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Die Zeit der Eispressungen.

Beginn der Eispressungen am 13. October, – Tagebuch-Auszüge bis Ende October.

 

Der Herbst rückte vor, die Tage wurden kürzer; noch immer regte sich nichts in unserer unmittelbaren Umgebung. Woche für Woche trieben wir mit dem eisumringten Schiffe langsam nach Nordosten; selten erweiterte sich ein Spalt zum Spiegel einer Wacke, nur um sofort wieder zu erstarren und dem Schlittschuh eine Bahn zu gewähren. Als trostloses Einerlei, aber auch als Bild der Ruhe lag das Eismeer vor uns, keiner Schrecken fähig; und alle Bequemlichkeiten eines Winterhafens schien unsere Scholle zu vereinen. Doch dem aufmerksamen Beobachter konnte nicht entgehen, daß nicht wenige Anzeichen auf die Unsicherheit unserer Lage hindeuteten. Benachbarte Felder platzten, überall schwamm in Folge von Pressungen gethürmtes Eis mit der stummen Beredsamkeit der Zerstörung. Allein leicht findet sich erquickender Trost und Erklärung für des Nachbars Mißgeschick, und so bauten wir mittelst Eisstücken ruhig weiter am »babylonischen Thurm« wie an den »Häusern« auf der Scholle.

Aber bald sollte es anders kommen. Am 12. October Abends fiel uns auf, daß die Cajütenlampe schwinge, und daß sich mithin auch unsere Scholle bewegen müsse. In der folgenden Nacht vernahm man eine wilde Bewegung im Eise; furchtbar und entscheidend für den Verlauf der Expedition verlief der 13. October, ein Sonntag. Tiefe Bedeutung bekam die Zahl 13 für den Aberglauben; denn wie das Comité der Expedition sich constituirt hatte am 13. Februar, am 13. Jänner der Kiel des Schiffes gelegt worden war, dessen Stapellauf am 13. April stattgefunden hatte, so hatten wir am 13. Juni Bremerhafen und am 13. Juli Tromsö verlassen. Nach einer 13tägigen Fahrt waren wir in das Eis gekommen, und heute, am 13. October, betrug die Temperatur 13° R. unter Null.

Morgens, da wir beim Frühstück saßen, barst unsere Scholle quer unter dem Schiffe. Wir eilten auf Deck und gewahrten, daß wir uns inmitten einer Eispressung befanden. Schon hatte sie den rückwärtigen Theil des Schiffes erfaßt; kläglich ächzte das Steuer, das dem Andrange des Eises zunächst ausgesetzt war. Wir banden es fest, da seine enorme Schwere nicht zuließ, es sofort auszuheben.

Menschlicher Widerstand war unmöglich, und doch hatte es etwas Rührendes an sich, zu sehen, wie der Mensch seine Pygmäenkraft aufbot, um mit der unbegriffenen Allgewalt der Natur zu kämpfen! Wir sprangen auf das Eis hinab, dessen Beben die Luft im buchstäblichen Sinne mit Geheul und Jammertönen erfüllte, und bargen rasch alles Gut, das außerhalb des Schiffes lag; Spinnen gleich, die den Faden spannen, den man ihrem Netz entreißen will, nähten wir die Sprünge durch Eisanker und Taue in großen Stichen hastig zusammen. Die Nähte aber füllten wir noch mit Schnee und dem Wunsche aus, daß Kälte komme, unser Werk zu vollenden. (10½ Uhr.) Doch solches Flickwerk zersprengt ein einziger Athemzug des Eismeeres.

Wie die Volksmenge bei einem Aufstande, so erhob sich jetzt alles Eis wider uns. Drohend erstanden Berge aus ebenen Flächen, aus leichtem Aechzen entstand ein Klirren, Brummen, Brausen, gesteigert bis zu tausendstimmigem Wuthgeheul. Wie unzählige Teufel, aber gekleidet in das Gewand der Unschuld, schreiend, hohnlachend Es ist unbeschreiblich, wie wahrhaftig dieses Gleichniß ist; wir bezeichneten die Vorgänge zur Zeit, da sie geschahen, immer in solcher Weise, daher ich diesen sonst gewagten Vergleich beibehalten habe. war Alles Bewegung und Lärm geworden, Schritt für Schritt nahte das Verderben im Zerprasseln der Eisfelder.

