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Gesagt hat er darüber nichts, aber annehmen läßt es sich wohl, daß auch der Eutinische Rektor, Johann Heinrich Voß, nicht bloß aus der Phantasie heraus gearbeitet, sondern treulich und pragmatisch aus privaten und öffentlichen Dokumenten, Manualakten aller Art und nach wahrhaftiger mündlicher Überlieferung berichtet habe, wie sein ehrwürdiger Pfarrer von Grünau plötzlich – aus dem Stegreif, das heißt nicht vorm Altar und vor feierlich versammelter Gemeinde, sein rosig Töchterlein Anna Luise Blum fragen mußte: ob sie wirklich gesonnen sei, den gegenwärtigen jüngeren Amtsbruder, Herrn Arnold Ludewig Walter, zum Manne zu nehmen und –
»als christliches Ehweib
Freude mit ihm und Kummer, wie Gott es fügt, zu ertragen,
Und ihn nicht zu verlassen, bis Gott euch väterlich scheidet,
Unter den Seligen euch zu vereinigen immer und ewig?«
Schon aus dem »Menü« für die dem erhebenden Vorgang nachfolgende Abendtafel getraue ich mir, es nachzuweisen. So was läßt sich nicht aus den Fingern saugen. Da muß man selber in der Küche dabeigewesen sein und die verständige Hausfrau und eben noch tränenüberströmte Mutter ihre Befehle haben geben hören und Anordnungen treffen sehen –
»der Sandart wird doch geschuppt sein?
Flink mir die festlichen Gläser gespült und das große des Vaters,
Das in helles Gekling einbummt wie die Glocke vom Kirchturm.
Fülle die Schal in der Kammer mit Süßmilch, welche die Gräfin
Liebt, und in dem silbernen Korbe das Glas mit gepulvertem Zucker.
Hast du zum Apfelmus auch Kaneel gestoßen im Mörser?
Gut, daß der Has im Keller noch hing! Denn es wäre ja schimpflich,
Wenn wir mit Fischen allein und Vögelchen diesen Abend
Feierten und, ich schäme mich fast, mit gebrühten Kartoffeln!
Hans, nur tüchtig den Braten gedreht! Heut abend ist Hochzeit!«
Das »große Glas« des Vaters und geistlichen Hirten, das in helles Gekling einbummt wie die Glocke vom Kirchturme, hat der arme Rektor Voß sicherlich mit eigenen Ohren im übernahrhaften Grünauer Pastorhause in das dünnere Geläute »einbummen« hören, vielleicht nicht ohne daß es ihm ein kleines Ärgernis gab, jedoch dafür zu einem Hexameter mehr verhalf. –
Ach leider, leider verhilft uns unser historischer Apparat nicht zu derlei behaglichen Schilderungen! Wie gern würden wir da jegliches kleine Ärgernis mit in den Kauf nehmen!
Ach, sie erschien nicht in rieselndem, mit Moos und Rosen umbordetem Atlas, in seidenen Strümpfen und Schuhen mit der Myrte auf dem Lockenhaupt und mit zwei halboffenen Blümlein von der »Sinarose des Fensters« am Busen auf der Schwelle des würdigen Pfarrers von Derenthal, die Braut des Tages Adams und Evas im blutigen Jahr siebenzehnhundertsiebenundfünfzig!
Um elf Uhr beugte sich in der Kammer der Winnefeldschen die Wackerhahnsche über die fest schlafende, schwer im Schlaf atmende Tochter des Boffzener Pfarrhauses, und keine leibliche Mutter konnte mit betrübterem Herzen, mit tieferem Mitleid über die Stirn ihres Kindes streifen als jetzt die alte grimmige Wald- und Walstatt-Frau.
Es war eine harte Hand, die sich auf das ungekämmte, zottelige Gelock des Boffzener Bienchens legte:
»Arm Putthäuneken, das Herze blutet mir; aber es geht ja nicht anders, wenn du bei deinem Willen bleiben und mit dem Schatz auf Glück und Unglück weiter von der Weser nach dem Harz bis zu des Herzogen Karls Asyl den Weg suchen willst! Der Schnee liegt zu hoch, als daß wir vor Nachtdunkel nach dem Lakenhaus kommen, wenn wir nicht bald marschieren. Könnten wir über Neuhaus, so möchtest du meinetwegen noch weiterschlafen; aber so heißt's nun: Quartier beim Lakenbergförster Weigel, der Försterin vom Barwalde altem Kameraden, oder bei den Wölfen im Solling.«
Mit einem Schrei und dem Angstruf »Pold!« hatte die Boffzener Immeke auf dem Strohsack der Derenthaler Pfarrmagd aufrecht gesessen.
