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Es wurde Sturm geläutet. Blux wachte auf, seine Uhr stand. Aber durch's Fenster sah er, daß die Mauer im Osten schon bestrahlt war. Er hatte lang geschlafen.
Eine warme, kleine Kuhle in seinem Bett erinnerte, daß er heut nicht allein geschlafen hatte.
Auf dem marokkanischen Hocker stand Frühstück, 189 die Thermosflasche, Gebäck – danach also war Ursula gegangen.
Der Herr vor der Tür, der so wild geläutet hatte, bat um Verzeihung.
»Ich wollte mich nur überzeugen, ob wirklich kein Mensch zuhaus ist.«
Blux ließ ihn ins Atelier, brachte sich mit Ursels Kaffee und kaltem Wasser ein wenig ins Leben zurück. Es ging rasch. Als er in weichen Opanken eintrat, stand der Herr, ein Notizbuch und Bleistift in der Hand, mitten im Zimmer, hastig schreibend.
Er erschrak, steckte sein Schreibzeug heimlich fort und nannte einen nichtssagenden Namen.
»Es handelt sich um Ihre Mitarbeit bei einem neuen Unternehmen, um die ich bitten soll.«
Er nannte eine Firma ohne Klang, fuhr gleich fort:
»Ich weiß, daß Sie mit Aufträgen überhäuft sind. Trotzdem, welches wären für die Zukunft eventuell Ihre Bedingungen?«
Blux kramte an seinem Schreibtisch, der Browning kam ihm in die Hand, er wog ihn nachdenklich mit einem Blick auf den Eindringling.
Schließlich warf er ihn zurück und zückte statt dessen eins seiner wenigen Goldstücke.
»Sie bekommen für diese Recherche drei Mark, glaube ich. Hier ist ein Pfund, wenn Sie Ihren Auftraggeber nennen.« 190
»Den – kenn ich selbst nicht.«
»Gut, dann schreiben Sie für diese zwanzig Mark Honorar: – – –«
Aber war es nicht dumm, so in die Arena der Milreis-Granden herniederzusteigen? Die bekamen für ihr Geld Auskünfte, wie sie sie wünschten.
Jetzt freilich konnte er diktieren, was er wollte. Der Fremde saß gehorsam da wie ein Stenograph vor dem Chef. Aber das war unter seinem Niveau und Monas nicht würdig.
»Da nehmen Sie – schreiben Sie, was Sie wollen. Ich schlage mich durchs Leben, mühelos, aber ohne Sicherheit. Geld hab ich nie, gehungert hab ich auch nie.«
»Sie Glücklicher!« entfuhr es dem Rechercheur.
»Garantien biete ich nicht. Meine Freunde glauben, nur eine gute, womöglich wohlhabende Frau könnte ein bißchen was aus mir machen. Ich schlafe in den Nachmittag, hatte viele Geliebte, und mein Talent – wenn ich Talent hab . . .«
»Die Dame, die sich von Ihrem Dach in den Hof gestürzt hat?«
»Sie hieß Bertha Strehlicke und war vor langer Zeit eine meiner Geliebten. Jetzt aber raus mit Ihnen!«
»Die Dame, die Sie vor einer Stunde verlassen hat?«
»Fragen Sie die Portierfrau.« 191
Der Rechercheur riß sich zusammen, verbeugte sich und ging.
Unter der Tür bot er seine Hand, Finger mit breiten Trauerrändern.
Er wollte etwa sagen: »Wir sitzen im selben Boot. Es ist eine Schande, daß ich mich zum Spürhund der Reichen mache.«
Aber er gurkste nur hervor:
»Verzeihen Sie die Störung, Herr Blux.«
Eine Stunde später war auch diese Prüfung vergessen, denn das Fernamt rief gellend an.
»Dresden kommt!«
Brebis war am Apparat.
»Ist Mona bei Ihnen?«
»Mona?«
»Wenn sie nicht bei Ihnen ist, kommt sie in einem Augenblick. Sie müssen sofort Ihre Wohnung erlassen, denn Mona wird verfolgt.«
»In meiner Wohnung bin ich Herr!«
Mona ist minorenn. Man holt sie mit Gewalt.«
»Das werde ich nicht erlauben!«
Wie erwachsen war Brebis in diesen Tagen geworden!
»Sie sind nur Herr über Mona, nicht über die Gesetze, Blux! Aber ich glaube, Mona ist keine Hauff mehr, wenn sie bei Ihnen bleibt.«
»Der Vater? . . .«
»Sie müssen ihr Seife und einen Schwamm 192 kaufen, sie hat nichts mit und bekommt nichts, solange ihr Vater lebt. Wenn Sie Mona heiraten, heiraten Sie eine nackte Frau, hat mein Papa gesagt. Das werden Sie tun, Blux – ich adoriere euch beide!«
Bald darauf kam Mona an.
