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Charakter der Eisbären. – Normale Form der Bärenjagd auf dem »Tegetthoff«. – Vertheilung der Beute. – Die Häufigkeit der Bärenbesuche ist vom Aufbrechen des Eises abhängig. – 45 Bärenjagden. – Vorrath an frischem Fleisch.
Keine der vorangegangenen Nordpol-Expeditionen hat eine so mannigfache Berührung mit den Eisbären erlebt, als die österreichisch-ungarische. Wir haben sie als die nie rastenden Wanderer des Eismeers kennen gelernt, als Geschöpfe, denen dieses selbst, in völliger Unabhängigkeit vom Lande, als Heimat gilt. Wir haben sie in ihren Winterhöhlen am Lande belauscht und die Rastlosigkeit erfahren, womit der männliche Bär selbst im Winter umherirrt und so der üblichen Annahme eines Winterschlafes Hohn spricht. Kaum irgend ein anderes Thier gleicht ihm durch die Fähigkeit, den Hunger zu ertragen, sogar während großer Anstrengungen. Selbst in ungeheuren Entfernungen vom Lande stießen wir auf Bären; sie waren gänzlich ohne Fett, offenbar wochenlang mit leerem Magen unter den drückendsten Nahrungssorgen umhergewandert. Keine Entfernung scheint diesen Thieren zu groß; ihre Gewandtheit, über Hummocks zu laufen, gleicht derjenigen, womit ein Hase über die Fluren setzt. Wenngleich die Eisbären befähigt sind, das ganze arktische Gebiet zu ihrem Jagdreviere zu machen, so scheinen sie sich doch unter sich an gewisse Territorien oder Meerestheile zu binden. Der männliche Eisbär verläßt das Weibchen bald nach der Paarungszeit und überläßt ihm die Sorge für die Familie; daher geschieht es auch, daß Rudel fast immer nur aus dem Weibchen und ihren Jungen bestehen. Die Paarungszeit scheint nicht so sehr wie bei anderen Thieren, an eine bestimmte Frist gebunden zu sein; fast das ganze Jahr hindurch begegneten wir sehr jungen Thieren.
Siebenundsechzig Bären haben wir erlegt und verzehrt, weit über hundert gejagt oder überhaupt angetroffen, und somit läge mir, wie jedem Anderen dieser Expedition die Versuchung nahe, die eigenen dabei gemachten Erfahrungen über den Charakter dieser Thiere als competent anzusehen, fände ich mich nicht veranlaßt, die widersprechendsten Wahrnehmungen, welche wir bei der zweiten deutschen Nordpol-Expedition in Grönland machten, dahin zu deuten, daß die Eisbären der einzelnen arktischen Localitäten streng von einander verschieden sind, und zwar sowohl hinsichtlich ihrer Kraft und Größe, als auch hinsichtlich ihrer Wildheit. Dies allein erklärt die sich widerstreitenden Berichte über ihren Charakter, welcher bald als feige, bald als wild und raubgierig geschildert wird. Traditionell hat sich die übertriebene Vorstellung ihrer Gefährlichkeit seit der Expedition von Barentz, 1596, erhalten, bei welcher zwei Mann von ihnen zerrissen und die Besatzung selbst am Schiffe wiederholt aufgesucht und angegriffen wurde.
In Grönland hatten wir gelernt, sie hinsichtlich ihrer Angriffslust als unberechenbar aufzufassen; einzelne kühne Angriffe auf Menschen hatten uns sehr vorsichtig gemacht, und ebenso trug ihre ungeheure Größe (7-10 Fuß) dazu bei, unsere Achtung vor ihnen zu steigern. Wrangel erzählt von einem Eisbären, den er an der Nordküste Sibiriens erlegte und dessen Gewicht er auf vierzehn Centner schätzte. Die Eisbären in dem Gebiete zwischen Nowaja Semlja und dem Kaiser Franz Josephs-Lande waren hingegen nicht nur bedeutend kleiner als die grönländischen (5 bis 8½ Fuß), sondern die Jagd auf sie fand auch in der Regel in einer Weise statt, welche uns im vorhinein völlige Sicherheit verbürgte.
