Balder Olden
Flucht vor Ursula
Balder Olden

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Zweites Kapitel

Die Hausrohrpost spuckte Blux am nächsten Morgen zum Tee einen Brief ins Bett. Ursel schrieb, sie wolle ihn nicht wiedersehn. Er würde jetzt wohl länger in Deutschland bleiben, über Tag oder Jahr könnte man sich auf neutralem Boden treffen. Einstweilen unterbräche er das Studium ihrer Kunst, »der ich diene wie eine Flammenanbeterin«.

Er telephonierte vom Bett aus nach der Morgenzeitung, um auch seinerseits einen neutralen Boden zu schaffen. Er verlangte ausdrücklich ein Lokalblatt, das ihm, als stilistisch ledern und verbraucht, zuverlässig schien. Als er zehn Minuten lang in diese Spalten geblickt hatte, in die ein echter Ton sich nie verirren konnte, sah er Ursels Billett noch einmal durch. Da war alles gekünstelt eisig, aber »Flammenanbeterin« gellte hinein wie ein hysterischer Schrei, der absichtlich schwülstige Ausdruck eines wahrscheinlich echten Schmerzes. 31

»Die neue Passion!« dachte er und malte sich diesen schon durchwanderten Passionsweg mit seinen oft reizvollen Haltepunkten aus. Noch gab es Beziehungen zwischen ihm und dieser Frau, die seinen Namen trug. Wenn eine Reise von anderthalb Jahren diese Beziehung nicht gebrochen hatte, war's kein Wunder, daß sich die richterliche Anerkennung ihrer Ehezerrüttung machtlos erwiesen. Da blieb nur Flucht.

Für ein hitziges Abenteuer war Ursel ihm weder zu gut noch zu vertraut. Einmal, während jener langwierigen Prozedur auf Grund böswilligen Verlassens, hatte er ihr Hotelzimmer mit Blumen ausgeschmückt, war seiner Gattin, fröstelnd vor Erregung, auf allen Wegen nachgeschlichen – hatte sie abends mit Stolz in diskrete Speiseräume, dann triumphierend in sein Atelier geschleppt.

Mochte ihr gegenseitiges Wehren und Werben sich wiederholen, mochte Ursel abermals kämpfend seine Geliebte werden, ihn Gebieter nennen, wieder einmal die Kartons zerfetzen, auf denen er sie gezeichnet hatte, etliches Glas zertrümmern und ihn in Haß verlassen – dies alles schien nun einmal Kehrreim der Strophen seines Lebens.

Es würde vielleicht zum zehntenmal geschehn, denn auch die kurze Zeit ihrer Bekanntschaft vor der Ehe war eine solche Leidenschaft in Intervallen gewesen. Dies alles aber – wenn es abermals gespielt werden mußte – durfte nur in Berlin spielen. 32

Dort war sein altes Atelier, geweihter Boden traditioneller Entgleisungen. Dort war sie eine verhüllte Dame von erregend biegsamen Bewegungen, elegant, fremd, auf sichtbar verbotenen Wegen. Hier aber die Mutter seines Kindes, die böslich verlassene, betrogene Frau.

Blux gab sich das Ehrenwort, in großer Eile die Flucht zu rüsten. Aber er war noch im Bademantel, als Bubis Stimme auf dem Korridor klang und Ursel mit Peter bei ihm eindrang. Während Peter das Innere seiner Hotelwohnung inspizierte, alle Beleuchtungskörper spielen ließ, alle Hähne im Bad aufdrehte, Kellner, Stubenmädchen und Hausknecht per Lichtsignal mobilisierte, saßen seine Eltern sich ganz erstaunt gegenüber.

»Weißt, ich hab dir das nicht antun wollen . . .« erklärte Ursel.

»Was?«

»So – abreisen ohne den Bazi.«

»Wie sinnig für eine Flammenanbeterin!«

»Geh!« rief sie. »Schließlich ist er doch dein leibliches Kind.«

Das leibliche Kind hatte sich eines Kofferschlüssels bemächtigt, ihn in den Koffer geworfen und den Deckel zuschnappen lassen.

