Balder Olden
Flucht vor Ursula
Balder Olden

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Fünftes Kapitel

Vierzehn Tage Freiheit, der Peterl versorgt, der Papa hinters Licht geführt, daß es langt, der Blux pünktlich auf der Bahn – jetzt ging's in den Süden.

Erst heiterer Himmel, dann leise bewölkt, bald schwere Niederschläge.

Schweigen war unhöflich, Lesen tut kein Gentleman, wenn er mit einer Dame – Landschaft, ja. Aber da waren immer Mädchengesichter, Frauenzimmer, alte Scharteken, Blux hatte keinen Geschmack.

»Wenn eine hübsch is, sag ich eh nix. Aber alt und schiech bin ich selber.«

Zeichnen, natürlich – nicht drei Tage konnte er sich einmal ihr widmen. Ob der »Ewige Jude« eingeht, wenn Blux sich einmal drei Tage lang um Ursel kümmert?

Später kamen Gewitter und wolkenbruchartige Entladungen, wie's in jeder Ehe vorkommt. Man war fünf Jahre verheiratet, da fällt auch manchmal ein härteres Wort.

Wenn Blux erzählte – erzählen sollte er ja –, kamen immer alte Scharteken vor. In New York 63 ging's noch, aber Island war der reinste Puschiwara. Urschel glaubte grad, daß er mit all denen nichts angefangen hatte! Geniert haben wird er sich!

Uebrigens hatte sie Veronal bei sich; wie sich später herausstellen sollte, auch Morphium in Ampullen. In Spalato muß diese Passion ihr Ende finden! Er kann dann grade noch seinen Dampfer fangen. Eine Vergnügungsreise war's längst nicht mehr – aber seit Ursel zu Veronal und Morphium einen Revolver aufgetrieben hatte, war's ein Kreuzgang zu zweien.

Sie bewachte ihr Selbstmord-Arsenal, packte es in immer andere Koffer oder trug alles im Täschchen. Es glückte nie, dies Zeughaus ins Wasser zu werfen, so viel Dinge er ins Wasser warf, in denen er es vermutete. Ein Necessaire, die Plaidrolle – einmal warf die empörte Ursel sein Skizzenbuch nach.

Zwischen Fiume und Zara hatte sie sich wie eine, wie – nicht wie eine Dame benommen.

Eine Dame springt nicht bei Tisch auf, unter Gläsergeklirr, stürmt nicht von der Antipasta weg aufs Verdeck, so daß ihr Gatte, blutrot vor Scham, allein die schmierigen Spaghetti zügeln muß, von dreißig Augen angestarrt.

Eine Dame? – die sich zwei Stunden lang, unter funkelnden Sternen auf der Kommandobrücke vom Kapitän trösten läßt, während ihr Mann 64 relingauf, relingab tobt, auf einem Dampfer von kaum 1500 Tonnen, mit kaum anderthalb Dutzend Passagieren!

So verkroch er sich mit einer Flasche in seine Kabine, zuckte aber vor jedem Schritt, der draußen oder über ihm ging.

Als Ursel endlich hereinkam, standen seine Augen wie an Stielen. Sie war entzückt.

»Herrgott, hast du eine Wut, Blux! Und so eifersüchtig! Du, der Kapitän sagt, der Wind gefällt ihm nicht. Ich glaub fei auch, heut Nacht gibt's was.«

In Zara wollte er, eine Stunde nur, Briefe schreiben und lesen, eine einzige Stunde Privatleben haben. Die erste seit sieben Tagen.

Sie setzte sich neben ihn an den Schreibtisch, mit ganz empörten, grauen Augen, trommelte Fingerübungen aufs harte Holz. »Schreib nur ruhig, Bluxie.«

»Dann geh vom Schreibtisch weg!«

»Bin ich mitgefahrn, damit du deiner Annie und deiner Wally und Gottweißwem Liebesepisteln schreibst, außerdem der Bébé Strehlicke und . . .«

»Du läßt mich jetzt zwei Stunden allein, Ursel! Bitte!«

»Gut,« sagte sie und ging hinaus. Unter der Tür noch höhnisch:

»Leb wohl.« 65

Zehn Minuten später knallt ein Schuß, auf und nieder rasen Menschen durchs Hotel, niemand weiß, wo der Schuß gefallen ist.

Auf und nieder raste Blux durchs Hotel, brach in fremde Zimmer ein, zu nackten, blonden Schmerbäuchen, zu Pyjama-Damen, aufs Dach, in alle Klosetts, in den Garten. Diesmal – hat's das Unglück gegeben . . .

