Wilhelm Raabe
Hastenbeck
Wilhelm Raabe

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Sechstes Kapitel

Welch ein Segen und was für eine Freude ist es, wenn Menschen friedlich beieinander wohnen; aber wie selten ist's der Fall! Die Bemerkung ist nicht neu. Wir haben sie auf dem Odfeld gemacht, nun machen wir sie nach dem Feld bei Hastenbeck. Wie haben sie, oder wir dort an der Weser, selbst unter dem frommen Krummstabe des Erzstifts Mainz, so weit das Wappen mit dem Rade des Willigis auf den Feldern zu finden ist, die Landschaft verziert mit »Warten«, das heißt den türlosen Wachttürmen in den Feldern und auf den Bergen, zum Auslug nach dem guten, frommen, friedliebenden Nachbar, auf daß er nicht unversehens komme, zu grob gegen die Mannsleute, zu zärtlich gegen das Weibervolk, und um das liebe Vieh unbehandelt aus den Ställen, die Ernte aus den Scheunen abzuholen und zuletzt, zur Krönung des freundlichen Besuchs, die Brandfackel ins Strohdach zu stoßen!

Sie sind teilweise auch heute noch dorten zur Rechten und zur Linken des Flusses zu sehen, diese Warten. Auch die der Wackerhahnschen beim Dorfe Boffzen ist noch vorhanden und heißt der Landwehrturm. Wer sie gebaut hat, und gegen wen, können wir nicht sagen, es kommt aber auch nichts drauf an. Wir wissen nur, daß die Wackerhahnsche sie nach dem Zweiten Schlesischen Kriege mit stürmender Hand nahm und sich zur Zeit der Konvention von Kloster Zeven noch darin tapfer behauptete, und darauf kommt viel an. –

Die Wackerhahnsche! Da wäre auch eine Geschichte, sonderbar zu erzählen und mit Kopfschütteln bis in das Genaueste hinein anzuhören. Wir haben aber diesmal nicht die Zeit dazu, sondern müssen uns auf das Notwendigste einschränken. Selbst ihren Vaternamen dürfen wir nicht herschreiben; es leben noch zu viele Leute aus der Verwandtschaft, die das nach anderthalb Jahrhunderten noch übelnehmen könnten. Wenn man der Verwandtschaft des Jahres 1740 gesagt haben würde, auch die Frau Försterin Wackerhahn sei von Gottes Wunderwagen wieder in Boffzen abgeladen worden, so würde sie wahrscheinlich geantwortet haben: der leidige Satan habe das verlaufene Weibsstück von seinem Karren herunter und ins Dorf wieder hineingeschmissen.

Ja, sie war aus dem Dorfe, die Wackerhahnsche, und ihr Vater vordem einer der reichsten Bauern drin. Ein bildschönes Mädchen war sie vor dreißig, vierzig Jahren gewesen; aber mit dem Satan im Leibe war sie freilich geboren worden. In der Stadt Landshut hätte man sie noch im Jahre 1756 verbrannt und im Kanton Glarus sogar noch im Jahre 1780. Da aber die Herren Herzöge von Braunschweig, und vor allen Durchlaucht Carolus der Erste, dergleichen feu d'artifice nicht nur scheußlich, sondern auch lächerlich fanden, so konnte Meister Urian diese seine Hexe gar nicht sicherer und behaglicher aufs Altenteil setzen als auf der Allermannswiese beim Dorfe Boffzen.

Es ist ein Sollingförster gewesen, der sie sich von dem reichen Bauernhofe geholt hat, wider den Willen der Verwandtschaft, aber mit ihrem. Ehrn Gottlieb Holtnickers Vorgänger im geistlichen Amt hatte das Paar schandenhalber kirchlich zusammenzugeben; unterm Strohkranz und mit Häcksel vor der Tür der Braut. Das Kind, welches die junge Frau in Windeln mit in die Ehe brachte, ist nicht zu Jahren gekommen; aber der Haushalt ist für den Mann und die Frau doch schon recht gewesen. Ein wildstolzeres Paar hat es weithin ins Land, zur Rechten und Linken der Weser, nicht gegeben.

Sie studierten damals noch nicht auf Forstakademien, die Leute in Grün. Sie kannten aber auch nicht wie die Herren von heute bloß den Hasen und, wenn's hoch kommt, den Rehbock. Sie hatten es noch zu tun mit dem Wolf, dem Luchs und der Wildkatze; der Kolkrabe und der echte alte Uhu gehörten noch zu ihren täglichen und nächtlichen besten Bekannten. Sie glaubten noch an den Wilden Jäger, und wenn im Kruge die Rede auf sein Gefolge kam, so war's für manchen von ihnen gar keine unebene Vorstellung, dermaleinst da oben in den Lüften unter dem Hörnerklang, Rüdengebell, Peitschenknall, Holla, Hussa und Horrido mitziehen zu dürfen.