»Nein, ich bin's nur – die Mutter Wackerhahn! Deinen Liebsten hat noch nicht der Wolf und der Franzmann am Kragen, sondern nur in Liebe und Güte der Herr Pastor Störenfreden! Da bring ich dir deine Röcke und Strümpfe und Schuhe wieder trocken und warm vom Küchenherd, 's ist Weihnachten, Kind, und wer weiß, was dir heute noch zu seinem Heiligen Abend das Christkind bescheret? Tapfer – mit Bravour auf die Beine, Jungfer Holtnicker, und mit Gottvertrauen weiter durch Gottes pläsierliche Welt.«
Es war schon auf den Flügeln, das Bienchen aus dem Boffzener Pfarrgarten! Noch etwas verstört und im Sinn verwirrt durch den tiefen Erschöpfungsschlaf, doch im nächsten Augenblick wieder für alles – alles, was den Liebsten betraf, gerüstet und gewaffnet: nur nicht für das, was die Wackerhahnsche in der Wohn- und Studierstube Ehrn Emanuel Störenfredens, wie am Berge Süntel vor einem Opfersteine des Herzogs Wittekind von Sachsen, mit ihr und ihrem Fürstenberger Blumenmaler zum Heiligen Christ im Sinne hatte. –
Vor dem Dorfkruge mit seiner elsässischen Besatzung hielt die Ameliethsche Wacht. Die Winnefeldsche hatte mit zitternden Händen und unter fortwährendem Gemurmel und Gemurr ein Huhn abgekehlt und in den Topf gesteckt und einen Schinken, den letzten, aus der Rauchkammer geholt. Wahrlich, sie hatte beim Pastor von Derenthal nicht häufig die Gelegenheit, zum leckeren Mahle zuzurüsten, wie die treuen Mägde im Grünauer Pfarrhause, Hedewig und Susanna.
Und dies sollte nun gar noch zu einer solchen Hochzeit gelten!
Dies eine Hochzeit? Auf dem Blocksberge mochte man so Hochzeit halten und die Hexe aus dem Landwehrturm Brautmutter dabei spielen! Und so was vor ihrem, ihrem jungen, armen, lieben geistlichen Herrn?! So was hatte Derenthal noch nicht erlebt, und sie, die Winnefeldsche, auch nicht, solang das Dorf stand und der Solling von einem Frühjahr ins andere nach dem Schnee grün ausschlug! –
In seiner Wohnstube schritt Ehrn Emanuel immer noch allein auf und ab, mit hastigen, aufgeregten Schritten. Nach Ordre der Frau Försterin hatte auch er seinen männlichen Gast aus dem Schlaf aufgerüttelt und wartete nun auf sein Hervorgehen aus der Kammer als Bräutigam der Stunde mit ebenso bebendem Herzen und zuckenden Händen wie seine Hedewig vor ihrem Herdfeuer.
Wären wir im neurasthenischen neunzehnten Jahrhundert, so dürften wir nur einfach sagen, daß der junge Mann, und diesmal nicht ungerechtfertigt, an seinen Nerven litt. Aber für sein Jahrhundert war ja noch nicht einmal, wie wir auch schon bemerkt haben, die Epoche der Sentimentalität eingetreten. Der Amtsbruder von Sutton-on-the-Forest, Sutton am Walde, sollte erst zwei Jahre später auf der Weltbühne erscheinen. Ehrn Emanuel litt weder an den Nerven noch an der Empfindsamkeit: er fand sich nur in grenzenloser Verlegenheit gegen die Welt (das Wolfenbüttler Konsistorium eingeschlossen) und die Muhme Hanne in Boffzen. Er war kein Heros, der der wilden Poesie, die in der grimmig-frohmütigen Greisin aus dem Landwehrturm sich immer mehr der Gewalt in seinem Hause und seiner Seele anmaßte, gewachsen gewesen wäre!
