Balder Olden
Flucht vor Ursula
Balder Olden

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Siebentes Kapitel

Nur vier Ehrengäste hat der Luxusdampfer »Neptun« für seine Vergnügungsfahrt eingeladen; die anderen Passagiere sind Millionäre oder tun so – was an Bord dasselbe ist –. 87 Jedenfalls haben sie in Hunderten von Pfunden gezahlt, selbst für eine Innenkabine zu zweit.

Blux hat eine Außenkabine über dem Gefrierraum, zweibettig, er hätte Urschel mitnehmen können. Blux ist arriviert, er gilt der Hapag vielmehr als ein Millionär, der seine Kabine zahlt.

Nebenan, sein bunt gekacheltes Badezimmer, blitzt von Nickel und leuchtet von gewärmtem Frottétuch, von vielen Spiegeln. Glühlampen, ein Dutzend, Milchscheiben in den Fenstern – Fenstern!, nicht Ochsenaugen. Das wär was für Ursel, sowas mag sie.

»Am Land pfeif ich drauf, aber auf dem Aequator will ich mein heißes Bad gleich im Bett haben. Und naus auf's Häusel gehn – das tät mir passen.«

Diese Kabine in polierter Birke, mit Bett und Chaiselongue, mit so anständigen Kupferstichen an den Wänden, hat auch einen Schreibtisch mit vielen Fächern.

Backbord! Immer auf dieser Fahrt wird sie nach Norden liegen. Schön kühl im Roten Meer sogar und so beleuchtet, wie's ein Maler braucht. Blux schaut sich in diesem großen, hellen Raum um, nachdem er so winzige Kabinen mit Ursel geteilt hat. Ewig geht weiter in seinem Hirn das Anklagen, Kämpfen und Rechtfertigen.

Sein Schrankkoffer ist da, er klappt ihn auf. Er breitet Skizzenbücher und Zeichenfedern, breitet 88 Pebeco, Gilette, Colgate, Crêmes, Gesichtsessig, Kölnisches . . . All der Platz gehört ihm allein! Bücher kann er hier aufstellen, einen Arbeitstisch aufbauen mit allem Handwerkzeug.

Hier ist nichts zu fürchten, niemand wird schießen, niemand wird eifersüchtig auf Sonne und Meer sein, niemand mit Veronal drohen. Niemand wird sich Hirn und Zunge zerfasern, um ihm einen Schock zu geben . . .

Ewig weiter rast der ekle Monolog.

Jetzt ist er durch Istrien und Dalmatien gereist, wo prachtvolle Menschen mit Zackennasen und gelbbraunem Fell auf der Kruppe von Eseln reiten; junge Damen in Plissés und blonden Strümpfen daneben, als seien Jahrhunderte durcheinander gewürfelt. Felsnasen imitieren die Gesichter der Eselreiter – und kein Blättchen ist von all dem abgefallen! Ein Skizzenbuch im Golf von Fiume, eins, wohl längst zerfetzt, im Hotel in Spalato zurückgeblieben, aber in beiden waren ja nur Krackel und Ansätze.

Blux will keinesfalls fleißig sein. Er hat kein Programm: Morgens Körper-Andacht à la Müller, Porridge mit Milch, Arbeit und nach Tisch eine Stunde heiterer Geselligkeit. Er will faul sein, wie er's zeitlebens gewesen, selbst in Rio oder Buenos Aires, wo er ohne Centavo an Land ging und unter »Land« ein Hotelzimmer mit eigenem Bad verstand. 89

Aber wenn er eine Skizze zeichnet, was trotz aller prinzipiellen Faulheit dreimal am Tag passiert, wenn er von drei Skizzen eine erträglich findet, fixiert, signiert, dann bleibt was! Er zerreißt selbst genug, braucht keine Hilfs-Zerreißerin!

Blux jagt nicht auf weißes Fleisch, will nicht die Skalps gefallener Unschulde oder Untreuen an seinem Gürtel sammeln, hat auf keinem Gebiet menschlicher Ambition Rekord-Pläne. Am wenigsten denkt er daran, um jeden Preis Landschaft zu bewundern, Landschaften in Afrika, Sizilien oder Asien erhaben zu finden. Nicht einmal alles sehn will er, was seinen Augen jetzt vorgeworfen wird, – wenn er grad beim Poker drei Zehner in der Hand hält, wird er die Straße von Messina durchfahren, ohne hinauszuschaun. Auf der einen Seite Messina, auf der anderen Reggio – er weiß das, goldener Ueberfluß der Welt, und es wird auch ohne ihn gehn.