Zerschmettert war nun unsere Scholle, zu wandelnden Bergen emporgedrückt, rasselten ihre Blöcke auf und nieder. Hier überragten sie klafterhoch das Schiff, preßten der »Abhalter« fußdicke Eichenstämme, ihrer Bestimmung spottend, wie Dolche gegen den Rumpf; dort stürzten die Eismassen wie in einen Schlund hinab unter das Fahrzeug und ein aufspringender Wasserschwall schlang würgend sie hinab. So kam immer mehr Eis unter das Schiff, und dieses begann aus dem Meere emporzusteigen. Dies war später einer der Hauptgründe, weßhalb wir es als unbefreibar verlassen mußten. Um 11½ Uhr Vormittags wurde, wie stets auf Deck, das Evangelium oder die Bibel gelesen, heute unabsichtlich das tiefernste Gleichniß von Josua. Aber nicht wie die Sonne damals, stand jetzt still – das Eis!

Unwillkürlich bannte das grausige Ringen rings um uns den Blick. Umflort war der Himmel, die Sonne nur zu errathen, sieben blaue Wolkenberge malten höhnend ein Fabelland im Norden. In aller Eile begannen nun die Vorbereitungen, das Schiff zu verlassen, falls dieses berste, was unausbleiblich war, wenn es sich nicht hinreichend hob. Wir gingen in die Cajüte hinab und kleideten uns an – für ein unbekanntes Leben, nahmen die zwei Flaggen zu uns und jene Dinge, von denen man sich durchaus nicht trennen will. Von allem übrigen Gut war ein trauriger Blick der Abschied! Es sind furchtbare Augenblicke, in solch einem zischenden Höllenkessel, in einer Blase aus bebendem Holz sich aus- und anzuziehen, den Werth der Dinge abzuwägen, mit seinen Hoffnungen zu brechen und dennoch für ein elendes Dasein auf nichts vergessen zu wollen und dicht um sich das Prasseln des Fahrzeuges zu vernehmen. Man erhält den Eindruck, als sei man von Dämonen umgeben; hört man doch ihr ungeduldiges Verlangen, ihr wildes Frohlocken, wenn alle Planken knarren, das Schiff sich hebt, neigt, Alles fällt, rollt, die Thüren sich verschieben, die Menschen darin jenes Moments gewärtig sind, wo Alles in furchtbarem Auseinanderplatzen weicht – vor ihrem Eindringen.

Um 12½ Uhr erreichte die Pressung eine furchtbare Höhe. Alles krachte und prasselte, wie bei einer Feuersbrunst; die Mannschaft stürzte auf Deck, kurz nachdem sie zum Essen hinabgeschickt worden war. Das Schiff legte sich immer mehr und mehr backbord auf die Seite, und um das Herabstürzen des gethürmten Eises auf Deck zu verhüten, gruben wir seine lose gehäuften Köpfe ab.

Wie vorher, wuchsen und fielen die Pressungen. Um 1 Uhr, da die Gefahr etwas nachließ, nahmen wir im zitternden Innern des Schiffes das Mahl ein. Wieder begann es stärker zu prasseln, und was frei hing, zu schwingen; das Schiff ward nun in seiner Breite erfaßt (2 Uhr). Wir eilten auf Deck, mit dem Rest der Speise in der Hand, steckten Brod in die Tasche – ohne Zweck. Die Vertheilung der Rettungsarbeiten ging vor sich. Es war ein düsterer Gegensatz, das schweigsame Wirken und das Toben des Eises! Schiffslieutenant Weyprecht rüstete die Boote aus, die Officiere Brosch und Orel ließen den Proviant »klar« machen, Doctor Kepes die Apotheke, die Tiroler öffneten die Pulverkammer, trugen Munition und Gewehre herauf, und ich bereitete die Schlitten, Zelte, Schlafsäcke und theilte der Mannschaft die Pelze aus, in die sich nun Alle hüllten.