Ach, es war nicht mit ihm wie mit dem Grünauer Amtsbruder:
»Mutter, was sagst du?
Soll ich sie traun? Nicht besser ja ist der morgende Tag uns!
Also der Greis; laut weinte, die Händ aufhaltend, die Mutter;
Laut auch weinte Luis' und barg an dem Vater das Antlitz.
Auch der Bräutigam weint', es weinte Amalia seitwärts.
Selbst die alternde Gräfin bezwang nicht länger die Träne.«
Es war die Wackerhahnsche, die Wilddiebsjägerin aus dem Barwalde, die ihm, wahrlich nicht »aufschluchzend« und auch nicht ganz mit den Worten des Rektors Voß, noch einmal zuredete:
»Traue sie, Mann, im Namen des liebreich waltenden Vaters!
Sichtbar ordnet er heute die Segensstunde den Kindern!«
Mit ihrer Knochenhand faßte sie seine Schulter:
»Daß wir den Küster die Glocke im Kirchturm ziehen lassen, Ehrwürden, ist nicht vonnöten, und in den Chorrock helfe ich schon dem Herrn Pastor, wenn Er meinet, der gehöre auch bei so eiliger Zeit doch dazu. Das ist eben eine Welt, Herr, in der man sich die Wiege und den Sarg gefallen lassen muß, ohne drum gefragt zu werden! Was will man sich denn da noch viel sperren, sich auch das andere Dazugehörige drin gefallen zu lassen? Hier ist die Braut – reibt sich denn der Bräutigam noch den Schlaf aus den Augen? Im Kruge satteln die Leute des Herrn Marquis von Armentires, rapportiert die Ameliethsche. Zeit haben wir nicht für den Hochzeitsschmaus. Den ziehen wir übers Jahr mit dem Taufschmaus bei dem Herrn Vater und der Frau Mutter in Boffzen in eins, Immeken. So, da bist du ja zuletzt auch, Malermeister! Nun fraget auch die Kinder, reverendo padre, was sie zu der Sache sagen!«
Und zu Pold Wille und Hannchen Holtnicker sich wendend, kreischte sie wie drohend:
»Wir haben's besprochen: ihr sollt nun gefragt werden, ob ihr, auf den Rat und das Glück der Mutter Wackerhahn hin, mit ihr in einem Stündlein als Mann und Weib weiter in die Welt ziehen wollt. Er, unser junger geistlicher Herre hier, hat noch einmal das Seinige dazu tun wollen, wenn auch wieder nur in seiner Unschuld, euch noch einmal und jetzt vielleicht auf immer, denn wir haben noch einen bitterbösen Weg vor uns, noch einmal voneinanderzubringen und -halten: jetzo im Krieg und Winterschnee wie vordem im Frieden und im Boffzener Blumengarten. Doch nun hat er auf vernünftig Zureden gehört, und wenn ihr wollt, will er auch – will euch jetzo in diesem Augenblick zusammengeben fürs Glück und Unglück, bis der Tod euch für dieses Leben scheidet.«
Sie hielt den beiden erstarrten jungen Leuten die hohle Hand hin und in ihr zwei Ringe.
