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Die Leitung einer Expedition. – Wahl der Mannschaft. – Gehorsam und Intelligenz – Disciplin, – Belohnungen. – Die Mannschaft soll unverheiratet sein und das Eismeer zum ersten Male betreten. – Bergsteiger. – Jäger. – Arzt. – Maler. – frühere Polarausrüstungen. – Ihre heutigen Grundsätze. – Nothwendigkeit kleiner Schiffe.– Raum-Oekonomie.– Horizontale Innenhölzer und Abhalter. – Proviant. – Limoniensaft, Thee, Tabak. – Geistige Getränke. – Chemischer Wein. – Ueberwinterung im Schiffe derjenigen in Hütten vorzuziehen. – Küche, Cajüten – Kautschuktapeten, Ofen. – Wasch- und Badekammer. – Beleuchtung. – Kleidung, – Instrumente, Gewehre. – Feuergefährliche Stoffe. – Thürverschluß. – Eissägen. – Reservevorräthe – Expeditionskosten.
Jede arktische Expedition ist sowohl hinsichtlich ihres Planes, als auch ihrer Ausrüstung auf die Erfahrungen ihrer Vorgänger angewiesen. Aus diesem Grunde müssen es die Nachfolgenden oft bedauern, wie wenig Sorgfalt fast alle Polarfahrer in ihren Werken darauf verwandten, sie über ihre Wahrnehmungen, ihren Vorgang, oder ihre begangenen Fehler zu belehren. Es scheint daher wohl des Versuches werth, unsere eigenen Beobachtungen zum Nutzen Anderer anzuführen, damit möglichst klar werde, was künftige Unternehmer zu beherzigen haben; nur die Ausrüstung für Schlittenreisen wird erst bei diesen selbst erwähnt werden.
Einheitliche Leitung der Expedition ist die erste aller Regeln. Findet aber eine Theilung des Commandos in eine Leitung zur See und zu Lande statt, so ist es natürlich, daß die Führer ihre wechselseitigen Pflichten und Befugnisse genau begrenzen. In neuerer Zeit ist die Leitung von Polarexpeditionen öfters von Seeleuten auf Gelehrte übergegangen, wie dies bei Kaue, Hayes, Nordenskjöld, Torell der Fall war. In Fällen, wo die naturhistorische Forschung das Ziel einer Eisfahrt von geringer Ausdehnung bildet, ist dieser Vorgang statthaft, niemals aber, wo dem Seemanne eine wichtige Rolle übertragen ist; auch ist dieses Verfahren in England nie angewandt worden.
Nur im ersten Anfange führte ein tapferer Ritter von hoher Geburt (Willoughby) eine Polarexpedition Englands, wie solche Männer bis auf das 17. Jahrhundert herab auch die Lenker seiner Seeschlachten waren. Die holländischen Expeditionen des 16. Jahrhunderts pflegten eine störende Zersplitterung der mercantilen und nautischen Leitung unter Supercargos und Piloten zu gestatten; Verwirrung und Zwiespalt waren die Folgen.
Nach den Führern beansprucht die Auswahl der Mannschaft die höchste Sorgfalt. Sie muß hinreichend lange vor dem Reiseantritt stattfinden, damit die minder Geeigneten sich rechtzeitig erkennen und gegen Geeignetere austauschen lassen; dieses Verfahren, nicht die Nationalität bestimmt ihren Werth. Wenn auch seemännische Tugenden nicht jedem Volke gleichmäßig angehören, so würde es doch nur der Zeit und Prüfung bedürfen, um fast aus jeder Nation eine musterhafte Mannschaft für eine Nordpol-Expedition zu gewinnen. Nicht die Ertragung der Kälte ist der entscheidende Probirstein ihrer Tüchtigkeit, obgleich dies häufig angenommen wird, sondern Pflichtgefühl, Ausdauer und Entschlossenheit. Die Gewohnheit lehrt Kälte bald überwinden; ihrem demoralisirenden Einflusse gegenüber härtet die unerbittliche Notwendigkeit oft Weichlinge zu Helden ab. Hingebung für den Zweck oder für den Führer setzt bei der Mannschaft jedoch Eigenschaften voraus, die sich weder im vorhinein beurtheilen, noch erkaufen, noch hinreichend belohnen lassen. Die Theilnehmer einer Nordpol-Expedition sollen nur aus Freiwilligen bestehen, doch nicht so, wie es bei den russischen Polarunternehmungen der Fall war, wo die Officiere als freiwillige »gewählt« wurden, obgleich sie die Teilnahme ausschlugen.
