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Im Garten der Tatsch Mahal trennte sich Blux von Mona – er mußte allein sein, drei Tage lang, um nachzudenken wie ein indischer Büßer.
»Wir müssen Abschied nehmen lernen, Mona.«
In Ceylon sollte ja alles vorbei sein.
Mona aber schwur sich im Schatten des Mausoleums, den ein leuchtender Mond über Teiche und Rasen warf:
»Nie!«
Nach drei Tagen trat sie ihm auf einem Bahnhof entgegen, so beglückt und hingerissen, daß ihr Gesicht eine Proklamation war.
Mademoiselle Laporta und Brebis, die Reporter, alle durften, sollten es sehn.
»Ich war ohne dich so unglücklich,« erzählte sie, »trostlos ohne dich, wie ein Stein.«
Im Hafen von Bombay lag ein Schiff, das wie ein Leuchtturm strahlte, in riesigem Schwung Ketten blitzender Lampen in den blauen Nachthimmel geworfen hatte. Der »Neptun« begrüßte seine Gäste.
Da hatten sie wieder ihre Kabinen und Hallen, ihre Sportplätze, ihr Schwimmbassin und die Verstecke; die alten Gesichter rings der Schiffsoffiziere, Stewards, Stewardessen, den in Güte strahlenden Schatzmeister über Delikatessen – Reichtümern, – man kam nach Hause. 145
Aber Blux zeichnete nicht, verkaufte nicht mehr. Die beiden waren im Mittelpunkt aller Feste und Turniere gewesen, jetzt verschwanden sie fast.
Herr Laporta war auf der Fahrt nach Europa, Blux' Freunde reisten im Extrazug durch Indien. Um ein weniges an Caché zu retten, verlangte Mlle. Laporta, daß Blux an ihrem Tisch speiste. Das alte Fräulein hatte ein paar Freundschaften an Bord geschlossen, wurde nicht selten gefragt, ob die jungen Leute, die unter ihrem Schutz standen, verlobt seien.
»Tiens, tiens, tiens . . . Ja, diese jungen Leute heutzutage.«
Sie gab zu verstehn, daß nichts ohne ihr Wissen geschah, zu ihrer Zeit freilich anders geschehen wäre. Ein paarmal wandte sie sich noch an Mona:
»Sie sehen, wie ich bemüht bin, Ihre Position zu decken. Aber es ist entsetzlich . . .«
Weiter kam sie nicht, das »entsetzlich« schon blieb halb ausgesprochen und flatternd in der Luft. So absolut hatte Mona ihr jedes Gehör verweigert. Die Arme wandte sich an Blux.
»Es ist nicht ehrenhaft Ihrerseits, Monsieur . . .«
Blux wußte das alles.
»In Ceylon verschwinde ich, Mademoiselle.«
»Aber die Dehors! Hier an Bord! Könnten Sie nicht diese wenigen Tage? . . .«
Es läßt sich wenig für Dehors tun, wenn der 146 Wunsch, allein zu sein, zwei Menschen ganz beherrscht.
Es war ja alles Halbschlaf oder Maskerade, wenn man bei Tisch saß, mit anderen sprach, an andere dachte. Der Tag, den sie spät begannen, war nur hastiges Warten auf die Feier der nächtlichen Stunden.
Brebis wurde abgerichtet, das unbotmäßige Paar zu begleiten, zu beschnüffeln, nach außen zu decken. Armes Lämmchen! Schläfrig und verpuppt hatte es diese Reise begonnen – jetzt war es hingerissen von so viel Schicksal! All das gab es wirklich, was in den Büchern der Dichter stand!
Sie spionierte, aber nicht gegen die Liebenden. Sie horchte und lauschte, wie es ist, wenn zwei Menschen sich finden, bewunderte beide, die den Mut zu ihrer Zärtlichkeit hatten. Sie verschwand, um sie allein zu lassen, saß einsam im Dunkel und wartete, bis sie als Deckung gebraucht wurde.