»Da seht, so fährt Gottes Wunderwagen mit uns armer Kreatur! Erst seit ihr in meinem Turm zu mir gekommen seid in eurer Not, Musjeh Wille und Jungfer Holtnicker, hat es mir in den Sinn kommen können, daß das mir unser Herrgott wohl zu solchem Gebrauch in die Schürze habe fallen lassen können. Bei der Stadt Neapel haben die Bauern beim Brunnengraben eine alte heidnische Stadt aufgefunden. Herkulano heißen sie sie in ihrer Sprache von dem großen Christoffel, dem auch der Landgraf von Hessen auf seinem Winterkasten ein Denkmal hat setzen lassen: daraus stammen sie her, eure Trauringe. Nach einem Höxterschen Goldschmied konnte ich bei der Eile nicht darum gehen. Da, greift zu! nehmt! Sie stammen von zierlichen Fingern und werden passen, wie sie vor tausend Jahren wohl zu dem nämlichen Dienst gepaßt haben.«
Wir können uns leider nicht antiquarisch bei den beiden Reifen und ihren Gemmen aufhalten. Wir können auch nicht angeben, ob sie sich heute in einem Museum finden lassen oder ob sie abermals in den Schoß der Erde versunken sind wie im Jahre neunundsiebzig nach Christi Geburt: wir haben es jetzt zu sehr nur mit Jungfrau Johanna Holtnicker aus Boffzen und dem Blumenmaler Leopold Wille aus der Stadt Braunschweig zu tun. –
Ach, arme Immeke von Boffzen, in Lieblichkeit haben wir dich kennengelernt! Wärest du geputzt gekommen, wie es sich gehört, so würdest du dem Schwesterlein von Grünau an bräutlicher Holdseligkeit nichts nachgegeben haben; aber – leider, leider! – weder die Winnefeldsche noch die Ameliethsche hätten, wie du jetzt über die Schwelle getreten warest, mit der Grünauer Hedewig und der Susanna rufen dürfen:
»Das heißt Pracht! Ja wahrlich, die Himmelsbraut und die Engel
Gehn wohl so, in Seide wie Schnee und grünendem Palmkranz.«
Wie vom armen Allerleirauh hätt's besser hier und diesmal geheißen:
»Ach du schöne Königstochter, wie soll's mit dir noch werden?« –
Ja, da stand sie, die schöne Tochter, das von Gottes Wunderwagen ins Boffzener Pfarrhaus getragene schöne Kind der wilden Zeit! Schon durch die erste Wandernacht zerzaust und verwildert, für den Weitermarsch geschürzt und gerüstet – eben noch trotzig und mutig für den Liebsten alles zu wagen bereit, doch nun wie im höchsten Schrecken die Hände abwehrend von sich streckend:
»Pold, o Pold, geht das denn so? willst du es so? Ohne unseren liebsten Herrn Vater? ohne meine liebe Frau Mutter? ohne mein Kränzchen von meinem Myrtenbaum?! Pold, Pold, geht denn die Welt nicht unter, wenn wir das tun – ohne Vater und Mutter – nicht in der Kirche, nicht vor dem Altar?! Ist es denn die Möglichkeit, daß dieses dem lieben Gott sein Wille in unserem Elend ist?«
»Weil die Welt untergehen will!« rief der Fürstenberger Blumenmaler, und nun hielten sich schluchzend die beiden armen Kinder fest umschlungen, und um diese Tagesstunde wurde im Derenthaler Pastorhause ebenso arg und wohl mit mehr Recht geweint als im Grünauer.
Es hätte niemand für eine Möglichkeit halten sollen, daß auch die Wackerhahnsche noch einmal feuchte Augen in ihrem Leben bekommen könne; aber es war doch so. Und nun legte sie den Arm um ihre zwei Schützlinge und sagte:
»Nach deiner Mutter rufst du, arm Wurm – mein lieb, lieb Mädchen – mein, mein Kind? Deine rechte Mutter hat dich an den Weg gelegt und nicht danach umgesehen, ob Rad oder Huf über dich hingegangen ist. Zu guten Leuten bist du gekommen und sollst ihnen auch nicht verlorengehen, wenn ich es machen kann, und sollst sie auch nicht verlieren, wenn sie selber das nicht so wollen: jetzt hab ich dich aufgehoben im Schnee und im wilden Solling und in meinen Mantel genommen und meine, es wird wohl so recht gewesen sein! Traue mir, wirst als alte Frau die Hexe aus dem Landwehrturm segnen, die endlich auch noch ihren höchsten Wunsch im Leben: ein Kind – zwei Kinder zu warten kriegte! Ihr Narren, wer hat euch denn so lieb als wie die Wackerhahnsche aus dem Landwehrturm? Wer möchte denn lieber als jede andere als Großmutter an eurer Kinder Wiege sitzen wie die arme, blutige Försterwitwe aus dem Barwalde?«