Bis Ursel ihm aus dem Weinberg heraus um den Hals fiel.

»Auf Spatzen geschossen, weißt –«

Sie mußte ihn stützen, er war fast ohnmächtig. Sie schleppte ihn zu einer Bank, rief dem Hotelpersonal, das jetzt als schwarze Masse herandrängte, zu:

»Nix is, Leuteln! Niente Selbstmordio!«

Und küßte ihrem Geliebten die Angst von der Stirn.

»Viel Birkenwasser! Fetthaltiges Birkenwasser! Und scharf bürsten, weißt! Deine Haar werden dünn.«

Seit Wochen sprach sie von Kugel, Morphium, Veronal. Er brauchte Zeit, sich zu erholen. Dann stöhnte er:

»Weißt du, dich sollte man . . . dich werd ich . . .«

»Hör doch schon auf. Wo so oft Revolution in Dalmatien ist, und du hast's Eiserne Kreuz. Gleich so anstelln, weil's irgendwo knallt?«

»Komm rauf!« 66

Dann zwei Tage Honigmonat.

»Also nur, daß du deinen Willen hast, Bluxie! Schau her!«

Ueber die Reling flog die Schachtel mit Morphium-Ampullen, das Paket Veronal, der Browning mit viel Munition, rein in die Adria.

»In acht Tagen fährst du nach Afrika und Indien und Ceylon. Aber ich – antun werd ich mir nichts, nie! Dazu hab ich dich viel zu lieb.«

Sie gingen Arm in Arm, schliefen Ohr an Ohr, ihr liebes Haar kitzelte in seine Augen. Er schlief trotzdem, tief und lang. Beim Aufwachen kniete dies Mädchen Ursula neben ihm, in blauen Pyjamahosen mit weißen Manschetten, die eng um ihre Knöchel schlossen, die Jacke offen, die kleinen Hügel ihrer Brüste goldbraun im Licht.

Sie schwang einen Fliegenwedel über ihn hin, er wußte, daß sie seit Stunden so kniete.

»Du, ich weiß alles voraus. Der feine Dampfer mit all den reichen, schönen Mädchen – Bajaderen in Indien, die ganze Herrlichkeit beisammen von Indien – und stinkig viel Geld! Und du schaust so gut aus und bist so jung.

Gelt, Bluxi, du glaubst nicht, ich wär eifersüchtig? Noch zwei Tag hab ich dich . . .«

Als es wieder Nacht wurde, wieder Haar an Haar auf einem Kissen.

»Lieb bist du geworden, Ursel! So entzückend kannst nur du sein.« 67

»Was wird aus uns zwei? Ich weiß es nicht. Geh noch so weit fort, geh nach Australien auch noch, mit wem du willst. Nur komm einmal zu mir zurück.«

Er gab nur Küsse zur Antwort.

»Ist das nichts, Blux, daß eine sitzt und sitzt und an dich denkt? Ein Leben hat man nur, meins hast du.«

So schliefen sie ein – Adria plätscherte gegen das Boot – und träumten.

Wachten auf, sahen einander in braune Gesichter, in die Augen, in denen jeder sein Bild fand.

»Schön bin ich jetzt, Blux!«

Sie lachte ihrem Augenbild zu, küßte in die Luft, wurde streng, bös, hielt einen längst ersäuften Revolver an die Schläfe, verzieh sich und lachte wieder.

»Für die andern nicht. Vor'm Spiegel nicht. Schön bin ich nur in deinen Augen.«

Sie tranken im Bett Kaffee und zu Schaum geschlagene heiße Milch aus einer großen Tasse, küßten sich die Krumen ganz feiner Blätterteig-Kipfel vom Mund, lagen wieder zusammen und schauten sich an.

»Es muß möglich sein, Ursel! Ich bin zu dumm, ich bin kindisch. Nehm alles ernst, freß Wut in mich hinein – aber es muß doch möglich sein, mit dir . . .! Du hast ja alles, du bist lieb und leicht, du bist dankbar für Küsse und Strafen. 68 Du bist doch – unter allen! – die geliebte, die graziöse!«

Und jetzt riß es an Ursel, zuckte in den Fingerspitzen, quälte ihre Zunge und mißhandelte sie . . . Daß er alles vergessen hatte!

Beim Pranzo fing's an.