Inzwischen ging eine drahtlose Korrespondenz zwischen Fräulein Laporta und ihrem Bruder, von Meer zu Meer, Weltteil zu Weltteil. Herr Laporta wollte nichts unternehmen, falls die Lage an Bord des »Neptun« günstiger wurde.
Aber die Bulletins wurden täglich schlimmer. Mlle. Laporta erschien sich wie der heldenhafte Verteidiger einer vom Feind berannten Festung. Sie magerte ab, ihr gutmütiges Gesicht wurde 147 spitz und kämpferisch. So hatte sie nie, ihr Leben lang, im Feuer gestanden!
»Du willst mich in Ceylon verlassen, Blux?«
»Ich kann nicht anders.«
Er würde sie immer wieder finden, in Brasilien, in Paris oder Lissabon, auf den Sternen. Diesmal mußten sie sich trennen.
Hatte er nicht sein wirres Dasein so vor ihr ausgebreitet, daß nichts verborgen war? Längst mußte sie wissen, daß er sie nie entbehren konnte. Sie gab ihm Ruhe, die er nie gekannt, Vertrauen zu sich selbst. Aber freilich:
»Ich zerstöre dein Leben, wenn ich bleibe! Deine Eltern, die Gesellschaft – alles fällt von dir ab. Was kann ich dagegen bieten?«
Als er sein Bündel geschnürt hatte, im Hafen von Colombo bereit war, das Schiff zu verlassen, rang sie sich endlich die unmöglichen Worte ab, von denen sie voll war:
»Geh zu meinem Vater, verlange mich!«
Blux wußte im Schlaf, was Sörissen-Gorissen über ihn dachte, sprach. Er hörte nicht auf, ihr vorzurechnen:
»Keine Stellung im Leben! Nichts gelernt! Vater eines verlassenen Kindes, geschieden, treulos, ziellos – aus der Bohême und in die Bohême geboren, arm, aus der Hand in den Mund . . .«
»Dein Vater hört nicht zu, wenn ich um dich werbe. Du wirst eingesperrt, ich vor die Tür gesetzt.« 148
»Wenn ich dich liebe, hat man nur zu schweigen.«
Die kleine Brebis sogar wurde weltklug.
»Er kommt wieder, wenn du mündig bist, Mona! Ich adoriere euch, ihr seid so tapfer! Aber jetzt laß ihn verschwinden.«
»Wenn ich ihn liebe, hat man nur zu schweigen.«
Es schien Mona das unumstößliche Gesetz, hoch über Elternwillen und Gesellschaft, daß Liebe eine irdische Macht ist, eine Realität, der alles sich beugt.
»Si je l'aime, l'on n'a que se taire.« – – –
Mit Hallo und voll von Abenteuern kam die Landgesellschaft wieder an Bord.
Fräulein Laporta wandte sich an Steinkopf:
»Sie könnten selbst erwachsene Töchter haben! Dieser junge Mann ist das Verderben für meinen Schützling! Von Ihnen verlange ich, daß er das Schiff verläßt!«
Aber Steinkopf begriff nicht, worum es da ging, obwohl Lindpeitner tüchtig übersetzte.
»Soso, in Brasilien erkennt man die Scheidung nicht an? Na, dann heiraten die beiden eben nicht.«
»Und wenn Senhor Hauff seine Tochter enterbt?«
»Schließlich sind wir alle nackt jeboren.«
Was Fräulein Laporta unvorstellbar war: eine arme Mona, ergriff ihn nicht.
Unbeschreiblich war das Flammen und Sprühen der tropischen Welt! Die Stadt Colombo, ins Licht geworfen, blühende Gärten, in denen alles 149 Leben der Menschen spielte. Kein Geheimnis schien da möglich, keine Häßlichkeit und keine Armut. Die Rikschah-Kuli sogar, zweibeinige Zugochsen, waren stolz in ihrer Bewegung, hatten freie Augen und schmale Lippen.
»Ich verstehe, daß du hier bleiben willst, Blux! Aber dann bleib ich auch.«
In Aden, in Suez, Port-Said – immer wollte Blux das Schiff verlassen, jedesmal blieb er.
