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47. Ein Streiter Christi

Indessen war es dunkel geworden, Cäzilie war gekommen, dann auch die übrigen Gäste. Die Zimmer waren festlich erleuchtet, der Theekessel musizirte, und die Gesellschaft war in der besten Stimmung. Die Großeltern hatten sich entschlossen, den Abend hier zu bleiben und im Mondenschein nach Hause zu fahren. Während die Großmama mit den Damen den Hauptplatz im Zimmer einnahm, saßen die Herren auf einem kleineren Ecksofa, nur Schlösser und Stottenheim nicht, Stottenheim mußte irgend ein schönes vertrauliches Gespräch mit den Damen führen, in welcher Art das mit diesen Damen sein mußte, sagte ihm sein glücklicher Takt, und es war durchaus nicht Heuchelei, daß er jetzt sehr innerlich und ernst redete. Er mußte aber flüstern, – Elisabeth sollte es nicht hören, und zwar war ihm das Flüstern ein besonderes Vergnügen. – Elisabeth saß nur wenige Schritte von ihm, sie braute Thee, und Cäzilie half ihr die Gäste versorgen.

Was ich hier in diesem Zimmer erlebt habe, versicherte Stottenheim, werde ich nie vergessen, es hat mich, ich kann es wahrhaftig versichern, zu einem anderen Menschen gemacht. Ihre Frau Tochter, wandte er sich zu Elisen, ist eine verehrungswürdige Frau, ja wirklich eine verehrungswürdige Frau, obgleich sie noch so jung ist.

Emilie schwieg zu diesen Berichten, Stottenheims Redeweise war ihr unerträglich, Schlösser aber und Elise forderten durch freundliche Fragen und Entgegnungen den Erzähler zur Fortsetzung auf. Stottenheim erzählte mit Rührung und Begeisterung Szenen aus der Krankenstube, die eigentlich keine Feder beschreiben konnte. Elise, die immer noch nicht recht den Nachrichten ihrer guten Eltern hatte trauen wollen, hörte mit stiller Freude, ja Emilie mußte es sehen, wie ihre Blicke voll stiller Bewunderung auf der geliebten Tochter, auf dem Kind ihrer Sorgen ruhten, und Emilie konnte ihr unruhiges Herz nicht mehr zur Ruhe bringen. Ja der Herr schien doch die Gebete eines schwachen und schwankenden Mutterherzens nicht verworfen zu haben, er hatte Barmherzigkeit geübt anstatt Gerechtigkeit, er hatte die Mutter am Unglück der Tochter mit stark werden lassen; denn was Elise in den letzten Jahren gelitten, war auch mit keiner Feder zu beschreiben, – und Emilie war ihr vielleicht eine recht nützliche Trösterin gewesen, aber keine mitleidige und liebevolle.

Ueber Elisabeth mußte jetzt die Mutter voll Freude sein, da war kein Grund zur Sorge mehr; jetzt hatte sie nur noch den Schwiegersohn mit Spannung zu beobachten. Emilie bestärkte sie darin. Durch einzelne zugeflüsterte Worte machten sie sich gegenseitig aufmerksam. Jetzt wollte er also lebenslustig werden, und wie vertraulich und lustig war er mit seinen Kameraden. Wenn das weltliche Treiben wieder anfängt, ist der Segen der Krankheit preisgegeben. Das war beider Bedenken. Schlösser sollte doch diese Gelegenheit benutzen und ein ernstes Gespräch mit den jungen Herren anfangen, vielleicht wurde es dann Kadden leichter, ein gewisses Bekenntniß den Kameraden gegenüber abzulegen, das ihm fortan förmlich zu einer Mauer gegen sie werden konnte. Aber Schlösser war unbeschreiblich ruhig, der Großvater noch unbeschreiblicher; beide Frauen bedauerten die Frau Oberförsterin nicht hier zu haben, die hätte jedenfalls Bahn gebrochen zu einem ernsten Disput, der fehlte es weder an Worten noch an Muth.

Schlösser war jetzt zu den Herren getreten und Kadden redete ihn scherzend an: Setzen Sie sich nur her, lieber Schlösser, Sie gehören eigentlich halb und halb zu uns, weil Sie eines Soldaten Tochter geheirathet haben.

Ich fürchte mich auch nicht, entgegnete Schlösser freundlich.

