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Die vorangegangene Schlittenreise hatte mich in den Stand gesetzt, den Plan der großen Reise nach Norden zu entwerfen; es war nicht nur ein Lieblingsproject von mir selbst, sondern beherrschte auch sonst das Interesse an Bord, wenn gleich die übrigen wissenschaftlichen Untersuchungen unbeirrt ihren ungestörten Verlauf nahmen. Schiffslieutenant Weyprecht und Schiffslieutenant Brosch setzten mit bewunderungswürdiger Ausdauer die mühselige Beobachtung der magnetischen Constanten fort, maßen auf dem Eise nächst dem Schiffe eine Basis von 2170,8 Meter Länge, die dem trigonometrischen Verfahren der Aufnahme während meiner Reise als Grundlage diente; auch die meteorologischen Ablesungen nahmen nach wie vor ihren regelmäßigen Fortgang.
Das Wetter war seit einigen Tagen wieder schlecht; sein zunehmend stürmischer Charakter steigerte die unverscheuchbare Besorgniß, daß das Eis aufbrechen und unsere Scholle mit dem Schiffe wegtreiben könnte. Die Gefahr, es zu verlassen, um die Ausbreitung der neuen Länder gegen Norden Erst durch diese Tendenz nahm unsere, ursprünglich der Nordostdurchfahrt geltende Reise den Charakter einer Nordpol-Expedition an. zu erforschen, mußte daher mit der Dauer unseres Ausbleibens im wachsenden Verhältnisse stehen. Erst vor wenigen Tagen hatten wir uns überzeugt, daß das Meer fast bis unter die Westküste der Wilczek-Insel aufgebrochen war; ein schwerer Wasserhimmel lag nahe im Süden. Namhafte Entdeckungen waren jedoch nur von einer mindestens einmonatlichen Reisedauer zu erwarten; das Wagniß war nicht zu vermeiden, und seinen ungefährdeten Verlauf dem Glücke anheimstellend, versammelte ich die ausgewählte Mannschaft, um mich durch offene Darlegung der Sachlage ihrer Entschlossenheit zu versichern. Ich erklärte ihr meine Absicht, soweit als möglich nach Norden vorzudringen, stellte ihr die Gefahr vor, abgeschnitten zu werden und wog die erregten Befürchtungen mit Prämien auf. Für die Erreichung des 81. Grades garantirte ich ihnen zusammen 1000 fl., für die des 82. Grades 2500 fl.; nur das Verdienst sollte bei der Vertheilung dieser Summen maßgebend sein. Um mich aber auch des Stillschweigens der Leute zu versichern und die Mißstimmung unter der übrigen Mannschaft zu verhindern, zu der eine solche scheinbare Bevorzugung Anlaß gegeben hätte, erfuhren sie, daß sie dieser Prämie verlustig gingen, sobald Unberufene davon erfahren sollten. Auf mein Verlangen erklärten die Versammelten, der Gefahr, in welche sie gingen, niemals während der Reise zu erwähnen, und im Falle wir das Schiff bei unserer Rückkehr nicht mehr finden sollten, nur in sich selbst die Schuld eines solchen Ausganges zu erkennen; was die Prämie anbelangt, ist ein Geheimniß nie besser bewahrt worden.
Darauf begann ein Packen, Schneidern, Zurüsten an Bord, wie für einen Feldzug, und unter dem Zeltdache des schneeumwirbelten Schiffes wurden die rostbedeckten Schlittensohlen zur Spiegelglätte geschliffen.
Bevor wir aufbrachen, ereignete sich noch eine interessante Unterbrechung unseres einförmigen Lebens, herbeigeführt durch eine Bärenfamilie. Schon während unserer ersten Reise war ein Bär vom Schiffe aus erlegt und leider der kleine Pekel dabei am Halse verwundet worden. Am 19. März kam wieder ein Bär, ward aber nach einigen Fehlschüssen verscheucht; drei Tage darauf erschien eine Bärin mit ihren beiden Jungen, die, viel dunkler gefärbt als sie, mühsam nachtrollten. Es war ungemein anregend, das Familienleben dieser Thiere zu beobachten; häufig hielt die Bärin inne, spähte mit erhobener Schnauze in der Luft und beleckte ihre Jungen, die mit großer Zärtlichkeit auf die Mutter hinaufkrochen und sich in allen Dingen gleich jungen Pudeln benahmen, denen sie auch an Größe glichen. Auf siebenzig Schritte Entfernung fielen sechs Schüsse; die Bärin entlief etwa vierzig Schritte weit und fiel todt hin. Verblüfft über die Schüsse und das Benehmen der Mutter, saßen die kleinen Bären wie angewurzelt im Schnee, und erstaunt blickten sie auf die herbeistürzenden schwarzen Gestalten, welche das Schiff ausspie. Eines der Bärenkinder ließ sich sogar von Pekel schütteln; erst als sie am Genick ergriffen und auf das Schiff getragen wurden, schienen sie Verdacht zu schöpfen. Aufrecht stehende Fässer wurden ihre Kerker; sie schrien und waren sehr ungeduldig, bis beide in einem Fasse vereinigt wurden. Sumbu allein begriff unsere plötzlich erwachte Schonung gegen den Erbfeind nicht, kletterte auf das Faß, bellte stundenlang hinein, und die kleinen Ungeheuer erhoben brummend die Tatzen zu kindischen Drohungen. Gillis, nachdem er diesem Treiben eine Weile zugesehen, nahm sich als Sumbu's Gegner der Bären an und bereitete ihm eine schwere Niederlage. Uns aber waren die Thiere ein Gegenstand der Unterhaltung, und die Mannschaft berieth sich allen Ernstes, sie zum Schlittenziehen für die Rückreise nach Europa abzurichten. Einen wahrhaft komischen Eindruck machte namentlich das schlimme Männchen durch den Contrast des Säuglings und Raubthieres, seinen unbeholfenen Grimm und alle Eigenheiten der erwachsenen Stammesangehörigen. Er brummte und zischte Jeden an, der sich ihm nahte, setzte sich mit großer Prahlerei zur Wehr, und wenn es ihm gelang, über seinen Mitgefangenen steigend dem Gefängnisse zu entrinnen, so lief er mit der Gangart eines Affen dahin, gleich einer Kugel über den Schnee rollend, – einer Kugel, an welcher ein großer Kopf voll Kindlichkeit und Grimm, voll Drolligkeit und Ernst angewachsen war. Im Ganzen machte ihr Treiben den Eindruck, als ob erwachsene Bären unter die Herrschaft von Titanen gerathen wären. Sie fraßen Alles, was man ihnen gab, Tschudi erwähnt, man habe sowohl Land- als auch Eisbären ganz mit Hafer ernährt. Brot, Sauerkraut, Speck u. dgl. Eines Morgens aber hatten die kleinen Uebelthäter die Wache überlistet und sich geflüchtet. Allein sie wurden eingeholt, getödtet, und gebraten erschienen sie auf dem Mittagstisch.
