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Dittelhei hatte zu Anfang der Reise übertrieben schwarz gesehn – viel mehr als zwei Paare mit Joker waren auf dieser »Neptun«-Reise zusammengekommen. 168
Jetzt, im Suez-Kanal und wenige Tage vor dem letzten Wegstück verließ nicht mehr eine Schar Touristen den »Neptun«, sondern feste, ausgerichtete, auskristallisierte Gruppen bewegten sich in guter Ordnung über die Gangway in alle Richtungen der Windrose. Viele Wochen lang hatten sie zusammen gelebt, gewetteifert, geklatscht wie eine Schar ferienfroher Schulkinder am Strand. Jetzt kamen alte und neue Bindungen – bald ein europäischer Hafen, in dem die Luft kälter wehte, als man sie zusammen geatmet hatte.
Ilona, die arme, war geheilt, um neu verwundet in die Heimat gereist zu werden.
»In ein paar Wochen Stille ist die ganze Geschichte vergessen.«
Sie aber schwur, diesmal würde die Luftveränderung nutzlos sein. Es gab nur einen Mullah!
Mona und Blux fuhren den Nil entlang, flogen durch Kairo, ließen sich vom herrlichsten Zug immer weiter der Wüste zutragen.
Sie waren allein, trotz Fräulein Laporta, trotz aller »Neptun«-Umgebung. Keiner sah nach ihnen, man grüßte sie kaum mehr, nur daß Brebis ein Page geworden, der stolz den Liebenden diente.
Trafen sie Mlle. Laporta, dann sah das alte Fräulein in verbrannte Gesichter, leuchtende Augen, und machte ganz beglückt und wissend:
»Tiens, tiens, tiens« . . .«
Sie legte ihre Ordre, die beiden ungeschoren zu 169 lassen, so aus, daß sie als Brautleute anerkannt wurden.
»Vielleicht ist es mein Verdienst!« dachte sie.
»Wir waren in den Gräbern der Könige, Mademoiselle!«
Sie hatten sich in den Gräbern geküßt wie unter den Pyramiden und zwischen den Herrlichkeiten des ägyptischen Museums.
»Und Sie, liebes Fräulein?«
»O, man hat gefrühstückt, man hat Kaffee getrunken, man hat Ansichtskarten geschrieben . . .«
Wieder ging's auf mageren Eseln in die Wüste hinein, in die Welt der Gräber, die voll Gegenwart war.
Die da als Mumien in riesigen Sarkophagen ruhten, die mit zarten Armen und schmalen Vogelhäuptern leuchtend in Stein gemalt waren, Königinnen und Dienerinnen, Könige und Krieger, hatten geliebt, immer geliebt! Ihre Brautfeiern, nicht ihre Feldzüge, gehörten der Ewigkeit, wie Shah Jehans Liebe zur »Zierde des Palastes« ewig blieb, während sein Reich längst schon zerfallen.
Was hatten sie auf dieser Reise gesehn? Die Lingam-Tempel Indiens, die nur von Liebe wußten, Lingam-Symbole vor jedem Haus, Hochzeitsbräuche ägyptischer Könige, die vor Jahrtausenden geliebt hatten. Dazu die Katakomben Siziliens, in denen die Reihen ausgetrockneter Toter standen, die Türme 170 des Schweigens in Bombay, wo die Leichen der Parsen den Geiern zufielen, Scheiterhaufen und Gräber der Könige!
Das war die Welt: Liebe und Tod. Sonst gab es nichts, nichts, nichts . . .
Nur daß die Stunden hetzten, die Tage zu kurz waren, um vor dem Tod alles Liebe zu sagen.
Man saß abends im hellen Saal, hörte Musik, hörte Mlle. Laporta dürftig-tröpfelig ihre Beobachtungen machen. Man war ermüdet, trennte sich . . .
Eine halbe Stunde später, am Nil, ein schweigendes Boot! Auf dem Boden Matten und Polster gebreitet, Bub und Mädel, – so umschlungen!
Die Ruderer störten nicht, ihr metallisches Rufen, ihre glühenden Augen. Die waren Bronze, edler Bronze-Schmuck zu Füßen und Häuptern des schwimmenden Lagers.