Sie ließ sie frei aus ihrem Arm und trat vor den Pastor Störenfreden, nochmals mit dem Ärmel über die Augen streichend:
»Es ist mir nicht zum Lachen zumute, Herre; aber wenn es mich mein Leben kostete, ich muß jetzt mit so was zum Lachen heraus- und auf meines jungen Paares Aussteuer kommen. Er hat nichts, und sie hat nichts, und wenn der Herr Herzog in seinem Asyl Blankenburg Gerechtigkeit und Gnade über seinen Malermeister aus dem Lager bei Stade ergehen läßt, so ist das auch wohl das Höchste, was er tun kann. Viel übrig zum Verschenken haben sie ihm nicht gelassen, und wenn er selber mit Frau und Kindern und Haushalt was zu beißen und zu brechen hat, wird er froh sein. Ja, ja, Monsieur Pold, mit der Blumenmalerei wird's fürs erste wohl nichts werden! Ich sage, diesmal kann keiner sagen, wie lange der Kriegsgott die Welt mit seiner einen Farbe anstreichen wird – das grüne Gras im Sommer, den weißen Schnee im Winter! Und was dem Herrn Herzog Karl sein Porzellan angeht, davon wird, bis die hohen Herrschaften sich über Schlesien geeinigt haben, mehr zerschlagen als gebacken werden! Es ist dem Herrn Pastor nicht zu verdenken, wenn er auch darob von wegen der Trauung seine Bedenken hat. Da gebe ich ihm ganz recht und rate selber, daß er dem Bräutigam und der Braut erst die Frage stellt, ob sie auch bis in den Hungertod hinein bei ihrer Meinung und ihrem Willen bleiben wollen, für dies Leben nicht voneinander zu lassen.«
Ein Wunder geschah nicht auf dieses Wort, welches bewies, daß die Wackerhahnsche sehr wohl geeignet gewesen wäre, mit an der Pragmatischen Sanktion zu arbeiten. Nur das Natürliche, das Selbstverständliche geschah. Die beiden, die, seit sie sich für Zeit und, wie sie meinten, auch für die Ewigkeit einander verlobt hatten, hatten nimmer so scheu sich voneinander gehalten wie jetzt in der Stube des Pastors von Derenthal, unter dem Schrecken, dem Bangen und – süßem Verlangen der Stunde. Nun aber, auf das pragmatische Wort ihrer jetzigen Lebensführerin hin, stürzten sie zueinander, hielten sie sich umschlungen, weinend und lachend:
»Ja, ja, ja! Nicht wahr, Pold – nicht wahr, Immeke, ein Weg! ein Leben und ein Grab!«
»Na, na, das letzte nur, wenn's gar nicht anders geht!« brummte die Försterwitwe aus dem Barwalde. »Wir – mein Mann und ich – haben auf manchem Anstande gegen unser zweibeinig Raubzeug uns dasselbige geschworen!«
Doch der beste Blumenmaler des Herzogs Karl, der Deserteur des Herzogs von Cumberland, Leopold Wille, zog nun sein Mädchen vor Ehrn Emanuel Störenfreden hin und griff wild, trotzig, bis ins Tiefste aufgeregt, nach der Hand des einstigen Feindes und Nebenbuhlers. Was der kurfürstlich-hannoversche Werber und der Held William Augustus von Hastenbeck nicht fertiggebracht hatten: ihn zu einem tapferen, bis in den Tod unbesiegbaren Kriegsmann fürs Erdendasein zu machen, das hat die Bedrängnis, das Elend und – die Seligkeit der Stunde vollbracht. Nicht allein die Greisin aus dem Landwehrturm hat ihn am Kragen genommen und für sein ferneres Leben zurechtgeschüttelt: wie eine Faust von oben hat's in ihm zugegriffen und ihm den letzten Rest des Fiebers vom Lager bei Stade und der Konvention von Kloster Zeven aus dem Leibe gerüttelt und ihn in seiner Seele fähig gemacht, seines ihm von Ehrn Gottlieb Cobers Wunderwagen zugefallenen Weibes Gatte zu sein.
Und von hier ab hat die Sache, was des Derenthaler Pastors geistliche Amtsverrichtung anbetraf, zwischen den zwei jungen Männern gelegen und nicht mehr zwischen dem Pastor und der Wackerhahnschen aus dem Barwalde und Landwehrturm.
Es sind auch eigentlich nur noch wenig Worte um das Wort des Blumenmalers: »Du hast sie mir lassen müssen und hast sie mir gelassen: nun gib sie mir auch so!«, gewechselt worden.
