Balder Olden
Flucht vor Ursula
Balder Olden

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Viertes Kapitel

Durch kunstvolles Lügen hatte sich Ursel diesen Aufenthalt von vierundzwanzig Stunden in Berlin ermöglicht. Es war gewagtes Spiel, denn wehe, wenn ihr Vater davon hörte.

Der Alte haßte Blux. Ein »altgewordener Schulbub«, nach eigener Angabe, der nichts gelernt hat, als seine Lehrer lächerlich zu machen, und daraus eine Art Pseudo-Beruf entwickelt. Der hatte ihm eines Tages mitgeteilt, er müßte Schwiegersohn bei Sörissen-Gorissen werden.

Ursels Mitgift hatte er in eine Villa gesteckt, hatte sich dabei so sehr übers Ohr hauen lassen, daß sie in der schönsten Inflationszeit fast soviel gekostet hatte wie im Frieden.

»1921 kauft er in Goldmark! Wenn das kein Verbrecher ist . . .«

Beim Verkaufen war das Prinzip der Firma allerdings »Mark ist eine fremde Valuta, die in Bremen nicht gehandelt wird.«

Sechs Monate später ließ er Frau und – das war das Unerträglichste – Kind sitzen, nach sechs Monaten Ehe Frau und Kind, führte in Berlin ein Junggesellenleben, wohnt in einem Haus, das kein Haus ist, sondern eine Bohêmekaschemme, und dort läßt er seine Frau hinkommen. Zuletzt hat er Geliebte, drängt seiner Frau selbst Material gegen sich auf, um nur geschieden zu werden. 56

Die erste Scheidung, seit es Sörissen-Gorissen gab! »Ich möchte mit der Ursel auch nicht verheiratet sein, ihre Mutter war ebenso. Diese süddeutschen Frauen nähren sich meist von männlicher Nervensubstanz. Und noch dazu Künstlerblut! Es war auch falsch, daß Ursel in Bayern erzogen wurde. In Bremen wäre sie anders geworden. Aber trotzdem, so drängt man sich nicht aus einer alten Familie heraus. Das tut nur ein Swinegel.«

Als der »Bursche« dann nach Brasilien auswanderte, atmete Bremen auf. »Und wenn er sich die Finger wund kabelt – kein Pfennig wird rübergeschickt. Arbeiten lernen oder verhungern.« Aber er kabelte nur einmal, daß er die standesgemäße Alimentation von Frau und Kind übernähme, die Scheidung sollte endlich erfolgen. »Wehe ihm, wenn er Ursel einen Cent zu schicken wagt.«

Man sprach schon etwas respektvoller, in fremder Valuta. Aber das Ende war trotzdem:

»Das laß dir gesagt sein, Ursula, – wenn du diesen . . . Menschen jemals wiedersiehst, bist du enterbt!«

Der Zorn des Vaters hätte schon bei seinen Lebzeiten tausend Mark monatlich gekostet, mit denen Ursel in ihrem Häuschen, das nachträglich doch ein ganz guter Kauf war, angenehm lebte.

Seit er weder auf der Ueberfahrt ertrunken noch drüben verhungert war, hieß Blux nicht mehr Bursche und Verbrecher, sondern »dieser Mensch«. 57

»Alles andre würde ich dir verzeihn – aber den siehst du mir nicht wieder!«

Mit sauer gesparten Groschen, im Flugzeug hin und her, war der Ueberfall dennoch geglückt. Der Papa konnte nichts davon erfahren.

Und jetzt fühlte Ursel sich leichter. Alles geregelt! Nur im Privatleben ihres Gatten noch ein dunkler Punkt, das Modell.

Trotz aller Mühe, die Blux sich gab, konnte er eine Begegnung zwischen Ursel und Annie nicht verhindern.

Er wollte Annie, die im Café auf ihn wartete, eilig treffen, um sie dem Atelier fernzuhalten.

Annie aber – um sich interessant und rar zu machen – sagte ihrerseits ab. Als Blux gerade die Tür hinter sich zugeklappt hatte, ging sein Telephon.

»Geh, sei nit bös, ich kann erst in zwei Stunden. Ich muß zum Jeßner, ins Staatstheater, fest versprochen . . .«

Ursel antwortete: »Der Herr Blux bedauert es natürlich sehr, wenn Sie nicht kommen können, grad heut, grad heut, wo . . . Wie ist denn der Name, bitte?«

Als Annie eine Damenstimme hörte, die jung und weich klang. besann sie sich und versprach, doch auf einen Sprung zu kommen.

Ursel empfing die junge Künstlerin. 58

»Aber so ähnlich! Nein, sprechend ähnlich!« rief sie und wies auf den Rückenakt. »Was mein Mann für Fortschritte macht! Er ist doch ein Genie!«

Annie war sehr beherrscht, nur ihr Mund wurde ein bißchen formlos; die Unterlippe kam ganz aus der Fasson. Sie standen beide vor dem Kohlenriß. »Das wird eine andere Dame darstellen, gnädige Frau. Ich bin natürlich nur auf Kopf gesessen. Aber da ich nun die Ehre habe, Ihre Bekanntschaft zu machen, werd ich gar nicht mehr sitzen können. Als angehende Künstlerin . . .«

»Er ist manchmal indiskret, mein Mann. Ich find ja nichts dabei. Aber wenn so was veröffentlicht wird, spricht sich's rum, und das schadet Ihnen bei den Direktoren, mein Fräulein. Ach, verzeihen Sie, ich bin so unaufmerksam. Cognak in den Tee oder Milch?«

Auch Ursel hielt sich schwer in der Gewalt. Aber sie warf sich über Schinken und Marmelade, ohne an ihren Gast zu denken, – wie immer, wenn sie bei Tisch erregt war. Sie tat es unwillkürlich Aber später argumentierte sie:

»Mit einem Trumm Schinken im Mund sag ich schon nichts Unrechtes.«

Annie hielt ihre Tasse vors Gesicht, spülte Tränen, die schon bis zum Mund gekommen waren, mit Tee herunter und tupfte ihre Augen mit der Serviette, daß Ursel nichts merken konnte. 59

Viele Enttäuschungen hatte ihr kurzes Leben schon gebracht, so klug sie sich steuerte. Immer geschah das Unglück, unbegreiflich, daß sie sich mitten im Stratagem verliebte! Dann ging natürlich alles falsch.