Sterne oben, viele, viel hellere Sterne, als je ihrem Leben geleuchtet hatten, breit und unermeßlich die Masse des Stromes; an den Ufern pumpten Mühlen, knarrend Tag wie Nacht, Wasser über die Felder hin, sang ein Fellache, riefen sich Nachtvögel zu.
Da stießen, schwarz in schwarz, Luft und Wasser zusammen, ein dunkles Zelt mit schweren Falten, die immer fester schlossen.
Darin schliefen sie, Arm in Arm, als wollten sie ihre Träume tauschen, schliefen beim Singen der 171 Ruder und hörten in den Schlaf, wie silberne Tropfen ins Wasser perlten.
Noch drei, noch zwei, noch ein solcher Tag!
»Was wird dann, Mona? Was tun wir dann?«
»Wir lieben uns.«
Auf dem »Neptun« wurde es kälter von Stunde zu Stunde. Man kannte die Frauen nicht wieder, die im Roten Meer transparent waren, wenn sie ins Licht gerieten, denen die Sonne Röckchen und Bluse nur als Schatten gelassen hatte. Aus den Tropen-Boys waren City-Gentlemen geworden.
Aus Europa her drohten Arbeit und alte Sorgen, Briefe lagen in jedem Hafen gestapelt, längst hielt Lindpeitner seinen Epilog dieser Fahrt gedruckt in Händen, Blux seine Island-Graphik und das ägyptische Straßenleben.
Mona erfuhr, daß sie im Hafen von Genua erwartet wurde. Ihre einzige Freundin Beatrice mit Mutter, Schwester, Lancia-Wagen . . .
Beatrice mitten im Semester in Genua? Sie studierte in Paris. Das Seltsamste aber: Monas Mutter war in Deutschland, in einem Bad bei Dresden! Der Aerzte wegen?
Seltsame Post bekam auch Blux: eine ganz verwandelte, ruhige, zärtliche Ursula schrieb ihm Glückwünsche zu seiner Verlobung, Nachrichten über Peterl, in ihrer bizarren, fast männlichen Schrift, aber voll System und Güte. 172 Zärtlichkeiten und Drohungen waren in dieser Schrift, wie oft!, zu ihm gekommen. Dies war Ursels erster Brief, der ängstigen konnte.
Dann stand etwas Schreckliches in den Zeitungen, eine kurze Notiz, die ihm ein paarmal zugeschickt wurde: Bébé Strehlicke!
Sie hatte sich, die »sechsundzwanzigjährige, berufslose Bertha Strehlicke« von seinem Dachgarten in die Tiefe gestürzt. – – –
»Ist es arg, was man dir schreibt?«
Er war so mitleiderregend grün.
Bébé . . . Wie hätte dies Schicksal enden sollen? Als Jüngste, halbwüchsig und so frisch, begabt, frech, war sie in die große Lampe geschwirrt, eine der lustigsten Motten, die schicksalbestimmteste! Sie hatte die guten Jahre vertrödelt und verbuhlt, hatte vielen Freude gemacht, sich selbst nicht ernster genommen, als die vielen sie nahmen.
Mußte es nicht früh herbsteln in diesem Leben, das nur auf Frühling gestellt war? So war es gekommen. Seine Freundschaft, in Erinnerung an Entzückendes, hatte sie nur halb verstanden.
»Eine treu-feuchte Männerhand bebt in allem Schönen, was du sagst . . . Außerdem hast du einen Dachgarten über deinem Atelier, von dem man schön runterfallen kann, wenn man beschwipst ist.«
Das war's, mehr hätte sie von ihm nicht angenommen. Wie sie sich Eingang in seine Wohnung 173 verschafft hatte, erfuhr Blux nicht. Der Gedanke quälte, daß sie noch einmal in seinem Atelier gestanden, unfehlbar an ihn gedacht, ehe sie die letzten Stufen ging – diese Stiege zum Dach hinauf –. Und das Bild der Zerschmetterten, die im maurischen Hof unten lag, um dessen stillose Scheußlichkeit sie ihn oft verhöhnt hatte –.
So war die Heimfahrt, kalte Nebel schlugen sich von Europa her über das blaue Mittelmeer.
