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Es war ein Nachteil dieser vermodernden Wohnung, daß der Tür ein Spion fehlte. Wer läutete, hatte auch schon den Eingang errungen. Blux wartete sehnlich auf Geld, durfte sich nicht erlauben, ein einziges Läuten zu überhören.
Aus tiefstem Schlaf weckte ihn die Glocke. Er nachtwandelte zur Tür, öffnete und flüchtete wieder ins Bett. Gleich darauf saß Ursel in einem Großvater-Armstuhl, der bestimmt war, falls Blux einmal krank würde, irgendeinen Besuch aufzunehmen, – einen kaum erträumten lieben Besuch von irgendeiner Person, die Gott für den Fall dieser Krankheit erfinden würde.
»Gelt, du möchtst gern noch ein bissel schlafen? Schlaf nur ruhig weiter.«
Aber sie sprach drauflos, ununterbrochen.
»Vier Stiegen! Ich bin ganz hin. Also, was ich dir für Opfer bring!«
Blux hatte sich bis an den Hals zugedeckt und blinzelte die schöne Dame an, die einmal seine Frau 47 gewesen – ihn betrogen hatte und seine Feindin war, obwohl er alle »Ehe-Schuld« diskret auf seine Schultern genommen hatte.
»Wer ist das jetzt wieder?« fragte Ursel und stellte sich kurzsichtig vor eine Aktstudie, die in ein paar bravourösen Kohlestrichen das Bild eines auf dem Bauch liegenden Mädchens wies, eines schlanken, weichen, fast noch kindlichen Mädchens ohne Gesicht. Statt sich um ein Profil zu bemühen, hatte Blux etliche Kohle auf eine Halbmähne gewellten Haares verwandt, den Oberkörper in kühner Verkürzung nur angedeutet, all seine Liebe aber einem Paar höchst ausdrucksvoller Beine und delikater Hüften geschenkt.
Ursel stand mit der Lorgnette vor diesem Porträt einer Dame ohne Gesicht, der sie gram war. »Also – das machst du mir nicht weiß – das ist bestimmt kein Berufsmodell!«
Sie ging noch näher.
»Schäm dich! Blux, weißt du, schämen sollst du dich!«
»Bist du eigentlich . . .?« knurrte Blux.
»Der sieht man's doch an – die hat gar nicht gewußt, daß du sie zeichnest. Die hat nur so dagelegen. Also, wahrhaftig, du bist doch wirklich ein . . .«
Nach einer Pause sagte sie voll und bewundernd – »ein Schwein!« 48
Blux pflegte vor dem Schlafengehn sein Frühstück auf einem Tischchen am Bett selbst aufzubaun: eine Thermosflasche, einen Zwieback und Zigaretten. Jetzt begann er, sehr langsam erwachend, mit der Zigarette, goß sich giftstarken Kaffee in die Tasse, während Ursel immer noch den Rückenakt studierte, als läse sie darin den ausführlichsten Bericht über Blux' Gegenwart und jüngste Vergangenheit.
»Weißt, da an der rechten Hüfte – da gehört noch ein Krackel rein – so ein bissl Schatten – das schaut sonst so nackt aus. Alt ist die – höchstens siebzehn. Es ist übrigens gleich zehn, wann kommt sie denn?«
»Ich hab sie erfunden« gähnte Blux, »sie ist schon da – kommt nie.«
»So zu lügen!«
Ursel ließ die Lorgnette fallen, warf ihren Schirm auf den Boden – mit zielsicherer Berechnung so gegen den Nachttisch, daß es trotz des tiefen Teppichs einen Krach gab.
»Also jetzt – meinst, ich seh nichts, ich hab keine Augen im Kopf?«
Die Augen, die sie im Kopf hatte, mit grün-grauen Pupillen in weit und ein wenig mongolisch geschnittenen Höhlen, waren voll Wut.
»Sowas wie die« – dabei zeichnete sie, den Rücken zu seiner Studie, mit gewölbten Händen noch 49 einmal Hüften und Beine durch die Luft – »sowas fällt dir im Schlaf ein?«
Er schwieg, sie sah weiter mit den Augen einer hungrigen Katze drein, machte Mundbewegungen, als ob sie Flüche ballte.
»Genug!« sagte sie endlich, bückte sich nach ihrem Schirm, trommelte damit ein wenig gegen den Nachttisch und ging mit dezidierten Schritten hinaus, wie zum Abschied auf immer.
