Balder Olden
Flucht vor Ursula
Balder Olden

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Sechstes Kapitel

Ein klein bißchen Veronal hatte sich Ursel zurückbehalten, nicht zum Umbringen, aber zum Schlafen genug. Zwei Tabletten nahm sie beim Aufwachen, frühstückte viel und aufgeregt, nahm noch zwei Tabletten . . .

In den schwersten Schlaf hinein, las sie aus verschwollenen Augen:

»bin gesund stop wiedersehn in frühestens drei jahren stop grüße blux.«

Sie schlief weiter, aß spät abends tüchtig im Bett, trank Wein, schlief weiter. Das Hotelpersonal machte sich keine Sorgen um eine Dame, die zwar angekleidet ihr Bett nicht verließ, aber so gründlich auf ihr Menu bedacht war. 78

»Gelt, Herr Ober, ganz braun das Schweinszüngerl! Und keine pommes frittes, woher denn! Salzkartoffeln, ganz junge, in Butter. Viel, wissen's, Tomatensalat auch.«

Am nächsten Morgen fror Ursel von Alleinsein – die Wirklichkeit ging ihr auf.

»Ancona, il . . .«

Die Ziffern waren nicht zu enträtseln. Aber er hatte ja mindestens einen Vorsprung von zwei Tagen, sie erreichte ihn nicht.

»Wiedersehn in drei Jahren.«

Wenn ein anderer das sagt, lacht man. Aber Blux hat es schon einmal auf anderthalb Jahre gebracht. Er brauchte sie und Deutschland nicht, schlug sich mit seinem Bleistift durch alle Weltteile, fand überall gedeckte Tische, Frauen, Genossen.

Jetzt kam die Reue und die Wirklichkeit.

All das gutmachen, all das sinnlose, boshafte Penzen, Triezen, Fuchsen.

Warum hat sie ihm diese acht Tage lang alles zu Leid getan?

Warum nur gleich? Sie weiß keinen Grund.

Gutmachen!

Sie wäscht und kämmt sich, scheuert ihre Zähne.

»Ondulieren wär recht!«

Nur jetzt alles tun, wie er's mag!

Sie wickelt die Schuh aus ihrem schönsten Nachthemd, zieht's an, weil er Pyjamas im Bett nicht 79 mag. Natürlich gehört sich das für eine Frau nur bei Tag. Wenigstens im Bett darf sie keine Hosen anhaben.

Das naßgeheulte Kissen wird nach unten gelegt, das trockene drüber, die Decke glattgezogen.

Der Kellner kommt mit dem Speisezettel.

»Irgendwas.«

Sie rührt nichts mehr an, schwemmt Suppe und Gemüse durch den Ausguß. Nur die Mehlspeis'! Obst auch! Außerdem ist der Ausguß wieder verstopft!

So wenig Obst? Das ist alles?

Aber dieser sinnlose Schmerz bleibt.

Allein. Ganz allein!

Niemand hört, niemand spricht. Alles fällt ihr ein, was sie ihm zu sagen hat, wo der Kofferschlüssel ist, wo die Schlüssel zu ihrem Wesen! Wie man sie behandeln soll, damit sie gut ist! Daß ihre Eltern schuld sind an allem, die hätten nicht heiraten dürfen.

Der ganze Tassilo existiert nur aus Liebe zu Blux. Wenn er das nicht spannt, soll er glauben, was er mag –. Aber es ist ja so selbstverständlich, das alles, . . . wenn's Hörner hätt, tät's ihn stoßen. Am Abend geht's nicht mehr – sprechen muß sie.

In der Kirche ist Weihrauch, und große Lichtpatzen kommen von den Altarkerzen in fast blindgeheulte 80 Augen. Als Kind im bayrischen Kloster, da war's schön!

Ein Beichtstuhl wird frei, sie wirft sich auf die Knie, betet runter, schlägt das Kreuz.

»Ich fleh Sie an, Hochwürden, sprechen Sie Deutsch?«

»Bisserl Deitsch.«

»Ach, Hochwürden, die schwerste Sünd, die sag ich gleich an.«

Gelogen, gelogen!

Sie hat ihren Mann belogen, ihr ganzes Leben ist aufgebaut auf einer einzigen Lüge, noch dazu einer dummen.

»Sinde grosse, Sinde grosse.«

Gutmachen kann sie's nicht – er ist fort! Und glauben tät er's doch nicht, jetzt nicht mehr, wenn sie die Wahrheit sagt.

Büßen, ja, sich vor Gott demütigen? Auch vor ihm? Natürlich, sie hat ja selbst gesagt, daß er sie durchhaun soll. Stillgehalten fei auch.

