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Blux schlich die Treppen zu seiner alten Wohnung hinauf – er fühlte sich bedroht in diesem Haus.
Einpacken, nach Geld suchen, feststellen, ob man Mona auf der Spur war, . . . dann fort!
Es war sieben Uhr, ein grämlich-nasser Herbstabend. In zwei Stunden fuhr er dem ganz neuen, sauberen, geliebten Leben mit Mona entgegen!
Er saß am Schreibtisch, drei Telegramme vor sich. »Fräulein Mona Hauff bei Herrn Blux.«
Viel brasilianischen Stolz mußte es gekostet haben, so zu adressieren!
Es war vereinbart, daß er eine eventuelle Nachricht an Mona öffnen sollte. Er zögerte, fürchtete sich vor diesen Telegrammen. 199
Trotzdem – es mußte sein. Vielleicht gab Brebis Ratschläge, verriet einen feindlichen Schlachtplan. Vielleicht kam es auf eine Entscheidung an, die in der Minute zu treffen war!
»Retourne chez moi, je t'aime autant, ta mère.«
Nichts von Drohung, nichts von Fluch!
Das war das stärkste, Mona den Mut zu rauben, das war ein grausam gut geführter Hieb!
»Komm doch zurück, ich liebe dich so sehr. Deine Mutter.«
Selbst ihn traf er, der diese Frau nicht kannte und ihre Stimme nie gehört hatte. Jetzt glaubte er, ihren Schrei zu hören.
». . . ich liebe dich so sehr . . .«
Stahl er der armen Frau nicht doch ihr Kind? Sie schrie ihm in die Ohren, als täte er's.
Das zweite Telegramm, eine Stunde später aufgegeben . . .
»Retourne . . .« kein neues Wort, nur eine Wiederholung.
Das dritte, dringend, eben erst angekommen:
»Retourne chez moi, je t'aime autant, ta mère.«
Zusammen waren diese Telegramme ein Weinen von vielen Stunden, davon die Nerven jedes Menschen zittern mußten.
Wie anders hatte man sich die brasilianische Plutokratie gedacht! Detektivs an den Grenzbahnhöfen, 200 Rundfunkgeschrei, rasende Autos und Bäche von Gold, die sich an Monas Fersen klebten.
Jetzt war da nichts als eine traurige Mutter.
Gut war der Haken über Dänemark, hasenschlau, eine List, gegen die es keine Gewalt gab. Im Gewühl von Berlin mußte dem besten Detektiv der Atem ausgehn – niemand hatte das Recht, in Mullahs Wohnung zu forschen. Zudem saß Mona jetzt noch in einem der zehntausend Berliner Restaurants, unauffindbar.
Diese drei Telegramme aber waren klüger und gewaltiger als Haken und Verstecke.
Blux packte, den Schädel voll Jammer, warf Wäsche und Kleider durcheinander, kramte alle Taschen nach Geld durch. Wozu packte er?
Da waren diese unwiderstehlichen Telegramme, zusammen ein Befehl, dem ein Kind wie Mona nicht widerstand!
Wenn er die Zettel vernichtete, verbrannte – in diesem Kamin verbrannte? Seine Liebe gab ihm das Recht zu jeder Tat und allem, was ans Ziel führte.
Es würde herauskommen, in acht Tagen, in vierzehn Tagen vielleicht. Dann bekannte er sich zu dieser Untat.
»Gerade daran sieh, wie ich dich liebe! Nicht um ein Verbrechen laß ich dich!«
Vor diesem Kamin hatte Ursel gekniet, heut nacht, reizvoll und wunderbar beleuchtet. Es hatte 201 ausgesehn, als glühte die Lohe durch ihren Körper, durch ihr seidenes Läppchen von Hemd –. Drin war das Bett, in dem vor wenigen Stunden noch ihr warmer Abdruck lag. Deshalb fühlte er eine Hand an der Kehle, verbrannte die Zettel nicht, auf die ein Ferndrucker aus Dresden sein Urteil gehämmert hatte.
Dann kam alles schicksalsgerecht und unbeirrbar. »Da ist er!« rief Mona, als er mit seinem Handkoffer, mit seinem beladenen Herzen zu ihr und Mullah stieß.
Sie hatten Champagner vor sich, Mona goß ihm ein.