»Me voilà.«
Sie trug ein winziges Gepäckstück, nicht größer als eine Aktenmappe, im Arm, ihr Gesicht war von schlaflosen Nächten aufgequollen, graufarbig und schmutzig, aber leuchtend von Stolz.
»Hier bin ich, Blux!«
Sein Kuß war fremd, matt seine Freude.
»Du Armer! So viele Tage warten, nichts wissen . . .«
»Seit einer Stunde weiß ich, daß du kommst.«
»Ah, gutes Brebis! Hab ich mein Wort gehalten, sag, war ich treu, war ich tapfer?«
Seiner Zärtlichkeit fehlte der Schwung, der sie noch in Genua entzückt hatte. Er fühlte sich bettelarm neben dem Reichtum ihrer Tat. Gottlob, dachte er, daß man handeln muß!
»Fort aus dieser Wohnung, Mona! Wir werden verfolgt.«
»Deine Wohnung – ach, wie ich mich auf sie gefreut hab.«
Der Abdruck von Ursels Kopf lag noch auf seinem Kissen, die Kuhle ihrer Hüften in seinem Bett war noch warm! 193
»Rasch, Mona – wir fliehn.«
Es ging die Treppen hinunter, über den maurischen Hof . . .
Zum letztenmal, dachte er! Jetzt schlag ich die Türen dieser häßlichen Jugend ins Schloß hinter mir. Es muß ein anderes Leben möglich sein!
Im Laufen – denn ihn jagte die letzte Nacht – erzählte sie atemlos:
»Mama, Papa, Beatrice, Herr Laporta – was haben sie alles gesprochen? Ich weiß es nicht, aber das hab ich gesehn, daß du recht hattest. Mauern werden sie zwischen uns baun! Nicht einmal Beatrice kann ich mehr liebhaben! Wo führst du mich hin? Ich hab nichts mehr als dich!«
»Wir könnten zu Mullah gehn?«
»Jaja, zu Mullah! Sie haben mich nicht verstehn wollen. Aber ich habe gesagt ›je l'aime‹, man kann mir nichts vorwerfen. Ehe die Hähne schlugen, bin ich davon. Weißt du, was ich im Koffer hab?«
Jetzt erst fiel ihm ein, daß sie das Köfferchen trug, sie, die müde. Er nahm es, wog es.
»Deine Mitgift, Mona? Wir fahren nach Gretna-Green!«
»Ja, meine Mitgift! Ich zähl sie dir auf: ein Hemd, ein Höschen, ein Paar Strümpfe. Die Zahnbürste sogar hab ich dagelassen, von meinem Toilettetisch ist nichts dabei. Ich dachte, das gibt eine Stunde Vorsprung. Niemand wird glauben, 194 daß eine junge Dame ohne Polisseur und Nagelcrême davonläuft.«
Jedes tapfere Wort machte Blux elender.
»Und deinen indischen Pyjama! Den hab ich gerettet, schön gebügelt und ganz wie neu! Aber der ist keine Mitgift, der ist schon von dir!«
Gottlob, es gab viel zu tun. Sie kauften in einer Apotheke, was unbedingt zum Bad gehört und Brebis schon vorgeschrieben hatte.
»Du mußt alles bezahlen, Blux! Ich bin über das Gitter gestiegen, erst hab ich die Tasche hinübergeworfen, dann bin ich nachgeklettert. Deshalb hab ich ein Loch im Strumpf. Dann bin ich vierter Klasse gefahren, dort sucht mich niemand, hab ich gedacht. Aber ich hätte auch nicht genug deutsches Geld gehabt, um anders zu fahren. Aber Geld zum Wechseln hab ich auch nicht. Wenn ich dich nicht gleich getroffen hätte – mein Gott, was finge ich jetzt an? Aber du hast auf mich Tag und Nacht gewartet, ohne Nachricht, – du bist treu!« Mullah sah wieder stolz und unzufrieden aus wie vor dieser Reise. Er hatte ein Büro mit zwei Mädchen, die ihm den Dienst erleichtern sollten. Sein elendes Los war es, diese Doppel-Plage mit Arbeit zu füttern. Heut, am Sonntag sogar, quälte es ihn, womit er sie morgen ein bißchen beschäftigen würde.
Bei Monas Erscheinen strahlte er auf, als brächte sie die indische Welt unter indischer Sonne mit. 195
»Er freut sich mehr als du, Blux!«
Mullah öffnete die Arme, sie fiel hinein.
