Balder Olden
Flucht vor Ursula
Balder Olden

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Neuntes Kapitel

Durch Indien reiste die »Neptun«-Gesellschaft in zwei eigenen Zügen. Die »Reporters« wurden immer zusammen gefrachtet – sie hatten ein Abteil zu vieren, Salon bei Tag, Schlafzimmer nachts, ihr Bad, ihren Boy. 133

Morgens kam er ans Bett und flüsterte: »Tee, Sahib«, so sanft, daß man nicht aufwachte. nur ganz behutsam ins Leben zurückfand.

Dann kam für Blux die Frage: war Mona im gleichen Zug? Denn manchmal wurde nachts umgekoppelt, dagegen war selbst Dittelhei machtlos. Schließlich fanden sie sich, frisch nach dem Bad und von neu entdeckten Parfums duftend, im Korridor. Kohlenruß und grauer Sand quirlte durch die Fenster, die Sonne war noch jung.

Draußen flog Wüste um Wüste vorüber, Lehmdörfer, die vom Wind in den Sand geweht schienen, manchmal ein breiter, seichter Strom, in dem Krokodile ihr Sonnenbad nahmen.

Züge kreuzten den Weg, aus deren offenen Fenstern Hunderte von nackten Hindubeinen ragten wie braune Stacheln eines großen Wurmes. Heiß war's schon frühmorgens – und immer neu, was man erlebte.

»Backschisch! Backschisch!« rief es aus den Zügen, auf den Haltestellen, in den Straßen fremder Städte.

Hielt der Zug in bewaldetem Gebiet, dann kamen Affen herangeturnt, kletterten auf Laternenpfähle und Bäume, streckten die schmalen Pfoten, oft winzige Kinderhändchen, ins Fenster »Backschisch!«. Mit Brot und Nüssen in der Backentasche, Bananen in der Hand, machten sie sich wieder davon, 134 sobald die Lokomotive schwarz um sich spie. Sie nahmen sogar Geld mit ins Affenreich.

In großen, fremden Städten war Blux plötzlich allein.

Mona und Brebis, zwei artige Mädchen, saßen auf dem Rücksitz eines Wagens, in dessen Fond Herr Laporta und Fräulein Laporta, seine Schwester thronten.

Auf diese Laportas warf jetzt Blux, was an Gift und Uebelwollen in ihm war. Brebis ging noch – Brebis sah mit lauwarmer Sympathie, daß er und Mona sich liebten. Die alten Laportas, das alte Fräulein besonders, waren Feinde, obwohl sie sich viel toleranter zeigten, als ihrem Amt entsprach.

Diese Feindschaft brachte Sport und Bewegung – oft gab es Listen und Ueberfälle, die wie Triumphe wirkten. Blux war immer im Sturm, brach durch Hindernisse, entführte seine Prinzessin aus dem feindlichen Drachennest.

»Ich bin eifersüchtig, auf diese alte Jungfer sogar! Bist du ihr Gast?«

Herr Laporta war kein Onkel oder Gastgeber, nur ein Direktor der Casa Hauff. Freilich beauftragt, über Mona zu wachen.

Millionärstochter also? Brrr . . .

Jetzt verstand Blux, wieso die anspruchslose, kleine Mona oft sinnlos viel Geld ausgab, einmal im Bazar von Jodpur so viel, daß Herr Laporta aufgeregt zu Blux kam. 135

»Sie müssen so etwas verhindern!«

Klein und betreten stand Mona daneben, ein Kollier aus Mondsteinen in der Hand, das bläßlich strahlte.

»Kein echter Stein, Mr. Blux! Dafür hat Mademoiselle 'Auff sechshundert Rupien gezahlt!«

»Ich dachte, es ist ein glänzender Kauf? Zahlt man in Brasilien nicht sechsmal soviel für Mondsteine?«

Sie hatte von Geld keinen Begriff, von Armsein oder Reichsein nicht einmal, zeichnete auf ihr Reise-Scheckbuch grotesk kleine oder bizarr große Summen, ohne zu ahnen, was sie tat.

Daß Blux fünf Pfund für eine Zeichnung nahm, wußte sie und fand es ungeheuer, wie er.

»Wir sind jung, wir sind glücklich, wir sind reich!« flüsterten sie sich zu, wenn irgendein Wölkchen die Sonne bedeckte.