»Machen Sie's wieder auf!« wandte er sich an seinen Bappa. 33

»Meinem leiblichen Kind gegenüber stünde mir jetzt das väterliche Züchtigungsrecht zu?« fragte Blux, der zu äußerstem Widerstand entschlossen war.

Die Geschichte mit dem Koffer ging ihm nah, denn jetzt war seine Flucht mißglückt. Ein erster bester Schlosser würde das komplizierte Schloß nicht aufbekommen. Die Geschichte mit der vertragswidrigen Alimentationsklage und Schlimmeres stieg in ihm auf und ergrimmte ihn.

Ursel klagte:

»Zehn Jahr lang treibst du dich in der Welt herum und kommst zurück wie aus dem Franziskaner. Oft muß ich denken, daß du mich lieb hast. Gestern wieder! Wenn ich dann komm, demütigst du mich. Das möcht ich aber wissen: bist du gegen alle Frauen so?«

»Ich war doch nur einmal verheiratet.«

»Hab ich damals heiraten wollen?«

Sie starrte verschleiert in die Ecken, als läge dort ein Stück Vergangenheit.

»Du mußt ja immer alles versuchen!«

Sie war sehr beherrscht an diesem Morgen und hinreißend sanft.

»Flammenanbeterin!« murmelte Blux, um stark zu bleiben.

»Saumäßig kitschig, gelt,« fragte sie bettelnd und ergeben. »Aber weißt, ich hab grad so ein volles Wort gebraucht. Es ist nicht so arg damit, zwei Stunden in der Woche spiel ich halt Klavier.« 34

In ihrem Schuldbewußtsein sah sie kindlich und rührend aus, daß er sie auf die Stirn küssen mußte. »Süß bist du doch.«

»Alter Kitschhafen!« sagte Ursel.

Dann nahm er den Strolch auf den Schoß und ließ ihr seine Hand.

»Kunstbeilage aus der Gartenlaube von 1890: Guten Morgen, Pappi! – Du könntest mir rasch ein paar Knöpfe annähen, nur der Staffage wegen.«

»Boshaft bist du!«

»Ich kann mir nicht helfen: so zwischen Weib und Kind komm ich mir vor wie ein Orang-Utang im Brehm.«

In diesem Augenblick klopfte es. Ein Herr im Gehrock erschien, degoutiert und unerbittlich.

»Eine Empfehlung von der Direktion und, verzeihen Sie, – Damenbesuche sind bei unseren Vorschriften –« er wies auf einen Anschlag – »nur in den unteren Räumen gestattet.«

Blux richtete sich auf, zog seinen Bademantel in tragische Falten, sprach feierlich:

»Melden Sie Ihrem Herrn Direktor, daß meine Frau und mein Sohn mich besuchen! Im übrigen verlasse ich noch heute das Haus, in dem eine andere Deutung möglich ist!«

»Ich bin weit herumgekommen« brummte er noch und wies mit großer Geste auf sein mit Hotel und Schiffahrts-Marken dicht beklebtes Gepäck. »Aber 35 so etwas ist mir nirgends passiert! Bitte schicken Sie sofort einen Schlosser.«

Als der arme Hausbeamte unter Entschuldigung davon war, fühlte Blux sich ganz als Herr der Lage.

»Alea est iacta! Du als Exquartanerin einer klassischen Schule weißt, was das bedeutet. Ich wäre auch sonst nicht länger geblieben, die Sache mit dem Schnappschloß war zu drohend. Denkt es, Ursel und Strolch, der Schlüssel drin, der Koffer nicht mehr zu öffnen.«

»Wenigstens packen darf ich dir, gelt?« bat Ursel rührend.

»Das willst du für mich tun, Ursel! Dergleichen vergeß ich einem Menschen nie!«

 

Nach der ersten Nacht in seinem Berliner Heim bekam Blux einen Brief aus Bremen, der ihm ins Gewissen brannte. Wally schrieb auf einem Bogen, der unter Tränen stark gelitten hatte:

»Lieber Bluxie!