Dann stand Jeder mit einem Bündel in der Hand reisefertig da, – wohin, wußte Niemand. Kein Stückchen Eis rings um uns war ganz geblieben; nirgends erspähte der Blick einen noch unversehrten Schollenkörper, der uns eine Zuflucht geboten hätte, wie einst den Hansamännern ihre ungeheure Scholle. Zudem war kein Block, keine Tafel im Zustand der Ruhe; alles bäumte, drehte sich, nichts war in ebener Lage. Ein Schlitten, den wir ausgesetzt, wäre sofort verschlungen worden; in diesem Umstande lag das Grauenhafte unserer Lage. Wohin sollten wir flüchten, auch nur mit dem geringsten Lebensbedarf, wenn das Schiff sank, wie über das bergige Wirrsal der Bewegung und Strömung hinweg das dreißig Meilen ferne Land erreichen ohne die unentbehrlichsten Dinge?

Hier die Hunde! Sie waren auf Kisten gesprungen und starrten auf das brüllende Wogen des Eises hinaus. Wir banden sie fest. Aus Sumbu war jede Spur der Fuchsnatur verschwunden; auch an ihm erfüllte sich der Satz: »In großen Augenblicken bewährt sich keine Affectation«. Sein sonst so listiger Blick war umgewandelt in scheue Demuth, ungeheißen reichte er jedem Vorbeigehenden die Pfote hin. Der andere Lappenhund, der kleine Pekel, am Fallreep backbord festgebunden, dem ich mein Essen gebracht, sprang bellend an mir hinauf, leckte meine Hand und sah fragend auf das Eis hinaus; wie gescheuchte Gemsen standen regungslos auf gethürmten Fässern die riesigen Neufundländer.

Um 4 Uhr ließen die Pressungen nach; eine Stunde darauf trat Ruhe ein, gelassener konnten wir unsere Lage überblicken. Der Zimmermann scharrte den Schnee vom Decke weg, um die Nähte der Balken zu untersuchen. Noch waren sie unversehrt. Noch hielten die Knie- und Querhölzer, kein übermäßig Wasser zeigte sich im Raume. Diesen Ausgang hatten wir lediglich der Stärke unseres Schiffes und seinem gerundeten Bau zu verdanken; nur dieser hatte das rettende Emporsteigen ermöglicht, während sein vollbeladenes Innere seine Widerstandskraft erhöht hatte. Auch richtete es sich wieder etwas auf, so daß es keiner Mühe mehr bedurfte, die Treppen zu ersteigen. Nur die eisernen Schutzbänder der Schraube waren weggerissen. Abends ward das Wasser im Raume von dreizehn Zoll, dem normalen Stande, bis auf sechs Zoll ausgepumpt.

Wir gingen in die Cajüte hinab, um auszuruhen. Des Verlaufes froh und doch voll Sorge, blickten wir in die Zukunft. Sie lehrte uns bald, jedes Geräusch zu beargwöhnen, einer Bevölkerung gleich, die über einem Erdbebenherde wohnt. Die lange Winternacht stand bevor, ihre furchtbare Kälte, die Möglichkeit, in noch unbekannte Gegenden des Erdballs verschlagen zu werden, und schlimmer als Alles: die Ungewißheit über Erfolg und Ende. Nachts schliefen wir Alle angekleidet, wenngleich wenig beunruhigt durch zeitweises Aechzen des schwach und nur selten sich drängenden Eises. Diese Eindrücke erfuhren wir nun beinahe täglich – durch hundertdreißig Tage – oft mehrmals des Tages, und fast immer in sonnenloser Finsterniß.