Von hoher Wichtigkeit ist ein gewisser Grad von Intelligenz der Mannschaft; in vielen Fällen ist das Bestehen von Gefahren oder irgend ein zu erzielendes Resultat von ihrer Beobachtungs- und Denkfähigkeit, ja selbst von einigen Kenntnissen abhängig, wie sie der größte Theil unserer Mannschaft auch besaß.
Leute aber, welche mit einem schwer beladenen Schlitten altes Eis verlassen und neugebildetes betreten, ohne es zu bemerken, welche einen erfrornen Fuß erst nach mehreren Stunden beachten, ihre Patronen verlieren, ihr Gewehr gar nicht, die Boussole nur mangelhaft kennen, theilnahmslos an den Gestaltungen des Landes vorüberziehen, besitzen eine für sich und für die Gesammtheit gefährliche Gleichgiltigkeit, mögen sie auch todverachtend sein wie Achill. Wie groß die Indolenz des ungebildeten Mannes zuweilen sein kann, zeigt Franklin's Rückzug 1821. Seine Canadier warfen nach einander die unentbehrlichsten Gegenstände, wie Canoe's, Netze etc. weg, oder zerstörten sie absichtlich, um sie nicht tragen zu müssen. Es war nicht möglich, sie zu haushälterischem Gebaren mit den karg zugemessenen Lebensmitteln zu bewegen. Befehlen begegneten sie mit Widersetzlichkeit, den astronomischen Orts- und Routebestimmungen ihres Führers mit unverhohlenem Mißtrauen, heimlich verbrauchten sie Munition und Jagdbeute. Einer stahl dem Andern die ersparten Lebensmittel, Einmüthigkeit zeigte sich nur in dem allgemeinen Sträuben gegen die weisesten Anordnungen zum allgemeinen Wohl.
Die intelligente Mannschaft ist durch ihr erhöhtes Selbständigkeitsgefühl schwieriger zu leiten, als die unwissende. Devotion und blindes Vertrauen sind bei ihr seltener zu beobachten; ihre Lenkbarkeit bedingt das beständig hervorragende gute Beispiel, das Wohlwollen und die unabänderliche Ruhe der sie jeweilig Befehlenden. Das Hauptgesetz einer Polarexpedition ist Gehorsam; Die Geschichte der Polarexpeditionen erzählt von den Meutereien der Mannschaften von Davis, Barentz, Weymouth, Hudson, Hall, J. Roß und vieler Anderer. seine Grundlage ist Moralität. Strafen sind in solchen Lagen ein unzuverläßliches, abstumpfendes Mittel zur Erhaltung der Ordnung; ihre Anwendung erzielt namentlich auf einer Privatunternehmung eher Auflösung, als Disciplin. Wenn Parry noch 1820 Körperstrafen Parry ließ einmal zwei seiner Leute wegen Trunkenheit jeden mit 36 Peitschenhieben bestrafen. vollziehen ließ, so beweist dies nur die größere Leichtigkeit, mit welcher auf einem Kriegsschiff die Ordnung gehandhabt wird, nicht aber die Zweckmäßigkeit eines solchen Verfahrens überhaupt. Zwang und Drohungen sind ohne Resultat; so war es auch vergeblich, den Erfolg einer Expedition durch zwangsweise Aussendung derselben Männer sichern zu wollen, welche eben erst unverrichteter Dinge zurückgekehrt waren, wie dies im vorigen Jahrhundert bei jedem gescheiterten Versuch an den sibirischen Eismeerküsten von Petersburg aus geschah, wo mancher dieser ruhmvollen Entdecker nach seiner endlichen Rückkehr zum Matrosen degradirt wurde. Aehnlich erging es Steller. Als er 1742 mit den Ueberresten der verunglückten Behring'schen Expedition mühselig nach Awatscha heimkehrte, erfuhr er, daß man sich daselbst bereits in sein Erbe getheilt habe. Nach langem Sträuben wurde ihm gestattet von Kamtschatka nach Petersburg zurückzukehren; nachdem er jedoch zwei Drittel des Weges zurückgelegt hatte, traf ihn zweimal das schreckliche Urtheil, eiligst nach Jakutsk zurückzureisen, um sich in der »Kanzlei« daselbst