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Mama kam mit Kopfschmerzen an – sie vertrug das Dröhnen des Flugmotors nicht.
Sie haßte das Fliegen! Aber Eisenbahnfahren war so langwierig und gefährlich.
Mona mußte allein zu Papa.
»Vous êtes bien faché, Papa?«
Herr Hauff, zwischen seinen Telephonen, aufgerichtet wie ein Junger und schön mit den traurigen Augen, dem unbewegten Gesicht, war nie zornig. 208
Er küßte Mona auf die Stirn, und da sie keine Zärtlichkeit von ihm gewöhnt war, schien dieser Kuß unendlich viel.
»Du hast dich in diesen Wochen freilich mehr gehen lassen, als deine Eltern ihr ganzes Leben lang . . .« Hätte er das mit Vorwurf oder Pathos gesprochen! Dann war es Stichwort auf alles, was sie zu sagen hatte:
Daß sie den einen, für den sie sich kompromittiert hatte, – nicht aus Fahrigkeit, sondern mit Freude und herrlichem Bewußtsein, – nicht lassen würde! Aber das Wort war lächelnd gebracht worden, Papa kam nicht darauf zurück.
Er freute sich, daß Mona ihn noch erreicht hatte, – sein Schiff ging in zwei Tagen, morgen schon verließ er Paris.
Mama und Mona sollten ruhig ihre Einkäufe machen, sich von Beatrice spazierenfahren lassen, in den Louvre gehn.
»Paris ist immer ein Gewinn!«
»Und dann?«
»Dann sind eure Plätze nach Rio gebucht. In vierzehn Tagen von Marseille, auf einem neuen, unglaublich schnellen Schiff. Ein ganz neuer Typ!«
»Glauben Sie denn, Papa, ich werde . . .?«
»Haben wir nicht eine Abmachung? Sechs Monate Ueberlegung.«
»Und wenn diese sechs Monate herum sind, Papa? 209
Man wird keine Schwierigkeiten machen, meinen Bräutigam herzlich aufnehmen?«
»Hat Laporta das nicht ausgerichtet?«
»Ich hatte trotzdem noch Zweifel, mein Bräutigam hatte Zweifel.«
»Das war unschön von ihm.«
Er fragte mit keinem Wort nach Blux.
Aber als er Mona nach einer Stunde entließ, gab er ihr eine Mappe, einen Akt, etwas Geheftetes und Geschäftliches in die Hand.
»Lies das durch, wenn es dich interessiert, mein Kind. Ich weiß nicht, ob du alles glauben mußt, was da steht. Aber schau dir's an.«
»Ich werde über Blux nichts glauben als Lobeshymnen.«
»Das dachte ich mir.«
Mona versteckte das Bündel, wollte keinen Blick hinein tun.
»Mein Freund!« betete sie in die strenge Nacht hinaus.
Aber es war, als käme kein Echo, sie fühlte nicht, daß irgendwo auf Erden Blux in dieselbe Nacht sprach »Meine Freundin!«
»Nie wird man dir eine Zeile von mir geben!« hatte er gefürchtet, gedroht.
Aber nun hielt sie täglich seine Briefe in der Hand, dies heiße, wilde Stottern in einer ihm fremden Sprache. Ungeöffnet hatte sie jeden bekommen, 210 niemand kontrollierte, ob sie etwas, was sie zur Antwort gab.
Wie sollte sie nun berichten?
»Mein Vater war sehr gütig zu mir . . . Mama ist ganz beruhigt, aber ich fürchte, es ist meine Schuld, daß ihre Neuralgie . . .«
Es gab so wenig zu erzählen!
»Beatrice hatte nie gegen dich gesprochen, das weiß ich jetzt. Es tut mir weh, daß ich ihr Unrecht getan hab . . .«
In halber Nacht war sie über ein Gitter geklettert, in eine dunkle, nasse Vorortstraße hinein, hungrig und arm, mit zerrissenen Kleidern. Sie wollte zu ihm und ließ alles hinter sich, alles Warme, alle Sicherheit.