»In Gottes Namen denn!« hat Ehrn Emanuel Störenfreden leuchtenden Auges, beide Arme gen Himmel erhebend, gerufen. Und wie dem Ertrinkenden noch einmal sein ganzes Leben in einem Augenblick vor der Seele vorbeizieht, so ist dem Pastor von Derenthal, dem Schüler des großen Abts Jerusalem, seine ganze, von Schulbänken an erworbene Gelehrsamkeit im Moment vorbeigegangen und – hat ihm merkwürdig zum letzten Entschluß verholfen und in seinem Gewissen wunderbar getröstet.
Hatten nicht sogar, der Not und dem Drange der Zeiten wegen, die Männer Gottes, Doktor Martin Luther und Doktor Philipp Melanchthon, dem Landgrafen Philipp dem Großmütigen von Hessen zugelassen, sich zu der einen ehelichen, lebendigen Hausfrau noch die andere, Fräulein Margarete von der Saal, kirchlich antrauen zu lassen? Wieviel leichter ließ es sich doch da am Jüngsten Tage verantworten, nur das Bienchen aus dem Boffzener Blumengarten und den Blumenmaler Pold Wille von Fürstenberg ehelich ohne vorheriges dreimaliges Aufgebot von der Kanzel herunter zusammengegeben zu haben!
Später, in seinem Schriftenwechsel mit dem Wolfenbüttler Konsistorium über den Fall, hütete er sich freilich, das kirchenhistorische Faktum zu seiner Entschuldigung mit heranzuziehen: damals konnte er sich aber auch bereits getrösten, daß der liebe Himmel doch wohl zu der Amtswidrigkeit gelächelt haben möchte, insofern er die Sache bei den gestrengen Herren und großen Perücken am grünen Amtstisch nicht schlimmer hatte ausfallen lassen. –
Sie haben wirklich am Tage Adams und Evas das Derenthaler Pfarrhaus als Mann und Frau verlassen, die beiden Mündel der Wackerhahnschen. Zeugen der Trauung sind nur die Winnefeldsche, die Ameliethsche und die Wackerhahnsche gewesen: wie aber das Sollingdorf auf die Beine und an die Fenster gekommen sein würde, wenn die Ameliethsche und die Winnefeldsche nicht der Hexe vom Boffzener Landwehrturm alles zugetraut hätten, das mag sich jeder selbst beschreiben. Der Köterberg, wo der leidige Satan ja auch sein Absteigequartier hat, war doch zu nahe gelegen, als daß sie sich nicht von dem aus zu jeder Zeit, bei Tage und bei Nacht, den nötigen schwefelfeurigen Sukkurs zu ihrer Anrede von vorhin hätte herrufen können.
Wem ließ die Wackerhahnsche heute Zeit dazu, zur Besinnung zu kommen? Ehrn Emanuel Störenfreden hatte das Bienchen aus dem Boffzener Pfarrgarten zum erstenmal in seinem Leben geküßt; er hatte seinen »Freund« Monsieur Leopold schluchzend in den Armen gehalten, nach der größesten geistlichen Tat seines Lebens: als die Wackerhahnsche mit einem Grinsen, das ihr das ganze verwitterte Hexengesicht verklärte, die beiden in herzbrechender Rührung heulend zerfließenden Weibsbilder, die Winnefeldsche und die Ameliethsche, beiseite schob, an den Tisch trat, den Oberrock hob und einen neuen Griff in die Wundertasche im Unterrock, die schon die beiden Ringe geliefert hatte, tat.
Auf des Pastors von Derenthal Studiertisch schob sie alles geistliche, gelehrte und amtliche Rüst- und Handwerkszeug zurück und schüttete den Inhalt eines alten, abgegriffenen, einst mit feiner Stickerei versehenen türkischen Tobaksbeutels drauf:
»Da hast du mein Teil zu deiner Aussteuer, du Immeke von Boffzen. Halt die Hände auf, Malermeister! halt die Schürze auf, Hannchen! Das wirft unser Herrgott euch durch die Wackerhahnsche von seinem Wunderwagen herunter zum Heiligen Christ heute und hinein in den jungen Ehestand!«
O Pfarrhaus von Grünau, wo bliebest du mit deinen Herrlichkeiten – der Aussteuer, die du deinem Töchterlein Anna Luise mitgabest in den jungen friedlichen Haushalt?
