Wilhelm Raabe
Hastenbeck
Wilhelm Raabe

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtzehntes Kapitel

Einen stillen, einsamen Christabend nach gewohnter Weise vermeinte der Pastor von Derenthal, Ehrn Emanuel Störenfreden, auch in diesem Jahr 1757 verleben zu können. Er wußte das auch gar nicht anders, seit ihn hochwürdigstes Konsistorium hierher in den Wald gesetzt hatte, und glaubte sich gerade diesmal, nach dem Brief an die Frau Muhme in Boffzen, ihr Boffzener Bienchen betreffend, mehr denn je in der Stille des Herrn in Sicherheit gebracht zu haben. Seine Predigt für den morgenden ersten Weihnachtstag hatte er vollendet und, soweit es ihm nötig war, zu Papier gebracht: ob er darin mehr sich selber als seinen Bauern gepredigt hatte, dem wollen wir nicht weiter nachgehen. Nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Wahrscheinlichkeit hat das erstere für sich.

Er war ein Frühaufsteher, noch von Schulen und vom Sitzen zu Füßen seines hohen Lehrers, des berühmten Herrn Abts Jerusalem her, und so hatte er auch jetzt das Amen in zierlicher Frakturschrift seiner Homilie noch bei Lampenschein angefügt und saß nun mit über der Handschrift gefalteten Händen, nach den niederen Fenstern seiner Stube blickend und auf den Morgen, auf die Tageshelle in einem letzten Nachsinnen über sein Werk und sein Dasein in der Zeitlichkeit wartend. Es war draußen milder geworden, die kleinen Scheiben versperrten nicht mehr die Aussicht in die Welt durch glitzernde Eisblumen; sie »liefen«, das heißt, das Wasser troff von ihnen herab, und der Pfarrer von Derenthal ließ es laufen und blies seine Lampe aus: die Dämmerung war da und das Brennöl auch etwas, was man damals besser sparte als unnützlicherweise vergeudete.

Er erhob sich aus dem Stuhl, schob Holz, das gottlob nicht gespart zu werden brauchte, in den Ofen und trat ans Fenster, die Winnefeldsche, die sich auch schon seit geraumer Zeit am Küchenherd rührte, mit seiner Morgenbiersuppe erwartend.

Das Dorf liegt heute auf weiterer Ackerflur als damals. Wo heute Feld und Wiese ist, war damals noch Wald rundum. Stünde der Pfarrer von Derenthal, Emanuel Störenfreden, heute wieder auf von seiner Ruhestätte an der Kirchenmauer, so würde er die Gegend wohl ebensowenig wiedererkennen, wie er sich mit seiner Gemeinde und seinem Schulmeister von 1757 in der Gemeinde und dem Schulmeister von 1898 würde zurechtfinden können. Er müßte es auf der Nachkommen Wort glauben, wenn die ihm sagten: es sei doch seit seiner Zeit, in den letzten hunderteinundvierzig Jahren, um ein merkliches besser und behaglicher in der Welt geworden. –

Im Jahre 1757 hatte der Pastor von Derenthal von seiner Stube aus den Wald über ein Stück Hausgarten und eine einzige, jetzt wie alles andere verschneite Ackerbreite noch ganz in der Nähe vor sich. So nahe, daß selbst der dichte Morgennebel ihm seinen Rand und den Weg, der aus dem Forst gegen das Dorf zu lief, nicht völlig verhing. Weshalb er gestern dort, seine Weihnachtspredigt nach seiner Art auf dem Spaziergang sich zurechtlegend, von einer Tanne einen Zweig abgebrochen und mit nach Haus gebracht hatte, hätte er selber wohl nicht deuten können. »Christbäume« stellten sie damals weder in Derenthal noch sonst im Lande in die Weihnachtsstube, und wenn es schon Sitte und Gewohnheit gewesen wäre: wer hätte wohl, gerade in diesem Jahre, dem Pastor Störenfreden einen mit Lichtern, Zuckerherzen und goldenen Äpfeln und Nüssen aufbauen sollen? Er hatte es wahrlich nicht danach gemacht, hätte die Tante und Pastorin Holtnicker in Boffzen zu sagen das Recht gehabt! –