Aber wenn er sehen will, will er sehen dürfen! Wenn er drei Zehner in die Hand bekommt, will er gegen drei Buben verlieren dürfen!

Wenn eine Frau in der Landschaft steht, will er sie mit hineinknipsen dürfen!

In Blux ist keine Regung von Liebe für Ursel. Ursel ist erledigt für alle Zeit.

Noch während der letzten Reise war Zielpunkt trotz allem das Wiedersehen mit ihr! 90

Leitmotiv der letzten Heimfahrt: wie ist diese Ursel, die ich zur La Plata-Mündung, zum Cap Pernambuco, durch die Antillen nach New York und immer weiter in meinem treulosen Herzen getragen hab?

Ich hab mich beschimpft wegen Bébé und all der Großstadt-Motten, die ich gern gehabt hab. Ich hab mir die Freiheit mißgönnt, weil Ursula zurückblieb. Mein Herz hab ich gefressen, als sie mich betrogen hatte, und war doch nur bös, weil sie mir keine freundliche Lüge geschenkt hat! Jetzt aber: ausradiert und fortgewischt!

Wenn Peter groß ist, wird er mich hassen; wenn ich tot bin, verstehn.

Ich will nicht reich werden, will in keine Kunstgeschichte; ich will weder als Toggenburg noch als Abälard auf die Nachwelt; alt will ich auch nicht werden.

Was ich will, weiß ich ganz genau: mein Leben so einrichten, daß es zuletzt ein bescheidener Genuß war. Ein riesiges Ziel, das wenige erreicht haben! Dem muß radikal geopfert werden.

Selbst die Erinnerung an Ursel macht Jahre zur Qual. Ich vergesse sie von dieser Stunde an.

Ueber Bord mit dir, holdes Unglück – – – – – – – – – – – – – –

Der Lindpeitner war natürlich an Bord, wie sich's für ein solches Schiff gehört, in seinen Ziehharmonikahosen, mit dem grundguten Alraunengesicht. 91 Er saß in einem klappbaren Schreibtischstuhl eigener Erfindung und schrieb, schrieb. Er schrieb schon »Suez-Kanal«, Feuilleton Nr. 3, während der »Neptun« noch die blauen Wasser zwischen Capri und Ischia schnitt.

Wer irgendwo bei Lindpeitner sitzt, ist zu Hause.

Er weiß alles von jedem, weiß, wer wen mit wem betrogen hat, denkt immer an die andern und spielt nur als Schilderer mit. Wenn es ihn nicht gäbe, müßte Lindpeitner erfunden werden, – für die Zeitungen und für seine Freunde.

»Natürlich haben Sie keinen Cent in der Tasche, Blux! Aber das macht nichts. Wir dichten zusammen was Illustriertes, und ich honoriere einfach gleich hier. Allerdings – ich stehe bei Aegypten. Können Sie ägyptische Straßen-Szenen auf Vorschuß zeichnen?«

»Na, Blux, biste ooch da?« brummt's wie aus einem Keller. Das ist Steinkopf, dem die Hapag Gelegenheit gibt, mit blauen Greisenaugen die Welt zu schaun.

Steinkopf kommt in der Literatur vor Rilke und George, man kann's nicht fassen, daß er noch lebt, Berliner ist und aus dem Kellerloch spricht. Seine Verse, die Deutschland in fünfzig Jahren erst begreifen wird, sind nur verkäuflich, wenn sie auf Bütten gedruckt und eigenhändig signiert sind. Er dichtet für Bibliophile, sieht Goethe und Gerhard Hauptmann ähnlich trotz des Zwickers an schwarzer 92 Notleine, ist silberweiß und rosigbraun. Er dichtet, mit einem Sekretär, in einem Atelier mit Lift, täglich sechs Stunden lang, drei Stunden frühmorgens, drei Stunden im Dämmern, seit fünfunddreißig Jahren.

Ob Blux weiß, wie die schwedische Krone steht?