Oder fürchten wir uns vor ihm? fragte Kadden ebenso scherzend: er ist so ein Genosse des Pastor Kurtius, wenn er nicht noch schlimmer ist.

Den Pastor Kurtius achten wir sehr hoch und fürchten ihn nicht, war die freundliche Antwort eines von den älteren der Offiziere.

Emilie und Elise hörten aufmerksam dem Gespräche zu, und Emilie sagte: Wenn Schlösser jetzt nicht darauf eingeht, ist es unbegreiflich.

Schlösser schien aber nicht Lust zu haben, er entgegnete nur, daß Kurtius ein vortrefflicher Mann sei. Da trat der allezeit helfende Stottenheim hinzu, er mußte sein Licht leuchten lassen und wandte sich sehr imponirend zu seinen Kameraden: – Ihr achtet den Mann, meine lieben Freunde, dann solltet Ihr aber seine Predigten nicht immer tadeln.

Wir können sie aber nicht immer loben, wenn wir nicht damit einverstanden sind, entgegnete wieder der ältere Offizier, der eben so brav und achtbar war, als Kadden ehe er sich verlobte, auch mit demselben Glück und Frieden in der Seele, mit denselben Ansichten vom Himmel und guten Gewissen und derselben unbefriedigten Gegenwart, der hoffnungsvollen Zukunft und dem grauen Nichts dahinter.

Warum seid Ihr aber nicht einverstanden? schalt Stottenheim, Weil Ihr hochmüthig seid und nichts von der Gnade wissen wollt, die er predigt.

Es kommt mir auch ziemlich schwächlich vor, so viel von Gnade zu reden, statt männlich und muthig selbst zu streben und sich in Thaten zu bewähren, entgegnete der Offizier etwas wegwerfend.

Stoltenheim wollte ihm etwas entgegnen, aber er verwirrte sich. Da der Großpapa und Schlösser noch schwiegen, nahm Kadden unwillkürlich das Wort.

Nun Du muthiger Mann, sagte er scherzend, hältst Du es denn unter Deiner Würde, vor der Majestät unseres Königs Dich demuthsvoll zu beugen, auch ihn demüthigst, wenn es Dir gerade noth thun sollte, um eine Gnade zu bitten, und dabei doch als ein muthiger, stolzer Streiter in seinem Dienst zu stehen und gegen seine Feinde zu kämpfen?

Nein, das halte ich allerdings nicht unter meiner Würde! war des Kameraden Antwort.

Gut, sagte Kadden, was ist aber die irdische Majestät gegen die himmlische Majestät? Nimm es mir nicht übel, aber es scheint mir unüberlegt, wenn ein armer Mensch, der alles und alles dem allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erden verdankt, meint, er dürfe sich nicht vor ihm beugen.

Ich thue das auch auf meine Weise, sagte der Offizier.

Auf welche Weise?

Im Herzen glaube ich auch an ihn und verehre ihn; Du wirst mich doch für keinen Gottesleugner halten?

Nein; aber wenn Du es nicht übel nimmst, sagte Kadden: Du machst es gerade so, wie die jetzigen Constitutionellen, Du lässest den himmlischen König fortbestehen, weil es einmal so herkömmlich ist, Du willst ihn nicht absetzen, wie die Demokraten, ja Du willst ihm alle Ehre gönnen, aber zu thun und zu gebieten als König soll er nicht haben, regieren wollt Ihr Euch schon selber. Und es geht Dir gerade so, wie es den constitutionellen Philistern auch geht: weil an solchem machtlosen Puppen-König im Grunde wenig gelegen ist, so hast Du auch nicht den Muth, seinen Feinden entgegenzutreten, ihn zu bekennen und für seine Ehre einzustehen. Nein! trage ich den König wirklich im Herzen, habe ich Glauben an ihn, so werde ich ihn auch gegen niemand verleugnen. Und weil ich weiß, daß es Dir sonst an Muth nicht fehlt, so kann ich nur denken, Du hast den König Himmels und der Erden wirklich noch nicht lebendig im Herzen.

Die Damen hörten dieser Unterhaltung aufmerksam zu. Elise hatte in freudiger Aufregung Emiliens Hand ergriffen, diese aber horchte in seltsamer Spannung.