Doch der grüne, wenn auch stachelige Zweig lag noch auf dem Tische Ehrn Emanuels, über der Bibel und den Blättern der Predigt! Der Verfasser war mit der letzteren ausnahmsweise einmal zufrieden, und wie er da an seinem Fenster stand und in das Nebelgrau des Tages Adam und Eva hinausblickte, war Friede, Friede – voller Friede zum erstenmal seit langer Zeit in seiner Seele. Er war in dieser Stunde nur der berufene Diener Gottes am Heil seiner Gemeinde; der Krieg, den er in sich selber geführt hatte, hatte führen müssen, war mit dieser seiner Kabinettpredigt zu Ende, wie er vermeinte: was kümmerte ihn der Krieg, in dem da draußen hinter dem Walde die Könige miteinander lagen?

Ach, er sollte nur zu bald wieder erfahren, daß es keinen dauernden Frieden hienieden gibt: weder in dem Rat der Völker und Gewalthaber dieser Erde noch in der stillsten Tiefe der eigenen Brust! . . .

Durch den wilden, verschneiten Wald war auf Gottes Wunderwagen auf dem Wege zu ihm das, worauf er nicht gezählt hatte: die Christbescherung aus der Welt außerhalb seiner Brust, seine Christbescherung für das Jahr der Gnade eintusendsiebenhundertsiebenundfünfzig! Auf dem Wege durch den Solling seit dem gestrigen Abend – gejagt und gehetzt vom fremden Feind im Lande, auf Gottes Wunderwagen durchgerüttelt und geschüttelt: ein altes Weib mit zwei jungen Menschenkindern – die Wackerhahnsche vom Landwehrturm mit dem Boffzener Bienchen und dem Blumenmaler Pold Wille vom Schloß Fürstenberg! . . .

Das Bienchen von Boffzen mit seinem Schatz von Gottes Wunderwagen am Tage Adams und Evas abgeladen vor der Tür des Pastors von Derenthal! . . .

Ehrn Emanuel Störenfreden griff, um sich aufrecht zu erhalten, nach dem Fensterriegel, als die durch den Wintermorgendunst vom Waldrand auf dem Feldwege dem Dorf mühselig und scheu durch den tiefen Schnee zuwankenden drei ihm aus schwankenden Schattengestalten zu bekannten, wohlbekannten Menschenwesen geworden waren. Er fuhr herum, sich über die Schulter blickend, wie als wenn er in sein Haus hinein alles daraus sich zu Hilfe rufen müsse: Mamsell Hannchen Holtnicker und Monsieur Wille, ohne Mutter und Vater, zu ihm? zu ihm? bei ihm zu Gast? und zu solcher Stunde und in solchem Aufzuge, wie die Zigeuner, die Tatern, bei der Wildfangsjagd und in einer Vermummung wie Hans Egede, sein grönländischer Amtsbruder, auf einer Apostelfahrt am Nordpol!

»Jesus, Herr Paster! was ist denn?« schrie die Winnefeldsche, die eben mit dem Warmbier ihres jungen geistlichen Herrn in die Tür trat und die er mit allem, was sie ihm zutrug, beinahe über den Haufen rannte, als er an ihr vorbei und durch die Hinterpforte des Hauses dem kommenden Weihnachtsbesuch entgegenstürzte. Ja freilich, wenn er Lust hatte, zuzugreifen unter gegebenen Umständen, so war Not am Mann, das heißt diesmal ganz im besonderen an ihm selber. An seiner Gartenhecke kniete sein Bienchen aus dem Boffzener Pfarrgarten im tiefen Weihnachtsschnee neben ihrem in Schwachheit zusammengesunkenen Liebsten, und die Wackerhahnsche stand dabei, wahrlich mehr einem Racheengel als einem Schutzengel vergleichbar:

