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Es wußte Bescheid mit den Leitern im Haushaltswesen, das Immeken von Boffzen! Nach dem Taubenschlag hinauf – auf den Heuboden – in den Birnen-, Apfel- und Kirschenbaum; aber so rasch wie diese Leiter, die zu dem letzten Lebensquartier der Wackerhahnschen führte, war es noch nie eine andere hinaufgekommen. Das Wort der greisen Marketenderin hatte noch kräftiger gewirkt als sonst wohl ein abgezogener Holzpantoffel der Frau Pflegemutter. Grummelnd, brummelnd den Kopf schüttelnd und doch dazu sonderbar lächelnd, stieg ihr die Alte nach zu ihrem wunderlichen Unterschlupf empor, und nun dürfen auch wir uns in ihm umsehen. Was aus dem durch allerlei Zeitensturm verwüsteten Gemäuer zu machen gewesen war, war von der jetzigen Bewohnerin gemacht worden. Spiegel- und Butzenscheiben gab es nicht in den Schieß- und Auslugscharten, aber ein Feuerherd war vorhanden, und der Rauch von ihm fand seinen Ausweg. Ein Kesselchen hing über einem glühen Feuer, und da nach der Windseite die Klappen der Mauerscharten durch Holzklappen verwahret waren, so war die Zugluft für Leute, die nicht an Gliederweh litten, nicht so arg, als man wohl hätte meinen dürfen. Tisch und Stuhl und das übrige Geräte entsprachen wohl nicht den Ansprüchen der Neuzeit, aber sie waren doch da, und wer wie die Wackerhahnsche auch unter Zelten und an offenen Lagerfeuern sein Wohlbehagen gefunden hätte, der würde hier dreist von »Luxus« reden dürfen. Tapeten gab es nicht, aber dafür etwas anderes – Teppiche. Für die hatten der Solling und die Freunde in Grün, die Kameradschaft aus alter Zeit, gesorgt. Was Fell trug, von der Weser bis zur Hube bei Einbeck, hatte das Seinige dazugeben müssen: die Wackerhahnsche ging weich und schlief weich; doch da sie ihr Lager einem Gast abgetreten hat, so kommt hiermit die Mahnung an uns, uns endlich nach dem als der Hauptsache bei dieser Beschreibung genauer umzusehen.
Man sah nur augenblicklich wenig von ihm. Das Findlingskind aus dem Pfarrhause hatte sich über ihn auf dem Haufen von Stroh, Hirschfellen und Federbetten hingeworfen, hielt ihn in den Armen, deckte sein Jammergesicht mit ihrem tränenüberströmten zu und schluchzte:
»O Pold, wo bist du geblieben, wo bist du gewesen, wo kommst du her?«
»Laß ihm wenigstens die Luft dazu, wenn du eine Antwort von ihm haben willst«, brummte die Wackerhahnsche, sich gleichfalls niederbeugend und den Unglücksmenschen im Rücken stützend. »Sieh es dir an, dein Fürstenberger Porzellan! Eiserne Töpfe sind bei Hastenbeck in die Brüche gegangen; was hatte solch gebrechlich Irdengeschirr sich darein zu mengelieren? Brauchte dich der Cumberland so notwendig bei seinem Ausreißen vor dem Franzosen? Solltest ihm auch wohl seine Glorie verewigen helfen durch deine Künste, armer Pinselmeister? Uh ja, Kloster Zeven! Da umherum hättest du ihm schon einen Lorbeerkranz malen dürfen, auch auf euer Fürstenberger Porzellan. So laß doch das Heulen, Immeke, den Doktor Drahtbinder für unseren zersprungenen Pott hier finden wir immer noch leichter als der König Fritz für seinen den seinigen!« . . .