Am 25. März Abends waren unsere Vorbereitungen zur großen Reise nach Norden beendet, der Schlitten mit fast sechzehn Centnern beladen. Dieses Gewicht vertheilte sich in folgender Weise:
Der große Schlitten | wog | 150 | Zollpfund |
Der Hundeschlitten | " | 37 | " |
Der Proviant sammt Verpackung | " | 620 | " |
Das Zelt und die Schlafsäcke, Zeltstangen, Bergstöcke | " | 320 | " |
Alkohol und Rum | " | 128 | " |
Pelze und Pelzhandschuhe | " | 140 | " |
Instrumente, Gewehre, Munition, Schaufel, zwei Kochmaschinen, Zugleinen, kleineres Reisegeräth, das Hundezelt ec | " | 170 | " |
Zusammen | 1565 | Zollpfund |
Jeder der vier Proviantsäcke enthielt (für sieben Tage und sieben Mann berechnet): Boiled beef 51 Pfund, Brot 48 Pfund, Pemmikan 8 Pfund, Fett 7 Pfund, Fleischextract 2 Pfund, condensirte Milch 4 Pfund, Kaffee 2 Pfund, Chocolade 4 Pfund, Reis 7 Pfund, Grütze 3 Pfund, Salz und Pfeffer 1 Pfund, Erbswurst 2 Pfund, Zucker 4 Pfund, Das vergrößerte Nahrungsbedürfniß der beiden letzten Wochen würde in künftigen Fällen etwa folgende Steigerung der Provianttheile empfehlen: 51, 60, 5, 7, 2, 8, 6, 4, 10, 5, 1, 3, 6. außerdem einen Reservesack mit 20 Pfund Brot. Für die Hunde hatten wir Boiled beef mitgenommen; mit Sicherheit durften wir sowohl in Bezug auf sie als auch auf uns ein hinreichendes Ergebniß der Jagd voraussetzen.
Die Reisegesellschaft bestand aus Schiffsfähnrich Orel, den Jägern Klotz und Haller, den Matrosen Zaninovich, Sussich, Lukinovich, mir und den Hunden Jubinal, Toroßy und Sumbu, die insgesammt an dem großen Schlitten zogen. Die einzelnen Obliegenheiten vertheilten sich wie folgt: Zaninovich besorgte die Packung und die Ausgabe von Spiritus und Rum, Haller die des Proviants; Klotz sorgte für die Hunde und Waffen, Sussich für die täglichen Reparaturen, und Lukinovich diente Nachts als Windschutz nächst des Zelteinganges. Der Aufbruch geschah am 26. März Morgens bei 17° R. unter Null und Schneetreiben aus Nordwest und fand eine Strecke weit unter dem Geleite Schiffslieutenant Weyprecht's und der übrigen Besatzung statt. Doch schon etwa tausend Schritte vom Schiffe entfernt, nahm das Schneetreiben so zu, daß wir unfähig waren, unsere nächsten Nachbarn zu erkennen und im Kreise umhergingen. Da es unmöglich war, die Reise mit Erfolg fortzusetzen, bevor sich der Sturm legte, wäre die Rückkehr zum Schiffe ohne Zweifel das einfachste Auskunftsmittel gewesen. Dennoch zogen wir es vor, das Zelt, vom Schiffe aus gedeckt, hinter einer Eisgruppe aufzuschlagen und vierundzwanzig Stunden lang darin zu verbringen. Dabei bestand unsere einzige, obgleich unabsichtliche Beschäftigung darin, den Schnee aufzuthauen, der unsere Kleidung, namentlich die Taschen erfüllte.
Am 27. März (-15 bis -24° R.) setzten wir die Reise bei schwachem Schneetreiben, und zwar so zeitig fort, daß wir darauf rechnen durften, unsere Niederlage von gestern den Bewohnern des Schiffes zu verheimlichen. Als wir die südöstliche Spitze der Wilczek-Insel erreichten und das Schiff unseren Blicken entschwand, nahm jedoch das Schneetreiben bei fallender Temperatur abermals derart zu, daß sich Sussich beide Hände erfror, und wir gezwungen waren, dieselben eine Stunde lang mit Schnee zu reiben. Nachdem wir von Neuem aufgebrochen, geriethen wir sämmtlich in Gefahr, das Gesicht zu erfrieren, weil wir einem heftigen Winde entgegengingen. Der schwer belastete Schlitten nöthigte dabei zu solchen Anstrengungen, daß wir zum ersten Male in Schweiß gebadet waren.
Erst am 28. März (bis -20,6° R.) trat Windstille ein, und indem wir über den öden Sund zwischen der Salm- und Wilczek-Insel nach Nordwesten zogen, erhob sich unsere Marschgeschwindigkeit auf achtzig Schritte in der Minute. Die Bahn, die wir hier und im weitern Verlauf der Reise verfolgten, bestand etwa zur Hälfte aus einjährigem Baieise, zum andern Theil aus älteren Schollen, die mit diesem zu einer geschlossenen Decke verbunden waren. Da und dort erhob sie sich zu meilenbreiten Barrièren von Eishöckern, deren Entstehung den Pressungen unter Land zuzuschreiben war. Nachdem wir die Südwest-Spitze der Salm-Insel passirt, waren die Wüllerstorff-Berge, die wir bisher nur selten und in äußerster Ferne gesehen hatten, unser nächstes Ziel; von ihren Gipfeln aus hofften wir uns über den nach Norden einzuschlagenden Weg zu orientiren.
Mehrere Meilen vor uns lagen jetzt einige felsdurchbrochene Inseln, nur in matten Umrissen durch die immer trüber werdende Luft erkennbar; da sie fast in Nordrichtung lagen, gingen wir gerade auf sie zu. Wir kamen dabei an einigen Eisbergen vorbei, und an ihrer Südseite erblickten wir die ersten Anzeichen des Schmelzungsprocesses in diesem Jahre, frische Eiszapfen. Darauf trat Südsüdwestwind ein, der die Temperatur allmälig bis auf -7° R. erhöhte, Nebel und dichtes Schneetreiben brachte. Schneeverhüllt und mit einem großen Schlittensegel vor dem Winde laufend, geriethen wir, trotz des Compasses beständig vom wahren Curse abirrend, bald unter die Gletscherwände der Salm-Insel, bald unter festgefrorene Eisberge, oder trabten tief einbrechend durch Wind und wirbelnden Schnee. Zeitweise war der Wind so heftig, daß das Segel allein ausreichte, den schwer beladenen Schlitten dahinzuschieben, und ein Mann voran genügte, um ihn in jener Direction zu erhalten, die eine Signalpfeife von rückwärts angab. Nach sechzehnstündigem Marsche schlugen wir das Zelt auf; es geschah, nachdem der Wind zum Sturme angewachsen und ein Irregehen kaum noch abzuwenden war. Unsere Kleidung schien nur mehr aus Schnee zu bestehen; unsere Augen waren vereist, unsere Kräfte erschöpft. Mit Hast hatten wir das Zelt aufgestellt und uns in sein Inneres geflüchtet. Hier aber begann erst recht unsere Noth. Einer schabte die thauenden Schneerinden von der Kleidung des Andern ab, oder kehrte die mit thauenden Schneeballen gefüllten Hosentaschen um. Dreimal ward dieses Schaben und Kehren wiederholt, und als die Kochmaschine endlich angezündet war, begannen wir zu dampfen, und wünschten, wir hätten lieber Ursache, über Kälte zu klagen, anstatt über Feuchtigkeit. Es war eine geringe Hilfe, daß ich ausnahmsweise etwas Spiritus in einer offenen Schale brennen ließ, um unsere Hosen und Strümpfe zu trocknen. Die Temperatur stieg im Zelt, 3 Fuß von der Flamme entfernt, bis auf +17° R.; doch schon 20 Minuten nach dieser künstlichen Erwärmung fiel sie wieder 7° R. unter Null. Früh (29. März, Palmsonntag) ließ der Wind nach, und die Außentemperatur stieg vorübergehend sogar auf -3,3° R., so daß es im Zelte zu regnen begann, als wir unser Frühstück kochten. Während des folgenden Marsches bestiegen wir im Interesse der Aufnahme die felsige Höhe der Koldewey-Insel, an deren Fuß wir das Zelt aufgeschlagen hatten. Das Gestein bestand aus Dolerit, darüber lagen dichte Gespinnste von Flechten ( Cetraria nivalis) und in den Felsfugen Silene acaulis.