»Ich bin schon in Dein Hotel gekommen, aber das erstemal war eine Dame bei Dir und das zweitemal wieder, und wie ich das drittemal gekommen bin, wart Ihr zusammen weggegangen. Dann hab ich draußen bei ihr aufgelauert, den ganzen Abend, und Du bist allein mit ihr, per Arm, ganz nah an mir vorbei. Du weißt, wie ich dies Weib hasse! Was dann gewesen ist, kann ich mir wohl denken, 36 denn meine Anfälle sind in letzter Zeit sehr häufig. Ich bin in meinem Bett zu mir gekommen. Jetzt bist Du schon weg, und gerade einmal hab ich Dich »busseln« dürfen (so sagt unsere Köchin), und es wäre doch so riesig gemütlich gewesen. Aber ich kann Dich nicht hassen, wahrscheinlich magst Du mich nicht, weil ich krank bin, und Du hast nur »ja, ja« gesagt, um mich zu beruhigen. Weh Dir, wenn ich jetzt sterben sollte! Dann erscheine ich Dir alle Abend als Vampyr und trinke Dein Blut aus, das hab ich mir geschworen. Aber nächstes Jahr mach ich Abitur, und dann fahr ich Dir nach. Dies wollte ich Dir nur mitteilen. Viele Küsse von

Deiner armen Wally.«

(Verbrenne diesen Brief sofort!)

 

Viel ernster klang der Brief von Wallys Mutter.

». . . ein Kind in sich verliebt zu machen, ist leicht, für Sie besonders leicht. Wußten Sie nicht, daß auch dies Talent Pflichten auferlegt?

Sie haben recht: ich durfte Sie nicht ganz kennen lernen, um Ihre Freundin zu bleiben. Jetzt kenn ich Sie und damit adieu.«

Blux verbrannte den unmöglichen Brief einer Mutter, die ihm die Freundschaft kündigte, weil er ihre Tochter nicht verführt hatte.

Niemand würde diesen Brief verstehen.

Nur er wußte, wie sehr diese Mutter im Recht war, und wie verächtlich er vor ihr stand. 37

Als ausgebrochener Primaner war Bernhard Lux nach Berlin gekommen, nicht um zu studieren. Schon zwei Jahre früher hatte er auf die Frage »was willst du werden?« geantwortet »ich will nichts werden, denn ich bin schon was.«

Damals war seine Mutter noch reich, er hatte sich ein Atelier gemietet, das einem Schlachtenmaler genügt hätte. Seine eigentliche Leistung der folgenden zehn Jahre war, sich diese Wohnung zu erhalten. Eine Leistung um ihrer selbst willen, denn was er an leicht karikierenden Zeichnungen produzierte und zu einer winzigen Spezialität entwickelte, konnte am Kaffeehaustisch entstehen, entstand auch größtenteils dort.

Der ungeheure Raum war Blux nicht zur Arbeit nötig, aber sein Besitz schien ihm soziale Notwendigkeit. Als Herr so vieler Quadratmeter, solcher Meere von Licht, als Bewohner einer Art von romantischer Höhle mitten im streng geordneten Berlin, empfand er sich unter den Menschen. Diese Höhle mit ihren Erinnerungen war ihm eine Art Feudaleigentum. In allen Wirbelwinden des Lebens hatte das Bewußtsein dieser Heimat ihm ein wenig Richtung gegeben. Als er Ursel heiratete, dachte er nicht daran, sein Refugium aufzugeben.

Das Werkhaus, dessen oberstes Stockwerk diese Heimat war, hatte ein ungeheures Portal mit germanisch frisierten Karyatiden und ein 38 schmiedeeisernes Gitter. Jenseits des Portals lag ein Hof mit maurischem Brunnen, Torsos von ein paar mißglückten Monumentalfiguren, Horreurs aller Schulen und Zeiten.

Als es gebaut war, standen die Mieten hoch. Das Werkhaus enthielt fast nur vorbildlich gebaute Ateliers, seine Mieterliste bot ein Verzeichnis berühmter Namen. Dann wurde eine neue Stadtbahnlinie gebaut, ihr Wall bildete eine Mauer des orientalischen Gartens. In der Höhe des ersten Stockwerks donnerten Züge vorbei, daß die Wände zitterten, als rase die Maschine mitten durch das Gebäude. Die Träger berühmter Namen verzogen in stillere Häuser mit neuerem Komfort, denn auch von Heißwasser, Lift und Kachelbädern wußte das früh gealterte Werkhaus nichts.