»Blux! Wir sind so jung, gesund und reich!«
»Jetzt trennt man uns!«
»Uns kann man nicht trennen!«
»Und wenn sie dich auslachen, weil du mir gehören willst? Wenn sie dir an den Fingern alles vorzählen, was ich nicht bin, nicht gelte, nicht habe?«
»Meine Antwort ist: ich liebe ihn!«
Niemand, außer den Reporter-Freunden, grüßte die beiden. Mona jubelte darüber.
»Ich hab mich ganz unmöglich gemacht! Das ist gut, das ist wunderbar!«
Die Gräfin sogar konnte es nicht mehr erlauben, daß Ilona neben Mona gesehen wurde.
»Schaun's, liberr Freind, sowoß gäht äben nicht.«
»Ich weiß, was das heißt, Blux! Ach, wie kompromittiert ich bin! Daran sieht man, daß ich nur dich . . .«
»Bleiben wir gleich in Italien!« drängte Blux. »Warum erst hinauf in all die Kämpfe! Du lehnst jeden Rat und jede Hilfe von deinem Vater ab. 174 Nur so bleiben wir beisammen. Die da oben sind stärker!«
Mona mußte ihre Mutter sehn – sonst nichts. Dann würde sie kommen, wie er es verlangte, ohne Segen, ohne Sou.
Längst schon, ehe sie Blux kannte, war die Erwartung einer sozialen Katastrophe seltsam oft in ihr aufgetaucht; unerklärlich, wieso, woher.
»Wenn ich mich eines Tages auf dem Stroh fände?«
Das war ihr Lieblingsproblem, ihr Tagtraum schon als Kind.
Der Reichtum ihres Vaters hing um sie, aber es war ihr nie so bewußt geworden, daß Palast und Autos zu ihrem eigensten Begriff von sich selbst nicht gehörten. Oh, gar nicht! Im Grunde ihres Wesens war sie ein armes Mädchen, tapfer und lebenshungrig.
»Vier Sprachen! Ich könnte auch Schulreiterin werden! Ich kann Hüte garnieren!«
Das hatte sie sich hundertmal vorgerechnet.
»Wir werden uns durchschlagen, Blux – so ist das wahre Leben! Ich will kein Hemd mehr tragen, das du nicht gekauft hast! Vom Hemd bis zum Mantel soll alles von dir sein . . .«
Sie ging mit ihm, fromm und willig, in seine Kabine, lag neben ihm, wie schon auf dem schwarzen Nil unter schwarzem Himmel.
»Du hast mich die Liebe so gelehrt, daß ich nie 175 erschrocken bin! Du warst ein sanfter, kluger Lehrer!« Aber dann bat sie:
»Etwas laß mir, das ich dir noch zu schenken habe! Laß mich ein bißchen Mädchen sein, bis ich deine Frau bin.«
Sie trug den indischen Anzug aus weißer Seide, den sie selbst zärtlich wusch, ihr Festkleid nannte.
»Ich bin nicht ungehorsam, Blux. Befiehl es nicht! Ich würde gehorchen, aber traurig sein.«
Er litt und verlangte sie. Aber so unentbehrlich schien sie für sein Leben geworden, daß er nichts von Entsetzen in diesen Augen finden wollte.
»Kannst du mich lieben und dursten lassen?«
»Wird man nicht sagen, du hättest mich gestohlen? Nur das will ich nicht, daß man dir etwas vorwerfen kann! Ich will meiner Mutter sagen, daß ich zu dir will, nicht, daß du mich genommen hast.«
In Blux wuchs ein bürgerlicher Stolz auf diesen Besitz, der unantastbar schien.
Mann zu Mann konnte er dem alten Hauff entgegengehn:
»Nein, mein Herr, ich bin kein Mädchendieb! Uns liegt nichts, nichts an Ihren Milreis und der Zukunft, die Ihr Haus gibt. Ihre Tochter gehört mir viel mehr, als wenn sie ein Kind von mir trüge und zu mir stehen müßte.«
In Neapel suchten sie ihr künftiges Heim; am Posilippo hinauf, in schiefen, wackligen, alten Häusern, die in Gärten voll reifer Trauben lagen. 176 Arme Wohnungen, schmale Kamine, bröcklige Wände schauten das Palastmädchen an und seinen windgezausten Kameraden.