Fast alle Bären, mit Ausnahme jener, die uns auf den nachherigen Schlittenreisen zur Beute fielen, wurden vom Schiffe aus oder in dessen unmittelbarer Nähe gejagt, und dieser Umstand erklärt auch die große Bedächtigkeit und die vielen Umwege, womit sie sich der fremdartigen Erscheinung des Schiffes näherten. Waren sie unter dem Eindruck unverkennbarer Neugier arglos bis in seine Nähe gekommen, so empfing sie hier eine Salve oder ein Pelotonfeuer von Schüssen, wüstes Geschrei, Herausstürmen der Besatzung, und verwundet oder nicht, mochte ihr eiliger Rückzug in manchen Fällen nur die Folge der Ueberraschung sein. Ganz anders dagegen war ihr Verhalten auf Schlittenreisen, überhaupt in den seltenen Fällen, wo man ihnen allein begegnete; in diesem Falle geschah ihre Annäherung immer mit den Anzeichen eines bestimmten Programms.
Die große Häufigkeit der Bärenjagden während des verflossenen Sommers hat mich veranlaßt, ihnen ein besonderes Capitel zu widmen, um Unterbrechungen und Wiederholungen zu vermeiden. So oft ein Bär sich in der Nähe des Schiffes zeigte, entstand ein allgemeiner Aufruhr, aus welchem erst mit der Zeit ein gewisses herkömmliches Vorgehen sich bildete, welches dem darauffolgenden Jagdverfahren als Norm diente, jedoch niemals bis zum planmäßig geordneten Angriff sich entwickelte. Es ging dabei folgendermaßen zu: die Wache stampfte mit dem Fuß auf das Deck, und wer sich im Inneren des Schiffes befand, eilte auf dieses verabredete Zeichen hinaus zur Jagd. Da nur Schiffslieutenant Weyprecht und ich eigene Gewehre besaßen, so war zunächst der Sturm auf die sieben besten Büchsen des Gewehrstandes voll Gefahren. Mit gespanntem Hammer, wagrechtem Gewehrlauf, zitternd vor Aufregung und Besorgniß, zu spät zu kommen, kroch, wer eine Waffe erbeutet, auf Deck umher, bis er einen Platz gefunden hatte, der eine gewisse Ueberlegenheit zu sichern schien. War der Bär bis auf etwa 80 Schritte nahe gekommen, so pflegte einer der bessern Schützen sein Gewehr abzudrücken, worauf die Uebrigen seinem Beispiele folgten. In den meisten Fällen war der erste Schuß entscheidend und alles Nachfeuern von geringer Wirkung, sobald der Bär, nur leicht verwundet, sich zur Flucht wandte. Dagegen reichte selten ein Schuß allein zu seiner Tödtung hin; war er aber auch todt, es kamen immer noch Nachzügler, welche seinen Tod ignorirten, um ihn aus unmittelbarer Nähe nochmals zu tödten. Darauf folgte die Zerlegung des Bären. Der Lungenbraten und die vier Schenkel wurden für die gemeinschaftliche Tafel aufgehoben, die Zunge fiel dem Doctor anheim, das Herz dem Koch, das Blut den Scorbutkranken, das Rückgrat und die Rippen den Hunden, allein nicht eher, bis Jeder noch zuvor etwa ein Pfund Fleisch für seinen eigenen Gebrauch in Abrechnung gebracht hatte. Die der Gesundheit schädliche Leber wurde in das Wasser geworfen; das Hirn gehörte der Officierstafel, und das Fett wanderte in ein Faß, nachdem es vom Specke befreit, eingesalzen oder mit Alaun eingerieben und durch einige Wochen auf dem Eise liegend gebleicht worden war.