Als Glück war es noch zu betrachten, daß wir die ersten Angriffe des Eises zu einer Zeit erlebten, da wir noch zu sehen vermochten. Bestürzung und Uebereilung wäre an die Stelle ruhiger Vorbereitungen getreten, hätten sie uns in der Polarnacht überrascht. Am 14. October früh, beim gemeinsamen Mahle, lag tiefer Ernst auf jedem Antlitz; jeder überblickte eine Perspective von Drangsalen in der bevorstehenden Winternacht, dahintreibend im Eismeer, in täglicher Besorgniß eines ruhmlosen Ausganges. Die rasche Wiederherstellung unserer Scholle war unser lebhaftester Wunsch. Nur strenger Frost und reichlicher Schneefall, so wähnten wir, könne das Chaos der zerbrochenen Klippen rings um uns verkitten und uns eine neue Scholle schaffen; aus diesem Grunde knüpften wir die Wiederkehr der Ruhe im Eise in unseren Erwartungen an den Fortschritt des Winters. Noch hatten wir es nicht beachtet, oder im großen Maßstabe erfahren, daß bedeutende Kälte an sich und ohne Wind hinreiche, die Eisfelder zu zersprengen, weil die Zusammenziehung des Eises die aller anderen Gegenstände übertrifft. Auch ein anderer Trost stand uns zur Verfügung; wir nahmen an, daß die Pressungen aufhören müßten, sobald wir das Ostende Nowaja-Semlja's passirt hätten, und daß wir im karischen Meer, fern von den unverrückbaren Barrièren des Landes, ungehindert dahintreiben würden. Doch auch diese Hoffnung war eitel; wir trieben nach Nordosten und nicht ins karische Meer, Pressungen des Eises aber finden ebenso im Innern des Eismeeres statt, wie an seinen Küsten. In unserem Falle mochten sogar die aus dem karischen Meere kommenden Eismassen vorzüglich Schuld daran tragen.

War auch die Zeit, welche jetzt folgte, reich für uns an entsetzlichen Momenten, so wäre die treue chronologische Beschreibung der täglichen Erlebnisse durch die Wiederholung grauenhafter Eindrücke doch zu ermüdend für den Leser. Wenige Schlagworte, meinem Tagebuch aus jener Zeit entnommen, sollen daher die Gefühle ausdrücken, welche dem Häuflein Menschen an Bord des »Tegetthoff« ein wahrhaft furchtbares Dasein bereiteten.

14. October. Um 8½ Uhr Abends entstand ein neuer Sprung achter des Schiffes zum Steuer hin; Prasseln im Schiffe; binnen einer Minute stand Jedermann im Pelz, die Rettungsbündel in der Hand, auf Deck. So wird es fortgehen den ganzen Winter hindurch – welch' ein Leben!

Octobernacht im Eise 1872.

15. October. Alle angekleidet geschlafen. Früh 8 Uhr neue Pressungen, nicht so heftig wie vorgestern, doch heftig genug, daß Alle aus den Cojen sprangen und binnen einer Minute in Bereitschaft auf Deck waren. Von neuem wurde viel Eis unter den emporsteigenden Achtertheil des Schiffes Der rückwärtige Theil desselben. gepreßt. Als wieder Ruhe eingetreten, machte sich Jeder einen Sack für das Gut, das er retten wollte, falls das Schiff zerdrückt würde. Mein Sack wird enthalten: ein Paar Pelz- und ein Paar Tuchhandschuhe, ein Paar Schneebrillen, sechs Bleistifte, einen Wischer, drei Notizbücher, das Tagebuch meiner grönländischen Reise, ein Buch mit Zeichnungen, eine Schneehaube, zehn Kugelpatronen, zwei Paar Strümpfe, ein Messer und ein Nähzeug. Am 13. October hatten wir ganz übersehen, für Karten von Nowaja-Semlja zu sorgen; jetzt hatte ich zwei derselben eingepackt. Sechs Lefaucheux-Gewehre, vier Werndl-Gewehre, zweitausend Patronen, zwei große und zwei mittlere Schlitten, ein Zelt für zehn und eines für sechs Mann, zwei große Schlafsäcke für je acht Mann, ein kleiner Schlafsack für sechs Mann befinden sich in den Booten. Waren auch alle diese Vorbereitungen, uns zu retten, in dem Falle vergeblich, als das Schiff sinken sollte, weil alles Eis rings um uns in zermalmender Bewegung war, so mußten wir doch schon der wechselseitigen Ermunterung wegen den Schein bewahren, als glaubten wir daran. Abends 6 Uhr erster Mondaufgang, Vollmond; er gleicht einer frisch geprägten Kupfermünze in dem tiefblauen Ton des Himmels. Abends Ruhe im Eise; Nachts zum ersten Male wieder entkleidet.