So der Förster Wackerhahn im Barwalde, Amt Hunnesrück. Von dem hat es geheißen, er ginge des Abends auf die Wildererjagd nicht nur mit der Büchse und den Hunden, sondern auch mit einem Spaten aus. Und wenn dann mal einer aus Sievershausen, Dassel, Denkiehausen bis nach Lüthorst hin, der gesund mit seinem Schießgerät sich vom Hause weggeschlichen hatte, nicht wieder – nach Hause kam, dann wußte man schon, wo er geblieben war, oder eigentlich auch nicht: der Totengräber des Orts konnte jedenfalls keine Auskunft darüber geben.

Auf solchem Anstand soll auch die Wackerhahnsche ihrerzeit mit ihrem Manne gewesen sein, auch den Spaten so nach der Jagd mitgeführt haben. Wie aber jeder Krug nur so lange zum Brunnen geht, bis er bricht, so auch hier. Am Ohlenberge bei Denkiehausen haben sie ihrerseits dem Förster Wackerhahn einen Hinterhalt gelegt – sie sollen von jenseit des Holzberges im Amt Stadtoldendorf, aus Brak, Deensen und von dem adeligen Gut Giesenberg gewesen sein. Ans Licht ist darüber nichts gebracht in der Untersuchung. Lebendig nach Hause gekommen ist nur die junge Försterin; aber wie?! Es läßt sich schlecht, also am liebsten gar nicht, davon erzählen vor anderen Frauen, wie die Wut, die Rachgier und das Tier im Menschen die schlimme Nacht durch dies Geschöpf Gottes zugerichtet haben im wilden Walde!

Dies Abenteuer ist's gewesen, was die Wackerhahnsche aus dem Lande, auf die Landstraße und zuletzt als alte Dorfhexe in den Landwehrturm bei dem Heimatsdorfe getrieben hat. Der Himmel verleihe allem, was Weib heißt, einen sanfteren Lebensweg und ein besseres Altenteil! Zuerst hat sie's doch noch einmal mit der Heimat versucht, die junge Wittib; aber da sie bei ihrem Abzug von Boffzen zornige Herzen hinter sich gelassen hatte, so fand sie nunmehr noch viel giftigere und dazu höhnische wieder. Es ist nichts mit dem Leben, so stark und wild und fest man sein kann, wenn man um sich her nichts als böse Blicke und Worte von denen, die am nächsten zu einem gehören, hat und hinter sich her auch die andern flüstern und lachen hören muß und, wenn man den Kopf dreht, die Kinder die Zungen ausstrecken sieht. – Da ist es denn für manchen gut, daß die Weltgeschichte nie stille steht, sondern ihren Lauf hat und einen oft wunderlich mit sich nimmt.

In den Krieg, den Anno 1733 Frankreich wegen des Polen Stanislaus Leszczynski und das Haus Österreich und das Römische Reich wegen des Sachsen Friedrich August miteinander führten, ist die Wackerhahnsche mit hineingezogen worden. Wer über die Weser ist, der kommt auch wohl über den Rhein: die Wackerhahnsche hat auf dem Bagagewagen und mit dem Marketenderkarren manchen Fluß durch die weite Welt überkreuzt; doch es ist auch davon vor ehrbaren Frauen und lieben Jungfern am besten nicht zu laut zu reden. Gottes Wunderwagen bleibt doch Gottes Wagen! Er ist es, der seinen Passagieren ihre Plätze darauf anweist, und das ist auch die beste Entschuldigung, die wir für die alte Frau im Landwehrturm haben. Bis nach Messina herunter ist sie gekommen auf ihren Kriegsfahrten, die Försterin aus dem Barwalde! Der alte Hauptmann Balthasar Uttenberger im Boffzener Pastorhause stand damals als junger Schweizer Fähnrich in Palermo: O Bienchen aus dem Boffzener Pfarrgarten, was für zwei verwetterte Veteranen hat dir da der Lebenssturm zusammengeweht zur Hilfe in deinen jungen Nöten! . . .

Die beiden ersten Schlesischen Kriege sind vorbei gewesen, der Dresdener Friede ist abgeschlossen worden von den hohen paktierenden Herrschaften, und die Wackerhahnsche hat versucht, auch ihren Frieden mit dem Dorfe Boffzen zu machen, was jedenfalls ebenso schwer war wie das andere.

Zuerst hat es geheißen: die Weser fließe da, und da hinein gehöre am passendsten das verlaufene Soldatenmensch. Was für den Schinder zu schlecht sei, das nehme der Fluß gern mit stromabwärts. Wo es dann angetrieben werde und stinke, das sei anderer Leute Sache. Und in solchen Reden weiter.