Gewöhnlich hatte das Aufbrechen oder die Erweiterung der Spalten des Eises das Erscheinen von Bären im Gefolge. Dies war auch am 9. Juni mit einer Bärin und ihrem Jungen der Fall, welche sich unmittelbar unter das Schiff wagten; die Bärin wurde geschossen, ihr Junges aber hatte das traurige Loos, verwundet zu entkommen. Mit anerkennenswerter Vorsicht benahm sich dagegen ein Bär, welcher dem Schiffe am 19. Juni nur bis auf 300 Schritte nahte, und ein paar Tage darauf zwei andere Bären, die, bis in die Nähe des Schiffes gekommen, durch die daselbst herrschende Unruhe mißtrauisch gemacht, wieder den Rückzug antraten, der auch trotz der Verfolgung einiger Heißsporne gelang. Am 24. Juni war ein Bär bis in den nächsten Umkreis der Eisarbeiten vorgedrungen und erlegt worden. Wenige Stunden darauf erschien eine Bärin, der wir bis auf 300 Schritte Entfernung vom Schiffe aus entgegengingen. Sie kam auf Schiffslieutenant Weyprecht zu, und als dieser sein Gewehr abgefeuert und gefehlt hatte, näherte sie sich ihm ungehindert und ohne Zögern bis auf etwa 15 Schritte. Ich befand mich zunächst hinter Weyprecht, welcher mit dem Laden seines Gewehres beschäftigt war, und traf die Bärin in die Brust. Obgleich mit einer Explosionskugel stark verwundet, raffte sich das Thier dennoch sofort wieder auf und entlief über die tiefen Schneegruben und Hummocks, eine mächtige Blutspur zurücklassend. Das ganze Thier war durch das ausströmende Blut roth gefärbt. Wir eilten ihm nach, und da es wiederholt hinstürzte, vermochten wir es einzuholen und zu tödten. Die Länge der Bärin betrug 2 Meter 8 Centimeter, die des vorher erlegten Bären aber nur 1 Meter 75 Centimeter. Schiffsfähnrich Orel hatte das Glück, daß die Bären dem Schiffe sich gewöhnlich zu nähern pflegten, wenn er die Wache hatte, und als einem geübten Jäger entgingen sie ihm nur selten. So geschah es auch am 29. Juni Nachts, als ein Bär bis auf wenige Schritte vom Schiffe sich herangeschlichen hatte; er wurde das Opfer seiner Neugier. Allerdings hatte die Jagd des Einzelnen vor der in großer Gesellschaft den Vortheil der ruhigen Erwartung voraus; der lärmende Empfang trug auch am 5. Juli die Schuld, daß ein Bär dem Schiffe nur bis außerhalb der Schußdistanz nahe kam und sich dann voll argwöhnischer Bedenken entfernte.
Eine andere Begegnung mit einem Bären am 7. Juli war ein lehrreiches Beispiel von der ungeheuren Zähigkeit dieser Thiere und von der Gefährlichkeit, sich ihnen übereilt oder gar unbewaffnet zu nähern, wenn sie auch tödtlich getroffen zu sein scheinen. Der Ruf: »Ein Bär« hatte uns vom Mittagsmahl weggerufen; binnen wenigen Minuten standen etwa zehn Schützen hinter der Bordwand und einigen Eisgruppen vertheilt. Der Bär, wie stets in der Richtung gegen den Wind kommend, näherte sich langsam und unentschlossen unter tausend Umwegen, für welche wir nur die nichtigsten Vorwände entdecken konnten. Nur noch etwa 50 Schritte entfernt, empfing er die Schüsse vom Schiffslieutenant Brosch und den Tirolern in die Brust. Auch in die Vordertatzen getroffen, fiel er sofort hin und rollte sich brüllend über die Schneefläche fort. Als wir eilig zu ihm hinsprangen, schob er sich blutströmend, doch mit unglaublicher Schnelligkeit und Wuth, einer Schlange gleich, durch tiefen Schnee bis zu einer Eisgruppe, hinter welcher ihm Haller gegenüberstand. Von mir aus geringer Entfernung angeschossen, wandte er sich blitzschnell gegen mich, und obgleich er sich nur noch mit den Hinterfüßen vorzuschieben vermochte, kam er mir doch brummend so nahe, daß ich hastig mein Gewehr abdrückte. Da dieses jedoch versagte, so suchte ich, durch Seitensprünge ausweichend, mich zurückzuziehen und es wieder