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Schlittenreisen zur Erforschung des Kaiser Franz Joseph-Landes.

Andrang zu Schlittenreisen.– Das Wohlleben der letzten Wochen.– Die letzten Tage des Maschinisten.

 

So unzweifelhaft jedoch auch die Nothwendigkeit unserer Heimkehr war, die Entdeckung eines Landes mußte ihr vorausgehen, von dem wir bisher nichts Anderes gesehen hatten, als wenige vorliegende Klippen. Bestand das Land, welches wir jenseits derselben in großer Verbreitung vorauszusetzen geneigt waren, aus Inseln geringen Umfanges, oder aus weithin sich erstreckenden Complexen? Und jene weißen Hochflächen seiner Südspitzen, waren es Gletscher? Niemand wußte darauf zu antworten. Nur darüber konnte kein Zweifel herrschen, daß die Wanderung oder das Stillliegen unserer Scholle eine, nach wie vor und zwar für jede Stunde unberechenbare Größe sei, und daß Diejenigen verloren waren, welche sich nicht an Bord des Schiffes befanden, sobald die Scholle mit diesem weiter trieb. Am 1. März meldeten die Tyroler einen auf halbem Wege nach dem Lande entstandenen Sprung; die Gefahr des Abgeschnittenwerdens der bevorstehenden Schlitten-Expeditionen war das dominirende Thema aller Gespräche sowohl in der Cajüte, als auch im Mannschaftsraume. Erwogen wir jedoch die Bedeutung eines solchen erfolggekrönten Wagnisses für die Expedition und ihre Berechtigung zur Rückkehr, so schwand alles Bedenken, und es gab Niemanden am Schiff, der seine Besorgnisse dieser Nothwendigkeit nicht untergeordnet hätte. Als Führer der Expedition am Lande hatte ich in der erwähnten Berathung vom 24. Februar folgendes Document verlesen, um die am Schiffe Zurückbleibenden von meinem Plan hinsichtlich der Entdeckungsreisen in Kenntniß zu setzen. Dieses Document lautete:

»Die Theilnehmer der österreichisch-ungarischen Nordpol-Expedition sind Willens, das Schiff Ende Mai zu verlassen und nach Europa zurückzukehren. Da diesem Augenblicke jedoch noch eine, zwei, vielleicht drei Schlittenreisen zur Erforschung des Kaiser Franz Joseph-Landes vorausgehen sollen, so tritt die Nothwendigkeit ein, dieses Project und die sich daran knüpfenden Erwartungen in bestimmte Formen zu kleiden, um so gewagte Unternehmen für die Zurückbleibenden, wie für die Abreisenden, so wenig beunruhigend als möglich zu machen. Diese Formen sind: die Schlittenreisenden zählen auf die Hinterlassung eines Rettungsapparates, welcher die Mittel ergänzt, über die sie selbst verfügen; sie zählen ferner darauf, daß die Deponirung dieser Gegenstände am Lande am ersten Tage ihrer ersten Reise schon beendet sei. Die Reisen werden im März beginnen, sechs bis sieben Wochen dauern, in der Zeit vom 10. bis 20. März ihren Anfang nehmen und die Richtungen derselben sich wenn möglich theilen: in eine Unternehmung längs der Küste des Landes nach Nord, in eine nach West und in eine nach dem Binnenlande; jedesmal wird die Ersteigung eines dominirenden Berges den Abschluß bilden. Reihenfolge und Zeitdauer dieser Reisen sind unbestimmbar, selbst noch im Momente des jeweiligen Abgangs, und lediglich der Entscheidung an Ort und Stelle vorbehalten. Dies sei deßhalb erwähnt, um sowohl Besorgnisse, als auch irregehende Aufsuchungen fernzuhalten. Falls die Schlittenreisenden bei ihrer definitiven Rückkehr das Schiff nicht mehr antreffen sollten, werden sie versuchen, sofort allein nach Europa zurückzukehren und nur unter den zwingendsten Umständen eine dritte Ueberwinterung erstreben, zu welcher ihnen das ans Land zu schaffende überzählige Material Es kam nicht zu diesem geplanten Transport des überzähligen Materials, weil es an Arbeitskräften fehlte. einigermaßen die Mittel böte. Es ist selbstverständlich, daß ich diese Reisen nicht bis in eine Zeit ausdehnen werde, welche der Mannschaft die gebotene Erholungsfrist vor der Heimkehr nach Europa verwehren würde und daß ihre Beendigung schon Anfang Mai eintreten wird.«

Unsere Trennung war also nahe bevorstehend, und seitdem sie beschlossen, herrschte wieder rege Thätigkeit am Schiffe. Es gab keinen unserer Leute, der sich nicht für die verkündeten Reisen vorbereitet und seine Ausrüstung ergänzt hätte, obgleich sie wußten, daß mich außer den Tyrolern nur noch vier Mann begleiten würden. Jeder wollte bei der Erforschung des unbekannten Landes sein, und es war umsonst, wenn ich ihnen erklärte, daß die mangelhafte Gesundheit des Einen, oder die zu große Kraft des Andern die Veranlassung ihres Zurückbleibens am Schiffe sei, damit das Reisen nicht künstlich erschwert und das Gleichgewicht in der Vertheilung der Kräfte nicht gestört werde. Dieses Gleichgewicht bezog sich auf den bevorstehenden Rückzug nach Europa, welcher in drei Partien getheilt ausgeführt werden sollte. Trieb unsere Scholle mit dem Schiffe hinweg, während die Reisenden noch am Lande waren, so mußten sie für sich eine solche Rückzugspartie bilden, und wäre es auch für ihre geringen Kräfte unmöglich gewesen, die ungeheuren Eisfelder auseinander zu schieben, den Schlitten durch tiefen Schnee in so geringer Zahl anstatt mit verdoppelter Kraft fortzuschaffen, mit dem Boot zu beladen und alles das zu vollführen, wozu nachher die vereinte Kraftanstrengung von dreiundzwanzig Mann gehörte, so war es doch im Principe unerläßlich, den Rettungsgedanken unter allen Fällen noch aufrecht zu erhalten.