Sie knieten jetzt beide, die Junge und die Alte, die eine zur rechten, die andere zur linken Seite des Jammerlagers des Fahnenflüchtigen aus der Konvention von Kloster Zeven. O Gott, wie war des Herzogs Karl bester Blumenmaler »von Fleisch abgefallen«, von den Lumpen, in denen er steckte, gar nicht zu reden. Ach, und wenn das das Ärgste gewesen wäre! Das Fieber hatte er in den Knochen, und als er versuchte, seines Liebchens Fragen zu beantworten, da schlugen ihm die Zähne derartig zusammen, daß kein Mensch und selbst die Liebste nicht aus dem, was er murmelte, hätte klug werden können. Daß er an zu weinen fing, durfte ihm nicht als Weichmütigkeit und dergleichen Kindisches angerechnet werden: bei den Stärksten kann sich manchmal die Natur nicht anders helfen, und wenn wer davon noch zu sagen wußte, so war das die Wackerhahnsche, die unter einem halben Dutzend Nationen nicht nur manchen Bramarbas, Kapitän Holofernes und Don Bravado, sondern auch manchen wirklichen grimmigen Helden kennengelernt und ihn auf dem Schlachtfeld oder im Spital in den Armen gehalten hatte, um ihm den letzten Labetrunk zu reichen und das letzte Trostwort zu sprechen.
»Es tut ihm gut«, sagte sie. »Also lasse Sie ihn so seinen Weg haben, Jungfer Hanne. Was fragst du auch ihn danach? Deine Mutter frag drum, wo er so lange gesteckt hat, wo er geblieben ist, wo er herkommt! Sie hat aber wohl nicht dran gedacht, die Frau Pastorsche, wohin sie das arme Tier jagte, als sie mit dem Besen und dem Stab Wehe über das Turteltaubenpaar kam. Zuerst in der Fliederlaube in eurem Garten, Mamsellchen, und nachher wie Zieten aus dem Busche am Katthagenberge. Liege still, Narr – Blitznarr! Da Sie es wissen will und muß, kann ich es Ihr auch wie aus dem Parolebuche ablesen. Ins Blinde ist der Tropf gerannt in seiner Liebesbrunst und dem ersten Werber des Kurfürsten von Hannover in die ausgebreiteten Arme! Hui, da haben wir schon unsere Künste und wissen, was wir dem jungen Hirnwütigen in den Brudertrunk zu schütten haben, um ihn nach unserem Sinn wieder zur Räson zu bringen. Das bleibt sich einerlei, was uns da in die zärtlichen Pratzen nimmt, ob der König von Engelland, der König von Preußen oder Durchlaucht Herzog Karl, unser angeborener Landesvater. Die Liebe und Zärtlichkeit bleibt sich gleich, und du reichst mit deiner längst nicht an sie heran, Hannchen Holtnicker. Nicht wahr, Musjeh Pold, nicht wahr, so mit gebundenen Fäusten am glühroten Ofen, mit nichts als Häringen zur Kost und nichts als Häringslake zum Trunke – welch ein himmeljauchzender Treueschwur, wenn sie zu dem Handgeld mit dem schäumenden Bierkrug kommen: Treue bis in den Tod, zu Wasser und zu Lande – Vivat Georgius! Vivat Carolus! Vivat Fridericus! Vivat Maria Theresia, oder wie sie sich sonst nennen mögen, die hohen kriegführenden Herrschaften rund um den Erdball. So, so, so ist auch dein süßer Schatz dem leidigen Satan unter den glühen, blutroten Rechen gekommen, arm, klein, lieb Immeken! Der streicht jetzo wieder zusammen vom Felde und der Wiese in die Wachtfeuer grün Holz und dürr Holz; die ältesten Knüppel und Krüppel sind wohl noch zu verbrauchen in den Brandhütten. Wir sind erst beim Anfang diesmal. Glaubt es der Alten, ihr Jungen, und was ihr euch Liebes noch in der Welt sagen und tun könnt, das sagt und tut rasch; morgen ist's vielleicht schon zu spät dazu. Die große Kriegsharke fährt wieder über Ackerland und Blumenwiese und nimmt mit, was ihr unter die Zähne kommt, und dich, du arm Huhn, du Blumenmaler von Fürstenberg, hat sie auch noch nicht losgelassen. Sie hat dich noch, wie das Fieber dich hat – kriech unter, steck den Kopf unter die Decke, und Sie, Mamsell Holtnicker, wenn ich Ihr raten soll, zetere und schnattere Sie nicht zu laut über Ihres Schatzes Malör! Zum Teufel, ducke dich mit deinem Jammer, Mädchen, daß so wenig als möglich Menschen davon erfahren, was das Schicksal von Kloster Zeven her der Barwaldshexe im Boffzener Landwehrturm in Pflege gegeben hat. Sie könnten ihn von Höxter aus so gut wie von Fürstenberg her trotz seines Fiebers mit dem Strick um die Fäuste und den Hals wegholen, den Deserteur Seiner Majestät von Engelland aus der Konvention von Kloster Zeven! Hab ich nicht recht, und ist's nicht ein guter Rat, Musketierer Wille?«
Es war doch eigentlich schade, daß die Frau Pastorin nicht dabei zugegen war, um es sich mit anzusehen und anzuhören, was für ein Unheil und Herzeleid in der Welt man mit dem besten, wohlmeinendsten Willen anrichten kann.