»Wie er sich freut! Er ist dein Freund, Blux!«
»Und Ihr Freund, Mona!«
»Dann schenken Sie mir ein Bad, Mullah!«
Blux besaß von der Neptun-Ernte noch hundert oder zweihundert Mark, er wußte es nicht genau. Etwas mußte im Reiseanzug stecken, ein paar Noten im Smoking, eine bestimmt im Skizzenbuch. Er würde Recherchen machen. Da und dort hatte er kleine Guthaben, ausstehende Honorare – aber heut war Sonntag.
»Ihr müßt sofort nach England! Alle Polizisten der Welt stellen sich momentan unter das Kommando von Herrn Hauff!«
»Wieviel kannst du uns leihn?«
Mullah suchte mit finsterer Miene Laden und Taschen aus. Er war ein ordentlicher Mann, der sein Geld auf der Bank hatte, mit Schecks zu zahlen pflegte.
Lindpeitner wurde angerufen.
»Blux und Fräulein Hauff müssen, heut abend noch, nach England fahren. Wieviel Geld haben Sie?«
Sogar Steinkopf wurde antelephoniert, Not kennt kein Gebot.
Steinkopf war der reichste, weil er der ärmste war. Er wußte nichts von den Funktionen einer Bank, 196 besaß nicht viele Anzüge und dachte immer an morgen.
»Was ick habe, steht zur Verfügung!«
Während Mullah kreuz und quer durch Berlin rief und zusammenkratzte, was zur Flucht und ein paar Tage Irrweg nötig war, trieb Blux für Mona alles Genießbare in seiner Wohnung auf, kochte Tee, briet das einzige Ei, deckte den Tisch. Erfrischt und duftig kam Mona zum Vorschein, Mullahs Kimono über dem weißseidenen Festkleid. Jetzt erinnerte sie wieder an das kostbare, fragile Kind vom Neptun. Wie hatten diese paar Stunden Armut sie verwandelt!
»Ich hab schon zweihundertdreißig Mark beisammen!«
»Und ich ein Frühstück wie auf dem Neptun!«
»Achtzig von Lindpeitner, hundertzwanzig von Steinkopf, dreißig von mir . . .«
»Ein Ei à la Blux, zwei Blättchen Schinken, die gestern noch frisch waren.«
»Ihr seid herrlich, alle! Ihr seid Bohême!«
Mona war so ausgehungert wie arm. Kein Stückchen Brot seit vierundzwanzig Stunden!
»Du bist ein großer Herr, Blux! Du hast reiche Freunde! Ich bin dir zugelaufen, ein verhungertes Straßenmädel mit zerrissenen Strümpfen.«
Mullah suchte ein Kursbuch und fand es nicht.
»Ihr könnt nicht direkt fahren, auf keinen Fall 197 fliegen! Ihr müßt über Dänemark, einen Haken schlagen wie Hasen.«
Die Visa für England waren vorgesehn. Aber für Dänemark! . . .
»Es geht per Transit-Visum! Von Kopenhagen nach Leith fährt beinah täglich ein Boot! In London haben wir Freunde, die euch verstecken.«
»Ein Film, Blux, ein echter Hollywood-Film! Ich werde entführt!«
Nach vielen Anfragen stand endlich fest: spät abends mit dem Schnellzug nach Lübeck, nachts mit dem Dampfschiff nach Kopenhagen, am Morgen an Bord nach Edinburgh. Auf dieser Tour wurden sie unmöglich gegriffen, da suchte niemand! Dann Eisenbahn nach London, Versteck bei einem von Lindpeitners Kollegen, dann – Gretna-Green!
»In einer Woche heißen Sie Frau Blux, Mona! Dann ist Brasilien machtlos!«
Ob das Geld reicht?
»Fünfhundert drahte ich nach Edinburgh!«
Und weiter?
Mona antwortete selbst, beglückt von ihrer Tapferkeit.
»Dann fängt das Leben wirklich an! Aber, Mullah – warum sind Sie so gut zu uns?«
»Weil ich längst weiß: Blux bekommt dich zur Frau, oder er geht mir vor die Hunde.«
Blux mußte übersetzen und übersetzte freudig:
»Vor die Hunde – sur la paille.« 198
»Ist das wahr? Es muß ja wahr sein, sonst würden nicht all deine Freunde . . .«
Plötzlich schlief das arme Kind, schlief weg, mitten aus seinem Jubel und seinen Triumphen. Die Hände gefaltet noch im Sturm der Begeisterung: »Wenn ich nicht bei ihm bleib, geht er vor die Hunde.«
Ueber die schlafende Mona hinüber gratulierte Mullah:
»Verdient hast du das nicht, mein Lieber! Verdien dir's!«