wenn sie am festesten zuhaut. Einerlei, ob in Sizilia oder in Höxter, Frau Pastern. Hüte Er Seinen Buckel, Musketier Wille! Dörthe, sieh nach deiner Mamsell, und nun guten Abend, Herrschaften, und, Herr Pastor, allerschönsten Dank auch diesmal für Seine schöne Predigt von Seiner wunderschönen Friedensjungfer . . .«

Ehe sich einer oder eine um den Abendtisch Ehrn Gottlieb Holtnickers aus seiner Betäubung aufgerafft hatte, war sie gegangen, hatte sie die Stubentür nicht etwa hinter sich zugeschlagen, sondern leise zugezogen.

Nun stapfte sie durch die Dezembernacht ihrem Wartturm zu und lachte auf dem Wege sonderbarerweise, wenn es auch nur ein grimmiges Lachen auf dem Stockzahn war.

Sie wußte, was sie mit ihrem Wort und ihrer zerbissenen Flintenkugel hatte ausrichten wollen; insbesondere bei der Frau Pastorin. Sie wußte es genau, wem zum Besten sie gleichfalls eben ihre Kabinettpredigt gehalten hatte. Ehrn Gottlieb Cober hätte wahrlich da nicht besser und eindringlicher zum Herzen reden können als sie, die, ohne sich ein Gewissen draus zu machen, als ein jung Eheweib in den Blumenjahren mit Büchse und Spaten im Amt Hunnesrück dem Liebsten auf der Wilddiebsjagd das Geleit gegeben hatte, als sein bester Kamerad. –

 


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