wegen Hochverraths zu verantworten. Bei der zweiten Umkehr erfror er. Es wäre ungerecht, Fälle, wo das Gegentheil geschah, zu verschweigen, Fälle, wo den Polarfahrern für ihre Mühen, waren sie von Erfolg gekrönt, die größte Anerkennung in sicherer Aussicht stand. So wurden die Officiere und Unterofficiere von Tschitschagoff's Polarexpedition bei ihrer Abreise im Range befördert. Erreichten sie die Nordostdurchfahrt, so war ihnen eine zweite, bei ihrer Rückkehr eine dritte Rangserhöhung verheißen. Sämmtliche Theilnehmer erhielten doppelten Gehalt; dieser ward ihnen oder ihren Witwen und Waisen auch in dem Falle als Pension zugesagt, wenn sie Schiffbruch litten. Billings und seine Mannschaft erhielten einen doppelten Jahresgehalt bei der Abreise, unbeschadet doppelten Gehaltes während der Expedition und besondere Prämien bei der Rückkehr. Billing selbst wurde noch in Petersburg im Range befördert, seine Officiere und Unterofficiere bei der Ankunft in Irkutsk. Neue Beförderung traf Billing an der Kolyma, eine abermalige beim Verlassen von Ochotzk. In diesem letztern Falle sollte auch die Mannschaft an der gedachten Begünstigung theilnehmen. Beim Erreichen des Cap Elias sollte Billing abermals um einen Grad avanciren. Den minder Würdigen unterscheidet man, ohne zeitliches Unheil zu erregen, nur durch die Bestimmung, daß besondere, und zwar große Belohnungen bei der Rückkehr nur die Verdienstvollsten träfen, ohne diese jedoch an Bord selbst jemals zu nennen. Für die Officiere kann der wissenschaftliche Erfolg ein vollkommener Lohn ihrer Mühe sein, für die Mannschaft hingegen nur im materiellen Vortheile bestehen, Geld ist zwar ein schwacher Impuls für Männer, welche bestimmt sind, ohne sichere Gewähr ihrer Rückkehr Jahre hindurch der Unbill arktischer Wüsten zu widerstehen; allein es bildet noch immer die einzige Form, durch welche man das Verlangen für wissenschaftliche Zwecke teilnahmsloser Menschen an das Erreichen idealer Ziele fesselt.
Die Mannschaft von J. Roß erhielt für das Martyrium von vier im Eise verbrachten Wintern selbst nur 100 Pfund Sterling per Kopf; bei der zweiten deutschen Nordpol-Expedition bildeten 8-12 Thaler die Monatslöhnung der Matrosen. Fast vierfach größer war dagegen die Bezahlung der Equipage des »Tegetthoff«; sie erreichte bei einigen der Schlittenreisenden bis 3000 Gulden.
Steigert man die zu erwartenden Prämien für die Erreichung eines bestimmten Zieles, so verfügt man über einen nothwendigen und mächtigen Hebel für die zu fordernden Anstrengungen; nicht minder gebieten Klugheit und Gerechtigkeit, den Tüchtigsten selbst die Bürgschaft einer sorgenfreien Existenz in der Zukunft zu gewährleisten.
Wider Erwarten ist der Verwendung von Leuten, welche bereits eine Expedition mitgemacht haben, zu widerrathen, empfehlenswerth nur etwa die Wiederaufnahme der Vollkommensten unter den Geeigneten. Die übrigen sind nur zu leicht geneigt, ihre eigenen Erfahrungen denen der Führer gleichzustellen, und beeinträchtigen in allen Fällen, wo diese Anschauungen einander widersprechen, durch eine gewisse passive Opposition das Grundgesetz einer solchen Expedition, den Gehorsam. Leute hingegen, welche die arktische Region zum ersten Male betreten, pflegen alle Weisungen eines darin erprobten Führers mit einer Aufmerksamkeit zu empfangen, welche man sonst nur Offenbarungen entgegenbringt. Auch Verheiratete sind davon auszuschließen; so verfuhr auch Barentz auf seiner zweiten Reise (1596).