»Komisch, daß ich vom Tassilo geträumt hab, heut Nacht! Weißt, nur so dummes Zeug – bald war er da, bald du – wo ich den Menschen doch kaum kenn!«

In Spalato ging's weiter, im Palast des Diocletian, wo aus Jahrhunderten die Leidenschaft, der Haß, der Tod von Menschen sich bewahrt und gesammelt hat wie in einem riesigen Akkumulator. Wo Arbeits-Spatzen unserer Tage sich Nester gebaut haben in den Horst des Riesenvogels, dreitausend da nisten, wo er ganz allein gewesen –. Wo immer die Glocke klang, Jahrhunderte durch, über Werben, Sterben, Zeugen, Morden ihr »Schicksal, Schicksal, Schicksal« sagte.

Wie leicht, hier groß zu sein!

Notwendig, hier zu verstehn und alles zu belächeln . . .

Aber vor dem Goldenen Tor erst, dann vor dem Mausoleum des ewig enttäuschten, ewig geschlagenen Siegers kam:

»Das war doch der Tassilo!«

Wo jemand mit dem Kodak geknipst hatte, war's der Tassilo. Wo jemand – immer er! 69

»Ich weiß selbst nicht, was ich hab, Blux!«

Da war ein Platz in Spalato, schön gepflastert, um einen Renaissance-Bau herum, nicht größer als eine Bühne. Kleine Häuser standen wie Soffiten, weither schwirrte Musik, weither klang ein Kirchenchor, vom Hafen schrie ein Dampfer. Alle Fenster waren offen in diesen unwahrscheinlich kleinen, engen Häusern, alle strahlten Licht aus.

Dort saßen zwei Alte am Eßtisch, friedlich, nagten aus den Fingern ein Huhn ab, dort saßen zwei Junge auf einem Balkon, hielten Hand in Hand und hatten sich lieb. Ein Mädchen im Nachthemd kämmte sein schwarzes Haar, flocht Zöpfe, spiegelte sich. Ein einsamer Bursche holte die Okkarina, saß am Fenster und spielte leise vor sich hin die große Sehnsucht.

»Hübsch ist die schon, Blux, schön mollert!«

»Was? . . .«

»Ach, du meinst, ich seh gar nix. Daß du mit der Loreley da drüben, ich hab dich nicht stören wollen, recht hast du, aber jetzt wird's doch ein bissl viel, weißt. Ich sag nur kein Wort, aber –«

Sie warf eine frisch angesteckte Zigarette in sein volles Glas.

Sie mußten gehn, beide prall voll Zorn. Um eine Kathedrale ging's herum – beide stumm. Sie kamen in das Gewirr uralter Gäßchen, in dem man sich nie zurechtfand. 70

Ursel wartete auf die große Explosion ihres Herzens, mit der sie diesen Abend enden wollte.

Diesmal war sie im Recht! Diesmal sollte er um Verzeihung bitten!

Aber ihm war längst zumut, als trüge er eine wütende Angora im Nacken. Die ließ nicht los. kratzte blutige Striemen, schnurrte dann wieder und rieb sich leise. Aber ewig blieb sie festgekrallt.

Jetzt spürte er wieder die sinnlos tiefe Wut, die ihn vor zwei Jahren in die Welt hinausgejagt hatte, – auf eine ganz programmlose, phantastische Reise als segelnder, wandernder Handwerksbursch. Sie war sein Sprungbrett gewesen, diese Reise, – unbekannt war er abgefahren, mit einem Namen zurückgekommen.

Aber Wut und Gram steckten noch heimlich in ihm, tief vergraben, immer noch bereit, immer wieder.

»Tassilo!«

»Vielleicht bin ich doch nicht im Recht?« dachte Ursel. »Gefuxt hab ich ihn schon die letzten Tage. Aber er ist so lieb, wenn er eine Wut hat.«

»Was gibt es auf Erden, was ganz und unwiderbringlich Schluß macht? Ich muß tot für sie sein, ausradiert, nie gewesen. Sie soll mich so hassen, daß sie nie wiederkommt!«

Er rannte, immer durch dies Gäßchengeknäuel. so eng oft, daß Ursel zurückbleiben mußte. Das winkelte sich, bildete spitze Ecken, – dann kam 71 wieder ein Platz, dann wieder Labyrinth. Ueberall klang Musik. Vom Hafen brüllte der Dampfer. »Ich will's nicht mehr tun . . . Ich bin eine boshafte Gans. Zeichnen wird er wohl noch dürfen, was er mag, es gibt halt viele Mädeln auf der Welt, man kann nicht allen den Hals umdrehn, Bauchweh hab ich, zum Anschaun sind sie da . . . Gleich sag ich's ihm, daß ich eine boshafte Gans bin.«

Plötzlich blieb Blux stehn, zeigte auf einen Mann, der klimpernd unter einem beleuchteten Fenster stand, darin eine Frau lehnte. Blux stöhnte, heiser vor Hysterie:

»Tassilo?«

Und raste weiter.