Blux rief ihr nach: »Ursel! Urschel!«
Dann wütend: »Ursel, ich verbitt mir das –! Also, Ursel . . .«
Sie marschierte ab, knallte Türen und verschwand; zuletzt krachte die Entreetür.
»Gottseidank, daß ich mit dir nicht verheiratet bin!« Schlaf gab's jetzt nicht mehr. Er griff nach zwei Briefen und der Zeitung, die er beim Tür-Oeffnen an sich genommen hatte. Die Briefe sahen wie Rechnungen aus – er warf sie auf den Teppich, der Zeitung schenkte er einen Blick, fiel dann über die illustrierte Beilage her, die seine letzten Zeichnungen bringen sollte. Photos von Kino-Sternen »in ihrem Heim«, ganz reizlose Karikaturen auf Berliner Spießer – nichts von ihm. Das ganze Bündel Holzpapier flog den Briefen nach. Dann zog Blux seine Decke über die Ohren und ärgerte sich über Ursel.
»Was geht sie's an! Kommt hereingeschneit, macht mir eine Szene – diese Eifersucht 50 à tout prix –, auf alles, auf . . . Gerade sie muß eifersüchtig sein – worauf pocht sie? Gerade sie!«
Daß sie ihn betrogen hatte, steckte ihm wie ein Pfahl im Fleisch, obwohl er damals, als sie mit Tränen beichtete, teilnehmend und großmütig gespielt hatte: »Armes Kind –verlaufenes Kind –« und ganz im geheimen befreit die Kette dieser aufreibenden Ehe von sich geworfen hatte. Immer wieder kam diese heruntergefressene Wut auf.
»Mich hintergangen – mit diesem Tassilo, an dem kein Faden echt ist. Jetzt Skandal, weil ich mir erlaube, Akt zu zeichnen. In meiner Wohnung erlaube ich mir, einen Akt an die Wand zu nageln! . . . Und diese geschiedene Dame, die mich nichts angeht! . . .«
Er schloß die Augen, war mit geballten Händen am Einschlafen, als Ursel auf Zehenspitzen hereinkam, ohne Hut und Mantel, blitzblank in ihrer leuchtend sauberen Bluse mit dem kleinen Schlips, einem goldenen Nädelchen als einzigen Schmuck. Sie trug ein großes Tablett mit frohfarbenen Delikatessen: Schinken, Edamer Käse, rote Radieschen, hellgelbes Rührei, buntes Obst.
Als sie neben dem Bett alles bequem für ihn angerichtet hatte, – er starrte nur noch –, saß sie hausfraulich im Ohren-Stuhl, goß ihm frischgekochten Kaffee in eine frische Tasse und bediente sich ausreichend selbst. Sie aß drauflos, ohne nach ihm zu schaun. 51
»Das kannst mir glauben – in ganz Bremen gibt's keinen Schinken wie den! Sowas von Zartheit! Gestempelte Trinkeier, gestern gelegt! Gott, ist das ein Kaffee!«
Er brummte »Ich hab doch um diese Zeit keinen Hunger« – aber es lockte ihn doch, ein paar Bissen zu nehmen. Dann suchte er auf dem Teppich nach seinen Briefen.
»So! Das ist recht! In aller Herrgottsfrüh lauf ich rum und kauf dir ein, halb in der Nacht! Und du . . . Briefe!«
Sie steckte eine dünne Scheibe Weißbrot, die mit Schinken förmlich behäuft war, in den Mund, brüllte ihn an »Lies doch nicht!« und löffelte gleich zeitig mit Fieberhast Rührei.
»Eine Wut hab ich schon gehabt, das kannst mir glauben!«
Aber er warf ihr plötzlich die Briefe zu »Da, lies, dumme Gretel!« – strahlte und machte sich mit Enthusiasmus über das Frühstück her.
Der erste Brief roch nach viel Geld.
». . . es kommt uns keineswegs auf sachlich strenge Darstellung unserer Créations an, sondern darauf, durch flotte, intim reizvolle Zeichnungen unseren Katalog zu einer Art Almanach der eleganten Welt zu machen. Wir denken an etwa fünfzig Zeichnungen »Die Dame und ihre Wäsche« – alles andere würden wir Ihrem Einfall überlassen, falls Sie sich bereit erklären . . .« 52
Ursel verzog den Mund:
»Dem Liebermann täten's das nicht schreiben« und griff nach dem zweiten Brief.