Etliche der Mannschaft sollen geübte Schützen, gute Fußgänger und Bergsteiger, alle aber gleicher Nationalität, stark und vollkommener Gesundheit sein. Leute unter dem 30. Jahre sind solchen über demselben vorzuziehen, es ist eben nicht Jedermann ein Franklin, der sich noch mit dem 60. Lebensjahre den Beschwerden der Polarwelt anvertrauen darf. Die geringsten Anzeichen von Rheumatismus, Lungen-, Augen- und gewissen chronischen Uebeln, welchen Matrosen nur zu leicht verfallen, machen sie ungeeignet, das Polarklima zu ertragen, besonders zu Schlittenreisen; Trinkern gleich, sind sie empfänglich für den Scorbut.
Der Arzt einer Expedition muß nebst der Fachbildung die unerschütterlichste Geduld besitzen; Manchen der Erkrankten ist er nicht minder ein Arzt des Körpers, als des Geistes. Sich persönlich von dem Gesundheitszustande der Mannschaft vor dem Reiseantritt zu überzeugen, ist auch dann seine Pflicht, sollte sie bereits von einem anderen Arzt untersucht und tauglich erklärt worden sein.
Da eine Expedition nebst ihrer wissenschaftlichen Aufgabe auch die Veranschaulichung der Polarnatur erfüllen soll, so ist die Verwendung eines Photographen, noch mehr die eines Malers sehr empfehlenswerth; der Erstere ist bei seiner Tätigkeit leider viel zu sehr auf den Umkreis des Schiffes beschränkt.
Die arktische Literatur bietet drastische Beispiele, wie zweckwidrig Polarexpeditionen der älteren Zeit ausgerüstet wurden. Ihre Bestimmung zum Handel zwang sie, den Schiffsraum mit Ballen von Seide etc. zu füllen, anstatt mit Proviant für Jahre; die Empfehlungsbriefe, welche man den Nordostfahrern an die sarazenischen Fürsten auf den Weg nach Chatai mitgab, machen einen wahrhaft komischen Eindruck. Westgrönland zu colonisiren, wurde der Major Paars 1728 von Kopenhagen aus dahin gesandt, – mit Kanonen und Soldaten, auch 11 Pferde befanden sich dabei; es war nämlich die Aufgabe der Expedition nach der Ostküste Grönlands hinüber zu reiten, um diese zu erforschen. Zehn männliche und zehn weibliche Sträflinge, loosweise getraut, bildeten die ersten Colonisten.
Man kann es gerechtfertigt finden, daß Owczyn 1734 auf seiner sibirischen Eismeerfahrt einen Priester mitnahm, aber nicht einsehen, zu welchem Zwecke er 57 Mann in einem nur 70 Fuß langen Schiffe bedurfte, das mit 8 zweipfündigen Falkonets bewaffnet war. Der Nutzen des Tambours, der 12 Gemeinen und des Corporals auf Gmelin's wissenschaftlicher Sibirienreise ist noch räthselhafter, als das Musikcorps der Davis'schen Expedition, welches die Bestimmung haben sollte, die Gemüther der Eskimo's anzuregen und friedlich zu stimmen, nachdem der vorangegangene Frobisher traurige Erfahrungen hinsichtlich ihrer Barbarei gemacht hatte. Andere Expeditionen haben die Eskimo's dadurch, daß man zahlreich Messer und Beile an sie vertheilte, in die Lage gesetzt, die weiße Mannschaft ernstlich zu bedrohen. Noch heute pflegt die sogenannte »Wilden-Kiste« Ueberraschungen zu enthalten, welche den Wilden keine gute Meinung von unserer Ueberlegenheit beibringen können.
Die Ausrüstung einer Polarexpedition soll dem Grundsatz entsprechen, den zeitlich Verbannten ohne Kostenrücksicht den größtmöglichsten Grad materiellen Wohles zu gewähren, wenn auch die gegebenen Verhältnisse die Verwirklichung fast illusorisch machen. Die Größenverhältnisse eines Schiffes und sein disponibler Raum sind die knappen Grenzen, innerhalb welcher die Erfüllung dieses Wunsches Gewährung finden kann; sie haben sich, seit man zu der ursprünglichen Verwendung kleiner Schiffe zurückkehrte, in fühlbarer Weise verengert.