Von der Höhe dieser Insel aus erblickten wir plötzlich, im Gesichtsfelde des Theodolit-Fernrohres, einen Bären, der, etwa vierhundert Schritte entfernt, Toroßy ohne Sumbu's Hilfe sicher erfaßt und zerrissen hätte. Gleich darauf war der Bär im Schnee verschwunden, und als wir zur Stelle kamen, sahen wir die Winterhöhle einer Bärenfamilie. Sie bestand in einer Höhle, tief in den massigen Schneehang unterhalb einer Felswand eingegraben. Nur einmal noch war die Bärin selbst zu sehen; dann widerstand sie unseren Lockungen, ihre gedeckte Aufstellung zu verlassen. Ebenso wenig hatten wir Lust, in ihre enge, finstere Wohnung auf dem Bauche kriechend einzudringen; nur Sumbu war frech genug, ihr dahin nachzufolgen. Aber auch er mußte Dinge gesehen haben, welche ihn veranlaßten, rasch zurückzukehren. Sodann konnten wir aus dem Aufwerfen von Schnee am Eingang der Höhle schließen, daß die Bärin sich damit beschäftigte, ihre Wohnung abzusperren. Es war das erste Mal, daß wir eine Bärenfamilie in ihrem Winterquartier belauschten, und dadurch die geringen bisherigen Erfahrungen über den sogenannten Winterschlaf dieser Thiere vermehren konnten. Middendorff hält dafür, daß derjenige Bär nicht zur Winterruhe kommt, den in Folge unzureichender Fetthülle friert; nach Dr. Richardson überwintern nur die trächtigen Weibchen in einer Schneehöhle, während die nicht trächtigen und die Männchen weite Reisen über das Eismeer unternehmen, offene eisfreie Stellen aufzusuchen.
Als wir weiter zogen, umgingen wir die durch schöne Säulenstructur ausgezeichnete und vom emporgepreßten Eise umgebene Schönau-Insel Schönau bei Teplitz in Böhmen, mein Geburtsort.; innerhalb ihrer schroffen Wände vergruben wir ein Depot von Lebensmitteln und Alkohol für zwei Tage, nebst einigen Kleidungsstücken vier Fuß tief in einem Schneehange. Wir konnten uns dabei die Gefahr nicht verhehlen, ein Depot angesichts der Höhle eines Bären anzulegen, und bedauerten sehr, nicht gleich dem Fuchse im Stande zu sein, die Fußspuren zu verwischen. Die Temperatur sank gegen Abend auf -18,5° R., das beeiste Zelt war steif wie ein Bretterhaus. Am 30. März fiel die Temperatur bis auf -24° R.; heftiger Nordwind herrschte, als wir das Zelt verließen, und wallende rothe Schneefluthen umtobten uns, welche die aufgegangene Sonne immer mehr verhüllten. Schwerem Wind entgegen ist der Marsch ohne Ausgiebigkeit und mit großer Gefahr des Erfrierens verbunden. Dies zeigte sich auch jetzt, als ich das Zelt zur Beschleunigung des Aufbruches wie gewöhnlich unmittelbar nach dem Frühstück hatte abbrechen lassen, und die Säumigen dem wilden Wetter unvollständig gekleidet gegenüberstanden. Der Eine half sich jetzt, indem er, seine Sturmadjustirung ergänzend, einen Strumpf mittelst eines Leibriemens um das Gesicht band, weil die erstarrten Finger ihm nicht mehr gestatteten, das Nasenband und den Windschirm einzuknöpfen; dort hatte ein Zweiter die Renthierschuhe anstatt der Stiefel angezogen, nachdem sein Versuch im Zelte mißlungen, sie mittelst der Hand zum Aufthauen zu bringen. Wieder Andere hatten ihre Stiefel verwechselt, und ich selbst war genöthigt, ein langes Tau um meinen Leib zu schlingen, weil ich meinen Rock nicht mehr zu schließen vermochte.
Ein solcher Zustand widerspricht der Reiseordnung und Sicherheit, artet gewöhnlich in ernste Uebelstände aus, und somit blieb nichts Anderes übrig, als das zusammengeschrumpfte Zelt wieder zu errichten und uns in den Sack zurückzubegeben. Allein seine Feuchtigkeit war inzwischen gefroren, und wir empfanden das Gefühl, als lägen wir zwischen zwei kalten Metallplatten. Frost und Langeweile machten diesen Aufenthalt sehr unbequem; Zaninovich breitete das Segel über uns aus und kehrte den Schnee von den Zeltwänden herab, – eine Arbeit, die nur dieser in jeder Lage ausgezeichnete Mann wegen seiner Standhaftigkeit gegen die Kälte verrichten konnte. Orel und ich bemühten uns vergeblich, die Zeit dadurch zu kürzen, daß wir einen mitgenommenen Band von Lessing zu lesen versuchten; wir gaben es bald wieder auf, weil wir zur Einsicht kamen, in diesem Zustande nicht hinreichend denkfähig zu sein. Einige Entschädigung dafür ward uns geboten, wenn die Dalmatiner mit Klotz deutsch sprachen. Sie sahen sich gezwungen, dies zu lernen, weil Klotz der Schwäche fern war, ein italienisches Wort zu behalten oder auszusprechen. Es war ein schönes Deutsch, besonders wenn Klotz darauf antwortete. Bei schlechtem Wetter versammelten sich die Hunde entweder dicht an der windgeschützten Seite unserer Behausung, oder sie blieben regungslos in ihrem Zelt; ein stillschweigendes Uebereinkommen hatte unter ihnen für diesen Fall einen Landfrieden herbeigeführt. Sumbu hatten wir aus unserm Zelte vertrieben, da der bloße Verdacht, daß sich einer von uns bewegen oder gar rauchen wolle, für ihn hinreichte, zu brummen. Weil es ihm nicht gelang, sich in das Quartier der anderen Hunde einzuschmuggeln, so rächte er sich an uns, indem er so lange auf das unserige sprang, um uns mit einem Schneeregen zu überschütten, bis wir ihn wieder hereinließen.
Am 31. März setzten wir die Reise bei klarem Wetter (-25,5° R.) nach Norden fort; Mittags machten wir stets eine kurze Rast, nahmen eine Suppe ein, und so oft die Sonne sichtbar war, wurde ihre Meridianhöhe mit dem Theodolit gemessen, alles sichtbare Land im Umkreise gepeilt und gezeichnet. In 80° 16' nördl. B. kamen wir in eine breite Barrière gethürmten Eises; auf dieses folgte älteres Eis, dessen wogenförmige Oberfläche viele Eisberge und hohe, schwarze Basaltklippen unterbrachen. Unsere Orientirung hinsichtlich des weiterhin nach Norden einzuschlagenden Weges war zu Ende. Zwar öffnete sich das Land vor uns zwischen Cap Frankfurt und den Wüllerstorff-Bergen; doch nur dann durften wir in diese Einfahrt eindringen, wenn diese Landestrennung sich als eine nordgerichtete Durchfahrt erwies. Im entgegengesetzten Falle war es rathsam, die wenngleich weithin nach Osten streichende Küste von Wilczek-Land zu verfolgen und nur im zwingendsten Falle über Gletscher zu wandern.