Weil Steinkopf längst, ganz bestimmt aber dies Jahr, den Nobelpreis erwartet und verdient, beängstigt ihn das Schwanken dieser einst so ehernen Devise. Jeder Kurszettel kostet ihn Stunden harten Rechnens, auf und ab schwankt sein Budget. Dann ist noch Mullah an Bord, sonst niemand aus dem Café. Mullah ist im Propaganda-Dienst der Linie, genießt abgöttische Ehren vom Kommodore herunter, über den Chef des Vergnügungsdienstes zum Ober-Steward. Er bemüht sich, abends im riesigen Rauchsalon Steinkopfs Weltbild in Trümmer zu legen, sieht stolz und unzufrieden aus wie ein Graf und ist furchtbar erregt über die Kammerrede eines portugiesischen Abgeordneten. Natürlich kennt er ihn, den elenden Verräter an seiner eigenen Idee, – Mullah kennt restlos alle Menschen der beiden maßgebenden Kontinente, hat einmal an alle geglaubt, ist von jedem einmal enttäuscht worden, verzeiht ihnen nie. Wie die Dinge ineinander trubeln! Auf diesem Kahn die neuen Gesichter von reisender Highlife neben dem ambulanten Berliner Café, vierköpfig, das Lindpeitner immer wieder besänftigt. Glanz 93 des »Neptun«, den vielleicht kein Schiff je erreicht hat.

Da ist eine Stadt, die von Tausenden bewohnt ist – lauter frisch gewaschenen, geplätteten und gestärkten Menschen. Ob Offiziere, Stewards oder Passagiere – hier leuchtet alles!

Die im Kesselraum leuchten freilich nicht, man läßt sich hineinführen in diese ölüberglänzten Katakomben. Hier sind die Männer nicht weiß und gestärkt, sie blitzen nur von Öl, das über Schultern und Armen liegt. Sie tragen kein Hemd. Aber sie haben die Muskeln, sind wie Zentauren ohne Pferdegestell, sie lachen durch ruß-schwarze Gesichter.

Man weiß, daß sie alles Gute bekommen, sonst wären sie nicht so gigantisch stark, so über Menschenmaß furchtbar stark.

Dann gibt es Arsenale voll Fleisch, ganze Vieh-Herden zerlegt, Hühner-Völker, Wild-Rudel in arktischer Kälte. Da sind unübersehbare Weinkeller, hold temperiert, – Obst lagert wie im Rheinland beim Pomologen, ein Thermometer ungefähr bei jeden besseren Apfel.

Die rußigen Giganten genießen all das auch – denkt man, um sich zu beruhigen. Sie haben das Schiff ja in der Hand, auf der Spitze ihrer Schaufeln liegt Wohl und Wehe, Vorwärts oder Halt. Man zieht sich um und badet im eigenen Badezimmer, wo einem zehn Spiegel Selbstbewußtsein 94 oder Zerknirschung geben und in eines Spiegels bescheidener Ecke ein winziges Photo versteckt klebt: Ursel, in Gottes Namen, ja, Ursels Gesicht.

Unten war's schön und interessant, auch die Quartiere der Matrosen, die eigentlich internationale Transport-Arbeiter heißen, aber fahrende Spül- und Wasch-Männer heißen sollten, sind beruhigend. In den Kochsälen wie im Radio-Büro wieder gestärkte Weiße, nur Männer, alle sanft und satt. Das alles sieht man, komisch, ganz von oben, wenn man oben wohnt. Man war auch einmal arm, ein Prolet und hungrig, hat auf einen Job als Kartoffelschäler kandidiert, der nicht frei wurde. Jetzt kommt das schöne »Wohlwollen«.

Diese Stadt im Hotel-Stil, ihre breiten Boulevards, auf denen Streckstühle für die Milliardäre gebaut sind – dies Quartier, in dem man täglich sechs Stunden lang Upton Sinclair und Sinclair Lewis liest, nach »Jew Süß«, dessen Schicksal natürlich grad hier jedem nahe geht, – die ist nur da, gezeichnet zu werden. Es gibt auch Siamesen, es gibt Chinesen; Neger und Russen fehlen. Neger, weil sie nicht dürfen, Russen, weil sie nicht können, aber die Asiaten sind Engländer mit Schlitzaugen, so sicher benehmen sie sich und so englisch.