»Aber weg ist er doch, Hochwürden, bis ins Afrika!«

Es kommt immer eine Stunde, die Wahrheit zu sagen?

»Glauben Sie's ganz und wirklich, Hochwürden?« Sie spricht und spricht, wiederholt sich, verbessert sich – der Priester verliert die Geduld nicht.

Ihr schmales Haupt, das strenggescheitelte, schwarzhaarige, zu ihm gehoben, angewinkelt die dünnen 81 Arme, der Mund immer bewegt, – wer vom Kirchenschiff einen Blick in den Kreuzgang wirft, muß an eine Amsel denken, die nicht mehr fliegen kann.

Sie wird für die Armen opfern, alles, grad daß sie noch dritter Klasse heimfahren kann. Rosenkränze beten, freilich – alles. Aber was kann sie tun, daß er zurückkommt?

In Tugend leben, beten, ihr Kind in Gottes Wort erziehen . . . Ja schon, ja schon.

Aber telegraphieren? Was kann sie telegraphieren? Auf den großen Asiendampfern gibts doch eine drahtlose Station, Hochwürden?

Das gehört zwar ins Reisebüro, nicht in den Beichtstuhl. Aber in seinem mühsam gezimmerten Deutsch tröstet sie der Beichtvater – nicht nur mit Buße und Absolution, auch mit praktischen Argumenten.

Zurückkommen muß der Gatte, er wird Frau und Kind nicht verhungern lassen.

»'s Geld hab ja ich, Hochwürden« weint sie, und ihr Schluchzen unterbricht die Beichte. Wenn sie ganz arm wär, müßte er also zurückkommen? Was kann sie tun, um arm zu werden? Der Papa wird's nicht erlauben.

Dann erzählt sie lang, wie sie ihn weitergequält hat, alles haarklein. Der Schuß auf die Spatzen, der Tassilo-Traum, den sie nie im Leben geträumt hat, ihre Eifersucht, über die sie nicht Herr wird. 82

»Wenn er nur eine Wachspuppen in einer Auslage anschaut, reißt's mich, Hochwürden!«

Wie lang diese Ehe-Zerrüttung schon dauert?

»Seit der Hochzeit, bittschön, Hochwürden. Aber eigentlich schon länger, halt seit wir uns kennen.«

Ob sie ihre Fehler immer gebeichtet hat?

»Aber Hochwürden, zehn Jahr war ich in keiner Kirchen!«

»Sinde grosse, Sinde grosse.«

»Gott, war der lieb,« denkt Ursel, als sie sich ausgesprochen und ausgeweint hat. »Ganz jung, nach der Stimme. So achtundzwanzig vielleicht, höchstens siebenundzwanzig. So wenn der Blux wär!«

Vor der Kirche ist Abend – drin war Ewigkeit – mit elektrischen Lampen und ferner Musik, einer Dampferpfeife, die vom Hafen her schreit wie jeden Abend.

Jetzt wieder allein . . .

Aber morgen früh geht sie zu einem anderen beichten! Sie beichtet anders herum, erst die Bosheit, dann ihr ewiges Spielen mit Vernichtung des eigenen Lebens, zuletzt die Lügerei.

Morgen beichtet sie so, daß es noch viel, viel länger dauert!

Bis dahin fällt ihr schon noch mehr ein, was sie begangen hat.

 

In Ancona machte ein Dampfer zur Fahrt nach Spalato klar. Blux, der in dieser Nacht nicht 83 geschlafen hatte, schlenderte am Kai hin, ohne Gepäck, müd und schmutzig, ein Vagabund.

Er saß auf einer Steinbank, hörte aus dem Schornstein dröhnend den Ruf:

»Ur–suu–la . . .«

Man schlug drüben ein Gong, Autos fuhren vor, Reisende trappelten die Gangway hinauf, Koffer wurden geschleppt, während die Lastkräne langsam zur Ruhe kamen.

»Schließlich hab ich noch sechsunddreißig Stunden . . .«

Ein übermüdetes Hirn arbeitet seltsam falsch. Es erkennt Erfahrungen nicht an, es negiert Absolutes, negiert sich selbst.

Drüben, über diesem Streifen Adria, stand Ursula und weinte.

Halbausgesprochenes lag wie dieser Streifen Adria zwischen ihr und ihm.

Bis ins Blut hatte sie ihn gekränkt, Tag um Tag! Er warf die Schultern, die jetzt von einer Last befreit waren, schüttelte sie.