Der ältere Offizier nahm jetzt etwas lebhafter das Wort. Wenn wir einmal davon reden, möcht ich entgegnen, daß es mir kaum etwas helfen würde, diesen König zu bekennen; er scheint mir gerade von den jetzigen sogenannten Gläubigen von dem Thron gestoßen, sie reden ja immer nur von ihrem Herrn Christus.

Weil sie beide eines sind, entgegnete ihm Kadden, und weil wir erst durch den Herrn Christus zu dem Vater kommen können.

Dagegen sträubt sich eben mein Gefühl, sagte der Freund.

Mein Stolz, mein Ehrgefühl, fügte Kadden hinzu, er konnte ja aus Erfahrung sprechen.

Der Freund nickte einverstanden: Die ganze Idee hat so etwas ungereimtes, so etwas überflüssiges; warum kann ich nicht gleich zum Herrn Gott kommen, muß erst einen Vermittler und Fürsprecher haben?

Warum darf denn nicht jeder Unterthan zum König kommen? fragte Kadden. Warum dürfen Unterthanen dies und das nicht thun? Warum darf denn ein guter Soldat nicht forschen, warum ihm dieses und jenes befohlen wird? Warum giebt es Arme und Reiche, Herren und Diener in der Welt? Warum könnten denn alle unsere Verhältnisse in der irdischen Welt hier uns mit einem Warum beunruhigen? Weil es der Wille Dessen ist, der alles geschaffen und so angeordnet hat. Das ist die Antwort auf alle diese Fragen. Die irdische Welt ist aber nur ein Abbild der ewigen; wenn uns die irdische Welt mit solchen Warum beunruhigt, so muß es die dort oben, die ein schwacher Menschengeist noch nicht begreifen kann, noch mehr, und es bleibt uns Geschöpfen nichts anderes übrig, als uns eben dem Willen des Herrn zu fügen, der über uns ist. Wenn ein armer Bettler einem Könige trotzte, seine Anordnungen unnöthig und überflüssig fände, wenn er fände, daß sie seinen Stolz, seine Selbständigkeit verletzen, so würden wir es für eine Verwirrung halten, und doch gehen hunderte und tausende von Menschen in dieser Verwirrung hin. Der Herr Gott hat uns geschaffen zu seinen Kindern, aber nicht gezwungen sollen wir ihm gehören, er läßt uns die Wahl, aus freier Liebe zu ihm zu kommen, das Böse zu verwerfen, das Gute zu wählen; das ist eben ein Kampf, den wir kämpfen müssen. Indem der Herr nun über uns dies Kommen zu ihm aus freier Liebe beschlossen, mußte seine Liebe zugleich die Erlösung beschließen, weil wir mit eigenen Kräften im Kampfe mit dem Bösen nicht widerstehen können und den Weg der freien Liebe trotz des besten Willens nicht zu gehen wissen. Nun steht es bei uns, sogleich den Worten der heiligen Schrift zu glauben, dem Buch, das uns die Gnade und Hilfe der Erlösung anbietet, oder den Kampf gegen Sünde und Tod mit eigenen Kräften zu versuchen. Die meisten Menschen greifen zum letzteren, und gehen darin verloren. Sie fragen: warum bedürfen wir einer Erlösung? warum können wir nicht aus eigenen Kräften selig werden? Die Antwort: weil es der Rathschluß der Herrn ist, ist ihnen ungereimt.

O nein, fiel der Kamerad ihm in die Rede, wir erkennen in dem Herrn Christus wohl einen Erlöser, wir Christen stehen über alle den Völkern, die seine Lehre nicht kennen, seine Lehre ist es, die edler und weiser macht. – Jetzt kam der Redner auf die gewöhnliche Aushilfe, daß Christus der edelste, weiseste Mensch gewesen, daß er uns ein Vorbild gewesen in allen Stücken und ein vortrefflicher Lehrer. Er war aber nur ein Mensch gewesen und war gestorben, seine Macht und seine Hilfe hatten damit ein Ende. – Die anderen jungen Leute wurden darüber auch gesprächig, damit waren sie alle einverstanden.

Kadden ließ sie ruhig ausreden, und als Schlösser und der Großpapa schwiegen, nahm er noch einmal das Wort: Nein, der Herr Christus ist nicht der beste Mensch gewesen, er ist entweder Gottes Sohn von Ewigkeit zu Ewigkeit, der zur rechten Hand Gottes sitzt, er herrscht und regiert mit ihm zusammen, – oder er ist ein Lügner und Betrüger und ein Gotteslästerer, zwischen diesen beiden habt Ihr nur die Wahl.