Was war dann nur geschehen? Nichts, wirklich nichts war geschehen? Ein erschrockener, fremder Mann hatte sie empfangen, der nicht begriff, was sie erwartet hatte.
Ein Telegramm von Mama – darin war mehr Feuer und Erfüllung als in all seinen Küssen.
Dann hatte Blux sie den Eltern wieder zugeführt, wie es seine Pflicht war, wie jeder Ehrenmann gehandelt hätte.
Was wußte sie mehr von ihm? Was gab es noch zu wissen? Seit dem Erwachen in Dresden hatte sie fast vergessen, wie blau seine Augen waren.
In Dresden war sie aufgewacht, ein Fremder saß an ihrem Bett, respektvoll, herzlich, der sie mit 211 einem Handkuß vernichtete. Nur daß sie's damals noch nicht wissen konnte.
War es untreu, diese Papiere doch zu lesen, die Papa ihr gegeben?
Vielleicht drängte sie sich näher an Blux, wenn sie es tat, zurück zu ihm. Wenn seine Feinde ihn schalten, würde sie vielleicht wieder fühlen, daß sie zu ihm gehörte!
Eine Stunde später hatte Mona zu Ende gelesen und brauchte nicht um Verzeihung zu bitten.
Feinde sprachen ja nicht aus diesen gehefteten, mit Schreibmaschine und Kühle getippten Zeilen, denen eine Uebersetzung ins Französische jedesmal beilag. Feinde schien Blux nicht zu haben. Der Vater seiner verlassenen Gattin äußerte, eher wohlwollend als gleichgültig, er hätte über den Charakter dieses jungen Herrn nichts Abfälliges zu sagen.
Ursula selbst stand ihm, nach Laportas Begriff, mit wärmstem Interesse gegenüber.
Er war ihr Geld schuldig, viele tausend Mark, behauptete ein Rechtsanwalt in Bremen.
Das hatte er doch auch erzählt? Nur hatten sie es später beide vergessen.
Ein Mädchen hatte sich aus seinem Fenster gestürzt, während sie in seinem Arm nachts auf dem Nil fuhr. Das wußte sie, sie sah ihn wieder, grün im Gesicht. Nur klang es heute anders, so gedruckt und übersetzt. 212
Einem Fremden hatte er diktiert:
»Bébé Strehlicke, vor langer Zeit eine meiner Geliebten.«
Während er auf sie wartete, hatte er eine andere Frau in seiner Wohnung beherbergt . . .
»Du wirst andere küssen – du darfst es.«
Aber zur gleichen Stunde irrte sie hungrig, in zerrissenen Strümpfen, müde zum Umbrechen, durch diese deutsche Villenstraße.
»Ich werde nichts glauben als Lobeshymnen!«
Aber da war ein Brief, in dem er sich von der Ehe mit ihr Vorteile für die Zukunft, für seinen Sohn versprach – so kalt, so diebisch gefühllos.
Ein Brief, in dem er Papa fast bedrohte: »Seien Sie überzeugt, daß es auch für die Macht Ihres Geldes Grenzen gibt!«
Wieder das Geld, hier als Freund, da als Feind . . .
Während eine andere Frau ihm half, eine Nacht lang die Qual des Wartens zu tragen, hatte er daran gedacht!
Nackt und arm war sie zu ihm gekommen – er hatte sie, ein Ehrenmann, den Eltern wieder zugeführt!
Mona weinte nicht.
Mona fürchtete nur, ihr Denken würde plötzlich kein Denken mehr sein, sie würde sich so schämen müssen, daß alles zerbrach. 213
Diese Nächte auf See, auf dem schwarzen Nil, waren das unkeusche Träume gewesen?
»Ich komme zurück, Mama, wie ich gegangen bin!«
Sie mußte ihr Gesicht verstecken, wenn sie dachte, daß es wirklich so war.