16. October. Sorglos geschlafen bis Nachts 2 Uhr, dann Eispressung, Alles auf Deck. Die Leute warfen ein Renthiergeweih von Nowaja-Semlja auf das Eis hinaus, da Hörner auf dem Schiffe nach dem Seemannsglauben Nebel erzeugen. Wieder Ruhe, ich schlief vor Ermüdung ein. 5½ Uhr Morgens neue Pressung in der Dauer von zwanzig Minuten, fast ebenso furchtbar, wie am 13. October. Die jähe Hast, mit welcher Jedermann aus dem untern Schiffsraume flüchtet, sobald das Schiff zu prasseln beginnt, verräth den Eindruck, den dieser Lärm auf die Gemüther macht; es ist unmöglich, sich an ihn zu gewöhnen. Jedermann lief auf Deck. – Wieder Ruhe im Eise. Um 7½ Uhr neue schwere Pressung, welche die Abhalter beinahe mit den Davits, woran sie befestigt sind, weggerissen hätte. Das Schiff richtet sich etwas auf. Heute wurde das über die Bordwand ragende Eis abgegraben, damit es nicht auf das Schiff herabstürze. Die Hunde sind seit drei Tagen stets in den Zuggurten. Nachmittags werde ich die große Blechkiste mit Spiritus füllen, dann werden wir hundertzweiundfünfzig Flaschen Alkohol in Bereitschaft haben. Abends geringe Eispressung; Nachts die herrliche Mondlandschaft gezeichnet, – nichts Friedfertigeres, nichts Lügenhafteres, als solch ein Bild zur Stunde.

17. October. (-14° R.) Nachts Jeder ruhig bis auf Lusina, der zu melden kam, das Schiff mache immer mehr Wasser, vorne sechzehn, in der Mitte elf Zoll. Unsere Hündin »Semlja« warf heute ein Junges; aber es erfror unter dem großen Boote, da die Mutter in thörichter Liebe unseren Beistand ablehnte. Ostwind, heftiges Schneetreiben; des Tages nur einmal ein kurzes Prasseln im Schiff, als in dem gethürmten Eise steuerbord ein neuer Sprung entstand.

18. October. Wir fangen an, sorglos zu werden; die freiwillige Bereitschaft verliert ihre Strenge, die Decken werden aus den Booten geholt, die Meisten beschließen, sich Nachts wieder auszukleiden. Nach mehreren Wochen kam die Sonne heute wieder einmal zum Vorschein; ihre Höhe über dem Horizont betrug nur mehr 2° 25', die Temperatur -23° R., die geographische Breite 77° 48'. Abends heftiges Prasseln im Schiffe, weil sein Achtertheil noch vor Kurzem unter Wasser lag und die Kälte sich plötzlich steigerte.

19. October. Prasseln im Schiffe; die Sonne ist um ¾9 Uhr aufgegangen, aber bald wieder durch Frostdampf verhüllt worden.

20. October. Der Schiffsrumpf entbehrt noch immer seiner nothwendigen Hülle aus Eis und Schnee, während wir Alle schon in Pelzen, Renthierschuhen und Filzstiefeln stecken. Abends schwache Nebenmonde.

Der Mond mit seinem Hof.

21. October. Nachts scheuchte ein heftiger Knall uns auf, wieder war binnen wenigen Minuten Alles in Pelze gehüllt auf Deck. Ein Sprung war vom Fallreep steuerbord längs des Schiffes entstanden und hatte sich mit jenem verbunden, der schon früher achter des Schiffes gebildet worden war. Binnen einer Stunde erweiterte sich dieser Sprung um vier Fuß; stundenlang arbeiteten wir beim Lampenlicht daran, ihn mittelst Schnee und Eisstücken auszufüllen. Die tiefe Temperatur (-23½° R.) ließ uns erwarten, daß er sich bald von selbst wieder überbrücken würde. Mit einem ungeheuren Hofe stand der Mond am Himmel und beleuchtete die schauerliche Einöde unseres Aufenthaltes, fern von allen Menschen. Wieder Ruhe. Wenn Jemand von Deck herabkömmt und in die Cajüte tritt, blicken Alle unwillkürlich auf ihn, um in seinen Zügen zu lesen, was oben vorgehe; mit Besorgniß erwarten sie stets die Nachricht, daß das Eis sich bewege. Nachmittags, da sich der Sprung wieder schloß, neues Prasseln und Dröhnen im Eis und im Schiffe, wieder stand Alles bereit auf Deck. 9 Uhr Abends abermals Bewegung im Eise. Ungewiß, voll Besorgniß vor den Ereignissen der Nacht, begeben wir uns zeitig zur Ruhe; Niemand weiß, wie kurz sie vielleicht ist. Selbst Klotz hat seine stoische Ruhe abgelegt; die bisherige philosophische Würde seiner Bemerkungen ist dahin, wenn seine Nachbarn, wie sonst, bei jedem Geräusch aus den Cojen springen, um mit ihren Habseligkeiten auf Deck zu flüchten. Täglich frieren die Pumpen ein; sie werden mit kochendem Wasser aufgethaut, heute aber brach die Pumpenaxe durch übergroße Kraftäußerung.