Aus diesem Grunde verließen Haller und ich den Schlitten. Forcirten Marsches eilten wir auf Cap Frankfurt zu, um uns von dessen Höhe aus für den ferneren Weg zu entscheiden. Orel Es ist meine Pflicht, dankbar der wichtigen Dienste gedenken, welche derselbe der Erforschung der neuen Länder widmete. aber und die übrige Mannschaft zogen mit dem Schlitten unter großen Anstrengungen zwischen Eisbergen und Hummocks hindurch weiter nach Nordosten. Cap Frankfurt ist eine 2000 Fuß hohe, gletscherumringte Ecke der großen Hall-Insel. Der geringe Niveauwechsel des Meereises am Fuße ihrer Wände deutete auf eine sehr geringe Fluthhöhe. Die Gletscherhochfläche der Insel fließt in den Markham Sund und Nordenskjöld-Fjord ab. Als wir den Gipfel betraten, lag alles Land in rosigen Abendnebeln; Vögelschaaren flogen aus seinen massigen Basaltkronen auf und da sie offenbar hier nisteten, erkannten wir ihre Unabhängigkeit von der Nähe offenen Wassers.
Unsere Aufmerksamkeit galt aber vorzugsweise der Configuration des Landes, und wir waren entzückt, eine breite Einfahrt unter uns zu erblicken, die weithin und gerade nach Norden zu verlaufen versprach. Sie war mit Eisbergen bedeckt und ließ sich bis zu den unbestimmten Umrissen eines fernen Vorgebirges (Cap Tyrol) verfolgen. Das Erreichen des 81. Grades auf der Ebene des eisbedeckten Meeres schien damit gesichert, und einige Winkelmessungen ergaben eine flüchtige Orientirung in diesen neuen Territorien. Die Küste des Wilczek-Landes zog in nördlicher Richtung fort und schien sich dann mehr und mehr nach Nordosten zu wenden. Fern und tief unterhalb bewegte sich ein schwarzer Punkt über die dämmernde Ebene des Eises gegen Norden zu; seine Vorrückung war nur dann zu erkennen, wenn ihn Eisberge für eine kurze Zeit plötzlich verbargen und wiederbrachten. Orel war es mit dem großen Schlitten, und weder die Pracht der rothen Schneeberge, die in malerischer Anordnung unsern Standpunkt umringten, noch ihre rothen Dunstschleier, oder die Einsamkeit der uns umgebenden Wüsten waren so ergreifend, als der Anblick dieses kleinen Punktes, der einige unbedeutende Menschenkräfte, nur durch den Willen mächtig, enthielt. Mit großer Anstrengung stiegen wir in unseren Segeltuchstiefeln die schroffen Eishalden hinab, zwischen Wänden hindurch, und eilten bei tiefer Dämmerung sechs Meilen weit über das höckerige Eis dahin, um unsere Begleiter wieder zu erreichen, von denen wir nichts mehr sahen, und deren Richtung wir nur von der Höhe des Berges aus nach den Gestirnen gemerkt hatten. Noch vor Mitternacht langten wir bei ihnen an, und unsere Mittheilungen erregten außerordentliche Freude.
Am 1. April (bis 23° unter Null) drangen wir beim Cap Hansa in die neugefundene, mit schwerem Eis bedeckte Durchfahrt ein, welcher ich den Namen Austria-Sund beilegte. Je mehr wir uns der Küste von Wilczek-Land näherten, desto unzweifelhafter war es, daß die Wüllerstorff-Berge tief im Binnenlande lagen, und der Werth ihrer Besteigung nicht im Verhältnisse des Zeitverbrauches gewesen wäre. Die mittägige Breite betrug 80° 22'. Es kann nur wenig Spannenderes geben, als das Entdecken neuer Länder. Unermüdlich erregt das Sichtbare das Combinationsvermögen über die Configuration, und die Phantasie ist rastlos beschäftigt, die Lücken des Unsichtbaren zu ergänzen. So oft auch der nächste Schritt ihre Irrthümer zerstört, ist sie dennoch sofort bereit, sie wieder zu erneuern. Hierin liegt der große Reiz der Schlittenreisen einer Nordpol-Expedition, gegenüber dem monotonen Einerlei des Schifflebens; nur dann vermindert sich dieser Reiz, wenn man Tagreisen weit über Schneewüsten zu wandern hat, deren Ufer in solcher Entfernung liegen, daß sie sich nicht hinreichend rasch verändern und dem Errathen des Kommenden keinen Spielraum lassen.
In solchen Fällen werden alle Uebelstände ungleich fühlbarer. Man gewahrt, daß der Schlitten während der frühen Morgenstunden, oder bei schwüler, bedeckter Luft schwerer fortzuschaffen ist, als gegen Mittag, weil die hart berandeten Krystalle der Schneeoberfläche die glättende Verdunstung durch die Sonne noch nicht erfahren haben; das Ziel selbst scheint geradezu unerreichbar, weil der beschränkte Horizont des Reisenden beständig zurückweicht. Bald pflegt sich der Durst einzustellen, ebenso die Langweile, die von einem Zugthierleben dieser Art überhaupt unzertrennlich ist und namentlich den geringen Vorrath an Tabak rasch erschöpft. So war es auch hier; so oft wir für Augenblicke hielten, beeilten sich Alle, ihre kleinen Pfeifen zu stopfen, die jetzt nicht mehr, wie früher, während des Rauchens einfroren. Das geringe Wasserquantum aber, das wir zuweilen während des Marsches bereiteten und mit Rum Man erzielt den Vortheil der Kräftesteigerung ohne die Störung der nachfolgenden Abspannung, wenn man nach seinem Genusse eine Strecke weit marschirt und einige Minuten rastet, sobald die Reaction eintritt. Franklin nennt (bei seiner Entdeckungsreise, 1819) nebst Munition, Tabak und Branntwein wesentliche Bedürfnisse, von welchen er sich nur höchst ungern entblößt haben würde. vermengt genossen, war nicht wirksamer, als ein Tropfen auf einer glühenden Platte.
Klotz war an diesem Tage etwas unwohl (»verhitzt«), und curirte sich, indem er seine Ration auf einen Zug austrank, und dann nach Luft schnappend ausrief: »Itz wursch m'r n' Mogen aufriegeln, moan i«. Auch die Hunde theilten diese Abspannung; mit eingezogenem Schweif und gesenktem Kopf schlichen sie dahin. Trotz ihres sonstigen Eifers legten sie sich bei jedem Aufenthalte nieder, sahen entrüstet zu uns auf, sobald wir die Zuggurten wieder ergriffen, und wenn wir uns in Bewegung setzten, erhoben sie das rhythmische Geschrei von Fröschen: so sehr hatten sie ihr Bellen vervollkommnet.
Das Land zur Rechten war ein monotones Gewirre von Mulden und Terrassen paralleler Strandhebungen und nicht völlig mit Schnee bedeckt. Längs seines Verlaufes zogen wir von Eisberg zu Eisberg nach Norden. Gegen Abend bestieg ich einen derselben und machte die befriedigende Wahrnehmung, daß der Austria-Sund mindestens noch bis zum Cap Tyrol reiche, als Orel mir von unten zurief, ein Bär komme directe auf uns zu. Mit der Ungeduld von Kannibalen erwarteten wir seine Annäherung; denn unschätzbar war uns sein Fleisch in Anbetracht der großen Anstrengungen und der unzureichenden Nahrung mit boiled beef. Haller und Klotz versprach ich das in Tyrol übliche Bärenschußgeld von je dreißig Gulden für den Fall einer glücklichen Jagd. Der Bär erhielt drei Schüsse zu gleicher Zeit, blieb zuerst wie angewurzelt stehen und schleppte sich dann nach zwei weiteren Schüssen davon. Im vollen Laufe eilten wir ihm nach; unsere Patronen zu sparen, erschlugen wir ihn mit Gewehrkolben und erstachen ihn mit langen Messern. Dann bemächtigten wir uns fünfzig Pfund seines Fleisches, das, auf den Schlitten gelegt, sofort gefror, deponirten die gleiche Quantität von boiled beef in dem Eisberge, nächst dem wir das Zelt aufschlugen, und gaben den Rest des Bären den Hunden preis.