Diesmal riß sie Mund und Augen auf.
»Afrika! Indien! Schon wieder!«
»Gelt, Ursel, das tät man auch dem Liebermann schreiben? Praktischer Lorbeer!«
»Diesmal nimmst du mich mit! Ich besteh drauf, ich bin deine Frau, den Bubi leg ich aufs Eis, ich schwör dir, daß es ein Unglück gibt!«
»Hast du gar nicht bemerkt, daß wir geschieden sind?«
»Nur weil du's gewollt hast, weil ich eine Kuh bin, die immer tut, was irgendein Ochse will! Nur, weil ich zu gut für dich bin . . .«
Blux ging vieles durch den Kopf, Gram und Zorn, daran er immer noch würgte. Er stöhnte tief wie ein Hofschauspieler, aber echt.
Ursel starrte auf ihre Strümpfe.
»Mit dem Tassilo, das war gar nix. Da hab ich nur probiert . . .«
Als er nichts sagte, wurde ihr Ton weinerlich.
»Weil du immer dahergeredet hast, du bist nicht eifersüchtig. Sehn hab ich wollen, ob's wahr ist. Einfach nur, weil ich dich lieb hab.«
»Und weil er berühmt war, Ursel, ha! Pfui Deibel!«
»Sag nicht Pfui Deibel. Ich verbitt mir, daß du Pfui Deibel sagst. Höchstens ich kann Pfui Deibel sagen. Du weißt ja nix davon.« 53
»Und wie du's gemacht hast, Ursel! Ohne Charme, ohne Respekt!
Wenn man seinen Mann hintergeht, dann hüllt man ihn höflich in Lügen ein. – Man hintergeht ihn mit einem, der einen liebt bis zum Selbstmord oder wenigstens so tut. Damit man sich entschuldigen kann, wenn's doch herauskommt. – Und dann muß es einer sein, der arm und klein ist, nicht ein Berühmter, der wie ein Pascha gewinkt hat. Betrogen werden ist nicht so schlimm – aber so als Amphitryon dastehn, ein armseliger Anfänger, der sich noch zu bedanken hat . . .
Takt braucht man, wenn man seinem Mann Hörner aufsetzen will! Und Geschmack. Du hast gewußt, daß mir der Tassilo widerwärtig ist. Aufgeblasen war er, gleichgültig gegen dich, mir hat er so quasi auf die Schulter geklopft ›na ja, junger Freund . . .‹ Jupiter hat er gespielt.«
»Also arm – und verliebt bis zum Selbstmord – und dir sympathisch – und was noch? Diskret und verlogen und respektvoll – und was noch? Da hätt ich lang suchen können, bis dir einer gepaßt hätt!«
»Und dann die Alimentenklage! Aus dem Hinterhalt, mit Wortbruch! . . .«
»So, nur meine Liebe machst du mir zum Vorwurf?«
»Wähh, Liebe . . .« 54
»Damit du nicht die nächste alte Urschel heiratest. Du hast ja keinen Widerstand, du bist ja ein Strumpf, so schlapp, wenn eine Augen macht wie die da.«
Sie zeigte auf den Akt, der eigentlich nichts von Augen verriet, und machte Fäuste, als wollte sie das Bild zerreißen.
»Und von Glück kannst überhaupt sagen, der Rechtsanwalt hat's selbst zugegeben, der Bendler, der immer deine Partei nimmt. Nie kannst du gepfändet werden, weil alles schon mir gehört!«
Blux kam wie ein Beduine aus dem Bett. Jetzt kam der Ausbruch, fällig seit Jahren!
»Du! . . . Erst hast du mich lächerlich gemacht, dann mir gesagt, daß ich lächerlich bin, dann mich zum Bettler gemacht, der von deiner Gnade lebt, dann – ich bin überhaupt kein Mann, seit ich dich kenne, da hast du recht. Ein Strumpf – dazu hast du mich gemacht. Raus, bitt ich dich! Weg!«
Ursel sah ihn an, wie ein Kind ins Gewitter sieht, mit Angst und Entzücken. Nie waren ihre sprühenden Augen katzenhafter, als über einem zuckenden Mund, nie war sie schöner.
»Hau mich endlich durch, wenn du absolut ein Mann sein willst. Aber schlecht behandeln laß ich mich nicht! Von dir schon gar nicht!« 55