In jeder Stadt durchjagte man die Bazare. Blux mit seinen Freunden, Mona mit Laportas. »Na, hörnse, Verehrtester,« sagte Steinkopf, wenn man ihm die Preise übersetzte. An Bord war er Gast und reich gewesen, jetzt spürte er den leeren Beutel.

Sie saßen stundenlang in einem Laden, Schmuck, Seidenstoffe, schimmernde Gewebe, silbernes Gerät wurde um sie gebreitet. Der Handelsherr kauerte auf dem Boden, seine Diener eilten nacktfüßig, in 136 schönen Gewändern, schleppten immer neue Schätze herbei.

Man suchte aus, verglich, fand alles zu teuer, bedauerte.

Ein Wagen, neben dem Kutscher ein weiß gekleideter Diener, ein schneeweißer Diener hinten angeklammert, fuhr sie kreuz und quer durch die große Stadt, an Hunderttausenden vorbei. Hielt man irgendwo, ganz unvorhergesehn, dann stand plötzlich vor ihnen ein brauner, feierlich-schöner Mann, andächtig das Gesicht mit dem frisch gemalten Götzenzeichen auf der Stirn, große Pakete unterm Arm. »Salam, Sahib.«

Es war ein Diener des Kaufmanns, dessen Preise zu hoch gewesen. Jetzt waren sie billiger – wurden immer billiger bei jeder Begegnung, bis man auf dem Bahnhof den Handel abschloß.

Gefunden wurden sie immer, an jeder Haltestelle, in jeder Stadt, im schnellsten Wagen.

Blux' erstes Geschenk für Mona war ein hauchdünner Schlafanzug aus weißer Seide. Er hatte ein Pfund gekostet, war aber sicher die Hälfte wert. »Wirklich? Wirklich für mich?«

Um Mitternacht sollte der Extrazug abfahren. Um elf Uhr ging man schlafen wie an Bord oder im Hotel, trunken von den Bildern jeden Tages. Mona bestellte Blux ans Fenster ihres Schlafwagens, damit er sie im weißen Pyjama bewunderte. Heimlich hatte sie einen Vorhang gelüftet. 137

Er stand im Dunkeln, sah hinein – vier Damen bei der Toilette, unter ihnen Mona in seinem nichts verbergenden Gewand. Sie wußte nicht, wie nackt sie war, war nicht eifersüchtig auf Brebis im lila Kombination oder Steinkopfs leuchtendes Sternen- und Streifen-Kind, das gerade jetzt nichts über dem erwachenden Leib, nur sein Hemdchen über dem Gesicht trug.

Mona stand hell im Licht, die Finger in der Seide ihrer Beinkleider, und strahlte ins Dunkel, in dem Blux sich verbarg.

Dann zeigte sie ihm einen Bergkristall, in dem Shiwas Kopf gegraben war, – man bekam diese Amuletts als Geschenk, wenn man etwas gleich Wertloses gekauft hatte.

»Das bringt Glück, Blux!« schien sie zu sagen und winkte in die Nacht. Es war ihr Gegengeschenk, auf das sie stolz war wie auf den Plunder dieses Schlafanzugs.

Blux begann zu ahnen, was die Casa Hauff war, – und erschrak. Sörissen-Gorissen zum Kubik gesteigert, eine Macht, ein drohend-häßlicher Geldkoloß! Wie leicht würden die ihm Mona aus den Händen reißen, ein Kind, das da unter Spinnwebschleiern seine Brüste ins Licht hielt, um sich dankbar zu zeigen, – zwischen dem hell-nackten Backfisch ohne Kopf und der schwarzfunkelnden Sünde in lila Dessous –, ein Kind aus so reichem Haus, daß es nicht wußte, was Reichtum ist. 138

In Benares fuhr man auf hochgebauten Ruderkähnen den Ganges hinunter. Da lag Palast an Palast – Nabobs aus ganz Indien hatten diese turmhohen Schlösser gebaut, von denen frontbreite Treppen zur schmutzigen, heiligen Flut führten. Einmal im Jahr wollten sie hier wohnen, sich reinigen, einmal im Leben hier sterben.