Der Unglücksmensch hatte sich nunmehr, sein Mädchen in den Armen, so weit ermannt, daß er seinerseits ein Wort zur Sache geben konnte.
»Ich bin bis heute noch nicht wieder ganz bei mir gewesen seit der Stunde am Katthagen, Hannchen«, schluchzte er. »Wie ein Narr bin ich in den Wald und die Welt gelaufen, vor deiner Mutter und dem Pastor Störenfreden.«
Hier nickte die Wackerhahnsche wie besessen, doch der Held von Kloster Zeven winselte weiter:
»Solch ein Unglückstag! Weißt du noch, Bienchen, wie heiß es an ihm war? Und oben auf dem Schloß hatte es auch schon Verdruß gegeben, weil uns wieder einmal ein ganzer Brand zugrunde gegangen war; aber was konnten wir Maler dazu, daß die Masse für die Figurenmacherei durchaus nicht stehen wollte, daß dem Monsieur Feilner sein Skaramuz, sein Pantalon und seine Kolumbine nicht aus der Form kommen wollten?«
Trotz allem Jammer mußte die Veteranin aus dem Dienst des Königs von Hispanien hier doch lachen; aber die Boffzener Immeke faßte ihren Schatz fester in die Arme:
»Nichts konntest du dafür; aber laß eure Dummheiten da oben! Wo bist du geblieben so lange? Wo kommst du her in solchem Elendszustand?«
»Was konnte ich machen mit meiner Kunst und meinen Aussichten vor deiner Frau Mutter und ihrem Pastor von Derenthal, dem Herrn Vetter und Neveu? Was konnte ich tun gegen deine liebste Frau Mutter und ihren lieben Pastor Störenfreden? Mit leeren Taschen und rückständigem Lohn konnte uns Durchlaucht Herzog Karl jeden Augenblick ins freie Feld setzen, wenn er den Groschen für uns zu was anderem nötiger hatte.«
Wie kam das Wort: »Commedia dell'arte!« in den alten Weserwachtturm?
Die Wackerhahnsche hatte es aus Neapel oder Sizilien mitgebracht. Sie hatte vieles aufgeschnappt und mitgebracht von ihren Feldzügen, was einen Professor von Helmstedt oder Göttingen wohl zum Aufmerken hätte bringen können, vorausgesetzt, daß er auch einen Blick hatte für die leuchtenden oder zwinkernden Augen und das zum scheußlichen Grinsen verzogene Maulwerk des alten Weibes.