Sie hatten im Dorf eben nur vergessen, daß sie es nunmehr mit der Wackerhahnschen nicht bloß aus dem blutigen Solling her zu tun hatten. Was Pastor Holtnicker zum Besten redete, würde wohl wenig geholfen haben: die Wackerhahnsche war aber nicht umsonst in der weiten Welt und im Kriege gewesen. Sie hatte gelernt mit Menschen und mit Vieh umzugehen, und – was man nie genug bedenkt – Feindschaft zieht auch wieder Freundschaft heran und herzu!

Es fand sich schon jemand, der ihr grinsend die Leiter lieh, auf der sie den Eingang zum Landwehrturm erkletterte, da die Verwandtschaft sie nicht bei sich auf dem Hofe dulden wollte. Ein Freund von der Verwandtschaft soll das gerade nicht gewesen sein. Und da sie nun drin saß in der Warte auf ihrem Altenteil, so wurde auch bald im Kruge für sie auf den Tisch geschlagen von solchen, die mit ihr jung gewesen waren und sie dem Förster aus dem Amt Hunnesrück einst ganz und gar nicht gegönnt hatten, weder als Schätzchen noch als Ehefrau. Eine Kugel, die sie am Bindfaden um den Hals trug, half ihr grimmig auch zu Respekt im Dorfe. Man hatte sie ihr nach der Schlacht bei Kesselsdorf aus der Hüfte geschnitten, und der alte Dessauer hatte sie nach der Heilung der Wunde in der Hand gehabt, und die Dorfjungen sperrten Maul, Augen und Ohren im Kreise unter der Hecke auf, wenn ihnen die Wackerhahnsche weiter berichtete, wie der Fürst Leopold ihr dabei vergnüglich den Takt auf der Schulter geschlagen habe zu seinem Leibliede: So leben wir, so leben wir; so leben wir alle Tage.

»In der allerschönsten Saufkompagnei!« sang dann wohl der jüngste Nachwuchs von Boffzen mit.

Aber die Hauptsache für die weiland Förstersche aus dem Barwalde war doch, daß sie auf ihrem mit gewappneter Faust genommenen heimatlichen Altenteil in dem Wartturm auf der Allerwiese alle in Grün, so weit der grüne Sollingwald reichte, für sich hatte.

Die wußten alle, alle noch von ihr, und was sich schon von Sage und Legende im Laufe der Jahre um sie geschlungen hatte, das kam ihr auch zugute! Da gab es keinen Forstmeister, reitenden und gehenden Förster, Wald- und Wildhüter, dem sie mit ihrem Spaten auf ihrem Anstand auf der Wilddiebsjagd nicht als ein leuchtend Exemplum für jede brave Jägersfrau gegolten hätte. Auch sie haben für die Kameradin auf den Tisch geschlagen mit einem: »Probiert's und krümmt ihr ein Haar, ihr Mäuse- und Maulwurfsfallensteller, ihr Hasenschlingenhelden!« Und was sie ihr in Topf und Pfanne zutrugen in ihren Turm, nachdem sich das Gerücht von ihrer Ankunft da im Walde verbreitet hatte, das gab kein übel Gedüft von sich und machte jedwede Anspielung auf Hühnerstehlen und dergleichen Taternschandtaten völlig zunichte.

Auf gestohlenes Gut, Frösche, wilde Wurzeln und derartige Kost war die Wackerhahnsche auf ihrem Altenteil im Jahre 1757 wahrlich nicht mehr angewiesen; doch damit stehen wir denn endlich auch vor ihrem Turm, an der Leiter, auf der man, wenn sie herniedergelassen wurde, zu der Eingangspforte aufwärts gelangen konnte. Und nun – wer sich für diese Daphnis- und Chloegeschichte zu schwachnervig fühlt, der kann auch jetzt noch das Buch zuschlagen und uns mit der Wackerhahnschen und der Jungfer Holtnicker im dicken Nebel allein lassen. Es ist eine wahre Geschichte und keine Geßnersche Idylle, die wir erzählen. Immeke von Boffzen und ihr Fürstenberger Blumenmaler haben noch viel auszustehen und durchzumachen, ehe sie –

Doch die Wackerhahnsche wird schon ungeduldig und sieht sorglich in den ziehenden grauen Dunst:

»Laß das Geschluchze, Krabbe! Wie lange glaubst, daß der Herrgott dir zu Gefallen dem Lande noch die Nebelkappe überzieht und die Frau Mutter nicht nach dir ruft? Avanti! Allegro! wie sie im Pomeranzenlande sagen. Tu die Schürze von den Augen; mit dem Heulen heulst du höchstens den Franzosen her. Der wird den Jungen da oben bald wieder in der Montur und der Feuerlinie haben, wenn er seine oder des Kurfürsten von Hannover Spitzruten überstehen sollte, von seinem jetzigen Fieber dabei gar nicht zu reden!«

 


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