»Da haben wir das Elend! San Gennaro, bitte für uns! I verflucht, verflucht! O Santa Rosalia del monte Pellegrino! . . . Schönen guten Morgen, Herr Pastor; – wundere sich der Herr über nichts, ich tue es auch nicht! Musche Wille, Musche Wille, ich bitte Ihn um Gottes willen, nehm Er nur noch mal für fünf Minuten sich zusammen, bis wir Ihn wenigstens unter Dach haben. Im Mantel oder auf'm Buckel kann ich Ihn freilich nicht nach Blankenburg tragen! Mädchen, und was fällt denn dir ein? Was machst du mir für Augen? Wohin willst du mit deinem – mit dem Jungen – unserem jungen Herrn?«

Es hatte wohl so den Anschein, als ob die Jungfer Holtnicker vor dem Pastor von Derenthal mit ihrem Schatz auf dem Buckel oder im Mantel am liebsten wieder zurück in den Solling gelaufen wäre, da sie sich vor dem jungen geistlichen Herrn mit ihm nicht unter dem Schnee in der Erde verkriechen konnte. Mit weit geöffneten, zugleich angstvollen und zornigen Augen starrte sie auf den zu ihr und dem Blumenmaler sich niederbeugenden Herrn Vetter ihrer Pflegemutter und schob ihn mit der freien Hand von sich:

»O bitte – Barmherzigkeit! ich kann ja nichts dafür, daß Gott mich hierher gebracht hat! daß er uns nicht lieber in der Dunkelheit, in der Nacht, im Walde hat umkommen lassen! Frau Förstern, er besinnt sich – er kommt zu sich! wir wollen weiter auf unserem Wege und den Herrn Pastor nicht länger molestieren! Nicht wahr, Pold, es war nur die Schwäche vom Fieber in deinen Beinen, und wir können jetzt weiter auf unserem Wege zu deinem Herrn Herzog?«

Wenn Ehrn Emanuel Störenfreden je in seinem Amtsberuf Gelegenheit gegeben werden sollte, zu beweisen, daß er zu Füßen des Abts Jerusalem mit Nutzen Homiletik getrieben hatte, so war die Stunde für ihn jetzt da. Und er lieferte den Beweis, und zwar über den morgenden Text: »Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!«

Viele Worte brauchte er nicht dazu. Was man so »geistliche Beredsamkeit« nennt, kam dabei nicht zutage: die »Empfindsame Reise« seines Amtsbruders von der Kathedralkirche zu York erschien erst 1765 im Druck, und »Werthers Leiden« schlummerten auch noch im Schoße der Zeiten.

Zuerst sagte er sogar gar nichts, sondern reichte nur dem zitternden Jüngferchen, fast ebenso in Verlegenheit wie es, die Freundeshand. Dann griff auch er dem Blumenmaler unter die Arme, und dabei ging ihm als »ein wahrer Segen von oben« sein Warmbier durch den Kopf. Und da die Winnefeldsche nun auch bereits mit immer von neuem zusammenklappenden Händen bei der wunderlich-betrüblichen Gruppe im Schnee und Morgengrauen vorhanden war, so war's das nächste, daß er mit deren Zutun dem Deserteur von Kloster Zeven, seinem Nebenbuhler im Boffzener Pfarr- und Blumengarten, den dampfenden Kumpen an den Mund hielt und ihm seinen Morgentrunk als erste, aufrichtig gemeinte Erquickung und Tröstung eingoß. Das aber sei ferne, daß jemand heute vermeine, er habe sich damals unter gegebenen Umständen das als etwas zugerechnet, was ihm dermaleinst im Hauptbuch des Himmels gutgeschrieben werden müsse. Im Gegenteil –