»Träumen wird man wohl noch dürfen? Ich hab halt geträumt. Das verbietet er auch? . . . Der ist ja – verrückt!«

»Aber ich hab's ja gar nicht geträumt, ich Kuh, ich Gans, ich verlogene! Trietzen hab ich ihn woll'n. Aber jetzt sag ich's ihm, daß mir's . . . Dann haut er seine Uhr an die Wand, vielleicht nur ein Glas, und knirscht mit die Zähn – und dann . . .«

Er war nicht mehr vor ihr. Hier kreuzten sich zwei Gäßchen – hinter einer Tür konnte er stehn. aber auch weitergelaufen sein, rechts oder links. Weg war er, weg. ganz . . .!

»Blux! Bluxie!« 72

Sie schrie seinen Namen, stand bleich da, die Knie eng zusammengepreßt, beide Hände vorm Bauch.

»Blux! Blu–hu–huxx!«

Keine Antwort als ein Echo, und ihre Beine so steif, ihre Kehle zugepreßt.

»Ich brüll einfach los, mir is alles eins.«

Aber es ging nicht, kein Ton kam. Was war jetzt? Ohnmächtig werden? – Aber das sieht er ja gar nicht, wenn sie ohnmächtig wird, er hat ja nicht Spaß gemacht. Genau so war's wie damals, wo er für anderthalb Jahr verschwunden ist.

Nein, diesmal nicht! Wenn sie nachher, im Hotel, auf den Knien rutscht und ihm die Hände küßt – aber ganz still, ganz ohne Geschrei, dann dauerts nicht wieder so lang. Oder sie stellt sich nur hin und druckst so, als ob – da sitzt er auf. Schon aus Neugier, er will wissen, was man druckst.

Natürlich, jetzt läuft er nach Haus, ins Hotel – wie heißt's? Aber sie findet's schon! Von dem Café, wo wir waren, geht's rechts rein, nach dahinten, dann links, dann wieder so.

Aber jetzt sitzt er erst irgendwo und trinkt alles in sich hinein.

So ein dummer Idiot! Wut fressen und Whisky drauf, den er gar nicht verträgt, – das kann er! Statt daß er einen Zorn kriegt und einem eine runterhaut, eine eheliche Watschen oder zwei. Dann wär schon lang alles gut, aber sie findet ihn schon in seinem Versteck, sie setzt sich neben ihn und 73 sagt kein Wort, sie gießt ihm selbst noch tüchtig ein und läßt ihn reden – all die wahnsinnigen Sachen, die er jetzt sagen wird, die übertriebenen. Er wird nur flüstern und keuchen, schreckliche Sachen. Aber das macht nichts – danach schläft sie doch bei ihm. Du hast mich ja vergiftet, wird er sagen. Du willst ja, daß ich mich umbring. Dummes Geschwätz, Bauchweh hat sie, das frische Obst, seine Bosheit.

Sie läuft und findet gar nichts, kein Wirtshaus, in dem er sitzen könnte, den großen Platz nicht, das Café nicht –. Sie sitzt auf einem Stein und heult in die Hände –. Sie fragt Leute, die kein Wort Deutsch verstehn:

»Ham's keinen Herrn g'sehn, ganz ohne Hut und so aufgeregt?«

Spät nachts findet sie das Hotel, steht im leeren Zimmer, das kalt und ohne Trost ist.

Da liegt sein Schlafanzug, sein Gilette-Apparat, sein Zeichenkram.

»Verfluchtes Geschmierdel! Talent hat er doch keins und faul auch noch!«

Liegt irgendwo ein Wort versteckt?

Unterm Kopfkissen, in einer Lade, zwischen der Wäsche?

»Liebe Ursel, ich bin zu bös, ich kann dich heut nicht mehr ertragen. Mach dir keine Angst um mich und schlaf . . . gut . . .« Gut dreimal unterstrichen! 74

Sie sucht in allen Taschen, Kleider und Hemden fliegen auf den Boden, Papiere, Strümpfe, Bücher, Zeichnungen.

Kein Wort.

Blux war weg!

Ob er auf's Schiff ist? Imstand wär er's . . .

Sie ist eine vernünftige, klare Person, sie kriegt manchmal einen berechtigten Zorn und plärrt und sagt, was los ist. Aber er – er hat doch keinen Verstand, wenn's ihn packt.

Ob das Schiff weg ist?