zu laden. So unerwartet rasch war jedoch seine Bewegung, daß er mich einholte, bevor ich wieder schußbereit war. Haller befreite mich aus dieser Verlegenheit, indem er den Bären aus der Entfernung von ungefähr 60 Schritten durch den Kopf schoß. Seine Länge betrug 2 Meter 30 Centimeter. Diese Jagd kann den Eindruck der Unsicherheit des Einzelnen anschaulich machen, sobald er aus geringer Entfernung von einem anspringenden Bären überrascht wird, weil es da unausführbar ist, selbst ein abgeschossenes Hinterladergewehr nochmals zu laden und in sichern Anschlag zu bringen. Die ungeheure Raschheit der Bewegungen des sonst so plump erscheinenden Thieres vereitelt das genaue Zielen, von welchem Alles abhängt. Seine geschickten Wendungen müssen den Angriff mit Spießen für Unerfahrne äußerst gefährlich machen; mit einem Messer oder einer Axt ist man einem Bären gegenüber fast wehrlos, mit einem Revolver sehr dem Zufall ausgesetzt. Unbesorgt dagegen kann man ihnen selbst einzeln begegnen, sobald man ein Gewehr besitzt, das man genau kennt, und mit welchem man sicher ist, einen Gegenstand von Kopfgröße auf die Entfernung von etwa 80 Schritten jedesmal zu treffen. Am nächsten Tage erscholl der Ruf! »Drei Bären aus Süd in Sicht!« Im Augenblicke war die Schlachtlinie hinter unsern natürlichen Eisverschanzungen gebildet. Die Annäherung der Bären geschah in einem Taumeln und Wälzen; selbst der Anblick der ausgelegten Bärenfelle schien sie nicht im geringsten zu befremden. Zehn Schüsse fielen zu gleicher Zeit; doch nur zwei Bären erhielten je einen Schuß, der dritte hingegen entkam unverwundet. Die verwundeten wurden getödtet; Haller, dem Flüchtling nachlaufend, erlegte auch diesen, und zwar in dem Augenblick, als er sich umwandte, um zu erfahren, warum seine Gefährten zurückblieben. Die Erlegten, eine Bärin mit ihren Jungen, besaßen die Länge von 1 Meter 80 Centimeter, 1 Meter 60 Centimeter und 1 Meter 30 Centimeter. Drei Tage darauf kam wieder ein Bär, allein er wurde verscheucht; am 13. Juli machte Klotz seinen Meisterschuß, indem er einen Bären in das Herz traf. Auf solche Weise nahm unser Vorrath an frischem Fleisch immer mehr zu; schon Anfang Juli verfügten wir über 27 Bärenschenkel, deren mittleres Gewicht, allein hinsichtlich des Fleisches, je etwa 30 Pfund betrug. Dreimal wöchentlich verzehrten wir je einen Schenkel, unser Bedarf war bis Ende August gedeckt. In gleicher Weise wuchsen die Vorräthe für die Hunde; hatte uns deren Erhaltung im Anfang des vergangenen Winters so schwierig geschienen, so waren sie jetzt durch Wohlleben verwöhnt. Beständig wuchs die Zahl der Gerüste neben dem Schiffe, auf welchen die Ueberreste von einem Dutzend Bären für sie in der Sonne dörrten. Der Ueberfluß aber, in dem wir schwelgten, brachte leider seine gewöhnlichen Begleiter mit sich: Nachlässigkeit und Verschwendung. Seitdem die Sonnenwirkung so groß war, daß die Temperatur auch im Schatten den Gefrierpunkt überstieg, konnten unsere Vorräthe an Bärenfleisch für längere Dauer nur durch Eingraben im Schnee vor Fäulniß bewahrt werden. Dies geschah jedoch nicht immer mit hinreichender Sorgfalt; an einem Tage entdeckten wir einen Verlust von 200 Pfund Fleisch, an welchem die Hunde und die Sonne in gleicher Weise Schuld trugen.
Doch war auch dieser Verlust bald wieder gedeckt. Am 1. August fiel eine Bärin (2 Meter lang) nach einem furchtbaren Feuer; rührend war es zu sehen, wie ihr Junges herbeieilte, sie mit der Schnauze liebkosend, um sie mit allen Zeichen der Angst wieder aufzurichten und zugleich die Hunde abzuwehren, welche sie voll Zudringlichkeit umringten. Noch einige Schüsse fielen, und auch das Junge lag todt neben der Alten.