Dann erfuhr Mona – ihre Eltern waren unterwegs nach Europa! Ihretwegen? »Weshalb sonst, glauben Sie?« fragte vorwurfsvoll Fräulein Laporta. Armer Papa! Er hatte nicht vorgehabt, noch einmal über den Ozean zu fahren. Jetzt zwang sie ihn hinaus in die Welt!
»Ich kenne ihn so wenig, meinen Papa! Aber ich hab ihn nie zornig gesehn.«
Auch die Mutter konnte nicht zornig sein – das war unvorstellbar. Nur traurig wurde sie manchmal.
»Ich glaube, sie hat einmal erlebt, was ich jetzt erlebe, nicht mit Papa! Ach, die Arme . . .«
Langsam lernte Blux das riesige Schloß der Avenida della Concha kennen, in dem Mona zu Hause war. Er erinnerte sich dieser herrlichsten Avenida der Welt, vor die sich der Golf von Rio breitet wie ein See. Ein tropischer Garten, kühle Wege zum Strand, Marmorsäle, ein Heer von Gouvernanten, Dienern, den Autopark, den Rennstall. Durch 150 vergoldete Gitter hatte er in diese Gärten geschaut, ein zeichnender Vagabund, der keinen Einlaß hatte.
»Die Pferde sind Papas Bijoux.«
Der alte Mann war in seiner Pracht einsam und geheimnisvoll. Aus ihrer Kinderzeit hatte Mona kaum eine Erinnerung an ihn.
»Er war immer sehr gütig zu mir.«
Sie bewunderte ihn, sogar aus der Ferne.
»Zu Hause sprechen wir nur Französisch. Aber er kann alle Sprachen!«
Wenn er Mona zu sehen wünschte, befahl er sie tags zuvor wie zur Audienz. Sein Wartezimmer war stets voll Menschen, mit siebzig Jahren hatte er Tag um Tag und Stunde um Stunde besetzt. Sie wartete mit Angst, bis an sie die Reihe kam.
Bei Tisch erschien er nur, wenn er Gäste hatte; dann behandelte er Mona wie eine der geladenen Damen, war ritterlich und küßte sie auf die Stirn. Sie begrüßte ihn mit einem Knix.
Ihre Bitte, diese Reise mit Laportas machen zu dürfen, hatte sie schriftlich, als Geburtstagswunsch, vorgelegt.
Ihr Toilettegeld bezog sie durch die Buchhaltung der Casa Hauff. Hatte sie Schulden, dann gab es ein schriftliches Bekenntnis und schriftliche Absolution.
»Ich glaube, Mama kennt ihn nicht besser als ich.« 151
Mama lag meist, hatte ein geheimnisvolles Nervenleiden, las viel, empfing Mona täglich und verabschiedete sie bald.
»Ach, meine Neuralgie, liebstes Kind! Hab Mitleid.«
Trotzdem war Mama das einzige im Haus, im Leben gewesen, was Mona liebte. Außer Beatrice! »Sie war immer so lieb, wenn ich zu den Ferien nach Hause kam . . .«
»Nie hat sie erlaubt, daß eine Gouvernante mich schlägt!«
»Sie war immer zufrieden mit mir.«
Im ganzen waren Rio und der Palazzo Hauff, waren Eltern und Heimat ganz weit, ganz versunken für Mona. Die Schulen in Lausanne und Genf; Beatrice und ein paar entferntere Freundinnen, die auch schon Schicksale hatten; ihr Auto, ihre Pferde, Hunde, Bücher – mehr Erinnerungen hatte Mona nicht.
»Wenn dir Beatrice nicht gefällt, bin ich verzweifelt. Sie hat ein russisches Gesicht, klein und erstaunt. Sie studiert Mathematik, aber das merkt niemand.«
Ach, selbst Beatrice würde sie opfern, wenn er »nein« zu ihr sagte.
»Ich bin auf dem ›Neptun‹ geboren. Vor sechs Wochen hat mein Leben angefangen – weißt du noch, im Schwimmbassin, ganz auf dem Boden des Schwimmbassins!« 152