Am 2. April (-19° R.) zogen wir neu gekräftigt einem heftigen Nordwind entgegen. Ich selbst verließ den Schlitten, um den Strand eine Strecke weit zu untersuchen. Er war zum großen Theile von Schnee entblößt und zeigte die Einlagerung eines Braunkohlensandsteins in den Mulden des Dolerit. Neben spärlichen Treibholzresten fiel mir ein Kreis großer Steine auf, welche in ihrer Aufstellung jenen glichen, die ich in Ostgrönland bei verlassenen Eskimodörfern beobachtet habe. Doch weil sich keine bestimmteren Spuren einstiger Ansiedlungen entdecken ließen, mag wohl auch der Steinkreis nur als etwas Zufälliges gelten.
Dagegen klärte sich die Vorstellung von der Größe des Franz Joseph-Landes immer mehr, als sich der breite Markham-Sund nach Westen hin öffnete, und wir die hohen Berge seiner fjordreichen Küsten erblickten, die sich in malerischen Höhenzügen bis zum Cap Tyrol erstreckten. Ueberall waren Gletscher zu sehen; auch das Wilczek-Land verschwand unter einem Eisstrom, und nur der Insel Wiener-Neustadt Der Militär-Akademie von Wiener-Neustadt verdanke ich meine Ausbildung. gegenüber trat es noch in einzelnen Felshöhen – Cap Heller und Cap Schmarda – daraus hervor. Abends schätzten wir die gewonnene Breite auf 80° 42'.
Am 3. April (-16,6° R.) erreichten wir fast Cap Tyrol. Sturmähnliches Schneetreiben aus Süd hielt uns Nachmittags im Zelt zurück, worüber Lukinovich nicht unzufrieden war, – er, der des Charfreitags wegen einen Rasttag erwartet hatte, er, dessen Augen immer im Himmel waren, der stets von Heiligen sprach und ihre Reihenfolge im Kalender zu nennen wußte, aber zu den Schneeessern gehörte und nicht besser zog, als etwa Falstaff gethan hätte. Am 4. April stieg die Temperatur bei fortgesetztem Treiben des Schnees aus Süden von -16° bis auf -4° R.; er sammelte sich in solcher Masse im Zelte, daß er mit der Schaufel herausgeschafft werden mußte. Erst Nachmittags vermochten wir den Marsch fortzusetzen. Diese Zögerung hatte nicht der Kälte, sondern der Furcht vor Nässe gegolten, sich jedoch als nutzlos erwiesen, weil das Schneetreiben abermals eine solche Heftigkeit erreichte, daß wir ziehend kaum im Stande waren, die Vordersten zu erkennen. Der Marsch fand wieder nach dem Compaß und mittelst des Segels vor dem Winde statt. Beständig irrten wir vom wahren Curse ab, zwischen großen Tafeleisbergen hindurch drangen wir an dem unsichtbaren Cap Tyrol vorbei und aufs Gerathewohl ins Unbekannte ein. Jeden Augenblick konnten wir erwarten, auf Land zu stoßen, oder auf Spalte und offenes Wasser.
Derselbe Tag brachte uns einen wahrhaft schmerzlichen Verlust – Sumbu's Tod. Zwei düstere Jahre lang war Sumbu durch seine List Das erste Mal allein, und zwar vor einem unbelasteten Schlitten eingespannt, vermochte er sich kaum weiter zu schleppen. Erkennend, daß sich die Befreiung von demselben nicht erwedeln ließ, benützte Sumbu eine Stelle, wo die Schneebahn mäßig anstieg, um stehen zu bleiben; er trug Bedenken, Beweise seiner Kraft zu geben, beargwöhnend, der Schlitten könne künftig sogar belastet werden. Alle Arglist machte ein Stückchen Fleisch zu Schanden, dem er entgegenzog, als er sich ungesehen glaubte. und seinen Uebermuth die fast einzige Quelle der Heiterkeit für uns gewesen. Mit einem gewissen Ehrgeiz war er bestrebt, den leichtsinnigen Toroßy im Ziehen zu übertreffen; rührend war es zu sehen, wenn er Abends erschöpft an der Stelle in den Schnee hinsank, wo man ihn ausgespannt hatte. Für solche Dienste – galten sie doch der Wissenschaft – konnte es keine abschwächende Erwägung sein, daß sie nur von einem geringen Thiere geleistet wurden und der Anhänglichkeit Sumbu und Pekel waren meine eigenen Hunde. entsprangen. Nahe war die Rückkehr, die Zeit, seine Bürde zu erleichtern. Er sollte nie mehr Lasten ziehen, Jahre der Behaglichkeit sollten ihm bevorstehen. Allein, gleich allen andern von unseren Hunden, erfuhr er niemals diesen Dank. Für das lebhafte Thier war es natürlich, daß er jedesmal außer sich gerieth, wenn er in der unermeßlichen Einöde eines lebenden Geschöpfes ansichtig wurde. So auch jetzt. Sumbu riß sich vom Schlitten los, als eine Möve über ihn hinwegflog; dieser nacheilend, verschwand er sofort, ohne jemals wiederzukehren. Kein Warten und Rufen half; unsere Spur wurde trotz des tiefen Schnees rasch verweht, und es ist kein Zweifel, daß unser treuer Begleiter nach mehrtägigem Umherirren erschöpft den Hungertod erlitt, oder einem Bären zum Opfer fiel.
Nach einer Rast um Mitternacht brachen wir aus Zeitökonomie, ohne zu schlafen, schon am 5. April Morgens wieder auf (-6° R.). Das Wetter hatte sich gebessert; Klotz trat zuerst aus dem Zelte, um »das Vieh einzuspannen«, und erschreckte uns durch die Mittheilung, daß hohes Land unseren ferneren Weg versperre. Doch als wir ihm ins Freie nachfolgten, bemerkten wir, daß Klotz anstatt nach Norden nach Westen geschaut hatte, und das Zichy-Land sich zur Linken in Nordrichtung fortsetzte, während das Wilczek-Land gegen Nordost hin abbog. Also zogen wir über die ungeheure Schneewüste weiter, welche das sonnenbeschienene Oster-Cap (81° 1') und das Cap Hellwald als fernste Aussichtspunkte überragten, und hißten bei dem Ueberschreiten des einundachtzigsten Grades und des Ostersonntags wegen die Flagge auf dem Schlitten auf.
Während des Marsches kam ein Bär aus großer Entfernung eilig auf uns zu; auf vierzig Schritte fiel er, von drei Schüssen in den Kopf getroffen. Die nachfolgende Abbildung stellt das auf Schlittenreisen beobachtete und schon früher beschriebene Jagdverfahren dar und zeigt die schönen Formen von Cap Tyrol im Hintergrunde.