Tausende, viele Tausende von Menschen drängten sich ins Wasser, tauchten unter, spülten sich den Leib frei von Sünden, beteten und kasteiten sich. Sie standen in Kreuzesgestalt, rutschten auf den Knien die Treppen hinauf, hinunter, hielten sich Mund und Nase zu, quälten sich, bis sie ohnmächtig in die Fluten sanken. Haarumwallte Heilige lagen auf Stachelbetten, zehn Stunden des Tages, hungerten und freuten sich blutiger Male.

Boote kamen herbei mit Tempelaufbauten, schwimmende Gotteshäuser, in denen ein Priester amtete, ein im Gebet verzückter Reicher sich auf nackten Planken wand.

Daß überall Europäer glotzten, kodakten, Feldstecher handhabten, tat ihrer Andacht nichts. Riesig und ewig waren die Tempel und Paläste über den Ghâts – winzig und vorbeihuschend die Neugier der Ungläubigen.

Zwei der Fremden-Boote kreuzten sich, glitten Deck an Deck. Blux griff hinüber, Mona herüber – dann ein Schwung, sie war entführt!

Sie winkte Brebis »au revoir«. – Viele hatten 139 es gesehn. es tat nichts, wenn alle wußten, daß sie bei ihrem Freund war.

»Das war jefährlich« lachte Steinkopf und zeigte in den Ganges, der lehmgrau, übelriechend, mit starken Wellen nach Osten zog.

»Blux hat mich doch gehalten!«

Am Ufer war ein allerheiligster Platz, dort flackerten Scheiterhaufen.

Von bekränzten Bahren wurden Tote geladen, die gestern noch gelebt hatten, vielleicht noch heute, vor einer Stunde. Wie auf dem Prunkbett lagen sie da, in leuchtender Seide, mit goldnen Borten, perlenbestickt, Gold und Reichtum an den Gelenken, das Gesicht verhüllt. So hob man sie auf den Scheiterhaufen – der jetzt rüstig die Flammen schürte, mit vollen Backen blies, mit großen Fächern Wind holte, nicht ruhte, bis die Lohe, schwarz im Kern, mit gelben Rändern, auffuhr und alles verzehrte, war der Sohn des Toten. Es ging sehr rasch, auf jeden Scheiterhaufen warteten die Stillen, Geschmückten in langer Reihe. Man fuhr aus ganz Indien sterbend nach Benares, um vom ältesten Sohn an heiligen Wassern verbrannt zu werden.

Holzasche wie Menschenasche wurde in den Ganges gestreut, deckte grau, mit brenzlichem Fleischduft, die trüben Wellen.

Ein Toter, der wohl erst ein Sterbender war, – zum Scheiterhaufen gerissen von der Sehnsucht, 140 aller Sünden nur rasch, nur rasch ledig zu werden, krümmte sich, als die Flammen aufzüngelten, stieß sein Knie aufwärts, zuckte ein letztes Mal – und Minuten später war er verschwunden mit seinem Damast, seinem Gold, seinem ganz vollendeten Leben. Kohlenstücke waren von ihm und dem Holz geblieben, die mit der Asche in den heiligen Strom fielen.

Mona hatte nur wenig gesehn, hatte nur Blux angesehn, der grün und krank wurde. Sie drückte ihm die Hände, hielt ihr Gesicht zwischen seine Augen und das Schreckliche.

»Wir sind jung, wir sind glücklich . . .«

Und noch näher zu ihm:

»Du hast neben dir eine Frau, die dich anbetet.«

Später prahlte sie zu seinen Freunden:

»Wie gut, daß ich bei ihm war!«

Abends ging's im offenen Wagen – nur Mona und Blux – durch die breiten Straßen, die ein ungeheurer Strom von braunen Wallfahrern ganz erfüllte. Braune Gesichter, braune Glieder, staubige Kleider in unendlicher Masse, ein Element wie Wasser, das sich vor den Pferden teilte und im Rücken des Wagens abermals schloß.

Der Kutscher war stolz auf seine weißen Gäste, fühlte etwas von der großen Macht der Weißen auf seine Person übergehn. Rechts und links von ihm staute sich das braune Element, Männeraugen 141 flammten aus Staubkrusten, zarte, kleine Frauen zuckten zusammen.