Die nachfolgende Tabelle zeigt, daß sich die Wahl kleiner Fahrzeuge schon im ersten Anfange geltend gemacht hat, obgleich die englischen Unternehmungen selbst dieses Jahrhunderts den Rath und das Beispiel eines Fotherby, Baffin und Roß in diesem Punkte niemals völlig adoptirten.
Die Expedition von | Tonnengehalt der Schiffe | Verproviantirung | Köpfe | ||||
Willoughby | 1553 | 120 | 90 | 160 | 18 Monate | ||
Frobisher | 1576 | 25 | 25 | 10 | Meist
nur für ein Jahr |
||
Frobisher | 1577 | 180 | 30 | 30 | |||
Pett Jackmann | 1580 | 40 | 20 | 15 | |||
Davis | 1585 | 50 | 35 | 42 | |||
Barentz | 1596 | 80 | 17 | ||||
Davis | 2. Expedition | 10 | 50 | 53 | 120 | ||
Weymouth | 1604 | 70 | 60 | ||||
Knight | 1606 | 40 | 10 | ||||
Hudson | 1607 | 15 | |||||
Hudson | 1608 | 15 | |||||
James Poole | 1609 | 70 | |||||
Hudson | 1610 | 55 | |||||
Smith | 1610 | 50 | |||||
James Poole | 1611 | 50 | |||||
Fotherby | 1615 | 20 | |||||
Baffin | 1616 | 58 | 20 | ||||
Fox | 1631 | 80 | 18 Monate | ||||
James | 1631 | 70 | 18 Monate | 19 | |||
Wood | 1676 | 16 Monate | |||||
Moor | 1746 | 180 | 140 | ||||
Roß | 1818 | 385 | 252 | ||||
Parry | 1819 | 375 | 180 | 2½ Jahre | 45 | ||
Litke | 1821 | 200 | 15 | ||||
Hayes | 1860 | 133 | 1½ Jahre | 14 | |||
Koldewey | 1869 | 180 | 240 | 2 Jahre | 29 |
Diese Uebersicht zeigt, daß die Entsendung kleiner Flotten mit Schiffen kleinster Gattung im 16. Jahrhundert üblich war, daß sie im 17. Jahrhundert bis auf ein Schiff geringer Größe abnahmen, und daß die Anwendung zweier Fahrzeuge seither fast Norm geblieben ist, welche, wären die vielen Franklin-Expeditionen in die Tabelle aufgenommen worden, noch viel sprechender geworden wäre.
John Roß war 1829 von einem Tiefgang seines Schiffes von 18 Fuß auf 8 Fuß herabgegangen; 8-12 Fuß bilden auch heute die anerkannt zulässigen Grenzen des Tauchens. Große Fahrzeuge bedürfen einer zahlreichen Bemannung, und wenn ihre Erbauung nicht ausschließlich für den Zweck von Polarreisen geschieht, so verhindert ihre geringe Raumökonomie die Ausrüstung für mehr als etwa 2½ Jahre. Parry's Schiff 1819, die große »Fury«, hatte mit 18 Fuß Tiefgang nur für 2½ Jahre Proviant; Roß »Victory« (1829) dagegen bei nur 7 Fuß Tiefgang nebst Vorräthen für die gleiche Reisedauer noch eine Maschine und für 1000 Stunden Dampfens Kohlen an Bord.
Es folgt daraus, daß sämmtlicher Raum, welcher für die Ausrüstung gewonnen werden soll, der Bequemlichkeit und Größe der Wohnräume abgespart werden muß. Die russischen Nowaja Semlja-Fahrer dieses Jahrhunderts sind in dieser Hinsicht herabgegangen bis auf das, jede Behaglichkeit ausschließende Extrem von 30-40 Fuß langen Fahrzeugen mit 4-6 Fuß Tiefgang und 8-10 Mann Besatzung.
Arktische Schiffe müssen ferner über eine verstärkte Bemannung und über Dampfkraft verfügen, so daß nach Abzug der Wohnräume, der Maschine und der Kohlenbehälter nur noch wenig Raum für Lebensmittel etc. erübrigt wird. Dieses Wenige aber soll in ausgewähltem Proviant bestehen, welcher, in Kisten verpackt, mit sorgfältiger Vermeidung aller Hohlräume, gestaut werden muß, damit das Schiff nicht nur die größtmögliche Ladung aufzunehmen vermöge, sondern auch die ansehnlichste Widerstandskraft gegen seitlichen Druck erreiche.