»O Mamsell Hannchen – Mademoiselle Holtnicker«, stotterte er, »ich konnte ja auch nichts dafür! Weine Sie doch nicht, Mademoiselle! Sie kommt zu mir – und Monsieur Wille auch – zu einem Bruder! Der Herr treibt uns in die Irre, aber er führet uns auch nach Haus. Ich weiß ja noch nicht, wie und weshalb die wilde Zeit Sie jetzt so jämmerlich jaget; aber was mein Dach an Schutz und Frieden bieten mag, das bietet es der Schwester – der lieben Schwester und dem Bruder! Ich nehme dies für ein Zeichen, daß der Herr das Letzte von meiner Schuld gegen Sie, Mamsell, mir nun abnehmen will bei seiner Freundlichkeit gegen uns alle, die wir so lange in der Verwirrung umeinander haben herumgehen müssen.«

»Jawohl«, sagte die Wackerhahnsche, die bis jetzt, auf ihren Stab gestützt, sonderbarerweise zu den Vorgängen nur ein hexenhaftes Gegrinse, sonst aber, was werktätige Hilfe anbetraf, nichts gegeben hatte als mißtrauische, scheue Blicke voll Sorge und Angst rundum und besonders dem Dorfe zu, »die reine Kinderstube des lieben Gottes! Voll Gezerr, Geplärr, Unschuld und Himmelsseligkeit! Kommt jetzt damit zu Ende, närrisches junges Menschenvolk, da der Junge wieder auf den Füßen ist. Wie ist es hier in Derenthal für unsere fernere Marschroute, geistlicher Herre? Habet Ihr die Franschen hier im Dorfe auch auf ihrer Jagd nach der Spreu von Kloster Zeven, Herr Pastore? Der Tag kommt, und wir sind hier wie der Floh auf dem Bettlaken. Es ist eben kein Flohsprung von der Weser nach dem Harz, und wir sind noch immer eher unter dem welschen Daumen, als wir's vermeinen.«

»Im Krug haben gestern abend und in dieser Nacht welche von den fremden Reitern gezecht und argen Lärm gemacht«, sagte Ehrn Emanuel. »Soviel man verstanden hat, kamen sie aus Beverungen und wollten heute morgen nach Uslar weiter.«

»Nun denn!« rief die Wackerhahnsche, jetzt ihren Stab im Grimm aufstoßend. »Will der Herr Pastor uns um Gottes willen bei Ihm unterkriechen lassen, so nehme Er uns ins Haus. Sonst liegen wir ihnen ja wohl hier gerade recht zum Zugreifen auf dem Präsentierbrett.«

Der Pastor von Derenthal breitete die Arme aus, als wolle er diese bei ihm – bei ihm – Schutz Suchenden jetzt mit aller Gewalt drein fassen und sie dem Schirm seines Hauses zudrängen. Und er hatte sie in seinen vier Mauern, und er hatte sie in seiner Stube, wo noch immer der grüne Tannenzweig über seiner Weihnachtspredigt lag: es war jammerschade, daß die Frau Tante aus Boffzen nicht auch gegenwärtig war und ihn sehen konnte in seiner Freundlichkeit und Sorge um ihr Töchterchen, in Angst und Zärtlichkeit um den Bösewicht, den Blumenmaler Pold Wille von Fürstenberg!

Es dauerte seine Zeit, bis er wieder Herr war über sich, seine Sinne und Gedanken; dann aber erwarb er sich aber auch das Wort, den Ausruf der Frau Försterin Wackerhahn: »Kinder, danket dem Himmel auf euren Knien, wenn ihr soweit wieder aufgetauet seid! Was für ein Feldprediger vor und nach der Bataille, in der Viktoria und auf der Retirade hätte in dem Herrn Pastor gesteckt! Ja, ja, Immeke, wer uns diesen Trost diese Nacht um Mitternacht in unserer Köte am Queckernborn, in der Füchse Bellen herein hätte schmecken lassen können! Das wäre uns ein Liebessegen gewesen!«