Wie das in den trüben kriegstollen Wintermorgen hinein glitzerte und flimmerte! Mehr Ringe mit köstlichen Steinen: grün, blau und rot – Smaragd, Saphir und Rubin! Kleinode von allerlei Art: Brustnadeln, goldene und silberne Ketten, goldene und silberne Münzen und Medaillen aller Länder und Zeiten rund um das Mittelmeer her! Ein Kreuz vom Orden des Heiligen Grabes, gestiftet von Papst Alexander dem Vierten – ein mit Diamanten besetzter Orden des Sankt-Stephans-Ordens des Herzogs Cosimo von Toscana! Antike Gemmen – wie wenn man den kostbarsten Raritätenkasten eines heutigen Museums in einen Sack zusammengerafft habe.
Sie standen im Derenthaler Pfarrhause starr vor dem Wunder. Der Pastor war der erste, der darüber zu Worte kam.
»Weib«, rief er, »wie kommt Ihr zu diesen Kleinodien? Woher stammt das? Weichet zurück, alle, alle! weichet zurück davon! greifet nicht hin! Was klebet wieder daran, Försterin Wackerhahn?«
Die Greisin, statt hierauf sich noch straffer emporzurichten und mit drohender Faust Antwort auf die Frage zu geben, setzte sich langsam, mit einem ruhigen Blick im Kreise umher, in des Pastors Lehnstuhl:
»Habet Ihr auch davon vernommen oder in den Büchern und Gazetten gelesen, wie im Kriege Ruth auf dem Erntefelde Ährenlese hält? Was hieran haftet, das nehme ich alles auf mein Gewissen. Da beruhiget Euch, Reverendo. Kriegesbeute, Schlachtfeldnachlaß ist wohl manches; aber das Messer und der Raubsack hat, was die Wilddiebsjägerfrau vom Barwalde angeht, nichts damit zu schaffen. Es liegt hier kein Stück, das die Försterin Wackerhahn nicht als ihr rechtlich erworben Eigentum jedwedem katholischen Heiligen und dort in Eurer Kirche, vostra reverenza, Euerm Herrgott in den Opferstock legen könnte. Geschichten zum Weinen und zum Lachen kleben wohl an allem, kurios zu erzählen und zu vernehmen. Schade, daß uns die Zeit dazu mangelt, Herr Pastor; aber Serenissimus auf Schloß Blankenburg haben in ihrer jetzigen Residenzstadt Braunschweig eine feine Kunstkammer, wenn die Franzosen sie ihm nicht gestohlen haben: ich will mit Pläsier Seiner Durchlaucht zu jeder Kuriosität die dazugehörige Historie in den möglichen Handel mit ihm dreingeben! Ja, in den Handel! Höre Er, Malermeister Wille, und auch Sie, Madame – junge Frau: in meinem Turm auf der Allerwiese, auf meinem Strohsack in mancher Sturmnacht, wenn ich nur die Eulen zur Gesellschaft hatte auf meinem Altenteil, habe ich mich in der Einbildung an dem Gesichte ergötzet, was Boffzen, Fürstenberg, der Solling und das übrige Weltall machen würden, wenn sie den Bettel da mal unter meinem Leichnam gefunden hätten. Die Katzbalgerei der lieben Christenheit um den Dreck! Als Porzellanpuppe habet ihr mich ja wohl schon von Schloß Fürstenberg aus auf den Markt gebracht in meinen Lumpen, Musjeh Wille? Das Denkmal, das ich mir hiedurch in der Umgegend meines Boffzener Altenteils zum Angedenken gesetzet hätte, das wäre wohl dauerhafter geworden als alle Irdenware des Herzogs Karl. Da ist denn aber aus dem Pfarrgarten mein Immeken geflogen gekommen, auch mir von Gottes Wunderwagen vor die Füße geleget wie der Frau Pastorin. Und du armer Tropf hast in deiner Not und Elend auf meinem Strohsack über dem Mammon gelegen! Und den Hauptmann Uttenberger vom Regiment Lochmann habe ich lesen hören über seine Schäfer und Schäferinnen, und den Kabinettprediger Cober habe ich predigen hören in des Herrn Pastoren Holtnickers Stube; aber am lautesten hat mir da doch mein eigen altes, wildes Herze geprediget. Solltest du es jetzt erst erfahren, wozu