Wenige Stunden darauf bemerkten wir eine Bärin; sie war etwa vierhundert Schritte entfernt und schien eifrig im Schnee zu scharren. Wir fuhren unbekümmert weiter, bis sie Wind von uns bekam, und, wie erwartet, sahen wir sie sich plötzlich umwenden, hoch aufrichten und die Luft durchschnuppern. Dann kam sie auf uns zu, wälzte sich etliche Male vor drei in Anschlag gebrachten Gewehrläufen ungenirt und behaglich am Rücken im Schnee, schob sich mit der Schnauze voran am Bauche vor, bis sie, auf fünfzig Schritt Entfernung tödtlich getroffen, regungslos umfiel. Darauf untersuchten wir die Stelle, an welcher sich die Bärin noch kurz vorher so beschäftigt gezeigt; wir fanden nicht Sumbu, wie wir befürchtet hatten, sondern einen halbverzehrten Seehund, unmittelbar daneben ein Loch im Eise. Es hatte nichts geholfen, daß sich die Robbe einen langen gewundenen Spalt geschaffen, um ungefährdet das Wasser verlassen und dahin zurückkehren zu können; die Bärin war klüger noch als sie und hatte sie wahrscheinlich im Schlafe auf dem Eise überrascht. Wieder überzeugten wir uns, wie diese scheinbar so plumpen Thiere leicht hinwegschweben über den Schnee, während wir selbst auch ohne Schlittenziehen tief einbrachen. Bärenfleisch bildete jetzt vorzugsweise unsere Nahrung, schwer war der Schlitten schon damit belastet. Wir genossen es nach Belieben roh oder gekocht. Mangelhaft gekocht, besonders von alten Bären, war es noch schlechter als roh, eine wahre Kost für Möven, kaum geeignet für die
Diät von Teufeln an den Fasttagen der Hölle. Auch sonst vermögen die Polarländer den Feingeschmack nicht zu befriedigen; mit geringer Ausnahme sind ihre Producte für die Mahlzeiten der Menschen derb und thranig. Der Beifall, den sie dessenungeachtet finden, entspringt nur der Roth. In der That sind die öden Gestade der Polarländer die wahre Heimat des Hungers; nirgends werden alle Berechnungen des Reisenden vom Magen so sehr beeinflußt als gerade hier. Nichts bleibt hier liegen oder »übrig«. Die todten Geschöpfe werden von den lebenden verzehrt, deren unausgesetzte Beschäftigung das mühsame Aufsuchen der Nahrung ist. Auf drei Nordpol-Expeditionen habe ich nur äußerst selten Reste von Thierleichen gesehen, niemals die eines Bären oder eines Fuchses. Der Mensch, der sich in diese Wüsten begibt, muß dem Grundsatz huldigen: alles zu essen, nichts wegzuwerfen. Unübertrefflich war darin Franklin; allein ich glaube, daß wir ihm nur wenig nachgaben. Franklin und seine Leute (1821) fanden das Fleisch eines weißen Fuchses so wohlschmeckend wie das junger Gänse – ein Zeichen, wie sehr sie diesen Geschmack vergessen hatten. Füchse schätzten sie mehr als magere Renthiere, das Fleisch des grauen Bären nannten sie äußerst schmackhaft, während es die Indianer nur im Nothfalle essen; rohes Renthiermark galt ihnen als Delicatesse, aßen sie doch auch Thiere im Zustande der Verwesung. Auch Barentz und seine Mannschaft waren recht bescheiden Walfischfleisch Die Zunge des Walfisches soll wohlschmeckend sein; bei den Tschuktschen gilt seine Haut als Delicatesse. verglichen sie mit Rindfleisch, das von Füchsen mit dem von Kaninchen, Bären dagegen verabscheuten sie. Nur einmal genossen sie von der Leber eines solchen Thieres, in Folge dessen drei Mann schwer erkrankten; ihre Haut schälte sich vom Kopf bis zu den Füßen. Auch Kane war trotz seiner Noth befangen; das Fleisch eines fetten Eisbären nannte er fast ungenießbar. Dunér sagt: »Wenn der Polarbär nicht kurz vor seinem Tode von einem halb verwesten Walroß oder Seehund gefressen hat, so ist sein Fleisch, obwohl etwas grob, doch schmackhaft und keineswegs der Gesundheit schädlich.« Parry nennt Walfischfleisch so wenig genießbar, wie Walroßfleisch, nur das Herz des Walrosses läßt sich nach ihm noch essen. Das Fleisch junger Seehunde dagegen nennt er mürbe und wohlschmeckend. Wir selbst verschmähten nichts, dessen wir habhaft wurden, ebenso wie J. Roß. nach welchem das Fleisch der Füchse jedes andere übertrifft, selbst das von Larus Tridactylus; Eissturmvögel allein finden seinen Beifall nicht, weil ihr Fett mit den Muskeln verwachsen ist.
Die fortgesetzte Nässe der letzten Tage hatte unsere nur für große Kälte berechneten Segeltuchstiefel bereits gänzlich erweicht; Mehrere von uns hatten diese außerdem schon vertreten, Morgens waren sie sämmtlich gefroren und ihr Inneres zu einer Eishöhle umgewandelt, so daß wir sie über einer Spiritusflamme aufthauen und die Ferse während des Marsches mit einem Hammer immer wieder gerade klopfen mußten, oder wie Haller sagte »So isch a Mittel mit Aufkloggen«. So geht es durch Aufklopfen. Sussich hatte sich aus seinem Tuchleibchen bereits ein Paar neue Stiefel gemacht. Es wäre indeß irrig zu glauben, lederne Fußbekleidungen hätten uns auf dieser Reise besser gedient; wir hätten sie gar nicht anzuziehen vermocht und in der steigenden Kälte der folgenden Wochen sicher die Füße erfroren. In gleicher Weise waren auch unsere Kleider gänzlich durchnäßt, und so oft die Temperatur fiel, starrten sie voll Eis. Am wenigsten litt ich dabei, weil meine Federkleidung das Durchdringen der Nässe am besten verwehrte.
Keine Gattung von Schnee setzt dem Schlittenziehen solche Hindernisse entgegen, als jener, der sich dem Gefrierpunkte nähert und ballt. Solcher Schnee hemmte auch jetzt unser Vordringen, obgleich wir uns bis aufs äußerste anstrengten. Drückende Schwüle herrschte; Firmament und Erde wurden plötzlich finster, und aus gewitterähnlichen Wolken fiel ein greller Strom des Sonnenlichts auf die stolzen Kegelberge der Kane-Insel. Schneefall, Windstille und heftige Böen wechselten darauf mit einander, und erst kurz ehe wir das Lager aufschlugen, ward es wieder hell. Im fernen Norden sahen wir dann zwei weiße Bögen – die Becker- und Erzherzog Rainer-Inseln, und die ausgedehnte Back-Einfahrt jenseits Cap Hellwald. Nur innerhalb der Sunde, welche diese Landestheile von einander schieden, durften wir darauf zählen, unsere Reise ohne Umwege nach Norden fortzusetzen.
Am 6. April, Ostermontag (7 bis 15° unter Null), gingen wir auf den östlichen dieser beiden Bögen zu; allein die Atmosphäre war an diesem Tage ohne eigentlichen Nebel so feucht und undurchsichtig, daß ihre Existenz je nach der wechselnden Beleuchtung bald behauptet und bald bestritten werden konnte. Selbst da wir nur noch hundert Schritte von der Becker-Insel entfernt waren (81° 13' nördlicher Breite geschätzt), vermochte man das ansteigende Land nur dem gemessenen Neigungswinkel, von 1° 7', zu entnehmen.