Hatte die Entscheidung für unsere Zukunft und die Erwartung der bevorstehenden großen Ereignisse Aufregung in die Einförmigkeit unseres Lebens gebracht, so daß alles Andere diesem gegenüber in den Hintergrund trat, so bot uns die kurze Zeit, für welche unsere Vorräthe noch zu dauern hatten, Gelegenheit zu verhältnißmäßigem Wohlleben. Wir verfügten noch über mehr als zweihundert Flaschen wirklichen Weines, welche wir für die Krankheitsfälle eines dritten Winters aufgespart hatten. Dreiundzwanzig Menschen tranken nun drei Monate an zweihundert Flaschen und rauchten mit der Ausdauer von Schornsteinen an den noch vorräthigen Cigarren und dem erübrigten Tabak. Erdäpfel und conservirtes Gemüse, eingemachtes Obst waren fortan täglich auf unserem Tisch; auch die bisherige Diät in der Ausgabe des Rums hörte auf, überall brannten Lichter, und Jedermann befand sich unter dem Eindrucke des Reichthums und der Ueppigkeit. Niemand aber war reicher geworden als Lukinovich, den ich für seinen Fleiß als Flickschneider derart belohnte, daß sein »Sack« zum Platzen anschwoll und sein Sinn zu kurzsichtigem Uebermuth.

Mitten in diese Zeit, in der wir Alle auf eine Weise auflebten, als sei eine drückende, Jahre hindurch auf uns lastende Gewalt plötzlich gewichen, mitten in die Tage allgemeiner Regsamkeit und neuer Pläne hinein fiel das traurige Ende unseres Gefährten Krisch.

Maschinist Krisch.

Seit Beginn des Februar hatte seine Krankheit auflösende Fortschritte gemacht, sein Leib war mit Scorbutflecken bedeckt und der Bewegung unfähig geworden; aber noch immer belebte die Hoffnung baldiger Genesung unsern unglücklichen Genossen, dessen frühere Thätigkeit ein rühmliches Beispiel von Pflichterfüllung war. Im vergangenen Sommer bereits tödtlich erkrankt, hatte er nicht gesäumt, die beschwerliche Arbeit der Herstellung neuer Eissägen und Bohrer zu verrichten, um mit seinen abnehmenden Kräften noch zur Befreiung des Schiffes beizutragen. Als er von den bevorstehenden Reisen nach dem Franz Joseph-Lande hörte, richtete er sich auf, um mir die Versicherung abzuringen, daß ich ihn bestimmt dahin mitnehmen würde. Es ging aber unzweifelhaft mit ihm dem Ende zu, wenngleich nur langsam, unter der Folter der Schlaflosigkeit und des Schmerzes. Erst Anfang März erlöste ihn die Bewußtlosigkeit der eingetretenen Agonie von dem Innewerden seiner Leiden, und die Thätigkeit seiner durch die Krankheit verzehrten Lunge äußerte sich fortan nur noch in einem unterbrechungslosen Röcheln. Immer seltener wurden die Delirien durch Momente geistiger Klarheit unterbrochen; Hilfe war unmöglich geworden, alle Sorgfalt unseres Arztes und der beständig anwesenden Wärter galten nur mehr der Erleichterung seiner letzten Lebenstage. Ein trauriges, aber auch mitunter drastisches Bild bot die Stätte seines Krankenlagers, besonders wenn der scorbutkranke Fallesich die Wache hatte, oder der ihn ablösende Pospischill schwerathmig einschlief, der erwachte Kranke vergeblich seinen Namen rief und es sich bei Pospischill's Erwachen zeigte, daß derselbe noch gesund war.

Ergreifend aber waren die Aeußerungen der Religiösität in dem Cultus des Todes. Am 9. März lag Krisch regungslos und im Zustande der Agonie auf seinem einsamen Krankenlager. Lukinovich hatte Wache bei ihm, und weil er glaubte, daß Krisch im Begriffe sei zu sterben, so begann er, um dem wenngleich Bewußtlosen, doch noch Lebenden die Pforten der Ewigkeit zu eröffnen, eine Stunde lang in der fanatischen Weise seiner südlichen Heimat mit lauter Stimme zu rufen: » Gesù, Giuseppe, Maria, vi dono il cuor e l'anima mia!« Wir waren zugegen, und in unseren Cabinen beschäftigt, wagten wir es nicht, eine Handlung zu unterbrechen, deren Absicht zwar Frömmigkeit, deren Wirkung aber Grauen war. Unwillkürlich sagten wir uns, so stirbt man am Nordpol, allein und wie ein Irrlicht erlöschend, ein einfältiger Matrose als Klageweib, und draußen harrt des Abgeschiedenen ein Grab aus Eis und Steinen, und nicht einmal die verborgene Wohnstätte im dunklen Schoß der Erde – die Gruft!

Die letzten Lebensgeister des Unglücklichen stritten noch immer einen erbitterten Kampf mit dem Tode, Dr. Kepes hatte diesen Ausgang seit einem Jahre vorhergesagt; noch bevor er selbst (zwei Wochen lang) schwer erkrankte, und wir täglich befürchten mußten, ihn zu verlieren. ein Kampf, der um so trauriger war, weil er seine Erlösung verzögerte.


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