Die schwächsten Stellen eines Schiffes sind stets die großen Lufträume der Wohnungen. Eine Bemannung, welche ernstlichen Bedrohungen durch das Eis ausgesetzt ist, wird es nie bereuen, diese Hohlräume durch schwere Balken als horizontale Innenhölzer zu verstärken; sie können so angebracht werden, daß man sie im Winterhafen zu entfernen vermag, und daß sie die Communication auch sonst nicht geradezu verhindern. Das Herabhängen schwerer Bäume am Rumpfe des Schiffes allein erfüllt nicht immer seinen schützenden Dienst, da das pressende Eis solche » Abhalter« häufig wegschiebt; doch ist ihre Anwendung principiell empfehlenswerth.
Der tägliche Bedarf an fester Nahrung für arbeitende Männer einer Polarexpedition beträgt etwa 2 Pfund, auf Schlittenreisen 2¾ Pfund, darunter ½ Pfund Brod und 1 Pfund Conservefleisch. Nebst dem üblichen Proviant und möglichster Vermeidung von Salzfleisch sind große Quantitäten von conservirtem Gemüse, Cacao, Fleischextract, Reis, Erbswurst und getrocknete Mehlspeisen (Macaroni, Nudeln) sehr empfehlenswerth. Zweimaliger Genuß frischen Brodes in der Woche anstatt des harten Schiffszwiebacks ist ein wesentliches Förderungsmittel der Gesundheit; man ersetzt bei dessen Bereitung den Sauerteig durch getrocknete Hefe und Backpulver. Täglich soll eine Ration Limoniensaft als vorbeugendes Mittel gegen Scorbut ausgegeben werden; antiscorbutische Lebensmittel sollen sich überhaupt in großer Menge an Bord befinden. Viel Thee und auch Tabak sind unerläßlich; namentlich wird der letzte von Seeleuten schmerzlich vermißt. Es sind Fälle vorgekommen, wo die Besatzung sich pockhölzerner Schiffsrollen, geraspelt und gesotten, als Thee bediente und der Faßreifenrinde als Tabak.
Mäßiger Genuß geistiger Getränke ist sehr empfehlenswerth; ihr Einfluß auf Gesundheit und Geselligkeit ist von großer Bedeutung. Nur ist die Aufbewahrung einer hinreichenden Quantität von Wein, namentlich im Winter, sehr erschwert, da alle Sorten bei -5 bis -8 Grad R. gefrieren. So lange ein Schiff noch im Wasser ruht, wie dies bei Überwinterungen in der Regel geschieht, ist es rathsam, den Weinvorrath im untersten Theile seines Raumes aufzubewahren und alle übrigen Gegenstände, welche dem Gefrieren am meisten ausgesetzt sind, unmittelbar darüber »mitschiffs« zu lagern.
Taucht aber ein Schiff nur wenig oder gar nicht mehr ins Wasser, so empfiehlt sich die Aufbewahrung des Weines und der übrigen unentbehrlichen Flüssigkeiten in den todten Räumen der Cajüte, d. h. unter dem Cajütentisch, nahe dem Ofen, unterhalb der Cojen und des Skylights nach essen Eindeckung im Winter. Die Bereitung chemischen Weines rechtfertigt nur der absolute Platzmangel, da das Volumen seiner Bestandtheile ohne Wasser nur etwa ein Fünftel des wirklichen Weines ausmacht.
Unter allen Umständen aber bleibt der chemische Wein ein trauriges Auskunftsmittel, und ist jenes Bier (auch das Sprossenbier von J. Roß) vorzuziehen, welches die englischen Polar-Expeditionen, an Bord selbst, aus Malz- und Hopfenessenz zu erzeugen pflegten. Das Brauen von Bier an Bord eines Polarschiffs ist jedoch mit äußerst lästiger Dampfentwicklung verbunden; bei großer Kälte kann man es auch nicht zur Gährung bringen. Rum oder Cognac, besonders der für Schlittenreisen, soll zur Ersparung des Gewichtes den größtmöglichsten Alkoholgehalt besitzen; seine Verdünnung vor dem Genuß unterliegt keiner Schwierigkeit.