»Die ganze Welt und ein Paar Schlittschuh dazu« hallt es Blux in die Ohren. Weg mit Dir, Ursula! Der Mars könnte nicht wesentlich neuer sein als der »Neptun« ist. Trotzdem er nur siebzehntausend 95 Tonnen groß ist, ein Schwimmbad von dreißig zu vierzig, die ganze Nacht beleuchtet, bis ein Uhr Massage und Zander-Turnsaal! Ein Liebermann hängt im Speisesaal, der viel größer ist als der Speisesaal im Adlon, – drei Lifts mit Lift-Pagen weiblichen Geschlechts, jungen Mädchen in brauner Uniform, die rings um den Globus immer auf und nieder sausen.

»Zweites Wohndeck! Erstes Wohndeck! Promenaden-Deck! Radio-Deck!«

Die Maschine arbeitet schon lange, den Krabbel-Schlepp-Dampfer gibt's nicht mehr, es ist auch kein Lotse mehr an Bord. Der hat, wie im Mittelalter auf einer Strickleiter, über die Reling das Schiff verlassen.

Der »Neptun« ist unterwegs, nicht stampfend, nur atmend, ein atmendes Haus.

Wo man geht und steht wird serviert, strecken einem Herren, die wie Offiziere eines Torpedo-Kreuzers aussehen, Platten mit gottweißwas oder Tassen mit Dampf darüber entgegen. Im Liegen, Sitzen, Gehen soll man Appetit haben, der kräftigen Seeluft wegen. Nach jeder Mahlzeit und vor jeder Mahlzeit eine Mahlzeit, alles »gehört dazu« – und irgendwo droht Jazz-Musik. Blux kann sie nicht ertragen, aber all dies Unbekannte noch weniger, er flüchtet zu vertrautem Leid, der Jazz. Blux kennt ja nur Kähne, Zweimast-Schoner, dalmatinische Küsten-Tramps. Diese vergoldete Welt 96 ist ihm neu, Frauen lachen und fliegen vorbei wie in der Calle Florida, so viele, daß man erst in Tagen einzelne herausschälen wird.

Wo die Jazz spielt ist, Gold auf Weiß, Louis XVI. In der Mitte parkettierter Tanzboden, Mädchen in Männerarmen. Die Männer sind ganz lächerlich angezogen – einen Louis XVI.-Salon zu erklimmen, braucht man doch weder Knickerbokers noch Schuhe mit fingerdicken Sohlen. Aber die Mädchen tragen sich richtig – zwei Hemdchen übereinander, von denen eins Kleid heißt, Schuhe, Hauch-Strümpfe und etwas Rouge. Der Jazz-Dirigent ist ein strenger Beamter, der sein Publikum exerziert. Unter seinen Virtuosen gibt es zwischen Weiß und Schwarz jede Nuance: Olivengrün zum Beispiel.

»Es handelt sich nicht um Afrika oder Indien,« erklärt Lindpeitner. »Diese Reise ist nicht geographisch, sondern soziologisch orientiert. Wir fahren schon jetzt durch Milliardien.«

Die Beiden, Lindpeitner schwerfüßig voraus, Blux die Augen im Wirbel, kollernd von all dem Neuen, suchen die stille Rauchkabine auf. Noch eine Stunde Jazz, und er ist scheintot.

Das ganze Schiff mit siebzehntausend Tonnen – nur Luxus, nur Vergnügen. Sportplätze statt Zwischendecks, ein Theatersaal statt Massenquartier der dritten Klasse.

Ein Tempel ist diese »Kabine«, in dem man aus 97 braunen Clubsesseln Rauch-Opfer bringt, kühl, still, feierlich; der geschnitzte Plafond zehn Meter hoch.

Lindpeitner raucht etwas Dickes, extravagant Schweres und Teures.

»Sie müssen Geld haben, Blux, sonst reagieren Sie falsch. Obwohl Sie kein Geld brauchen – aber das Bewußtsein leerer Taschen würde hier töten. Wünschen Sie zehn Pfund für ägyptisches Straßenleben, das Sie morgen zeichnen?«

Der unglückliche Blux zeichnet vor Messina Aegypten und hat noch Island-Verpflichtungen, die gräßlich drücken. Ohne die Szenen, die ihm Ursula drei Monate lang gemacht hat, wäre das nicht passiert.