In der Küche flackerte das Herdfeuer, und in der Stube glühte der Ofen. Aus der ersteren kam die Winnefeldsche in einer Dampfwolke mit dem größten Topf voll des wackeren Morgentrankes des achtzehnten Säkulums; an seinen Stubenofen hatte der Pastor seinen Armstuhl mit dem jetzt in der Wärme und »wieder unter Menschen« in Betäubung gefallenen, drin gebetteten Bienchen geschoben. Auf der Ofenbank taute der Blumenmaler auf, und – es »tropfte bei beiden«; nimmer hatte ein verschmähter Liebhaber den glücklichen Nebenbuhler und die grausame Liebste so zu Tränen gebracht wie itzt Ehrn Emanuel Störenfreden Monsieur Willen und Mademoiselle Holtnickern. Schade, schade, daß nur die Wackerhahnsche aus dem Landwehrturm und nicht auch die Frau Mutter und chère tante aus dem Boffzener Pfarrhause den Kopf dazu wiegen und ihre Rührung – nach Möglichkeit kundgeben und unterdrücken konnte!

Die Wackerhahnsche hinter der Warmbierschale des Derenthaler Pfarrhauses, mit dem Brotmesser in der Faust und dem Brotlaib im Arm, wurde der Sache schon gerecht, brachte beides fertig, das Kundgeben sowohl als auch das Unterdrücken, wie sie Erfahrung gewonnen hatte in ihrem Leben: auf dem Marsch, vor, während und nach der Bataille, auf dem Verbandplatz wie am Branntweinfaß ihres Marketenderwagens.

»Aufgetragen hat er's mir wohl nicht in den eiligen Umständen, Herr Pastor; aber recht schöne grüßen und sich bedanken lassen würden Herr Pastor Holtnicker sich sicherlich, wenn Sie wüßten, wie der Herr Kabinettprediger Cober wieder mal recht gehabt hätten. Nicht wahr, Mamsell Hannchen, diese Nacht im Winterwald, in der Köte am Queckernborn, bei Heulen und Zähneklappen, wen haben wir da zu einem besseren Trost für den ferneren Weg gehabt als den guten Herrn Vater? Wenn die Ameliethsche wieder nach Boffzen botengeht, nimmt sie auch wohl mein Kompliment mit in der Kiepe und bestellt: des Herrn Kabinettpredigers und des Herrn Pastors Wunderwagen hätte auch diesmal vor der richtigen Tür gehalten, und wenn die Reise so fortgehe, brauche auch die Frau Mutter keine Sorge mehr zu tragen, daß der Herrgott gestern abend nicht gewußt habe, was für sie, für Musche Wille und Mamsell Hannchen das beste sei. Bei seiner nächsten Visite würden auch Herr Pastor Störenfreden bei der Frau Pastern noch mal ein gut Wort für die Wackerhahnsche einlegen.«

Pastor Störenfreden versprach sich selber das. Selten hatte er in seinem Leben sich selber etwas so fest versprochen. Wie wollte er bei seinem nächsten Besuch in Boffzen für alle und alles zum Guten reden! in Ruhe zum Guten reden!

In Ruhe? In der ersten ruhigen Stunde, wenn das Dasein in Boffzen und Derenthal wieder einmal hinlief wie – vor der Schlacht bei Hastenbeck? Nein, unter dem Wort der Wackerhahnschen und bei ihrer Vertröstung auf den greisen Boffzener Amtsbruder nahm sich Ehrn Emanuel fest vor, nicht darauf zu warten, sondern durch jedwedes Winterwetter, allen Tumult der Zeit und der Kinder der Zeit sofort, das heißt, lieber heute als morgen, jedenfalls aber so bald als möglich sich auf den Weg durch den Wald zur Weser und zur Schwiegermutter Holtnicker zu machen und seine – Liebeswerbung zum letzten, löblichen Beschluß zu bringen. –

Doch vor allen Dingen erst im eigenen Hause zur Besinnung kommen! Auch jetzt war es die Veteranin aus dem Landwehrturm, die das Beste fürs erste dazu tat. Von ihr allein erfuhr Ehrn Emanuel in klarer, verständlicher Weise, was eigentlich in Boffzen vorgefallen sei und welchen Umständen er diesen so frühen, werten, aber doch eigentlich etwas verwunderlichen Weihnachtsbesuch zu verdanken habe.