Während des Winters ist der Aufenthalt im Schiffe, dem in Blockhäusern vorzuziehen, und zwar wegen seiner größeren Erwärmungsfähigkeit und geringeren Eisanhäufung. Die älteren Nowaja Semlja-Fahrer pflegten ihre kleinen Schiffe ans Land zu ziehen, zu verlassen und in Hütten zu überwintern. Da aber ein Schiff im Eismeer zehn Monate während eines Jahres aufhört, ein solches zu sein und nur die Eigenschaften eines Hauses bietet, so bedarf es einer besonders zweckdienlichen Ausstattung als Wohnplatz für Menschen.
Das Logis der Mannschaft befindet sich stets im Vordertheil des Schiffes; ihre Cojen müssen, der ungleich auftretenden Condensation der Feuchtigkeit zu Eis wegen, in einer bestimmten Ordnung gewechselt werden. Den Kohlenverbrauch zu verringern, auch die Küche in den Mannschaftsraum zu verlegen, ist sehr zu widerrathen, weil die Ansammlung der Feuchtigkeit in den Wohnräumen dadurch sehr gesteigert wird. Die Officiere, Gelehrten etc. bewohnen eine gemeinsame Cajüte im Achtertheile und schlafen rings um diese in kleinen Cabinen. Die Möglichkeit, sich zeitweise der jahrelangen Anwesenheit Aller zu entziehen, ist eine wichtige Bedingung der Harmonie. J. Roß und seine Officiere bewohnten 1833, selbst in der traurigen Hütte am Furystrande, nicht die gemeinschaftliche Cajüte mit dem Ofen, sondern Cabinen, deren Temperatur um den Gefrierpunkt schwankte, und worin sie durch die Anhäufungen des Eises viel zu leiden hatten.
Alle Wohnräume sollen mit wasserdichten Tapeten ausgestattet werden. Die Heizung mittelst gewöhnlicher Oefen ist der höchst ungleichartigen Erwärmung wegen verwerflich; die gleichartige erreicht nur der Meidinger'sche Füllofen, der außerdem den Vortheil eines geringen Kohlenconsums bietet. Erfahrungen der zweiten deutschen und der österreichisch-ungarischen Nordpol-Expedition. Die Luftheizung durch Röhren ist diesem vielleicht noch vorzuziehen, weil sie der Condensation des Wasserdampfes zu Eis überall, selbst in den Cojen besser entgegenwirkt.
Verfügt ein arktisches Expeditionsschiff nicht über eine blechbekleidete Wasch- und Trockenkammer, die auch als Baderaum dient, so ist ein wichtiges Förderungsmittel des körperlichen Wohles versäumt; das strenge Klima beschränkt das Waschen der Wäsche auf wenige Sommerwochen. Eine solche Kammer kann im Winter dadurch hergestellt werden, daß man den Maschinenraum in halber Höhe überbrückt und abschließt.
Die Beleuchtung der Wohnräume durch Petroleum genügt allen Bedürfnissen; in den Cabinen sind jedoch Stearinkerzen dem Petroleum und dem Thran vorzuziehen. Von großer Wichtigkeit ist die Construction der Beobachtungslampen zum Gebrauch im Freien während der Winternacht. Von seltener Eignung waren jene der zweiten deutschen Nordpol-Expedition, welche diesen schwierigen Dienst niemals versagten. Massive, vergitterte Glaskugellampen, welche mit Petroleum und nicht mit gewöhnlichem Oel gefüllt werden müssen, dienen zum Gebrauch auf Deck; wegen ihrer vielfachen Verwendung und dadurch unvermeidlichen Zerstörung bedarf man deren nicht wenige. In den Hütten, welche über den Treppenhäusern auf Deck erbaut sind, bedient man sich mit Vortheil der Thranlampen; doch muß ihre Construction so beschaffen sein, daß die Flamme das thrangefüllte Gefäß erwärmt.
So lange die Besatzung auf dem Schiffe verweilt, bedarf ihre Kleidung, selbst im strengsten Winter, nur geringe Aufmerksamkeit. Dicht anschließende Wollwäsche, gestrickte Wollhandschuhe und starke Tuchkleider reichen auf Deck in allen Fällen aus, da die geheizten Räume des Schiffes beständig Erwärmung bieten. Pelzgefütterte Lederstiefel mitzunehmen, ist zwar ein alter Brauch, doch keineswegs von erprobter Zweckmäßigkeit; sie sind von großem Gewicht, werden unbiegsam und verlieren durch Vereisung und rasche Abnützung des Pelzes bald die Brauchbarkeit.