Am 4. August fiel ein Bär durch Haller, ein zweiter am 6. wurde gefehlt, am 11. ein dritter getroffen und getödtet. Drei Tage darauf schwamm ein Bär durch einen nahen Eissee zum Schiffe hin; breite Klüfte übersprang er mit der Leichtigkeit einer Katze, schnaubend kam er auf uns zu. Wir hatten uns vorgenommen, ihn ungehindert gewähren zu lassen, um seine Bewegungen zu studieren und zu erfahren, ob er es wagen würde, auf das Schiff selbst heraufzukommen. Allein ein Gewehr ging los; darauf folgten viele Fehlschüsse, und der Bär entkam. Am 17. August kam ein Bär, doch in die Flanke der Schützen, so daß nur zwei Mann und noch dazu in übereilter Weise feuern konnten. Der Bär hatte sich hoch auf seine Hinterbeine aufgerichtet, um das verdächtige Herumkriechen hinter dem Eiswall zu studieren. Er wurde nur leicht in den Bauch verwundet und entsprang. Zwar traf ihn eine nachgesandte Kugel, so daß er sich wüthend im Kreise drehte, doch ohne ihn zu hindern, abermals im Galopp davonzueilen und durch eine der vielen Süßwasserlachen zu schwimmen, die uns umgaben. Etwa 600 Schritte weit war der Bär, eine breite Blutspur zurücklassend, im Zickzack entkommen, als ihm Haller den Weg abschnitt und ihn nach vier weiteren Schüssen hinstreckte. Aber er lebte noch, als ihn die Leute umwandten, ihn zu zerlegen; verdrießlich hob er den Kopf in die Höhe, und es bedurfte noch einer Kugel, um ihn zu tödten. Sofort, nachdem die vier Schenkel, der »Lungenbraten« und die Gerechtsame des Doctors und des Kochs abgeschnitten waren, stürzte die Mannschaft, wie immer, gleich Raben herbei, um von ihrem Rechte Gebrauch zu machen und von den Ueberresten so viel als möglich abzuschneiden, bis zuletzt die Hunde sich knurrend und drohend gegen uns versammelten.
Nicht selten machten wir von der Schlauheit der Robbenjäger Gebrauch, Speck innerhalb eines offenen Feuers zu braten, dessen Geruch die Bären wie bekannt aus großer Ferne herbeizulocken pflegt. Am 20. August Nachts hatten wir auf diese Weise wieder zwei Bären herbei gezogen; doch schienen sie nur auf dem Durchmarsche begriffen, wandten nicht einmal ihre Köpfe nach dem Schiffe und beschämten so unsere hinterlistigen Anschläge. Sechs Tage darauf wollte uns abermals ein Bär ignoriren, weßhalb wir ihm entgegengingen, doch ohne ihn einzuholen. Drei andere Bären, auf die wir stießen, wurden aus der übergroßen Entfernung von 130 Schritten angeschossen und entkamen, nur leicht verwundet. Bären, der Länge nach in die Lunge getroffen, vermochten gewöhnlich noch einige hundert Schritte zu laufen, bevor sie todt hinsanken, wie dies auch mit einem der Fall war, den wir am 4. September vom Deck aus erlegten. In der Regel verriethen Bärinnen, sobald sie in Gesellschaft ihrer Jungen auftraten, ein ungleich vorsichtigeres Zaudern in ihren Bewegungen als ohne dieselben. Anders aber war das Benehmen einer Familie, welche mich am 11. September ihres Ungestüms würdigte. Ich hatte mich mit dem Hundeschlitten eine Meile weit vom Schiffe entfernt, um mich auf die Seehundsjagd zu einer Wacke zu begeben, längs welcher einige Jäger auf das Emportauchen der scheuen Robben harrten. Ihre Jagd erfordert einen Grad von weidmännischer Geduld, deren ich mich nicht rühmen konnte, und somit