»Wir sind jung und glücklich, Blux! Unser Film rollt weiter. Zweiter Akt: die Flucht der Liebenden!«
Ganz flüchtig nur die Frage:
»War eine Botschaft da?«
Er legte die offenen Telegramme vor sie:
»Nur das Selbstverständliche, Gamine!«
Sie las, las, fiel in sich zusammen, ihr Gesicht wurde starr. Weg war das Feuer, aus war der Film. Da half auch Mullahs Beredsamkeit nichts, da gab's ja – gab es keine Argumente.
»Man ist doch einverstanden –« hauchte sie. »Je t'aime autant . . . Das heißt, ich bin – mit allem einverstanden.«
»Glaub's nicht, Mona!« 202
»Was könnte es sonst heißen?«
Jetzt durften sie offen durch die Bahnhofshalle gehn, erster Klasse fahren, sich zeigen – Blux und dies todmüde Kind, das zu seiner Mutter wollte, um auszuschlafen. Kein Detektiv bedrohte sie!
Sie sprachen während der Fahrt, aber alles so matt. Auch sein Beschwören war matt!
»Nie wieder seh ich dich! Jetzt weiß man, daß du zu allem entschlossen bist, jetzt ist es leicht, dich wegzuschleppen.«
»Hast du nicht schon einmal gesehn, daß ich treu bin?«
»Diesen Sprung über's Gitter tut man nur einmal! Kehren wir um, Mona – denk, daß du mich nie wieder sehen wirst!«
Indessen fiel Kilometer um Kilometer hinter den stampfenden Wagen. Ein D‑Zug, der dunkle Nacht durchbraust, stöhnt von Unwiederbringlichkeit.
»Denk an Lasalle und Helene Dönniges. Das ist unser Schicksal.«
Der D-Zug tobte weiter, Mona küßte ihn oft und zart.
»Du darfst mir nie bös sein!«
Dann stieg sie allein ins Auto, ließ sich nicht begleiten.
»Weißer Hirsch!«
»Ich wohne Hotel Stadt Dresden,« schrie er dem Auto nach. 203
Am Morgen gab man ihm einen Brief, den er verständnislos anstarrte.
Monas Schrift, aber ein Umschlag, auf dem gedruckt war »Hotel Stadt Dresden«!
Sein Name, seine Zimmer-Nummer? . . .
Er zitterte, als er ihn aufbrach.
»Mama in Berlin. Ich Zimmer Nr. 12. Mona.«
Fast neben ihm! Noch einmal hatte das Schicksal Mona in seine Hände geworfen!
Diese Zeile hatte sie hinsterbend vor Müdigkeit geschrieben, ehe sie ins Bett fiel.
Blux wartete, wartete furchtbar, Stunden lang. Wach sollte sie sein, wenn er sie nahm.
Dann schlich er hinüber, Nummer zwölf, drückte auf die Klinke –.
Die Tür war offen.
Ein großes Zimmer mit Ehebetten. Aus einem Garten wehte es kühl herein, kein Gepäck, ein paar Kleiderchen auf einem Stuhl, Duft des kölnischen Wassers, das sie gestern gekauft hatten.
Winzig zwischen den Kissen der beiden Betten war Monas Gesicht, winzig und doch streng, die Brauen zusammengezogen, aber der Mund ein wenig offen, als saugte er Küsse. Sie trug das indische Festkleid. Auf dem Tischchen stand sein Bild als Kind, als Neunjähriger, das er ihr gestern geschenkt hatte. Er bebte, las ihr schlafendes Gesicht. 204 Das liebte er! Da war Güte und Mut, da war Klugheit, Reinheit – –.
Wenn er sich jetzt lautlos neben sie streckte? Wenn sie erwachend in seine Augen sah, war sie wehrlos, und dann gehörte sie ihm.
Noch träumte sie von ihm – das Erwachen würde nur ein weiterer, schöner Traum sein, dem keine Wirklichkeit drohte. Sie wollte ja zu ihm, trotz ihrer Mutter Bitten, trotz allem Zorn.
Die Tür hatte sie offen gelassen! Sie wünschte sich ein Kind, wie er gewesen; an ihrem Bett stand das Bild des Kindes, das sie sich wünschte.
»Gibt's auf Ostern ein Peterl?« hatte Ursel gefragt. »G'hört sie schon ganz Dir?«
Gestern Nacht, Ursel . . .
Ein paar Stunden später fuhren sie zusammen wiederum nach Berlin.