»Ein Nest!« rief Mona jedesmal. »Ein süßes Vogelnest!«
Sie hielt die Hände ans bröcklige Portal:
»Hier kommt ein Schild: Mme. Blux, Sprachlehrerin.«
Ihr Pelz, ihr Hut, ihr Kleid hatten mehr gekostet, als eine professeuse en langues in Jahren verdient. Sie hatte an Bord eine Perle verloren, die ein Haus wie dieses wert war.
»Und wie du arbeiten wirst, mein Freund! Neu, von unten herauf neu bauen. Wir wissen, was dir noch fehlt. Bin ich nicht viel zu häßlich für die Frau eines Künstlers?«
Er fand sie täglich reizvoller, geheimnisvoller als alle Frauen, die sich je zu ihm bekannt. Arm in Arm und stolz kamen sie auf das Schiff zurück, auf dem sie geächtet waren.
Die letzte Nacht, der letzte Tag!
Sie fühlten sich einander so sicher, jedem Angriff gewachsen!
»Wenn man sich widersetzt, Blux – ich will tapfer und ehrlich sein. Bei Nacht und Nebel lauf ich davon, zu dir! Dann hab ich meine Pflicht getan und darf dir gehören.« – – – – – – – – – – – – – – – –
Beatrice stand am Kai, dunkelblond und zitternd 177 erregt, mit klugen, schnellen Augen, die das Geheime rasch erkennen wollten. Sie war so zierlich und slawisch-blond, in ihrem graublauen Pelz vornehm und behütet, so lüstern auf Heimlichkeiten.
Ihre Zofe stand neben ihr, eine etwas kleinere, etwas mehr beherrschte Dame.
Beatrice wußte nur, daß sie Mona in Empfang nehmen sollte, ihrer Mutter zuführen, bis dahin nicht loslassen.
»Es geht dir gut, kleine Gamine?« rief sie zur Reling hinauf, während der helle, gewaltige »Neptun« sich weich an die Mauer schmiegte.
Da stand ja das Geheimnis dieser Reise, herzhaft und braun gebrannt, neben Mona! So neben ihr, daß die schnellen, klugen Augen gar nichts zu jagen hatten.
Die Gangway hinauf eilte Beatrice, Mona ihr entgegen. Sie fielen sich um den Hals, gaben sich viele Mädchenküsse.
Dann stellte Mona eilig vor: »Mein Freund! Meine Freundin!«
Aber gleich kam noch eine zweite Umarmung, und rasch, als dürfte auch nicht der letzte Zweifel geduldet werden, flüsterten sie sich zu:
»Ist er nicht schön?«
»Oh, er ist charmant!«
»Sieht er nicht lieb aus?«
»Er ist coeur!«
Sie saßen zu dritt im Tee-Salon, die Zofe am 178 Nebentisch, ganz zusammen in einer herrlich klaren Situation.
»Spricht er nicht gut französisch, Beatrice? Das hat er von mir erst richtig gelernt! Ich werde Lehrerin in Neapel! Französisch, Englisch, Portugiesisch. Bald auch Deutsch!«
»Comme tu es étonnante!«
»So hat Blux mich gemacht. Ist sie nicht reizend, Blux? Ist es nicht zu gewagt, daß ich eine so reizende Freundin hab? Müßtest du dich nicht in sie verlieben?«
»Wir haben ein Schlafzimmer zusammen, Mona, wie in Lausanne. Du mußt die ganze Nacht erzählen – wir werden kein Auge zutun.«
»Drei Nächte lang hab ich dir zu erzählen! Dann fang ich erst an.«
Sie küßten sich wieder und schmeckten im voraus das Süße all dieser Geständnisse, die Chronik vieler Liebesstunden, schönstes Geben und Nehmen, das im Erzählen liegt.
»Und meine Mama?«
»Sie erwartet dich in Deutschland, wir fahren zusammen hin.«
»Wir fahren alle nach Deutschland, Blux! Und Papa?«
»In Paris, er will dich nur sehn, dann rasch zurück nach Rio.«
»Siehst du Blux, wie recht ich doch gehabt hab! Sie wissen schon alles!« 179
Nur kein Geheimnis! Nur immer sich zu ihm bekennen!
Beatrice und Mona fuhren davon. Ihre jungen, glücklichen Gesichter grüßten aus dem Wagen, Beatrice, schon am Volant, winkte, und hinreißend war die Herzlichkeit dieses eben noch fremden aristokratischen Mädchens. Mona preßte an ihren weichen, vertrauten Mund die Fingerspitzen, ihm zu.