verließ ich meine Gefährten und zog dem Wasser entlang mit den Hunden weiter, um eine größere Strecke, als die eben besetzte, zu untersuchen. Die Seehundsjagd war bei den Hunden sehr beliebt, man durfte sie aber dabei nicht aus den Augen lassen; denn sie wären fähig gewesen, mit dem Schlitten und den daraufliegenden Gewehren ins Wasser zu eilen, sobald einer der schwarzen Köpfe über dem mit Eisschleim bedeckten Spiegel der Canäle sich zeigte. Ich hatte mich einer Gruppe von Hummocks genähert, als ich plötzlich drei Bären 80 Schritte entfernt in vollem Laufe hervorbrechen und auf mich losstürzen sah. Flucht war unmöglich; sie hätte mit Preisgebung der Hunde geschehen müssen; diese selbst geriethen über ihre Meinungsverschiedenheiten in Aufruhr. Zum Glück hatte ich hastig mein Gewehr erreicht, den Schlitten trotz des Sträubens der Hunde umgekehrt und, auf den Knieen über eine Lehne zielend, drückte ich mein Gewehr in dem Augenblick ab, als der größte der heraneilenden Bären nur mehr an 20 Schritte entfernt war. In die Brust und durch Zufall sehr glücklich in die Lunge getroffen, stürzte er brüllend hin und war augenblicklich todt. Die anderen zwei Bären aber ergriffen die Flucht und schwammen über den Canal zurück; alles Nachfeuern und die Verfolgung durch die herbeieilenden Jäger blieb vergeblich. Die Hunde aber stürzten wüthend auf die todte Bärin los und rauften ihr voll Zorn die Haare ihres Felles aus. Jubinal und Sumbu hörten nicht eher zu bellen auf, bis sie den auf den Schlitten gewälzten Bären (2 Meter 10 Centimeter) zum Schiffe gezogen hatten.
Die entflohenen Bären waren inzwischen zurückgekehrt, dem Transport ihrer Mutter aus einiger Entfernung folgend, und ohne sich durch die Schüsse der Jäger, die sie einzuschließen ausgingen, beunruhigen zu lassen, blieben sie im weitern Umkreise des Schiffes. In der folgenden Nacht kamen sie sogar dreist in dessen Nähe, und weil Sumbu, hoch vom Schiffe herabspringend, sie angriff, so eilten Orel und ich zu seiner Unterstützung herbei und tödteten einen Bären, während der andere entkam. Aber auch da noch lief ihm Sumbu voll Frechheit nach, so daß wir uns gezwungen sahen, ihm drei Stunden lang zu folgen, bis wir den sich trennenden Spuren im Schnee entnahmen, daß dieser unverletzt nach dem Schiffe zurückgekehrt sei. Es war zwei Uhr Morgens, da wir uns wieder niederlegten. Kaum eingeschlafen, weckte uns Lusina mit dem Rufe: » Un orso!« Auf Deck tretend, sahen wir ein riesiges Thier 20 Schritte unterhalb vor uns. Eine Gewehrsalve machte, daß es hinstürzte; es raffte sich jedoch gleich wieder auf, um sich zu entfernen. Als wir auf das Eis hinabeilten und der Bär unser Kommen bemerkte, richtete er sich in ganzer Länge auf und erhob seinen Kopf. Etwa sechs Schüsse, aus nächster Nähe abgefeuert, hatten keine andere Wirkung, als daß der Bär sich fortschleppend einen mächtigen Blutstrom vergoß; erst nach neuen Anstrengungen gelang es, ihn zu tödten. Es war der größte aller Bären, die wir bisher erlegt hatten; seine Länge betrug 2 Meter 41 Centimeter (8½ Bremerfuß), die seines Kopfes ½ Meter, die seiner hinteren Tatzen 1½ Fuß; er war so fett, daß der Querschnitt seines Leibes oder seiner abgerundeten Füße fast einen Kreis bildete.