Sie schrieb ein Billett, kein Mensch dürfe sie stören. Schloß ihre Türen ab, löschte das Licht, legte sich nieder.
Es sollte nichts wahr sein von allem, was sie gelesen – sie hatte ihm versprochen, nichts zu glauben.
Seine eigene Schrift, sein eigenes Wort sollte nicht gegen ihn zeugen dürfen, denn sie wußte nicht, an wen es gerichtet war. Nur was er ihr schrieb, sollte gelten!
»Wenn ich dich liebe, hat man zu schweigen!« – das galt auch für ihren eigenen Kopf, den ungeschulten.
Aber hätte ein Liebender, ein wie sie in Liebe Verrannter, an ihrem Bett gesessen wie er in Dresden? Wenn er kalt war, ein Dreißigjähriger mit kalten Sinnen, den nur der Zauber einer Mondscheinfahrt fortreißen konnte, über die eigenen Grenzen hinaus, – dann freilich klang alles echt, was sie eben gelesen.
Nicht ihr Verstand, der zu schweigen hatte, ihr Herz entschied so, gegen ihr Wollen, ihr Hoffen.
Am Morgen, nur um sich freizumachen, schrieb 214 sie einen Brief, den sie nicht abschicken, noch lange nicht abschicken wollte.
»Mein Vater hat mir Auskünfte über dein Leben und deine Vergangenheit gegeben, die es mir zur Pflicht machen, mit dir zu brechen.«
Tagelang in ihrer Hotelzelle schaute sie diesen Brief an und las dann, was er ihr schrieb, telegraphierte; zerriß den Brief und schrieb ihn wieder.
Es kamen Telegramme, die sie nicht öffnen konnte.
Das Telephon gellte in ihr Bett hinein – sie hatte Kopfschmerzen oder sagte »Mlle. Hauff ist nicht zuhause.«
Einmal schrie er von Berlin nach Paris wie ein Verzweifelter:
»Hör mich einmal an! Es gibt etwas, das du nicht wissen solltest – jetzt will ich's dir sagen! In der Nacht, eh du kamst –«
Da warf Mona den Hörer von sich und schlug auf den Kontakt.
Wollte sie denn mehr wissen, wußte sie nicht zu viel von ihm, von allen Männern zu viel?
Sie ließ den Apparat aus ihrem Zimmer nehmen. Das einzige, was sie noch fürchtete, war seine warme, gefährliche Stimme.
Sollte sie in den Brief schreiben, daß sie die Erinnerung an ihn weiter lieben würde?
Nein! Sie würde es tun, wenn sie mußte. Aber ihn ging das nichts an.
Er hatte ihr einmal gesagt, von jeder Reise, die er 215 gemacht, bliebe die Sehnsucht, sie noch einmal zu machen. Nie hatte er sich sattgesehn; und ähnlich ginge es ihm mit den Frauen.
Dieser Brief würde ihn nicht zerschlagen. Nun wurde sie wie eins dieser Länder und Mädchen.
Konnte sie, konnte irgendeine Frau mehr für ihn werden?
Sie wußte ja so viel von ihm – er rauchte Haschisch oder trank Alkohol, wenn sein Herz bedrängt war, reiste ins Polarland oder über den Aequator, wenn er sich innerlich befreien wollte. Ihn trug das Abenteuer, das sie plötzlich haßte.
Sie hatte nicht einmal Tränen, die anderen Frauen helfen. Es tat ja nichts weh. Dies bißchen Totsein, das über ihr Bett strich, würde vorübergehn.
»Du hast dich sehr verändert, meine kleine Gamine« sagte Mama, als Mona sie endlich wieder besuchte.
Der Spiegel gab ihr recht. Mona fand sich sehr verändert.
Auf dies Zeugnis des Spiegels hin ging ihr Brief an Blux ab, während sie und Mama Paris verließen, sich nach Rio einschifften.
Sie war eine andere, die nichts versprochen hatte.
Ende