Die Treppen hinunter, den Hausdiener geweckt.

»Heit nochts kein Schiff, heit nochts kein Zug, Milostiva.«

»Ja, aber mein Mann?«

Der verschlafene Kerl weiß nichts, das sind ja keine Menschen in diesem Land, das sind ja Wilde.

Wieder im Zimmer!

Sein großer Koffer ging direkt nach Neapel, auf den Luxus-Dampfer. Den Paß hat er bei sich, den Kreditbrief auch. Er kann weg sein . . . Aber in Neapel erwischt sie ihn!

Sie fängt an, zu packen, all das Herumgestreute aufzusammeln, in ihren Schrankkoffer, in seinen Suitcase. Nichts wird aufgehängt, alles aufeinander gestopft, die Schuh in frische Wäsche gewickelt, damit nichts an die schmutzige kommt. Bis das Zimmer kahl ist. Nur ein paar Gepäckstücke und Ursel sind drin. 75

Jetzt kräht's draußen, wird's blaugrün am Himmel. Gott, wenn schon Tag wär!

Also Neapel?

Aber ausgeschlossen, daß er weg ist! Ohne Zahnbürstel, Pebeco, ohne Adieu, ohne Gilette und Rasierpinsel.

Wenn sie sich jetzt mit einer rostigen Gilette-Klinge die Adern aufreißt, hat er's. Aber sie drückt nur seinen Rasierpinsel ans Herz.

Folglich hat er woanders übernachtet – das wär nicht das erstemal. In seine Wut hineingetrunken – so ist's recht! Dann ins nächste Bett – wahrscheinlich schläft er jetzt grad ein. Jetzt ist's vier Uhr – er schläft bis eins. Mindestens! Vielleicht wacht er schon um zwölf Uhr auf, weil er Zahnweh hat, aber nicht arg.

Dann kommt er an – dann wird sie's ihm geben! Für diese Nacht soll er büßen!

Schön dumm wär sie, wenn sie jetzt nach Neapel fährt. mit dem Morgendampfer hier wegfährt. Jetzt. wo sie so eine Wut auf ihn hat, daß sie ihn zerreißen könnt!

Jetzt wird geschlafen! Wenn er dann ankommt, verkatert und vertrottelt, dann kriegt er's!

Grad putzt sie sich die Zähne nicht, denkt nicht an Waschen! Mit allen Kleidern ins Bett, giften soll er sich, recht geschieht's ihm.

Und wundern soll er sich, wie fest sie schläft, wenn er kommt! – – – 76

Aber beim Einschlafen fällt ihr ein:

»Wenn er sich nun umgebracht hat?«

In diesem Zustand macht er alles, gemein wie er ist, brutal! Und verrückt außerdem –. Normal ist der mindestens nicht.

Sie hat's ihm vielleicht suggeriert? Vierzehn Tage lang – in München, Venedig, Triest, Fiume – immer von Morphium und Revolver gesprochen. »Wenn du mir's wegnimmst, spring ich einfach ins Wasser, da bei der Schrauben.«

»Ich Gans! Ich Rindvieh von einer Gans!

Ich hab's ihm doch direkt beigebracht, daß er sich umbringt!«

Hierbleiben, bis man die Leiche findet, – oder nach Neapel, bevor er abfährt?

Aber er kommt morgen mittag.

Also jetzt? fragt sie sich: warum bringt ein Mensch sich um, der eine liebe Frau hat, ein Kind wie den Peterl? Dem alles zuwächst, was auf dem Erdboden gut schmeckt? Die Aepfel und die Mädeln, Erfolg hat er auch, Wein kann er trinken, soviel er mag, – alles, und jeder gönnt's ihm. Geld hat er grad jetzt, und wenn nicht – gehungert hat er nie.

Wir daheim hab'n gehungert in der Inflation! Beinah wenigstens. Aber er hat da drüben in Brasilien Langusten gefressen!

Und jetzt, als Gast von gottweißwas für einer Reederei und auf dem feinsten Dampfer der Welt, 77 nach Indien oder Afrika! Bringt man sich da um, wenn man ein Dezi Verstand im Kopf hat? Also nein – so dumm ist er nicht.

Sie spricht laut, im Bett, durchs Fenster in den blaßblauen Morgen hinein.

»Ausgeschlossen hast du dich umgebracht, Blux, ich denk gar nicht dran!«

Ursel schläft ein, trotz Kummer und Bauchweh – alle gesunden Menschen schlafen ein, das Messer an der Kehle, in Todesangst, beim Kinderkriegen – – –

 


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