Dann zogen wir über den eisbedeckten Rücken der Insel; voll gespannter Erwartung betraten wir ihre Höhe; eine unbeschreibliche Einöde lag nach Norden hin, trostloser anzusehen, als irgend eine, die ich je in der arktischen Region angetroffen. Schneebedeckte Inseln lagen darin; sie gewährten, wie die kleineren Eilande daselbst, den Anblick segmentartiger Bögen. Die sich dazwischen ausdehnende Eisdecke des Meeres artete in größerer Entfernung in ein Chaos von Trümmerhügeln und Eisbergen aus. Nur ein Anblick erfüllte uns mit großer Befriedigung, die ununterbrochene Fortsetzung und Nordrichtung des Austria-Sundes; hätten wir vergessen können, auf welche Weise unser Schiff in die Nähe des Franz Joseph-Landes getrieben, so wäre er uns damals als die wahre Straße zum Nordpol erschienen. Auch konnten wir nicht daran zweifeln, daß nahe im Norden von uns sich offenes Wasser befinden müsse; denn auf keine andere Weise ließen sich dessen Anzeichen in den letzten Tagen deuten: die große Feuchtigkeit und hohe Temperatur der Luft, die dunkle Farbe des nördlichen Himmels und die häufigen Züge von Alken, Tauchern, Teisten, grauen und weißen Möven, die von Nord nach Süd oder umgekehrt flogen.
Nachdem wir die Becker-Insel überquert hatten, zogen wir wieder auf dem Meereise weiter. Eine kurze Strecke lag es in rauhen Wogen, aus denen ein Eisbär plötzlich auftauchte und auf uns zukam. Er stach goldgelb von den silberglänzenden Hügeln des Eises ab, und seine Annäherung geschah ohne jedes Bedenken. Auf dreißig Schritt erhielt er zu gleicher Zeit drei Kugeln; allein er entkam mit der für einen Schwerverwundeten bewunderungswürdigsten Behendigkeit. Am 7. April (-13 bis 20° R., leichter Südwestwind) hielten wir uns nahe der Erzherzog Rainer-Insel gegen Norden, wobei die harte Reifdecke der wiedergekehrten Kälte unsern Fortgang nicht wenig hemmte. Nur das klare, sonnige Wetter dieses Tages vermochten wir zu nützen, indem wir unsere Kleider trockneten, wobei Schlitten, Mast und Raa mit Pelzen, Schlafsäcken, Handschuhen u. dgl. bedeckt waren. Mittags wurde das Cap Beurmann nahezu erreicht, und unsere Breite betrug nach der beobachteten Meridianhöhe 81° 23'. Die Polhöhe Morton's war somit überwunden; am Lande selbst übertraf uns nur noch Hayes um wenige Minuten. Wir freuten uns dieses Erfolges, ohne ihm Wichtigkeit beizulegen. Erst um diese Tageszeit klärte sich der nördliche Horizont völlig auf und entrollte uns die schroffen Felszüge der Coburg-Inseln, hinter welchen erst jetzt hohe Schneegebirge in matten Umrissen auftauchten: das Kronprinz Rudolph-Land.
Es hatte in dieser Breite den Anschein, als höre das Wilczek-Land plötzlich auf; doch als die Sonne die treibenden Nebel verzehrte, sahen wir die glänzende Hochfläche seiner ungeheuren Gletscher ( Dove-Gletscher) in einem fast ununterbrochenen Weiß zu uns herüberstarren. Nach Nordost hin ließ sich das Land nur bis Cap Budapest in nebelgrauer Ferne verfolgen. Dieser Anblick allein war es, welcher dem Totaleindruck des Landes, das heißt, dem topographischen Charakter Spitzbergens widersprach; denn Gletscher ungewöhnlicher Größe setzen ein ausgedehntes Hinterland voraus. Da es schien, als ob das Kronprinz Rudolph- und das Karl Alexander-Land im Zusammenhange stünden, so verließen wir den Austria-Sund, bogen in den Rawlinson-Sund ein und gingen auf Cap Rath zu. Bei diesem Vorgebirge in etwa 82° nördlicher Breite angelangt, wollte ich den größten Theil der Mannschaft zurücklassen und den letzten Theil der Reise nur noch mit dem Hundeschlitten und zwei Begleitern ausführen. Ueberall konnten wir darauf rechnen, tiefe Schneewehen im Striche der herrschenden Windrichtung hinter den Eishöckern zu treffen, welche zu Wohnungen auszuhöhlen für drei Mann das Werk einer Stunde gewesen wäre. Schon bei einer früheren Gelegenheit hatten wir gefunden, daß ein solches Nachtlager wärmer ist, als das leichte Gewebe eines Zeltes. Bei einem solchen Ausfluge gruben wir zu Dreien eine Schneehöhle binnen ¾ Stunden, und stellten den mit einem Segel überspannten schneebelasteten Schlitten als Dach über uns. Zwischen zwei Pelzdecken und einer Gummidecke war hinreichender Raum zum Schlafen; da wir den Eingang zumauerten und die Kochmaschine in Thätigkeit setzten, erhöhte sich die Temperatur sofort; damit sie nicht so rasch wie durch ein Zelt entwich, genügte es, die obere Oeffnung sorgfältig einzudecken. Der große Vortheil eines solchen Nachtlagers liegt in der Erleichterung des zu ziehenden Gepäcks. Befindet man sich in einer Gegend, wo das Zusammentreffen mit Eisbären zu dem Alltäglichen gehört, so muß vielleicht der Proviant und selbst die Hunde mit in die Höhle genommen werden. Im Uebrigen empfiehlt sich diese Art des Reisens nur für einen bis zwei Mann, wenn sie allein mit Hunden wandern und die nöthige Fertigkeit zu solchen Arbeiten erlangt haben, und nur dort, wo man mit Sicherheit darauf rechnen kann, tiefe und feste Schneelager jederzeit anzutreffen. Ihre Gefahr liegt in der Ueberraschung durch Schneestürme, bevor man eine Stelle gefunden hat, die das Eingraben gestattet. So groß aber auch unser Eifer war, die Entdeckungen soweit als möglich auszudehnen, so nahmen wir doch schon jetzt wahr, daß das Mißverhältniß zwischen Anstrengung und Erholung unsere Kräfte geschwächt hatte. Wir hatten täglich nur fünf Stunden geschlafen, waren die übrige Zeit marschirt, oder mit allerhand Arbeiten beschäftigt, und in demselben Maße, als sich die Tagesleistungen vergrößerten, war auch unser Appetit gewachsen. Der fortgesetzte Genuß des Bärenfleisches begann Einigen unter uns nachtheilig zu werden; dagegen gefiel es den Hunden, sich fortan als die alleinigen Consumenten des boiled beef betrachten zu dürfen. Besonders empfindlich fiel uns die Einschränkung des Brodverbrauchs; das dadurch herbeigeführte Uebergewicht an Fleischnahrung erzeugte Durchfall und Schwäche. Eine Wahrnehmung, die auch bei uns gemacht werden kann. Villermé berichtet, daß im napoleonisch-spanischen Kriege eine Heeresabtheilung, der er selbst angehörte, sechs bis acht Tage lang darauf angewiesen war, von Fleisch zu leben. Die Mannschaft wurde von Durchfall, Magerkeit und einer ganz erstaunlichen Schwäche befallen. In der That gibt es für ausgedehnte Schlittenreisen nichts Nachtheiligeres, als die Ueberanstrengung bei unzureichendem Schlaf. Nur die zwingendsten Gründe, unsere Reise derart zu beschleunigen, daß wir sobald als möglich im Stande waren, nach dem vielleicht schon treibenden Schiffe zurückzukehren, nöthigten, von einer Norm abzugehen, die für eine längere Reise täglich sieben Stunden Marsch und zehn Stunden Schlaf voraussetzt. Weil dieser Grundsatz während unseres Rückzuges nach Europa consequent beobachtet wurde, so kam es auch, daß er uns weit weniger beschwerlich fiel, wir unsere Kräfte behielten, ja daß Etliche von uns in jener Zeit sogar eine stattliche Beleibtheit annahmen.