Während das letzte Gong schlug, zum letztenmal in schwarzem Ruß und wüstem Heulen der Dampfer seine Abfahrt meldete, stand er auf, seine Reise fortzusetzen.

Während gelbbraune Matrosenhände die Gangway packten, um sie einzuziehn, an Ketten und Trossen geklirrt wurde, das ganze Schiff in Erregung zitterte, weil es die Fahrt begann, – hat 84 Blux an seinem ausgepumpten Hirn vorbei den Entschluß gefaßt.

Wenn er das Schiff noch erreicht, ohne zu winken, ohne zu rennen, fährt er zurück.

Während Ursel mit Schuhen und Kleidern im Bett lag, veronalmüd, mit ausgelaugten Augen, strich ums Hotel ein Herr, den der Portier nicht erkannte, weil er nicht mehr wie ein Herr aussah. Bartstoppeln, Schmutz und schmutzige Wäsche entstellten ihn.

Hinaufgehn? Klopfklopf an die Tür, ihre grauen Augen mit grünen Lichtern in sein Gesicht springen lassen?

»Wie ein Vagabund schaust aus!«

Oder:

»Ich hab wahrhaftigingott gemeint, der Tassilo!« War Blux von Ancona nach Spalato gefahren, um sich rasieren zu lassen, Wäsche zu kaufen, ein Bad zu nehmen?

Um auf dem italienischen Konsulat ein neues Visum zu erstehn?

Blank und gebügelt umkreiste er noch einmal das Hotel, in dem Ursula jetzt eben – brechenden Herzens – mit dem Kellner Menu machte.

»Pommes frittes, ah woher denn . . . Salzkartoffeln zum Schweinszüngerl!«

Fetzen und Scherben gab's vielleicht, wenn er jetzt hinaufging. Tränen vielleicht wie Bäche, Küsse, ein Schauer, die neue Passion. 85

Wie auf den Spuren einer Toten ging Blux ins Gewinkel der Altstadt hinein, glaubte hier, glaubte dort – Ursula! Er ging auf den Bahnhof – ihr kleiner Hut war nicht unter allen Hüten, ihr Toque mit dem grauen Band.

Ursula war klein und schmal, aber ihr Gang fiel überall auf. Ihre Kniee flogen so befiedert – durch diese Schar von Reisenden ging sie nicht.

Blux stand an einem Telephon, nachdem er ohne sie gegessen hatte –. Aber er rief nicht an.

Ob sie im Hafen stand, am Quai, den Dampfer nach Ancona erwartete? Blux hatte es plötzlich eilig. Er stieß auf die Quaistraße vor, da war der Weg gesperrt, das Pflaster aufgerissen.

Ein Umweg von fünf Minuten – zu Fuß schneller gemacht als zu Wagen. Aber er sprang in eine polternde Kutsche, rasch, rasch!

Am Quai hin ging keine mit ihren Schritten. Am Dampfer stand keine mit ihren Augen. Ueber die Reling hing ihrer schmalen Kinderarme keiner. Nun dunkelte es, der Dampfer machte sich segelfertig, eine Kabine für Blux war frei! Ueber einem Paket deutscher Zeitschriften, im lieben Stampfen der Maschine, schlief er ein. Und so vergingen die letzten Tage, die ihm gehörten: er rief aus Ancona an, während Ursel im Beichtstuhl kniete, dichtete Telgrammformulare voll mit herben und kalten Abschiedsworten, die er zerriß, – er stand da, wo die Dampfer aus Spalato anlegen, 86 und suchte sie. Er raufte mit ihr, häufte aus allem, was ihr vorzuwerfen war, in seinem Herzen einen Scheiterhaufen, auf dem er immer wieder ihr Bild verbrannte. Er dichtete ein Testament zu Peters Gunsten, in dem er nichts zu vermachen hatte als Warnungen vor dem gefährlichen Gift im Blut seiner Eltern –. Er weinte auch, das komische, trockene Weinen, das Männer dilettantisch versuchen, wenn sie an herrlich schluchzende, sich ganz befreiende Frauen denken.

Zuletzt kam's auf Stunden und Lira-Stücke an – alle Reserven erschöpft.

Es war gerade noch möglich, einen Flugplatz zu bezahlen, wenn er das Schiff – nicht in Genua, aber in Palermo – am letzten Zipfel fangen wollte.

Ein böiger Tag, gottlob, der fliegende Wagen nicht ganz besetzt. Wie die Propeller knatterten, Maschinengewehre, die ganze Gefühlsreihen niederwerfen! Dann hob sich der Vogel, wehende Tücher oben und unten, eine Wolkenbank, in die's hineinging, Zigaretten und ein knurrender Magen.

 


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