Kadden! unterbrach ihn der ältere Kamerad unwillig.

Nun Schlösser, helfen Sie mir zu den Stellen, wo der Herr Christus von sich selbst spricht, sagte Kadden.

Schlösser machte sogleich den Anfang, und beide führten die folgenden Stellen an: »Ich und der Vater sind eins. – Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende. – Ehe denn Abraham ward, bin ich. – Und nun verkläre mich Du, Vater, bei Dir selbst mit der Klarheit, die ich bei Dir hatte, ehe die Welt war. – Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. – Es sollen alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren.« – Wer darf so reden? fragte Kadden. Entweder der Wahrhaftige selbst, oder – wie nennt Ihr den Menschen, der sich die Ehre und die Eigenschaften Gottes aneignet?

Die Herren wußten nichts zu sagen, der ältere nur begann: Wir sind keine Theologen, und kennen die Schrift nicht so genau.

Das ist es eben, was ich hören wollte, sagte Kadden. Mir ist es ganz so wie Euch gegangen, ich kannte die Schrift nicht und sprach gerade das nach, was ich von anderen ungläubigen Leuten gehört hatte und was mir recht bequem und vernünftig war. Aber es läßt sich nicht so durchkommen. Die Frage: ob der Herr Christus ein Lügner oder Gottes Sohn ist, dies Entweder Oder, ist nicht zu umgehen, es giebt kein Mittelding. Uns allen wird diese Frage vorgelegt, und wer hat den Muth zu sagen: er ist ein Gotteslästerer, ein Betrüger? Wenn ich aber den Herrn Christus als Gottessohn anerkennen muß, wenn ich an ihn glaube, wie ich an den Vater glaube, also auch den Liebesrath und die Gnade seiner Erlösung annehme, dann muß ich auch seinen Befehlen gehorchen, dann muß ich mit Eifer forschen, welches die Befehle sind, und wenn ich sie weiß, muß ich den Muth haben, sie auszuführen, muß ich ein ebenso tapferer Streiter Christi sein, als ich ein Streiter für meinen irdischen König bin.

Kadden, Du hast ganz recht, sagte Stottenheim sachverständig, und es ist recht gut, wenn wir zuweilen von solchen Dingen reden. Ich weiß zwar, in der ersten Zeit war es mir immer fatal, es beunruhigte mich immer, aber wer Frieden haben will, muß erst Krieg haben.

Und wer den Frieden haben will, muß Muth haben, fügte Kadden hinzu. Du, Stottenheim, bist nun so weit, daß Du des Herrn Willen weißt, nun habe Muth ihn auszuführen, es gehört freilich dazu mehr Muth, als mit der Welt den Herrn zu verleugnen und somit allem Kampfe aus dem Wege zu gehen.

Lieber Freund, sagte Stottenheim bedächtig, man muß nur freilich nicht zu weit gehen.

Richtig, sagte Kadden, so habe ich auch gesprochen. Erst kannte ich den Herrn nicht, und verlangte nicht danach ihn zu kennen; als ich ihn kannte, hoffte ich, man könnte ihn im Herzen haben, dürfte aber mit der Welt leben, ich scheute mich zu weit zu gehen. Ein zu vorsichtiger, bedächtiger und ängstlicher Streiter wird von uns Soldaten aber gering geachtet, und wenn ich einmal vor dem Feind stehe, da will ich lieber tollkühn sein, als ängstlich. Im Grunde ist das freilich auch nicht schwer, denn uns ist der Sieg gewiß, wir haben zum Verbündeten einen unbesiegbaren Herrn.

Ein jeder streitet auf seine Weise, sagte Stottenheim abwehrend.

Ja, er muß aber aufrichtig streiten, fiel Kadden ein, und aufrichtig dienen. Welcher König möchte einen Diener haben, der heute mit ihm und morgen mit dem Feinde geht. Was meint Ihr? wandte er sich zu seinen Kameraden, und der eigentliche Sprecher entgegnete:

Darin hat Kadden recht, wenn ich einmal überzeugt bin, dann gehe ich auch entschieden drauf los.