Er schiebt auf, arbeitet seinen Vorschuß bei Lindpeitner ab, ehe Afrika in Sicht kommt, strolcht mit dem alten Steinkopf durch's finstere Sizilien, entdeckt auf Malta Quartiere, die einen Daumier aus ihm machen würden, wenn er Zeit hätte.

Der alte Steinkopf wird am meisten beachtet. Alle nennen ihn »Sir«, jeder will mit ihm gesprochen haben. Er antwortet jedesmal »ich versteh nich, Sir.«

Blux macht ihm klar:

»Sir ist der Vorgesetzte, der Würdige. Man kann sich nicht gegenseitig ›Sir‹ anreden.«

Von da ab verzichtet Steinkopf auf kosmopolitische Bildung. 98

»No Inglisch, Vaehrtester.«

Im Speisesaal richten sich alle Blicke auf den »Reporter«-Tisch. Dieser alte Reporter heißt Goethe?

Zwischen Chicago und Yokohama wird nie ein Mensch dies silbergekrönte Zeushaupt sehn, ohne zu erkennen »something like Goethe«.

Steinkopf tafelt auch wie ein griechischer Gott –, alles auf Erden ist ihm neu, was Geld kostet, Luxus atmet, – Langusten und fragile Mädchen im Abendglanz ihrer Bijoux, Butter oder Caviar à discrétion. Alles à discrétion ist ihm neu, er rechnet nach, was das kostet. Zum sechzigsten Geburtstag, vor fünf Jahren, haben kleine Verehrerinnen ihm Zigarren und Pfefferkuchen ins Haus getragen, Schulklassen haben für ihn gesammelt, ganze Töchterschulen.

»Wissense, Blux, daß ich seit Messina für achtzig Mark kaltes Buffet jegessen hab? Drei numerierte Exemplare ›Buddha‹, von dem erst zwölf verkauft sind.«

»Ich taxiere, vierhundertachtzig Mark, Meister.«

»Mensch! . . .«

Steinkopf ist erst fünfundsechzig, hat eine junge Geliebte in Berlin zurückgelassen, die ihn anbetet und seine Stiefel putzt.

»Denken wir nicht an daheim, Blux! Dann rutscht nicht mal die Forelle in Aspik. Wir sind nur einmal jung!« 99

 

Ganz in Rohseide und gebügelt bummeln sie Arm in Arm durch Athen. Oft bricht Steinkopf griechisch in Hexameter aus, dann faßt sich die Begeisterung wieder berlinisch.

»Ἔσσεται ἧμαρ, ὅτ' ἄν ποτ' ὀλώλῃ Ἴλιος ἱρή.

Sind das Mädels, Blux! Hier kann einer verdreht werden. Lauter Nausikaas!«

Sie sitzen nach dem Lunch vor dem Grand Hotel Akropolis, haben einem leuchtend schönen Veilchen-Mädchen seine ganze Ware abgekauft, tragen beide die Arme bis zum Kinn voll Blumen.

»Jetzt machenwer Schönheitskonkurrenz, Blüxchen. Auf eigene Faust!«

Durch seine Zwickergläser blauen die Feueraugen. »Die da? Nee, ganz leicht geschwungen, aber doch Barock-Beene.«

»Da kommt was Delikates, Meister!«

»Abwarten, Jungchen, wie die vier Buchstaben sind! Das Gesicht allein tut's nich.«

Auto um Auto rollt mit Passagieren davon, mit unprämiierten Damen.

»Keene Ungeduld. Die Veilchen wernwa los.«

Dann reißt sie's beide hin.

Zwei Freundinnen, blond und braun, die Blonde braun, die Braune blauäugig, strahlend-zarte Gesichter, aufeinander abgestimmt wie Engelsköpfe von Raffael, und zum Entzücken bemalt. Beine wie Zirkuskinder – kallipygos! 100

Sie steigen ins Auto, ohne Herren, lachen entzückend blöd, weil der griechische Chauffeur nicht einmal Englisch versteht, geben Erklärungen mit dem Sonnenschirm. Da fällt der Schauer von tausend Veilchen über ihre Schultern, die Polster, Kniee und Füße.