22. October. (-26,5° R.) Nachts Eisbewegung, 9½ Uhr Sonnenaufgang, Meridianhöhe 1° 41½'. Abends öffnete sich die Spalte wieder. Sprünge und kleine Wacken sind rings um uns entstanden, Frostdampf erfüllt die Luft. Heute wurde ein Bärenschädel auf das Eis geworfen, da die Leute auch von diesem behaupten, er bringe Unheil.

23. October. Nachts wilde Bewegung im Eise; Kane nennt es die Eis-Artillerie, dem Geräusche nach gleicht sie einer Raddampferflotte, welche bald mit ganzer, bald mit halber Kraft fährt. Die Höhe der Sonne betrug heute nur mehr wenig über einen Grad; ihre Form war durch Refraction eiförmig verzerrt, ihre Ränder vibrirten lebhaft.

24. October. Das Tageslicht ist nur mehr so gering, daß die Lampen im Innern des Schiffes, zwei bis drei Mittagsstunden ausgenommen, den ganzen Tag brennen müssen. Viele Leute haben sich Frostschäden an den Händen zugezogen, in Folge schwerer Arbeiten in der jüngst reducirten Takelage und beim Klarmachen des Bereitschaftsproviants auf Deck.

25. October. Nachmittags Versuch, mit den Hunden zu fahren; allein der Schnee liegt innerhalb der Toroßy Eisklippen. und auf den kleinen ebenen Plätzen trotz der tiefen Temperatur so massenhaft, daß man bis über das Knie einsinkt. Nur Stürme härten den Schnee; wir aber haben seit einiger Zeit Windstille und leichte Brisen. Abends Bewegung im Eis achter des Schiffs, mit den höchsten Soprantönen. Oft aber gleicht das Geräusch des drängenden Eises völlig dem Pfeifen und Heulen eines Sturmes über Felsklippen hinweg, oder durch die Takelage eines Schiffes. Um 8½ Uhr Abends begann das Eis backbord zu pressen und sich vom Schiffe zu trennen, so daß dieses sich merklich aufrichtete, sodann etwa um einen Fuß senkte. Um 10½ Uhr Nachts gewährten die oscillirenden Bewegungen des Eises und sein Druck in einem bestimmten Tempo den Anschein, als kämen sie von einer Dünung her. Das Schiff ächzt und knarrt beständig; doch sind Knarren und Aechzen nur schwache Ausdrücke für solchen Lärm. Wieder ist Alles bereit. Wir beginnen zu befürchten, daß das Eis den ganzen Winter hindurch niemals zu der ersehnten Ruhe kömmt.

26. October. (-24° R.) Pressungen die ganze Nacht hindurch. Bewaffnet und mit Laternen versehen, schafften wir zwei Boote, hundertfünfzig Scheite Holz, fünfzig Bretter und Kohlen mittelst Schlitten backbord auf das Eis und wählten eine stärkere Scholle aus, der wir aufs Gerathewohl das Vertrauen schenkten, daß sie das Zufluchtshaus, das wir auf ihr erbauen würden, vor Zerstörung bewahren werde. Vor Ermüdung trotz des Prasselns der Schiffswände eingeschlafen.

27. October. Die Sonne Mittags nur noch wenig über dem Horizont sichtbar. In der folgenden Nacht öffnete ein heftiger Südostwind einen etwa fünfhundert Schritt entfernten Sprung steuerbord des Schiffes zu einer großen Wacke.

Das Kohlenhaus auf der Eisscholle.