du dir das in die Schürze und in den Sack zusammengestrichen und -geraffet hast, blutige Witwe Wackerhahn? Hat sich die Alte im Pfarrhause nur eines Kindes als eigen angenommen, sollte dir da der Herrgott für deine letzten Tage gar zwei in die Pflege und Vormundschaft geben wollen? Solltest du nicht in dem Landwehrturm zu verrecken brauchen wie ein Vieh, sondern auch noch mal an einer Wiege sitzen können als Großmutter von des lieben Gottes Gnaden und singen: Eia Popeia, was raschelt im Stroh? Probier's, Wackerhahnsche! Um Rat hab ich keinen gefragt: wer hätte mir da raten können? Probiert hab ich es wie alles in meinem tollen Leben auf mein eigen gut Glück hin – diesmal auf mein letztes. Und nun vorwärts, Kinder! Des Herrn von Armentières Volk ist nach links hin abgezogen nach Neuhaus; wir schlagen uns nach rechts hin durch den Wald zu der Försterin vom Barwalde altem Kameraden Weigel am Lakenberge und weiter von unserer Weser bis zu des Herzogen Karls Bettelmanns-Asylum im Harz. Was Teufel, im Notfall kauf ich auch dich nun ihm, unserem Durchlauchtigsten, ab und mit hinein in seinen Schirm und Schutz und Schlupfwinkel bei anhebendem Dritten Schlesischen Kriege, du arm gejagt Häslein, Fahnenflüchtiger aus seines Herrn Vetters Liebden sauberer Konvention von Kloster Zeven, Blumenmalermeister Wille. Er ist ein feiner Kunstherr, und ein Untertan und Musketier des Herzogs von Cumberland wird ihm schon feil sein um einen oder zwei von den Bildersteinen in der Wackerhahnschen Türkenbeutel! . . .«
Sie waren alle zu betäubt, um auf dieses noch viel hin und her zu reden. Sie aßen das Hochzeits-Weihnachtsmahl im Stehen, wie die Juden vor dem Auszug aus Ägypten ihr Osterlamm. Sie aßen vom Huhn und Schinken der Winnefeldschen, aber es war mehr ein Herunterwürgen. Nur die alte Führerin dachte zu ihrem Kleinodienbeutel auch an den Proviantsack und füllte ihn marschmäßig.
»Nun, Ameliethsche, und Sie, Winnefeldsche, werfe jede uns ihren Pantoffel nach«, lachte sie. »Hilft es nichts, so schadet's auch nichts; aber, Pastor Störenfreden, wir erreichen Schloß Blankenburg in Gesundheit und zu unser aller Fortun. Der Herrgott kann das nicht anders zulassen! Und nun nochmals Dank für alles Gute, was Ihr uns heute gegeben habt. Es war das Beste, was Ihr geben konntet, und in besseren Zeiten werden wir es Euch besser gedenken und vergelten!« . . .
Der Eutinische Rektor beschreibt es sehr behaglich (sein alter Vater Homer hätte es nicht feiner gekonnt!), wie die Pastorin von Grünau die Lad' aufschloß
– »und enthob das köstliche Bettzeug,
Lange gespart für die Braut, das die Magd mit Bewunderung ansah:
Untergebett und Pfühle, gestopft mit lebenden Federn;
Auch feinbarchene Kissen mit Schwanflaum; dann auch die Decke,
Die von elastischen Dunen des polannistenden Eiders
Luftig empor aus der Enge sich blähete« –
Ach, der armen Immeke von Boffzen ward so das Brautbett nicht zubereitet! Ihr Bette schüttelte nur Frau Holle wieder, und durch das weiße Gestöber sah der Pfarrherr von Derenthal, schwimmenden Auges und bebenden Herzens, das junge Paar mit seiner leben- und todestrotzigen Führerin im wilden Walde der Welt auf seinem angstvollen, tränenreichen Fluchtwege zu dem vom Herzog von Richelieu erkauften Asyl des Herzogs Karl des Ersten von Braunschweig verschwinden. Er stand in seiner Tür, Ehrn Emanuel Störenfreden, und murmelte das Wort aus dem zehnten Kapitel des Jeremias:
»Des Menschen Tun stehet nicht in seiner Gewalt, und stehet in niemandes Macht, wie er wandele oder seinen Weg richte.«