»Preisgekrönt, meine Damens!«

Sie lachen bezaubert in dies lebendige Göttergesicht unter weißem Silber, in diese sprühenden Ultramarin-Augen. Beide durchzuckt es »Goethe!«

Auch Blux macht keine schlechte Figur. Wie ein kosmopolitisch gebildeter Wappenherold, blühender Genoß des alten Harfners, tritt er an den Wagenschlag.

»Ihr müßt verzeihen, Ladies! Eine private Schönheitskonkurrenz – Ihr seid die Sieger!«

Die Mädchen strahlen, der Motor greift, Veilchen leuchten einmal rings um den Platz, tschuuhhh . . . alles vorbei.

 

Am Abend wird Blux viel gegrüßt, auf dem Promenadendeck, im Musik-Saal, beim Dinner. Kernige alte Damen mit tüchtigen Vorderzähnen smeilen ihn an und nicken. Noch mehr den alten Steinkopf, der nicht weiß, daß amerikanische Damen zuerst grüßen.

»Wat nur mit die alten Schachteln is?«

»Ich habe ausgesprengt, daß Sie Zeus sind, Meister Steinkopf,« behauptet Mullah. »Die 101 Damen suchen an Bord das Land der Griechen mit der Seele. Sie waren glücklich zu hören, daß der berühmte Zeus doch noch lebt.«

Lindpeitner weiß es besser:

»Man hat sich erkundigt, was Ihre Verse kosten. Ich hatte einen Auktionskatalog, in dem Ihr Erstlingsbuch auf dreihundert Mark geschätzt wird. Jetzt sind Sie hier an Bord der Dichter, der gut eine Million Dollars wert ist.«

All das stimmt nicht. Die in Athen preisgekrönten Damen sind auch Passagiere des »Neptun«! Sie gehören einer kalifornischen Damen-Gesellschaft an, die im Trupp den Globus umsegelt, haben ihr Abenteuer in Athen erzählt, und all die Damen in hohen Semestern sind mit geschmeichelt, mit entzückt von diesen charming boys, Steinkopf und Blux.

Am nächsten Tag, während ein Streichorchester himmlische Quartetts spielt und alle Welt im Teesaal versammelt ist, trifft Blux die Braune, die an ein junges Rennpferd erinnert.

Sie ist pünktlich zum Rendezvous gekommen, in den kleinsten, kokettesten Damen-Salon, angetan wie eine Puppe, blitzend von Jugend. Aus ihrer Haut strahlte alle Sonne des Mittelmeers, die sie gestern und heute gefangen hat.

Blux darf ihre Arme küssen, auch die Wangen, nur den Mund nicht, der zuviel Arbeit gekostet hat. Die Lippen sind ganz leicht geschminkt, aber gerade 102 soviel, daß die Zähne aus einem rotleuchtenden Fenster schaun.

»You are charming boys«, schwört die Braune. »Ihr müßt uns in Frisco besuchen. Ihr müßt einen langen stay bei uns haben!«

Sie hat einen Chandler, Kitty fährt Chrysler.

Aber die Hauptsache, daß Kittys Bruder ein HP-Sportflugzeug hat! Die Boys sollen einen Himmel von einer guten Zeit haben. Die Braune hat schon viel Blumen bekommen in ihren neunzehn Lebensjahren, Kitty nicht weniger. Aber nie so charming und so von Herzen wie in Athen.

Immer wieder Kitty! Die Braune leicht im Arm, manchmal über ihre besonnten Ponny-Augen hinküssend oder über diese warmen, plusterig kindlichen Arme, denkt Blux mit Angst, daß beinahe schon die Blonde ihn erwartet, die Rendezvous zu nahe voneinander gelegt sind.

Aber Irmelin sieht plötzlich, während gerad ihre Hand frei ist, weil Blux sehr zart den braunen Nacken küßt, auf die Armbanduhr.

»Jetzt müssen Sie zu Kitty gehn!«

Kitty erwartet ihn auf einer sehr kleinen Balustrade vorn im Bug des Schiffes, wo die Wellen schaumig und knisternd sich brechen. Sie ist mit Blumen umschmückt, diese Balustrade, Korbsessel stehen darin – von keiner Stelle kann man hineinschauen.

Auf dem Weg zu Kitty trifft er Steinkopf . . . 103

Kitty weiß, daß er von Irmelin kommt, wie Irmelin weiß, daß er zu Kitty geht.