So machten die Jahre das Wohnen in diesem Palast, dessen Pracht zerbröckelte, billiger. Schon war es das Heim unkontrollierbar vieler Zigeuner geworden, ein paar Verbrechen und Selbstmorde hatten Tradition geschaffen, der Gerichtsvollzieher war den meisten Parteien ein kaum störender Besucher.

Aber wo einst der betreßte Pförtner Eiseskälte verbreitet hatte, hockte jetzt ein gutes altes Weibchen zwischen Petroleumkocher und Strickkorb. Epheu hatte die echten Palmbäume erdrosselt, wucherte um die Karyatiden, und junge Damen, die das Werkhaus zum erstenmal betraten, schauerten wohlig. 39

Sein Café, aus dem er vor anderthalb Jahren Abschied genommen hatte, schien von einer nachgewachsenen Generation ganz beherrscht. Im Vorgarten sonnten sich – es war ein dünn-wärmlicher Vorfrühlingstag – nagelneue, köstliche frische Mädchen mit ihren gleichfalls neuen, aber viel weniger gelüfteten Jünglingen, liebe, neugierige Motten von dummen Mädchen, wie sie Jahr um Jahr herbeiflatterten, an Literatur und Theater-Lampions ihre Flügel verbrannten.

Das einzige bekannte Gesicht vermied er mit plötzlichem Ruck, das schwarzbärtige, melancholisch-entschlossene einer Laura, die schon ihr zehntes Jahr hier abdiente und entschlossen war, weiter zu dienen, bis sie in der Atmosphäre aller Zeitungs-Berühmtheiten und Zeitungs-Ruhm-Spender Berlins irgendwie notorisch würde; wie immer: als Figur eines Schlüssel-Romans, Geliebte eines indiskreten Feuilletonisten, durch ein Revolver-Attentat. Für den Kaffee, den sie hier Tag um Tag, pünktlich wie ein Lokomotivheizer, nahm, hungerte sie oft. Die »B. Z.« erschien sechsmal in der Woche – einmal würde sie drin stehn!

Vertraute Gesichter waren nur die des Zahlkellners Herrn Tierdel und Ottos, des rothaarigen Zeitungskellners. Ein Waidmann mit milchigem Teint, entzündeten Augen, schiefen Schultern – statt Flinte und Beute stets eine Last fasriger Mappen und Zeitungsrahmen unter dem Arm – im Frackhemd 40 ohne Frack; so war er Lieblingsmodell aller Maler geworden, die hier verkehrten. Blux hatte ihn längst in alle »Illustrierten« gebracht, für die er zeichnete, kannte seinen Kopf und seine langen, aristokratischen Finger auswendig. Jetzt eben erst hatte er ihn für den »Ewigen Juden« durch Island reiten lassen.

»Schön verulkt haben Sie mich!« begrüßte ihn Otto.

Er spähte um sich, die Kuppelflinte im Anschlag. »Die Braune da drüben, die im lila Frotté – neue Jeßner-Schülerin! Wenn's wahr ist, neunzehn Jahre, ich kenn sie gut, soweit. Noch ein bißchen Provinz – aber die wird!«

»Sie waren ausgestellt, Otto?«

»Natürlich, zweimal Sezession, dann in der großen Berliner und in einer Gruppe »Künstler-Café«. Das eine in der Sezession ist vom Mopp. Aehnlich ja, aber irgendwie gewaltsam – nicht ganz erfaßt. Na, Sie wissen ja, wie man's nimmt. Jedenfalls keine Linie, nur Ton – und so. Die Kritik war gut. Der Herr Nabl hat geschrieben.«

»Ach, der blinde Nabl!«

»Berühmt bin ich schon lang, Meister Blux. Aber was liegt mir am Ruhm! Auf das hier käm's an.« Er schabte die Finger, als zählte er Geld. Dann kam Herr Tierdel, freudig erregt.