Ja ich will nicht einmal die Farben meiner Feinde tragen, fiel Kadden ein, ich will dadurch nicht in den Verdacht kommen, daß ich zu ihnen gehöre, wenn die Farben an und für sich auch unschuldig sind.

Wie meinst Du das? fragte Stottenheim.

Alles, was die Welt thut und treibt, sind ihre Farben, und man kann gar nicht entschieden genug dies Thun und Treiben verleugnen. Wer in der Schrift aufrichtig forscht, wird sich davon überzeugen, er kann der Wahrheit nicht widerstehen. Da heißt es: »Wer da sagt: Ich kenne ihn, und hält seine Gebote nicht, der ist ein Lügner.«

Kadden schwieg, und der Großvater fügte hinzu: »Und wer da sagt, daß er in Ihm bleibet, der soll auch wandeln wie Er gewandelt hat: Denn es ist in keinem anderen Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darinnen wir sollen selig werden. Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit. Das Wort vom Kreuz ist eine Thorheit denen, die verloren werden, uns aber, die wir selig werden, ist es eine Gotteskraft.

Lieber Kadden, Sie sind ja ein trefflicher Theologe geworden, nahm Schlösser jetzt das Wort. Ich habe in diesem Winter Zeit genug zum Studieren gehabt, entgegnete Kadden.

Ja, versicherte Stottenheim, Kadden ist ein wahrer Schriftforscher gewesen.

Und Stottenheim hat mit profitiren müssen, scherzte Kadden.

Ja, wahrhaftig, ich war oft sein geduldiges Publikum, denn Einreden läßt er sich nicht gefallen, er ist wie in allen Dingen, die er anfaßt, ein Hitzkopf.

Jetzt werden wir beide auch hierin ihn zur Ruhe mahnen müssen, sagte der Großpapa zu Stottenheim. Ich habe ihm aber damit schon im vergangenen Herbst gedroht, ehe er Theologie studierte!

Den Damen war gewiß kein Wort der Unterhaltung verloren gegangen. Emilie saß mit glühenden Wangen, sie konnte nicht anders, sie mußte sich ergeben. Aber es war zu unbegreiflich, daß sie sich geirrt haben sollte, daß ihr Mann und die Großeltern dennoch Recht haben sollten. Und doch war kein Zweifel mehr möglich: ein Mann, der so offen, so kräftig sein Bekenntniß ablegte, ein Mann den sie selbst stolz und herrschsüchtig zu nennen pflegte, nein von dem konnte sie nicht erwarten, daß er aus Menschenfurcht, aus Furcht vor Rücksichten sein Panier zurückziehen werde.

Elise hatte Emiliens Hand ergriffen, sie sagte kein Wort; aber jetzt wollte sie Muth haben, gegen den Schwiegersohn zu reden, wie es ihr um das Herz war, jetzt schwebten ihr immer nur die Worte aus dem Lieblingsliede vor der Seele: »Es ist nicht schwer ein Christ zu sein, und nach dem Sinn des reinen Geistes leben.« – Und:

Wirf nur getrost den Kummer hin,
Der nur dein Herz vergeblich schwächt und plaget;
Erwecke nur zum Glauben deinen Sinn,
Wenn Furcht und Weh dein schwaches Herze naget;
Sprich: Vater, schau mein Elend gnädig an!

So ists gethan.

Auf, auf, mein Geist, was säumest du,
Dich deinem Gott ganz kindlich zu ergeben?
Geh ein, mein Herz, geneuß die süße Ruh!
In Frieden sollst du vor dem Vater schweben:
Die Sorg und Last wirf nur getrost und kühn

Allein auf ihn.

Cäzilie hatte sich zur Großmama gesetzt, diese hatte freundlich ihre Hand genommen, sie fühlte dem jungen Mädchen eine stille Sympathie an und war liebreich genug, das anzuerkennen.

Elisabeth saß auf einer Fußbank, ihrem Lieblingsplatz, vor der Großmama, aber auch Emilien und ihrer Mutter ganz nahe. Sie hatte bis jetzt den Kopf nach den Herren gewandt und dem Gespräch dort zugehört. Jetzt wandte sie sich zur Großmama und sagte: Großmama, wir beide haben doch die allerbesten Männer von der Welt, Du weißt aber, ich habe immer gesagt, mein Mann müßte einmal wenigstens so sein, wie der Großpapa. – Die Großmama nickte; Elisabeth aber, obgleich sie sich vorgenommen, gegen Emilien vorsichtig zu sein, konnte sich nicht zurückhalten. Liebe Emilie, sagte sie warm, nicht wahr, Du mußt Dich über meinen Mann freuen? Du glaubst aber auch nicht, wie glücklich ich bin, und ich weiß es jetzt so gewiß, das Leben wird immer, immer schöner.