Eigentlich hatte sie mit Blux nur zu Nacht essen wollen – um dem einsamen Abend zu entgehen, um ihn kennenzulernen, weil man oft von ihm sprach, und weil sie zu Haus nur Gummizuckerln hatte.

Dann hatte sie sich gefreut, weil er ihr Gesicht und ihre Beine in die illustrierten Blätter bringen würde. Einmal mußte sie doch entdeckt werden! Vielleicht auf diesem Weg? Der Mäzen war ja nur ein Kümmerer gewesen, derzeit außer Funktion. Sie war nicht Schauspiel-Schülerin sondern Tippmädchen bei Tag und abends Revue-Girl, wenn sich ein Engagement fand. Jetzt im Sommer fand sich keins. Mit dem eindeutigen Mäzen renommierte sie nur, diesem Traum aller kleinen Mädchen, die sich, ach, ehrbar und fleißig durchs Leben schlagen. Reich, alt, nobel, reich, alt, geizig – aber Mäzen!

Keine ihrer Kolleginnen hatte einen, die hübschen nicht, die frechen nicht, die talentvollen nicht. Auf hundert suchende Mädchen kommt im Berlin unserer Tage kaum ein Mäzen.

Schon ein Freund war viel, ein Kümmerer, der wenigstens für sich selbst genug hat. Blux aber 60 zahlte immer, obwohl er Künstler war! Reichte einem die Speisekarte zum Aussuchen hin, schlug grad die teuersten Sachen vor. Er war nett, war lustig, – zeichnete ihr böhmisches Näschen so gern wie ihren Kinder-Popo, schickte sie ohne Ausreden weg, wenn er allein sein wollte; aber nie, ohne ein bißchen Wärme mitzugeben. Er führte sie hin, wo's lustig war, zeigte sie gern. Sie wurde gesehn, darauf kam's an.

Trotzdem glaubte er an die feine Herkunft, den Mäzen. an ihre Zukunft, alles glaubte er! Er war Glauberer noch mehr als Kümmerer.

So war's passiert – jetzt erst wußte sie's –, daß sie sich wieder einmal verliebt hatte. Es fiel ihr schwer, zu sprechen. das Herz tat weh.

Da saßen die beiden Erregten. sahen sich prüfend an, Ursel fraß. Annie trank. Dann griffen beide zu Spiegel und Lippenstift, arbeiteten emsig.

»Daß ich das nicht gewußt hab, daß er eine Frau hat –« dachte Annie verzweifelt. Dann fiel ihr plötzlich ein:

»Aber das hat er mir ja alles erzählt! Die lügt ja!«

»Verzeihen, gnädige Frau,« brachte sie dünn und doch tapfer heraus. »Die Herrschaften sind vielleicht doch geschieden, glaub ich, gnädige Frau?«

Ursel würgte an ihrer Semmel.

»Also wissen Sie, Fräulein, die Scheidung war nicht gültig, der Papst hat eingewendet, daß Blux 61 die eheliche Pflicht eigentlich gar nicht verletzt hat, nur gemöcht hat er, ein oder zweimal, glaub ich. Das ist dann kein gültiger Scheidungsgrund, wenn er nur gemöcht hat. Grad gestern ist alles rausgekommen. Aber jetzt nehmen Sie doch Schinken, Fräulein – wie heißen Sie? – Fräulein Annie Lorie, jetzt hab ich wirklich den ganzen Schinken allein gegessen, dem Blux seinen auch. Nein, – aber Jam nehmen Sie, gelt? Und jetzt, wo das mit der Scheidung vorbei ist, fahren wir zusammen nach Afrika oder Indien, glaub ich . . . Aber ich hab doch gar nichts dagegen, wenn er Sie zeichnet und überhaupt . . .«

Annie schüttelte stumm den armen, glühenden Kopf. Jetzt wirklich nicht mehr!

»Wo er so allein hier ist – ich muß erst wieder nach Haus zu meinem Buben, eh wir reisen. Ich kann immer nur auf einen Tag kommen. Da ist mein Mann so allein hier – ich freu mich, wenn Sie ihn besuchen, Fräulein Lorie. Gelt, Sie kommen oft?«

Als Blux nach Hause kam, hatte Annie längst das Feld geräumt.

»Auf Wiedersehn, liebes Fräulein.«

»So gut und lieb sind Sie, gnädige Frau!«

Abschiedskuß, Umarmung, ein weinendes Mädchen tief unten im Treppenhaus, eine satte Tigerin im Atelier, fünfter Stock, die sich die Lippen schleckt.

»Blux, schad, daß du weg warst! Lieb ist die 62 Kleine schon, aber mir scheint, sie hat einen, irgendwo, und braucht dich nur so als Kümmerer. Viel hat's mir erzählt, ich glaub, alles.«

 


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