»Man soll auf nichts schwören, aber am wenigsten auf sich selber«, rief die Alte, wie zornig mit der Faust auf den Tisch schlagend. »Wer es der weiland Försterin aus dem Barwalde gestern noch gesagt haben würde, daß auch ihr im Solling bei leuchtendem Schnee der Weg unter den Füßen abhanden kommen könne! Cospetto, die Franzosenangst ist's auch nicht gewesen, Pastor Störenfreden: die Kinderfrauenangst wird mir wohl die Sinne verwirrt und mich in die Blamage gebracht haben! Wie wird der Mensche zu einer Jammerkreatur, wenn ihm unter einer Last, die er sich um Gottes willen auf den Buckel genommen hat, der Satan ins Ohr spricht: jetzo habe er ihn mit seiner Verantwortlichkeit auf seinem Wege! Beim Förster in Neuhaus dachte ich das erste Quartier auf dem Marsche mit meinen zwei Unmündigen zu nehmen, und am Queckernborn habe ich mich um Mitternacht zuerst wieder im Wald und der Welt zurechtgefunden. Weiter ging's da nicht. Daß sie mir noch bei Leben sind, sehen ja aber der Herr Pastor, und so mag's denn auch diesmal bei dem Wort: Einmal und nicht wieder! verbleiben. Der Herr Pastor aber müssen sich schöne verwundert haben, als Sie uns durch den Katzenbeutel aus dem hinteren Saufang in unserem Elend auf Ihre Derenthaler Feldmark zutage kriechen sahen.«

Und nun dicht an den Ehrn Emanuel heranrückend und ihm leise vertraulich den Ellbogen in die Seite stoßend, raunte sie ihm mit einem Wink nach dem Lehnstuhl am Ofen und der Ofenbank zu:

»Gerne sind sie ganz gewiß nicht gekommen hierher, unter dieses christliche Dach, meine zwei armen Sünderchen da! Ach ja, ja, was muß der Mensche in Unschuld sich manchmal alles aufs Gewissen nehmen, wozu unser Herrgott am letzten Ende doch nur lacht. Was glauben die beiden alles gegen Gott und die Welt auf ihrer Seele zu haben, wo sie doch nichts für können. Keinem Vatermörder kann das Herz schlimmer schlagen als da dem Immeken ihres um die Frau Mutter in Boffzen. Und nun das andere arme Wurm, der Ausreißer von Kloster Zeven, in seiner Versündigung am Herrn Pastor Störenfreden in dem Herrn Pastor seinen Pantuffeln! Sollte man es für die Möglichkeit halten, daß das Jammerbildnis vor ganz kurzem noch der Menschheit zu seinem und ihrem Pläsier unserem Herzog Karl auf sein berühmtestes Porzellan die feinsten Blumen gemalen hat? Wir kommen mit solcher Sündenlast auf uns nimmer nach Blankenburg zum Herrn Herzog Karl ins Asyl, wenn der Herr Pastor jetzt zu dem leiblichen Trost nicht auch den geistlichen tut und nun hier von Derenthal aus Vorspann leistet zu Herrn Pastor Holtnickers Gottes-Wunderwagen! Daß die Hexe aus dem Landwehrturm, wo's not tut, fluchen kann wie ein Landsknecht, hilft ja wohl auch ein bißchen, aber reicht doch nicht aus. Daß sie das Wetter beschwören kann, glaubt wohl der Bauer, doch nicht Herr Pastor Störenfreden: was für ein Stück warmen Sonnenscheins der der Alten und ihrem Säuglingspaar mit auf den weiteren Weg geben könnte – nu, darüber reden wir zwei ja wohl noch miteinander.«

 


 << zurück weiter >>