28. October. Heute hat die Sonne von uns Abschied genommen. Nur noch mit ihrem oberen Theile war sie über den Horizont getreten und hatte uns ihre milden Strahlen zugesandt, wie den tröstenden Blick eines scheidenden Freundes. Das Kohlenhaus ist fertig. Nirgends in der Welt gibt es eine minder zuverlässige Wohnstätte. Ein Sturm kann das Bretterdach forttragen, die wiederkehrende Sonne seine schneeverstopften Fugen schmelzen, ein unbewachtes Feuer seine Wände ergreifen und verzehren, auch versinken kann es stündlich durch eine Pressung, die einen Abgrund an seiner Stelle öffnet. 2 Uhr Nachmittags; das zersprungene und gethürmte Eis rings um uns ächzt, unsere Scholle dreht sich etwas, bald wird die Pressung beginnen.

29. October. Nachts Geräusch im Eise, das uns zwar ungestört ließ, aber bezeugte, daß es immer bereit sei, uns zu beunruhigen. Keine Sonne mehr, nur ein rosiger Schein am Mittagshimmel.

30. October. (-24° R.) 3½ Uhr Morgens furchtbares Prasseln des Schiffes; wir sprangen aus den Cojen und standen wie immer angekleidet, das zu rettende Gut in der Hand, auf Deck. Neue Sprünge waren entstanden, sie erweiterten sich rasch; zwei Boote und das Kohlenhaus sind von emporgepreßten Eismassen umgeben und von uns getrennt. Eine Gryll-Lumme ( Grylle uria) flog in die kleine Wacke und wurde geschossen – der erste Vogel seit langer Zeit. Dann Ruhe; sie gibt jedoch keine Beruhigung mehr; Jeder fühlt die lügenhafte Sicherheit, in welche sie uns wiegen will, der geringste Laut auf Deck, das Fallen eines Gegenstandes – sonst ganz unbeachtet – schreckt uns auf in Gewärtigung neuer Angriffe. Mittags, da wir beim Essen saßen, neues Platzen und wildes Krachen im Schiff; selbst in der Cajüte vernahmen wir ein Rauschen im Eise außerhalb, so daß es schien, als sollte das gesammte Eismeer sich im nächsten Augenblicke kochend in Dämpfen erheben. Anhaltender Lärm während des ganzen Nachmittags; alle Sprünge strömen dichte Dämpfe aus, gleich heißen Quellen.

Tags keine Ruhe zum Lesen oder Arbeiten; fast jede Nacht wird uns der Schlaf verkümmert durch das schauerliche Erwachen innerhalb eines prasselnden großen Sarges. An Alles gewöhnt sich der Mensch; an diese täglichen Erschütterungen aber und an die immer wieder erneute Frage nach dem Ende können wir uns nicht gewöhnen.

Eine unerträgliche Monotonie liegt in dem Auszug meines Tagebuches, und um nicht zu ermüden, fahre ich mit freier Benützung desselben fort, unsere Lage zu schildern:

»Einer von uns bemerkte heute sehr wahr: ›Er sähe vollkommen ein, wie man bei längerer Fortdauer so urplötzlicher Bedrohungen den Verstand einbüßen könne‹. Gefahren schüchtern uns nicht ein: ›Was liegt daran, zu verlassen, wenn man nicht weiß, was man verläßt‹. Allein unsere Lage ist eine viel schlimmere, weil wir in beständiger Besorgniß des Unterganges schweben und nicht wissen, ob er heute oder morgen eintritt, oder erst in einem Jahr. Täglich werden wir aufgescheucht, selbst aus dem Schlafe, dem Freunde aller Noth; – gleich gehetzten Thieren springen wir auf, um im Dunkel der schreckenvollen Nacht zu warten auf das Ende eines Geschicks, dem längst schon alle Hoffnung auf Erfolg entflohen ist. – Mehr noch, als die Gefahr an sich, lastet die Gefangenschaft auf uns; denn mächtig sind selbst Schwache gegen Gefahren, wenn sie nur passiven Widerstand leisten sollen. Eine mechanische Verrichtung ist das Erheben vom Lager geworden, das Ergreifen von Gewehr und Rettungssack und das Eilen auf Deck. Ueber die Bordwand gelehnt, sieht man Tags, von dem bebenden, ja federnden Schiffe aus, dem Auf- und Abwürgen des Eises zu; Nachts entnimmt man, unbeweglich und lauschend auf das zunehmende Brüllen im Eise, die Steigerung der Gewalt.«


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