»Nu, rapportiere nur weiter, armes geschorenes Herzenslamm, solange dir der Atem nicht ausgeht«, sagte die Wackerhahnsche. »Daß Serenissimus für Ihr Geld und Landeseinkünfte allerhand nötige Verwendung haben, zumal jetzo auf Schloß Blankenburg – wissen wir.«
Und der Blumenmaler erzählte weiter, freilich mit kümmerlichem Atem und mit keuchender Brust. –
Klaget mir nach, ihr Felsenklüfte! Traurig töne mein Lied zurück, durch den Hain und vom Ufer –
Ei ja, wohl können wir auf unseres Herrn Gottes Wunderwagen arg zusammengerüttelt und -geschüttelt werden! Wovon sollte denn aber auch Salomon Geßner singen und Ehrn Gottlieb Cober predigen, wenn dem nicht so wäre zu unserm Besten?
»In den Solling bin ich gelaufen aus der lieben Frau Mutter Überfall in den Nüssen –«
»Sie waren wohl noch nicht ganz reif«, murmelte die Wackerhahnsche.
»Und in Dassel hat mich der hannoversche Werber gefaßt«, ächzte Pold Wille. »Es war ein zierlicher, feiner Herr, der mich im Walde ansprach um den rechten Weg nach dem Ort, eben als ich umkehren wollte nach Fürstenberg. Da sind wir in Diskurs gekommen, wie ich gedachte, nur auf ein hundert oder tausend Schritt weiter, der Höflichkeit halber. O du barmherziger Gott, welch ein weiter Marsch ins Elend ist daraus geworden! Er war ja auch seines Mädchens wegen in die weite Welt gelaufen, der falsche Kujon! Ein reicher Kaufmannssohn aus Hamburg war er, der sein Sacktuch zog und sich die Tränen wischte und sein Herz in die Hand nahm und es mir hinreichte, als seinem Freund und Bruder – seines Mädchens wegen! Ihm seine Eltern haben nicht gewollt, wie bei uns, Immeke, deine Mutter nicht; und so haben wir Leidensbrüderschaft machen müssen bei Neuhaus unterm hinteren Mädchenberge, wo die Holzminde mitten im Ort die Grenze macht zwischen uns und dem Hannoverschen. Wie ein Blut- und Feuerstrich geht der Bach nun in alle Ewigkeit durch mein Leben! Was half es mir links von der Holzminde, daß ich schrie, er lüge es, daß ich rechts von ihr nicht dir, Hannchen, sondern aber dem König von England und Kurfürsten von Hannover Treue bis in den Tod geschworen habe? Sie warfen mich wie ein gebunden Kalb zu drei oder vier von der Landstraße aufgegriffenen Strolchen auf einen Leiterwagen. ›Bringt den Deserteur König Georgs zur Räson‹, schrie lachend der feine Hamburger Kaufmannssohn den schon betrunken gemachten jubilierenden Lumpen zu. ›Wir nehmen zur Fortun und Glorie nur mit, wer freiwillig geht. Sauft ihm zu! Was willst du mit deiner Amour, Kamerad, für dein ein Mädchen? Auf jedem Lagerplatz kannst du dir bald ein Dutzend auf der Trommel antrauen lassen!‹ – Am Silberborn warfen sie uns noch einen Galgendieb aufs Gefährt, dem noch am linken Fuß der unabgefeilte Schellenring hing, und so ist's weitergegangen durch den Wald mit meinem Jammer und der anderen Gefluch, Lachen und Jauchzen. Vivat Georgius! Bis nach Dassel. Die Dragoner des feinen Hamburgers immer neben den Rädern.«
»Sie brauen ein wohlberüchtigt Bier in Dassel«, sagte die Wackerhahnsche. »Hund nennen sie's im Lande herum. Hat Er den Dasselschen Hund auch kennengelernt, Musjeh Wille?«
Den armen Pold überkam bei dieser Frage ein heftiges Schütteln in Frost und Hitze durch den ganzen Körper, doch wohl weniger aus Schauder vor dem Dasselschen Hund, als überhaupt im Angedenken an jene Nacht im Dasselschen Ratskeller – die heiße Augustnacht, mit gefesselten Händen am überheizten Ofen, mit der hineingezwungenen Häringsjauche im Leibe und den schäumenden Krügen, nicht Dasselschen Hundes, sondern richtigen Einbeckers, rundum und unter der Nase, vor den geborstenen, lechzenden Lippen, bis zu dem geröchelten Kreischen: Vivat Georgius Rex! Ich gelobe und schwöre – und so weiter!