»Weltreise, gehn's? Aber so weit! Meine Frau – ja, die fragt oft nach Ihnen. Ich bring ihr 41 halt die Zeitschriften mit – mehr weiß ich auch nicht, als was da drinnen steht.«

Blux saß längst an seinem Tischchen, das er einst mit Literatur-Motten bemalt hatte. Der Besitzer des Cafés hatte es mit Glas überdecken lassen. Die guten Mädchen, die ihm hier vor acht Jahren Modell gesessen, – wo mochten sie ihre zerzausten Flügel und Coiffuren, ihre bitter gewordenen Herzen gebettet haben? Die eine oder andere kannte man noch – eine mittlere Schauspielerin, eine arrivierte Schauspielerin, eine spießigstrenge Literaten-Frau. Eine freilich, die in Morphiumräuschen Bücher aus ihrer wachen Seele holte, deren tiefe Schönheit sie nüchtern kaum ahnen mochte! Der Rest verweht.

»Der Herr Papa war vor zwanzig Jahren Gast bei mir« erzählte Herr Tierdel. »Aber selten. Und wie geht's der Frau Mama? So eine kleine Blonde – hab's gut gekannt. Der Herr Papa hat jedesmal sechs Eier im Glas genommen, die Frau Mama . . .«

»Meine Mutter war nie blond und klein, Herr Tierdel.«

»Ah, ja, groß und dunkelbraun! Sehr eine liebe Frau war sie – jetzt weiß ich's schon. Gehn's, Herr von Lux, daß die hat sterben müssen, so jung, wie's war!«

»Meine Mutter lebt in München.« 42

Herr Tierdel, der jetzt doch in Verwirrung kam, fragte lieber nicht nach Blux' Gemahlinnen. Er zog sein Notizbuch aus der Brusttasche und hatte sofort die richtige Seite gefunden.

»Also vor der Reise –. Hundertzweiundvierzig Mark, siebzig Pfennig. Achtzig Mark in bar – damals nachts 1924, wie's in die Bar-Riche hab'n wollen. Das andere . . . so . . . na. Warten wir halt, bis geht. Ich hab nur erinnern wollen.« Dann schob sich – so schlampig, verkatert und pikant wie vor Jahren – Bébé Strehlicke herein: »Tag, junges Licht mit ›B‹ vornedran!«, bot ihm zwei schlanke lange Finger mit schwarzen Nägeln. – »Herr Tierdel – ein . . .« Sie hob den Kopf, schob die Oberlippe hoch und sah – mit halbgeschlossenen Augen, die Zungenspitze lüstern zwischen blanken Zähnen, – wie eine Agrippina aus, die Sklavinnen peitschen läßt, der Musik ihrer Schreie folgt und über neue Lüste sinnt.

»Ein Selter – nein – Cognak . . . Junges Licht, da du mir bemittelt heimzukehren scheinst –« Jetzt legte sie den Kopf in den Nacken, als ruhte sie in Träumen süßer Erschöpfung aus.

»Erdbeereis mit Schlagsahne, Herr Tierdel!«

»Du altes Bébé.«

Blux war wirklich froh, sie am ersten Nachmittag schon zu treffen.

»Weißt du, daß ich manchmal an dich gedacht hab, Bébé? Ich muß dir erzählen – von 43 Rothaut-Pygmäen am oberen Paranà, die irgendwas von dir im Gesicht haben. Ich war dort mit Schmied. Er ist unheimlich nüchtern geworden, aber reizend geblieben. Ich hab Bilder mit – sie treiben Geschwister-Ehe, die Pygmäen, – sind alt und müd. Du und die Habsburger, Ihr seid lebfrische Forellen daneben.«

Blux hatte zu viel erlebt, ihn überfiel der Drang, sich mitzuteilen.

»Aehh!« machte Bébé.