War das Abschied? Verschwand sie da in ihrer Welt? Schlug, während der Motor anpuffte, ein Tor vor seinen greifenden Händen zu?
Von Beatrices Mutter wurde Blux noch nicht empfangen – so sehr die Baronin sich gefreut hätte, ihn kennen zu lernen.
»Du mußt charmant sein, hat sie gesagt«, rief Mona durchs Telephon. »Sie freut sich so auf dich!«
Aber wenn man einmal in Genua ist, wo alle Welt sich trifft, hat man eben zu nichts Zeit.
»Wann seh ich dich?«
»Aber sofort, Blux, wo du willst . . .«
»Excusez, Monsieur Blux« – wurde unterbrochen. Es war Beatrice.
»Sie haben Mona zwölf Wochen lang gehabt, Tag für Tag! Wir sollen sie nicht einen Tag lang haben? Heute gehört sie uns! Das nehmen Sie nicht übel?« 180
Man zähmt wilde Elefanten, indem man sie vereinzelt in Herden von zahmen Elefanten drängt. Es geht dann unglaublich rasch.
Das Hotel, in dem Blux nicht wohnen durfte, – darin hatte selbst Mona eingestimmt, mit Gründen, die triftig waren, – lag wie eine Burg hoch über Genua. Man kann als einzelner Mann Burgen nicht stürmen, nicht belagern, höchstens belauern.
Diese Menschen waren nie zu Haus, ihre Fähigkeit, Besuche zu machen, zu dinieren, Auto zu fahren, schien unerschöpflich. Selten glückte es, Mona ans Telephon zu bekommen, nie, in drei Tagen, sie zu sehn.
Er gab zu: diese Nordenskjölds, Mutter, Beatrice, Mafalda, waren eine Hilfsmacht, mit der Mona es besser nicht verdarb, viel stärker als Laportas. Auch er durfte es nicht mit ihnen verderben, denn Mona liebte diese Menschen!
Steinkopf, Mullah und Lindpeitner fuhren zusammen ab, grämlich ihren Geschäften entgegen. Ganz vorsichtig hatte sich Mullah von Ilona getrennt – nur keine Staatsaktion! Die Gräfin hielt ihn noch immer warm, obwohl er seine Mission, das Kind, das arme, auf andere Gedanken zu bringen, vielleicht zu gründlich ausgeführt hatte.
Er war doch ein »toktvollähr Mensch«.
Allein sein, in einem Gasthof ohne Reiz, zu Füßen einer Burg, die das Schönste auf Erden bewacht . . . 181 dabei reißen jedem die Nerven. Alles Gräßliche, das entstehen könnte, wird groß, Gespenster werden leibhaftig. Flüchtige Zettel, die Mona ein paarmal am Tag durch Hotel-Boys schickte, waren keine Gesellschaft.
Wenn er Französisch las – das war eher Gesellschaft. Das war ihre Sprache, und was schön klang, klang, als hätte sie es gesagt.
Anatole France schien ihm von Mona zu erzählen, oder sprach Mona Anatole France? Es war lächerlich, wie ihre Stimme plötzlich aus der »révolte des anges« kam, und daß er aus lauter französisch geträumten Träumen morgens erwachte. Drei Tage, nur von Warten erfüllt, sind ewig. Blux war nicht der feurig Liebende, der in Genua an Land gegangen, sondern ein ganz vergrämter, verhetzter, zanksüchtiger, als er hörte: keine Baronin Nordenskjöld, weder Tochter noch Schutzbefohlene, war mehr in Genua! Abgereist – eine fremde Stimme männlichen Geschlechts hatte keinen Anspruch auf das »Wohin?«. Hotels haben diskret zu sein.
»Abgereist, Signor!«
Mona ohne Abschied fortgereist, das war undenkbar! Da sie aber wirklich fort war, – alle Stichproben bewiesen es – war ihr Abschiedsgruß unterdrückt worden! »Unterdrückt« – warum so höflich? Unterschlagen! Natürlich, unterschlagen – 182 oder einfach verboten, durch irgendeine dumpfe brutale Drohung verhindert.
Das war Krieg!