Am 8. April (-13,5° R.) setzten wir unsere Reise wie gewöhnlich schon in den ersten Morgenstunden fort. Die Einführung, daß der Koch die Schläfer zehn Minuten vor der Ausgabe des Kaffees wecken mußte, und nur Derjenige als frühstücksfähig galt, dessen Reisetoilette vollständig beendet war, hatte uns dahingebracht, unsere Marschbereitschaft sehr zu beschleunigen; nur die beiden Riesen Klotz und Sussich benahmen sich im Zeltlager noch immer wie unbewegliche Felsen. Unsere Bahn lief jetzt zwischen unzähligen Eishöckern dahin, deren Höhe bis vierzig Fuß erreichte. Ihre Thäler erfüllten tiefe Schneelager, und hohe Eisberge überragten das einförmige, je mehr wir in den Rawlinson-Sund vorrückten, sich immer wilder gestaltende Chaos. Das Eis glich jenem der Umgebung des Schiffs während des ersten Winters und deutete auf periodisches, vielleicht sogar jährliches Aufbrechen; nichts berechtigte uns jedoch, daraus allein die Folgerung seiner Fahrbarkeit im Sommer abzuleiten. Im Uebrigen theilt der Austria-Sund in Bezug auf die Schiffahrt mit manchen Durchfahrten im Norden Amerika's den Nachtheil, daß er nicht hinreichend breit ist. Für Schlittenreisen hingegen ist er sehr zu empfehlen.
Eine Zeitlang bedienten wir uns des Segels; doch als der Wind nach Ostsüdost umsprang, drängte er den Schlitten vom wahren Curse nach West ab, so daß wir es fallen ließen. Schon jetzt waren unsere erfrornen Nasen so empfindlich, daß wir uns dieses Windes wegen der Seitenschirme bedienen mußten. Dann kam Schneegestöber, mit grellem Sonnenlichte wechselnd, welches indeß nur geringe Strecken des bergigen Eises erleuchtete, das ferne Land dagegen verhüllt ließ. Mit großer Anstrengung brachten wir den Schlitten vorwärts; da und dort mußten wir eine Gasse graben, und oft liefen wir Gefahr, ihn zu zerbrechen. Beständig bewegten wir uns im Zickzack und in Irrgängen, woran die verworrene Lage des Eises und die geringere Verläßlichkeit des Compasses in hohen Breiten gleiche Schuld trugen; nur durch sehr sorgfältige Einstellungen der Nadel konnten die gewöhnlichen Ablesungsfehler von mehr als fünf Grad im Azimuth vermieden werden. Im Uebrigen schien es, als hätte die Declination der Magnetnadel, seitdem wir das Schiff verlassen, beträchtlich abgenommen.
Dann kam ein Bär, wie gewöhnlich unter dem Winde, auf uns zu; wir bemerkten ihn auf der Höhe eines der vielen Eishöcker dreihundert Schritte entfernt, und sofort war Alles zu seinem Empfange bereit. Der Bär ignorirte das auf dreißig Schritte ausgesetzte Brod, erhielt drei Schüsse in den Kopf, entlief noch siebzig Schritte, stürzte dann hin, erhielt abermals einen Schuß in den Leib, und weil wir ihn für todt hielten, so begannen wir seine Zertheilung. Als ihm jedoch der Bauch aufgeschnitten ward, erhob er wüthend den Kopf, erfaßte den Kolben meines Gewehres und zerbiß und entriß ihn meiner Hand, bis ihn die Anderen erstachen. Der Bär (nachstehende Abbildung) war fast acht Fuß lang, mithin von ungewöhnlicher Größe. Mit Leichtigkeit hätten wir drei bis vier Centner Fleisch von ihm abzuschneiden vermocht; doch begnügten wir uns in Anbetracht der noch immer großen Schlittenlast mit sechzig Pfund. Der Rawlinson-Sund war im Uebrigen nicht minder reich an frischen Bärenspuren, wie der Austria-Sund; gewöhnlich waren es nicht die einzelner Individuen, sondern ganzer wandernden Familien.
Die mittägige Breite ergab 81° 38', und obgleich die nur matt durch die Wolken dämmernde Sonne einen Beobachtungsfehler von einer bis zwei Minuten zuließ, so hatten wir doch die Polhöhe von Hayes übertroffen, der im Smith-Sund (1861) die bisher am Lande höchste erreichte Breite von 81° 35' gewonnen hatte. Parry dagegen hat im Meere nördlich Spitzbergens bekanntlich 82° 45' nördl. B. erreicht. Da wir zur Zeit noch keine Ahnung davon haben konnten, daß die amerikanische Expedition Hall's ein Jahr vorher bis 82° 9' am Lande und bis 82° 22' zur See vorgedrungen war, so hißten wir während des nachmittägigen Marsches unsere Flagge auf. Der Charakter des Eises nahm jetzt eine Wildheit an, daß wir von einer Compaßeinstellung zur andern bis zu fünfundvierzig Grad irre gingen, beständig das Anlangen an offenen Spalten erwarteten und uns nicht verhehlen konnten, wie leicht sein loser Zusammenhang durch einen Sturm aufgebrochen und unser Rückweg gefährdet werden konnte. Immer schwieriger wurde der Transport unseres Geräths; besonders war zu besorgen, daß die fortgesetzten schweren Erschütterungen die Blechkiste unseres Spiritusvorrathes zertrümmern würden. Zudem wirken die innerhalb der Hummocks zu überwindenden Schwierigkeiten deprimirender noch als Schneestürme, weil sie die Fortschritte fast aufheben; die Stimmung drücken sie schon deßhalb, weil ihr Einerlei das Auge ermüdet.
Am 9. April (-10.4° R., leichter Hauch aus Osten) schleppten wir uns noch bis Mittags durch die Eishöcker fort. Als wir jedoch einen Eisberg erstiegen und die Beobachtung machten, daß sich die Eishügel des Rawlinson-Sundes anscheinend endlos fortzogen, änderten wir den Curs nach Nordwest, um näher unter das Kronprinz Rudolph-Land zu kommen, dessen edle Bergformen und mächtige Gletscher heute zum ersten Male klar im Sonnenlichte schimmerten. An seinem Küstensaum erwarteten wir ebeneres Eis. Aber auch diese Hoffnung schlug fehl, unverändert blieb die Beschaffenheit desselben; so sahen wir uns genöthigt, den betretenen Sund nach Westen zur Hohenlohe-Insel hin zu überqueren und die weithin sichtbare Felspyramide des Cap Schrötter als denjenigen Punkt zu betrachten, wo sich unsere Expedition in das zurückbleibende Gros und in eine kleinere Partie trennen sollte, deren Aufgabe es war, über die Gletscher des Kronprinz Rudolph-Landes weiter nach Norden vorzudringen. Die gefahrlose Gangbarkeit derselben schienen die Kälte und früher gemachte Erfahrungen noch zu verbürgen. Mittags betrug die Breite 81° 37', Abends erreichten wir Cap Schrötter; – alle Anstrengungen der letzten Tage waren mithin erfolglos geblieben.