Am 15. September entkam ein Bär ungefährdet, aber vier Tage darauf erschien ein anderer. Es war Nacht und bereits so finster, daß wir den Umriß des etwa 70 Schritte entfernten Thieres nur undeutlich auszunehmen vermochten und zielen mußten, ohne die Mücke des Gewehres zu sehen. Der Bär untersuchte zuerst Carlsen's Thrankochapparate, welche wir nicht durch Fehlschüsse zerstören wollten; sodann erstieg er einen Eiswall und beroch ein aufgestelltes Stativ. Gleichzeitig fielen vier Schüsse, worauf er verschwand. Weyprecht und ich gingen außer Bord zur Stelle, wo wir den Bären zuletzt gesehen hatten; allein bevor wir noch den Eiswall erstiegen hatten, erblickten wir ihn halb aufgerichtet auf der Höhe. Er streckte den Kopf vor, brummte uns wüthend an, ohne Zweifel bereit, auf uns zu springen. Allein in demselben Augenblick feuerten wir beide je einen Lauf ab und trafen in so unmittelbarer Nähe trotz der Dunkelheit. Geblendet von der Feuergarbe des Gewehres, sahen wir nicht sofort, daß der Bär zwar von dem Eiswalle herabgestürzt und verwundet, doch noch nicht todt war. Es herrschte heftiges Schneetreiben, dies begünstigte seine Flucht. Eine Strecke weit folgten wir ihm; doch die Gefahr, das durch die schneeerfüllte Luft unsichtbare Schiff zu verlieren, veranlaßte uns, bald davon abzustehen. Am 24. September, ebenso am 12. und 17. October war uns abermals ein Bär entkommen; am 6. October aber ward einer von 2 Meter 29 Centimeter erlegt, der neunundzwanzigste unserer bisherigen Jagdbeute. Am 27. October verließ ich das Schiff mit dem Hundeschlitten, und die geringe Größe, welche unsere Scholle zur Zeit noch besaß, bewog mich, das Gewehr zurückzulassen. In geringer Entfernung vom Schiffe stieß ich auf einen Bären, der jedoch nicht mich, sondern das Schiff mit hoch erhobener Schnauze betrachtete; so vermochte ich mit dem Gespann unbelästigt zu entkommen und die Besatzung zu verständigen. Angegriffen und verwundet, entlief der Bär und schwamm über einen Canal zu einer andern Scholle hinüber; allein hier stürzte er zusammen und ward durch einige weitere Schüsse getödtet. Mittelst Tauen schafften wir ihn dann auf unser Eisfeld herüber. Er war 1 Meter 90 Centimeter lang und hatte nichts im Magen; doch sein wenngleich mageres Fleisch kam uns sehr erwünscht, denn wir hatten inzwischen fast den gesammten Vorrath an frischem Fleisch aufgezehrt. Seitdem uns die Vögel verlassen hatten und die Seehundsjagd durch das Jungeis der Wacken meist vereitelt wurde, boten uns nur noch die Bären einige Entschädigung für diesen Abgang.
Am folgenden Tage wurde ein Bär bei vorgeschrittener Dämmerung verwundet; er entkam zwar, doch einige Leute, welche ihm etliche Stunden darauf folgten, fanden ihn an 1000 Schritte vom Schiffe entfernt in einer Blutlache liegend, mit einer Schußwunde zwischen den Augen. Er erhob sich beim Anblicke der Menschen, wurde jedoch sofort getödtet, abgezogen, geviertheilt und an Bord geschafft.
Am 30. October wurde ein Bär durch die Hunde verscheucht; am 31. October Abends wurden Brosch und Orel bei einer Beobachtung nächst des Schiffes von drei Bären überrascht, welche das ungestüme Herbeieilen der Mannschaft vertrieb.
Am 3. November Morgens kam ein Bär dem Schiffe bis auf 10 Schritte nahe und fraß von den ausgelegten Seehundsfellen. Er wurde gefehlt und entkam. Mittags erschien ein zweiter, sehr fetter Bär (Länge 2 Meter 37 Centimeter), welchen Brosch erlegte, Abends kam ein dritter, welcher der Wache nacheilte, als diese vom Ablesen der Thermometer nach dem Schiffe zurückkehrte. Einige Leute hatten den nachschleichenden Bären vom Deck aus beobachtet und erlegten ihn in dem Augenblicke, als die Wache der unerwünschten Gesellschaft voll Schreck ansichtig wurde. Am 4., ebenso am 10. November wurde je ein Bär verscheucht, am 18. November ein anderer gefehlt. An demselben Tage kam jedoch noch ein zweiter Bär (2 Meter 36 Centimeter), der erlegt wurde und wie gewöhnlich brummend zusammenbrach. Dagegen wurde einer, der sich dem Schiffe am 20. November Nachts bis auf 10 Schritte genähert hatte, abermals gefehlt, so daß er entkam.