Was Blux in den ersten Stunden nach dieser Erkenntnis tat, war ihm später nur halb bewußt. Ein Brief voll irrsinniger Drohungen war an Herrn Hauff gegangen, drohend, größenwahnsinnig. Ein anderer, unkontrolliert dumm, an Beatrice.
»Glauben Sie nicht, daß Mona glücklicher ist, wenn sie mit mir hungert, als im Reichtum ihres Vaters?«
Es war ihm, als stünde die Menschheit Spalier vor Mona, mit Spießen bewehrt, alle Gesichter zornig gegen ihn. In diese Front eine Bresche zu legen, schrieb er den dümmsten seiner Briefe an Frau Ingwer.
»Ihr unbeirrbares Gefühl für Gerechtigkeit, gnädige Frau, macht Sie zu meiner Verbündeten. Sparen Sie nicht mit Worten, selbst mit Listen! Wenn Sie Herrn Sörissen-Gorissen und Ursel klarmachen, was es für die Zukunft bedeuten kann, für Peterchen bedeutet, ob ich ein Vagabund oder Hauffs Schwiegersohn bin, werden sie mir das Zeugnis nicht verweigern, das ich verdiene.«
Mona war reich, unmeßbar reich – das galt ihm als eine Eigenschaft wie Geist, Schönheit, Güte. Nicht der Besitz: das Sorgenfremdsein der Reichgeborenen ist groß, das Selbstverständliche darin, 183 das Unberührtsein von Niedrigkeiten, von so viel Schmach, die sich anderen eingebrannt hat, ehe man denken lernte.
Eine armgeborene Mona hätte ihren Glanz, ihre Heiterkeit nicht gehabt und nichts davon zu geben. Aber das Berauschende an diesem Reichtum war, daß sie ihn fortwerfen wollte, um sein Leben zu teilen. Das war ihre ungeheure Mitgift, deren Zinsen man nie verbrauchen konnte!
Aber das durften die in Bremen nicht wissen, konnten sie nicht verstehn!
Es schien ihm, er müsse geschmeidig und durchtrieben sein wie je ein Heiratsspekulant.
Gerade die mußte er hinters Licht führen, die seiner Zukunft wohlwollten! . . .
Frau Ingwer las seinen Brief – und dachte an ihre kleine Wally im Sanatorium, die Blux verschmäht und vergessen hatte; die Kranke, die nichts von ihm gewollt als eine glückliche Stunde.
»Bin ich ungerecht?« fragte sie sich. »Darf einer so durchs Leben spielen, an den Schicksalen vorbei, über die Schicksale fort?«
Ein vergessenes Mädchen verzeiht, denn es will nicht mit dem Geliebten das Glück opfern, geliebt zu haben.
Die Mutter einer Verschmähten ist unerbittlich. Keine Tortur scheint ihrem Herzen zu streng für einen, der so verwundet hat. Das wußte sie – dieser Haß durfte ihre Schritte nicht leiten. 184
Aber ein anderes Kind, eine andere Mutter nach Kräften zu schützen, war das nicht Pflicht?
Blux fuhr tiefer in den grauen, grausamen Norden hinein. Wenn Mona ihn suchte, mußte er zu Hause sein.
Es gab Historien, die er ihr eingeprägt hatte, während sie sich fröstelnd auf dem letzten Stück Fahrt umschlungen hielten.
Lassalle und Helene von Dönniges, Robert Schumann und Clara Wieck – ach, durch die Geschichte, durch Märchen und Lied ging ja die Spur von Königskindern, die nicht zueinander durften.
In München saßen alte Freunde beisammen, die von dem Abenteuer schon gehört hatten, skeptisch lächelten, weil Blux schon jetzt die Beute entrissen war.
Das war nicht das Schlimme, sie kannten Mona nicht.
Erschütternd aber, daß er sich in ihrem Kreis im Wirtshaus, unter ihren Mädchen und Fachgesprächen, plötzlich beruhigt fühlte.
Ihm schauderte vor dem Warten, das jetzt kam, – im Atelier oben, das der Herbst berannte, unter Lauern auf einen Brief, ein Telephon, eine Meldung vom Kriegsschauplatz.
Dort würden die Stunden hinschleichen, Tag und Nacht ein graues Gewirr. 185