»Seid Ihr nie eifersüchtig?«

»Warum?«

Kittys braune Augen und ihr Psychemund sind gleich erstaunt.

»Wir sind doch Freundinnen!«

Auch hier küßt Blux sich langsam empor, von den Fingerspitzen zum Nacken, vom Kinn zur Stirn. Kitty leidet das so gern, wie sie vom Himmel Veilchen auf ihre Schönheit regnen läßt.

Wieder hört Blux vom Chrysler und dem Sportflugzeug eines Bruders, das leider nur zwei Plätze und den Notsitz hat.

Wenn die Boys nach Frisco kommen, wird ihr Bruder ein großes Flugzeug mieten, und dann segeln sie alle fünf durch den Aether. Sie werden Tee in Saltlake-City haben und zum Dinner wieder in Frisco sein.

Dann kommt das Schreckliche zutag – in Port Said, übermorgen, ist Abschied! Die Damen, achtzehn Damen aus Frisco, fahren nach Ober-Aegypten hinauf, zu den Stauwerken am Nil, zu den Gräbern der Pharaonen.

»Das geht nicht, Kitty! Jetzt, wo wir uns kaum gefunden haben!«

»Aber die Zimmer sind bestellt!«

Nur so spricht des Schicksals eherne Gewalt.

Blux beugt sich in echtem Schmerz. Er liebt 104 Irmelin und Kitty – in diesem Augenblick mehr Kitty – über alles. Aber ihre Zimmer sind bestellt! In Kairo, Assuan, Luxor, Khartum.

»Drei große Lieben sind mir bestimmt, Kitty, – und keine erreiche ich!«

»Ouhh?«

»Prinzeß Nephtrit von Theben, die viertausend vor Christus gestorben ist. Du, Kitty, die Zimmer in Ober-Aegypten bestellt hat. Und eine dritte, a lovely one, die erst dreihundert Jahre nach mir geboren wird!«

Sie schaut ihn trostlos an – er ist einer von zwei charming boys, aber das ist unmöglich.

»Wie können Sie ein Mädchen lieben, das erst in dreihundert Jahren geboren wird?«

Eifersüchtig wird sie auch diesmal nicht.

»Sie rufen mich an, wenn wir wieder in Frisco sind und Sie in Hamburg.« Immer verwechselt sie Hamburg und Deutschland. »Die Verbindung mit Europa ist jetzt gut. Nehmen Sie meine Nummer!«

Am Abend, beim Whisky-Soda, erzählt Steinkopf, und blaue Blitze springen aus seinen Augen: »Im Herbst geht's nach San Franzisco, meine Herrn!«

Blux sieht ihn an, er sieht Blux an . . .

»Jaja, mein Jungchen, ich hab auch nich jeschlafen heut Nachmittag.« 105

»Aber wo Sie kein Wort Englisch sprechen, Meister Steinkopf?«

»Allmählich lern ich's.«

»You are charming boys« sagt plötzlich Lindpeitner, der immer alles weiß und nichts verrät.

Mullah bekommt seine Wut –; die Amerikaner sind geistlos!

»Hübsche Fassade, lange Beine, gute Fesseln, aber nur Mist und Geld im Kopf. Wer ist größer, Beethoven oder Ford?

»Sie kaufen sich einen Bechsteinflügel ohne Saiten ins Zimmer und lassen den Lautsprecher brüllen! Sie schätzen die Akropolis auf drei Millionen Dollar und fragen, ob Homer soviel verdient hat wie Jack London. Ein Pack, verloren und verurteilt in Ewigkeit!«

»Knusprige Mädels,« behauptet Steinkopf.

»Ungebratene Preis-Kälber!« brüllt Mullah.

Lindpeitner schreibt und schreibt – er ist längst durchs Rote Meer gefahren und läßt diese Auseinandersetzung im Hafen von Bombay spielen.

»Prost Kolleje« brummt Steinkopf dem schäumenden Mullah zu. Eben werden Sandwich serviert – was für Sandwich! –, und seine Seele braucht Frieden.

Mit dem Sandwich zugleich kommt, auf silberner Platte, ein Radio-Gramm an Blux.

»peterl soll kindergarten stop wie denkst du stop urschel.« 106

 


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