So zahlreich uns die Bären während des verflossenen Sommers und Herbstes durch ihre Besuche erfreut hatten, so selten wurden diese in dem folgenden Winter; namentlich verlief der Monat December, ohne daß wir auch nur eines einzigen ansichtig wurden. Erst im zweiten Theil der Winternacht wurden ihre Besuche wieder häufiger. Am 10. Jänner Mittags verließ Orel, obwohl gewarnt durch ein nahes scharrendes Geräusch, unbewaffnet das Schiff, um die Thermometer nächst desselben abzulesen. Als er sich am Fuße der Schneestiege befand, die auf das Eis hinabführte, sah er plötzlich einen Bären auf sich zueilen; rasch entschlossen, schleuderte er ihm sofort die Lampe entgegen und entfloh auf das Schiff. Hier übergab ihm Zaninovich ein Gewehr; Orel drückte beide Läufe auf den Bären ab, der inzwischen bis zur Stiege gelangt war. Der erste Schuß machte keinen Eindruck auf ihn; der zweite jedoch streckte ihn nieder, und als er sich wieder aufraffte, fielen noch etliche Schüsse von Seite der herbeigeeilten Leute, so daß der Bär zusammenbrach und unter krampfhaftem Zittern und Strecken verschied. Er war 2 Meter 30 Centimeter lang und sehr fett, sein Magen jedoch völlig leer. Da es zu jener Zeit selbst Mittags noch so dunkel war, daß man das Ende eines in Anschlag gebrachten Gewehres nicht sehen konnte, so fanden die Jagden in jener Zeit stets aufs Gerathewohl statt; die Richtung, wohin man das Gewehr abdrückte, wurde ebenso sehr durch das Gehör, als durch das Gesicht bestimmt. Erst am 6. Februar rief uns ein Gestampfe wieder vom Essen hinweg auf Deck. Wir sahen einen Bären, der noch etwa 100 Schritte entfernt war und auf den unsere Hunde bereits losgestürzt waren. Auch der unerfahrene Toroßy war dabei; die harmlose Art, wie er dem Bären entgegenlief und mit dem Schweife wedelte, zeigte, daß ihm der erste Bär, den er sah, seitdem er erwachsen, wie ein größerer Hund vorkam. Unter diesen Umständen wollte ich lieber den Bären als den Hund verlieren und drückte mein Gewehr auf eine Distanz ab, welche in der Regel wirkungslos bleibt. Allein diesmal war es ein Verdienst des Zufalls, daß der Schuß das Rückgrat des Bären zerschmetterte und dieser, von den Hunden verfolgt, sich mühsam zurückziehend schon nach 100 Schritten zusammenbrach.
Die Hunde waren den Bären gegenüber so frech geworden, daß sie alle Vorsicht verschmähten. Am 20. Februar waren wir auf das übliche Signal der Wache auf Deck geeilt und erblickten unsere Hunde unter der Schneestiege, wie sie durch ein standhaftes Gebell einem Bären zu trotzen wagten, der sich ihnen im Laufe bis auf 20 Schritte genähert hatte. Wir zögerten zu feuern, weil die Hunde und der Bär sich in einer Schußlinie befanden, und erst als Tumbu sich erstaunt umwandte und fragend zu uns heraufblickte, drückten wir die Gewehre ab. Der Bär, in den Hintertheil getroffen, drehte sich mehrmals und entlief, einen Blutstrom vergießend; nach etwa 500 Schritten stürzte er, von zehn Kugeln getroffen, zusammen. Gegen die Hunde wehrte er sich bis zum letzten Augenblick; aber wenn er sich umwandte, um Sumbu oder Pekel zu vernichten, die ihn in die Beine bissen, waren diese längst wieder außer dem Bereiche seiner Tatzen. Der Bär war 2 Meter 30 Centimeter lang und sehr fett; in seinem Magen fand sich noch etwas Seehundsspeck; die Beute war uns sehr willkommen, da wir schon seit längerer Zeit kein frisches Fleisch mehr hatten.