»Das ist freilich ein anderes Getränke, das Einbecker«, grinste die Wackerhahnsche. »Doktor Luther soll in Worms für einen Trunk davon sich recht schön beim Herzog Erich bedankt haben. An den kam die gute Gabe freilich auch in anderer Weise als an dich armen Malergesellen. Na, tröste dich, mein Söhnchen, der Scheiterhaufen, der dem Doktor nur drohte, den hattest du schon in hellichten Flammen im Bauche. Ich bin öfters selber dabeigewesen und weiß, daß du der erste nicht bist, den der höllische Durst zum Eid und Meineid trieb.«
»Meineid?« schrie der Fahnenflüchtige vom Kloster Zeven, sich auf seinem Schmerzenslager aufbäumend. »Was redet Sie von Meineid, Frau? Habe ich die Konvention vom achten September abgeschlossen? Auseinander sollten wir gehen, wie wir halb verhungert, in Lumpen, das Fieber in den Knochen, im Dreck und in der Heide lagen, zusammengetriebenes Schlachtvieh: Hessen, Braunschweiger, Gothaer, Bückeburger –«
»Jawohl, aber ihr Hannoverschen solltet beieinanderbleiben in Stade! Das war ausgemacht durch den dänischen Grafen, den Lynar, der dem Cumberland in seinem Elend mit Feder und Tinte zu Hilfe kam und das saubere Stück Schreiberkunst zu Papier brachte. Lehre Er mich die Welthistorie kennen, Monsieur – wollt ich sagen Musketier Wille! Und zum Wahrzeichen, daß ich recht habe, sage ich Ihm noch, daß die Haufen in ihrem Notstall ja noch in Stade beisammenliegen und auf bessere Zeiten warten. Was abgebröckelt ist, wie Er, Monsieur Wille, das hat das eben mit seinem Gewissen auszumachen und mit dem Profoß, der zuerst die Hand Ihm an den Kragen legt.«
»Wie weit reicht bei Ihr ein Eid, den einem die Häringsjauche und der heiße Ofen im August abgezwungen haben, Wackerhahnsche? Und wenn der Heilige Geist selber dem dänischen Grafen seine Vermittelung zwischen dem Franzmann und dem Englischmann eingegeben hätte, so durfte jeder von uns, wie wir uns nannten, seine Eingebung von oben haben. Braunschweiger, Hannoveraner, Hessen, Sachsen-Gothaer – wem gehörten wir denn an auf der Retirade von Hastenbeck bis Kloster Zeven? Dem Römischen Kaiser? Dem Deutschen Reiche? Dem König von Frankreich? Dem König von England? Dem König Fritz oder – wie ich, da ich den Namen der Herrschaften der anderen Kameraden nicht weiß, meinem aufgezwungenen Herrn Kriegsherrn, dem Kurfürsten von Hannover? Der Haufen ist wohl in Schmach und Schande noch beisammen bei Stade, aber was abgebröckelt ist, hat nur in Wut, Elend und Jammer vor unserm Herrgott sein Recht genommen. Sie wissen es heute selber noch nicht, der König von Frankreich und der König von England, wem von ihnen das größere Recht an uns bei Kloster Zeven zusteht. Laß sie es jetzt unter sich ausmachen – mein lieber Landesherr nennt sich Karl, Herzog von Braunschweig und Lüneburg. Nach Fürstenberg hat er mich als seinen Maler gesetzt. Wenn ich einem Herrn fahnenflüchtig geworden bin, so ist er das. Ach Hannchen, wenn er doch um uns wüßte und wie unsere Frau Mutter mich in den Wald und ins Feld gejagt hat! Da würde er auch wohl nur sagen: ›Ein andermal sei Er klüger, Wille, und behalte Er Seine fünf Sinne beieinander, auch vor der Frau Mutter, der Frau Pastorin. Da Ihn der Krieg, den wir jetzt führen, freilich nichts anging, so soll Er von mir aus Pardon haben.‹«