Mama hatte telephoniert, wartete voll Glück, wollte Blux empfangen, sobald diese Neuralgie überwunden war.
Stolz wollte Mona vor ihre Mutter treten:
»Ich komme zurück, ganz wie ich gegangen bin.«
Sie ahnte nicht, daß eine andere Frau sich in letzter Stunde zwischen sie und ihren Freund geworfen. Daß Blux gefürchtet hatte, wenn er sie jetzt in den Arm nahm, könnte ihm, Mund an Mund mit ihr, der andere Name entfliehn. – –
In Finsterwalde stand Herr Laporta am Zug, 205 suchte die Fenster ab, stieg ein und wurde lachend begrüßt.
»Soviel Mühe haben Sie uns gemacht, Fräulein Mona!«
»Wie geht's Mama?«
»Seit dem Gespräch heute früh ist sie wieder ganz wohl. Sie freut sich so sehr auf das Wiedersehn!« Ganz heiter ging's zu, ganz fröhlich sprach Herr Laporta, obwohl er leise tadeln mußte:
»Wie konnten Sie das tun, Monsieur Blux? Man klopft an, wirbt um die Hand seiner Braut – glauben Sie, Herr Hauff weiß nicht, daß Liebe ganz allein das Schicksal seiner Tochter bestimmen darf?«
Er erlaubte sich einen dürftigen Witz, ein Witzelchen, über das er sich selbst amüsierte.
»Raub der Sabinerinnen – nein, ist das nicht vieux jeu, meine jungen Herrschaften?«
»Papa hat also nichts dagegen?«
»Mon Dieu, man war überrascht, man tastete im Dunkel, hatte Verdacht. Jetzt ist man orientiert, hat seine Beschlüsse gefaßt! Ich habe vor drei Stunden mit Paris gesprochen, man hat mir Vollmachten gegeben. Wir werden uns verständigen, man wird die Dinge zum Besten von allen regeln.«
Madame Hauff hatte schon aus der Stimme ihrer Tochter am Telephon gehört, was ihr jetzt strahlend verkündet wurde: 206
»Ich komme zurück, Mama, wie ich gegangen bin!«
Inzwischen sprach Laporta mit Blux, ruhig, sachlich, der alte Bonhomme.
»Ein halbes Jahr, während dessen Sie beide sich prüfen. Das ist die einzige Bedingung, die Mr. Hauff stellt!«
»Ich lasse Mona nicht fort!«
»Sie zweifeln an Monas Liebe?«
»Ich weiß, daß in einem halben Jahr keine Tür für mich offen ist.«
»Bedenken Sie doch, als vielgereister, erfahrener Mann: wenn Sie Mona geraubt hätten, wie es Ihre Absicht war – kein Sou Mitgift, Enterbung.«
»Ich habe nicht die Absicht, mich von Herrn Hauff erhalten zu lassen.«
»Aber Mona, die ohne Auto nicht denkbar ist? Die nur Luxus kennt, von Geld nichts weiß?«
»Meine Frau lebt in dem Stil, der meiner Lage entspricht. Nicht umgekehrt!«
»Herr Hauff hielt Sie, pardon Monsieur, für einen Räuber, als er zuerst von Ihnen hörte. Natürlich habe ich ihn völlig beruhigt. Aber er wird erstaunt sein, zu hören, daß Sie ein Kind sind. Eine Mitgift, eine Rente – macht das die Zukunft nicht leichter?«
Nichts nützte – Papa wartete in Paris, die Koffer waren gepackt, Plätze im Flugzeug belegt. 207
»Sechs Monate, Blux! Das ist nichts, das ist ein kurzer, tiefer Schlaf – dann begrüßen wir dich in Rio, Mama, Papa . . .«
»Glaubst du das?«
»Zweifelst du an mir? Schon jetzt?«
Sie durften sich nicht lange sprechen. Mama hatte Kopfschmerzen, aber ihr Kind wollte sie bei sich haben.
»Weiß sind die Segel!« rief Mona, den Ruf der Isolde. »Wir schreiben uns jeden Tag! Du mir, ich dir! Sechs Monate, das ist nichts für Liebende! Papa ist so gut!«
Sie kniete vor ihm, der in seinem Stuhl wie zusammengebrochen war.
»Sei doch glücklich! Ich bin ja so glücklich! Laß mich doch deine Hände küssen! Wir sind doch jung, wir sind doch reich!«