»Dann hab ich einmal an dich gedacht –. Warte, ich ritt allein auf Island. Die Hekla hatte vor ein paar Wochen gespien – ich kam in schwarze Felder, immer tiefer hinein – ringsum, weißt du, eine einzige Kohlentrift. So schwarz wie Teer, wie nichts auf der Welt – ich verlor die Richtung, ritt, ritt . . . Manchmal glühte es bunt von frisch ausgespiener Lava, weißt du, blühend rot, grellgelb – ganz toll, wie Beete mit Tropenblumen mitten auf diesem Leichentuch –. Man hat da plötzlich heißes Wasser in der Herzgrube – –«

»Strela hat ein neues Bubi,« unterbrach ihn Bébé. »Ein siebzigjähriges Bubi! Sie sagt, sowas hätte selbst sie nicht für möglich gehalten. Ein Baron – jede Nacht in der Bar – malt bei Tag reizende Sachen. Sie sagt, das unbedingt Naivste ihres Lebens.«

»Hast du gar nicht zugehört?« 44

»Aber geh, man hat doch den Kisch für solche Sachen. Rasender Reporter, trotz heißem Wasser in der Herzgrube, liegt dir nicht. Wirf dich auf Artikel, wo du konkurrenzfähig bist, junges Licht! – Was tragen die Rothaut-Pygmäen-Mädchen für Höschen? Battist mit Hohlsaum? Bis zum Knie oder kürzer? Hast du sie . . .«

»Du kannst mir auf der Kirchweih begegnen, Bébé!«

»Servus, junges Licht mit dem ›B‹ vorne dran!« machte Bébé Strehlicke mit nassen, nackten Zähnen und wässrigen Augen. »Uebrigens – Plagiat! Das Wort ist von Thoma.«

Rot und bös rannte Blux davon. Im Hinausgehen sah er an einem der Tischchen im Vorgarten, wie eine junge Braune, gut gemalt, in Frotté, den Kopf hob und ihn ansah, als wollte sie gegrüßt werden. Sie hatte ein böhmisches Näschen und Sommersprossen. Es fiel ihm ein, daß sie ebenso dagesessen, als er kam – es war die, von der Otto gesprochen hatte. Aber er war zu wütend.

Auf der Straße, die langsam dunkelte, über die vereinzelt aufglänzende Bogenlampen Lichtschleier warfen, stand er mit bloßem Kopf, sah den stürmisch belebten Kurfürstendamm hinauf und hinunter, überlegte, wohin. – Die richtigen Leute würden erst nach dem Theater ins Café kommen. Bébé war zu geschmacklos. A tout prix kalt Wasser über den Kopf – er wollte nicht als Weltumsegler 45 glänzen. Aber schließlich waren seine Erlebnisse da draußen auch menschliche Angelegenheiten.

Plötzlich kam Bébé aus einem andern Ausgang des Cafés, so daß sie unerwartet vor ihm stand, – bewegte sich, so groß wie er, übertrieben biegsam in den Hüften, ein Bubenlachen im Gesicht, auf ihn zu.

»Wieder vertragen?«

Sie wurde für ihre Verhältnisse sentimental und zischte durch geschlossene Lippen: »Du bist so edel-bieder – das muß einen ja in Wut bringen. Aber dabei liebe ich dich: eine treu-feuchte Männerhand bebt in allem Schönen, was du sagst. Du bist verläßlich. Außerdem hast du einen Dachgarten über deinem Atelier, von dem man runter fallen kann, wenn man beschwipst ist. Deshalb bin ich froh, daß du wieder da bist – und überhaupt.«

Sie verschwand.

Blux ging nach ihr in den Garten zurück, schnurstracks auf das junge Mädchen mit der schönen Bemalung zu.

»Wann darf ich Sie zeichnen, liebes Fräulein?«

Danach bei Kempinsky erzählte sie ihm: »Wissen Sie, von Haus aus bin ich eigentlich sehr verwöhnt. Aber wie ich zum Theater hab gehn wollen – eine Empörung daheim! Nausgeworfen ham's mich! Jetzt hab ich einen Mäzen, der wo mich studieren läßt. Talent hab ich, sagt der Dr. Blümner. Hat's Ihnen der Otto gesagt, daß ich mich für Sie als Künstler interessier? Gut 46 riecht das Hendel! Ich heiß Annie, ich protegier Sie auch amal.«

»Du hast dein Interesse keinem Unwürdigen geschenkt, Annie.«

»Ach, Sie sind lieb. Der Otto sagt auch, daß Sie lieb sind.«

 


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