Die Wackerhahnsche zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf; aber Mamsellchen Holtnicker umklammerte von neuem und fester den Schatz:
»Ganz recht hast du, Pold! Poldchen! Dem guten Herzog Karl und mir, mir gehörst du allein an, und deinen Meineid nehme ich auf mich am Jüngsten Gericht, und der liebe Gott wird ihn mir und dir schon vergeben. O Pold, mein liebster Pold, daß du wieder da bist, daß ich dich wiederhabe – aber, o Mutter Wackerhahn, so sehe Sie doch, sehe Sie doch; er ist ja nicht bei sich! Er stirbt, er stirbt mir unter den Händen!«
Er starb wohl nicht; aber mit den Kräften, die er von seinem Zuge ins Heldentum und von Kloster Zeven noch mitgebracht hatte, war's zu Ende. Es war ihm schwarz vor den Augen geworden, und er hatte sich in den Armen seines Mädchens zurückgelegt, und es konnte ihn in seiner Bewußtlosigkeit auch nur so sanft als möglich betten auf dem Strohsack und den Hirsch-, Reh- und Fuchsfellen der weiland Sollingförsterin Wackerhahn, ihn zur ferneren besten Verpflegung und Sorge ihr weiter anbefohlen. –
Die alte Frau hatte eben nach jeder Weltgegend hin durch die Schießscharten, die Auslugslöcher ihrer wunderlichen Behausung, ins Wetter gesehen. Jetzt auf den Aufschrei Immekes hin wendete sie sich wieder, beugte sich über ihren Gast von Kloster Zeven, griff ihm nach der Stirn, nach dem Pulse, legte ihm die Hand auf das Herz und sagte zu sich:
»Ans Leben geht's noch nicht, aber – wer weiß, ob's nicht besser für die Unglückskreatur wäre, wenn die Meute, die ihm von überallher auf den Hacken ist, sie jetzt schon als tot verbellen dürfte? Hier im Turm geht er doch ein. Was soll daraus werden? Zu viele Fänge greifen von allen Seiten her nach ihm.«
Zu dem zitternden, angstkeuchenden Kinde sprach sie so weich und tröstend als möglich:
»Nein, nein, Mädchen, ans Leben geht's ihm noch nicht, und was ich dazu tun kann, ihn dir ins Ehebett zu schaffen, wird getan. Wenn ich aber außer dir nur noch einen Menschen wüßte, den ich um seinen Rat angehen könnte! Soll ich deinem Pflegevater zu allen seinen anderen Ängsten auch noch diese aufladen, mit seiner königlich französischen Einquartierung im Hause? Und es wird immer mehr Tag, Jungfer Holtnicker! Da guck, wie es in den Nebel hineinreißt! Deine Pastorsche? Wie würde die mit dem linken Fuße zuerst aus dem Bett gestiegen sein, wenn sie dich nicht zu Hause fände und sie käme, um dich hier im Turm der Wackerhahnschen zu suchen, wie damals in den Nußbüschen unter Schloß Fürstenberg? Es hilft nichts! es hilft nichts – Leiter ab, Mädchen, und nach Hause, so rasch dich deine Beine tragen wollen! Guck, da guckt er wieder auf! Ja, herze und küsse ihn und dann laß ihn mir und laß mich meinen grauen Kopf über euch Unglückswürmer allein zwischen die Fäuste nehmen. Courage, Boffzener Immeken! Vielleicht ist's jetzt gar noch ein Segen, daß du nicht bloß von des alten Papen und unseres Herrgotts Wunderwagen, sondern wahrscheinlich auch von einem Zigeuner- oder Marketenderwagen heruntergefallen und den guten Leuten im Pfarrhause vor die Füße gerollt bist.«
Die letzten Worte murmelte sie so leise, daß Hannchen Holtnicker nichts von ihnen verstand.