Alle Instrumente Höchst störend ist der Einfluß der wechselnden Temperatur und Feuchtigkeit auf die Instrumente. Die Spiegel der Sextanten erblinden, der Quecksilberhorizont überzieht sich während der Beobachtung mit Reif. Vom Deck in die warme Cajüte hinabgetragen, beschlägt sich jedes Metallgeräth sofort mit dicken Eisrinden; man soll daher die ersteren nicht anrühren, sondern abdampfen lassen. sollen vor dem Abgang einer Expedition von einem Optiker ölfrei gereinigt werden; dasselbe hat der Büchsenmacher mit den Gewehren zu thun, deren Läufe dunkel gefärbt sein müssen, damit sie weniger rosten. Munition, Pulver und Lunte zum Sprengen des Eises, ebenso Alkohol und Petroleum bedürfen abgeschlossener Behältnisse im Achtertheil des Schiffes. Zu den beiden letztern Flüssigkeiten soll man nur mittelst wohlverschließbarer Pumpen gelangen.
Alle Thüren sollen Hakenverschluß und Gewichtszug haben; Metallklinken mit drehbarem Verschluß sind weniger passend. Die Möglichkeit vom Eise eingeschlossen zu werden, erheischt endlich die Mitnahme bis 20 Schuh langer Sägen und Bohrer, um das Eis zu durchschneiden. Im Uebrigen bedingt sowohl der Gebrauch an Bord, als auch der auf Reisen die reichste Ausrüstung mit Alkohol, Flanell, Büffelfellen, starkem Tuch, wasserdichter Leinwand, starken Filzplatten, Leder, Renthierschuhen, Schneestiefeln, Stangen, Schaufeln, Krampen, Stielen etc., Gegenständen, die gewöhnlich unzureichende Berücksichtigung erfahren.
Das Beispiel der Engländer in der Aufsuchung eines verschollenen Polarfahrers nachzuahmen, – so bewunderungswürdig es auch für diese Nation und so tröstlich es für die Angehörigen der Vermißten sein mag – möchte ich nicht anempfehlen. Polarexpeditionen irren gewöhnlich, durch das Eis gezwungen, von dem ursprünglichen Ziel ab, und werden schon deßhalb unauffindbar. Burrough fand Willoughby nicht, Button nicht Hudson, Scroggs nicht Knight und Barlow, Rae nicht Roß, Hunderte suchten Franklin vergeblich. Soll eine verschollene Expedition aber dennoch aufgesucht werden, so mag man sich nach dem Vorgang der Engländer folgender Hilfsmittel bedienen: Flaschen, welche mit Notizen versehen ins Wasser geworfen, Steinpyramiden, in deren Innern Nachrichten verwahrt werden, großer Aufschriften auf Felswänden, kleiner Ballons, die sich in gewissen Höhen entzünden und bedruckte Zettel dem Spiel der Winde überlassen, Kupfertafeln mit eingravirten Mittheilungen, gefangenen Füchsen um den Hals gebunden, worauf dieselben wieder losgelassen werden. Die Nachrichten beziehen sich stets auf die Mittheilung von Lebensmitteldepots und die Stationen der aufsuchenden Schiffe.
Die Kosten der Polarexpeditionen haben sich im Laufe der Zeit relativ eher vermindert, als vermehrt. Die Ausgaben für die Expedition Willoughby's vor drei Jahrhunderten beliefen sich auf die damals ungeheure Summe von 6000 Pfund. Moor's Expedition (1746) bedurfte sogar 10.000 Pfund, dagegen Back's schwierige und erfolgreiche Unternehmung zur Erforschung des großen Fischflusses 1833-1835 nur 5000 Pfund. Ein unerreichtes Beispiel außerordentlicher Leistungen bei geringen Ausgaben war die sibirische Expedition Middendorf's 1844, welche nur 13.300 Rubel bedurfte. Die Franklin-Expeditionen von 1848 bis 1854 kosteten laut Bericht der englischen Admiralität 20 Millionen Francs. Die Ausgaben für die zweite deutsche Nordpol-Expedition beliefen sich auf 120.000 Thaler, die unserer Vorexpedition von 1871 auf 10.000 Gulden, und die der österreichisch-ungarischen Nordpol-Expedition auf 220.000 Gulden.