Blux glaubte erst nicht, was er sah, dann war kein Zweifel – ganz mechanisch, so wie man einen Halm durch die Luft schwingt, zog der Hindu-Knecht des weißen Mannes seine Peitsche um die unsagbar schlanken, von vielen Wandertagen todmüden Beine der Hindufrauen. Sie folgten in einem scheuen Bogen weiter der Spur ihres voranschreitenden Eheherrn, klagten nicht, drückten nur das Kind fester an sich, das auf der linken Hüfte ritt. Neues Braun, neue Beine, um die der gemächlich fahrende Bursche abermals blutrote Bänder zog. Ganz plötzlich sprang Blux auf – dann lag der Turban des »Gharry-Walla« hinter dem Wagen im Staub, seine Peitsche zerbrochen daneben, die Ohren des Burschen glühten.

Es war eine Reflex-Bewegung, eine doppelte Reflex-Ohrfeige gewesen – was würde geschehn? Zu Zehntausenden rings Hindus, er ganz allein mit seinem fremden, weißen Mädchen – niemand konnte wissen, warum er geschlagen hatte.

Es geschah nichts. Mona saß steif, ihr Gesicht bewegte sich nicht, sie fragte und fürchtete nichts.

Der Gharry-Walla sprang vom Bock, rings brandete weiter der Strom der braunen Wallfahrer. Er las seinen Turban auf, legte vor Blux demütig ergeben die Hand an die Stirn, fuhr weiter. 142

Mona sah gradaus. Es war etwas geschehn, unerwartet, roh – aber Blux hatte es getan, sie tadelte nicht.

Dann strahlten ihre Augen, als sie den ganzen Hergang erfuhr. »Das war gutt!«

»Du hast mich geschlagen, Sahib,« bettelte später der Hindu. »Jetzt gib mir Backschisch.«

Mona stopfte ihm all ihre Silber-Rupies in die staubigen Hände.

»Weil diese Ohrfeige so unendlich schön war, Blux!«

 

»Sie werden verstehn, Mlle. Mona, daß es meine Pflicht ist, Ihren Eltern alles mitzuteilen, was wir auf dieser Reise zu sehn bekommen, ich und leider auch Brebis.«

»Teilen Sie meinen Eltern alles mit, Fräulein Laporta.«

»Und daß ich Ihnen verbieten muß, diese Art Verkehr mit diesem Reporter fortzusetzen. Ich weiß, daß Sie mir nicht gehorchen werden, – aber ich muß es verbieten.«

»Sie wissen alles voraus.«

»Jedenfalls werden Sie mit uns über Bombay auf dem »Neptun« weiterreisen, hoffe ich. Oder fahren Sie mit den Reporters über Land nach Ceylon?«

»Es wird sich finden, Fräulein Laporta.«

Bald darauf nahm Herr Laporta Abschied von seiner Tochter, seiner Schwester, auch von Blux. 143 Er fuhr mit den schnellsten Zügen, den schnellsten Schiffen nach Westen, denn auch seine Pflicht war es, der Casa Hauff und ihrem Chef alles mitzuteilen, was er und leider auch Brebis gesehn. Es war so furchtbar, daß er, der als ein harmlos plaudernder, mit Allen freundlicher Herr in den besten Jahren abgereist war, auf den Dampfern, die er nun bestieg, als ein alternder Wüterich galt. Nichts war ihm recht, grimmig war er. Auf diese Erholungsreise hatte er sich zwanzig Jahre lang gefreut.

 

Wenn Liebende alle Welt durchsuchten, um den reinsten, heiligsten Ort für ihre Schwüre zu finden – es gibt nur eine Tatsch!

Dies Mausoleum aus Marmor-Filigran, dies Schloß mit maurischen Bögen, das Licht in sich trägt, als sei ein Jahrhundert Sonne darin gefangen, ist unserer Welt großes Denkmal einer irdischen Liebe! Das größte Menschenlied, in Stein gehaucht, das nur von Liebe singt.

Ein Gewaltiger, Künstler und König, hat Schätze und den Abend seines Lebens gegeben, es zur Erinnerung an seine junge Königin zu errichten. Shah Jehan! »Zierde des Palastes« war ihr Name. Die Tatsch hat nicht ihresgleichen – Abend- und Morgenland wachsen hier ineinander, eins in Demut vor dem hellsten Licht, das in uns glüht. 144

 


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