Emilie nickte freundlich, und die Großmama wiederholte: Ja mit dem Herrn Christus wird das Leben immer, immer schöner.

Emilie war aufgestanden, sie war sehr heiß. Sie war an das Fenster getreten und schaute nach dem hellen Sternenhimmel. Sie hörte eine Stimme in ihrem Herzen: »Es haben Dir die Hoffärtigen noch nie gefallen, aber allezeit hat Dir gefallen der Elenden und Demüthigen Gebet,« und: »Gott widerstehet den Hoffärtigen, aber den Demüthigen giebt er Gnade.« Da sah sie plötzlich ihren Mann neben sich stehen, er sagte nichts, aber er nahm ihre Hand freundlich, als wollte er ihr das Sprechen erleichtern. – Sie verstand ihn und hörte wieder die Stimme: Gott widerstehet den Hoffärtigen, aber den Demüthigen giebt er Gnade! Ja, Wilhelm, begann sie mit stockender Stimme, der Herr Christus ist auch für tugendsatte Menschen gekommen, und für solche, die einen leichten und sorgenlosen Sinn haben; – aber er ist auch für hochmüthige und liebearme Herzen gekommen, setzte sie mit zitternder Stimme hinzu.

Ihr Mann sah sie bewegt an, und von ihrem Herzen war mit diesem Ausspruch eine Felsenlast.

Die Abend-Gäste waren fort, Schlösser und Emilie wollten sich auch zur Ruhe begeben. Elisabeth sagte ihnen gute Nacht und schaute dabei mit so viel Güte und Freude aus ihren hellen Augen, als ob Emilie ihr nur immer die beste Freundin gewesen. Emilie hörte wieder die Stimme: Gott widerstehet den Hoffärtigen, aber den Demüthigen giebt er Gnade. Sie konnte es nicht lassen, sie umarmte Elisabeth, sie weinte an ihrem Halse und sagte weinend: Verzeihe mir, liebe Elisabeth, alles, womit ich Dir weh gethan, alles, womit ich Dich gekränkt. Dann wandte sie sich zu Kadden und sagte bittend: Ich weiß nicht, ob Sie mir verzeihen können? Kadden war so bestürzt, daß er erst nichts entgegnen konnte. Er nahm aber Emiliens Hand und sagte freundlich: Wir wollen uns immer besser vertragen lernen, liebe Emilie.

Das gebe der Herr! fügte Schlösser hinzu, nahm Emilien bei der Hand und verließ mit ihr das Zimmer.

Als Elisabeth jetzt mit ihrem Mann allein war, sagte sie bewegt: Ich freue mich doch, daß sie endlich meinem Glücke trauen will.

Nach acht Tagen – Elisabeths Besuch war schon seit einigen Tagen wieder abgereist, da wandelte sie mit ihren Kindern im Garten, – es war wieder kälter geworden, aber das Wetter war doch wunderschön, – Elisabeth hörte plötzlich die Hornmusik aus der Ferne, sie schaute in den klaren, tiefen blauen Himmel hinein, – o wie herzbewegend waren diese Töne! Sie eilte die Treppe hinauf, sie stand am bekannten Fenster: heute war ihr Mann zum erstenmal wieder zur Uebung mit dem Regimente geritten, heute mußte sie zagend versuchen, ob ein ersehnter Gruß ihr noch zu Theil werden könnte. Sie sah die Sonne auf den hellen Kürassen blitzen; als der prächtige Zug aber näher kam, zog sie sich hinter die Gardine zurück. O wie schlug ihr Herz so bange und erwartungsvoll! Das war er, der stattlichste von den Reitern, – wird er hinauf sehen? Ja! er wandte den Kopf, sah grüßend hinauf. Elisabeth stand mit gefalteten Händen. Sie schaute hinauf in den tiefen blauen Himmel, sie hörte die fernhin schmetternden Töne, sie dachte an die Vergangenheit, an ihre Brautliebe, sie dachte an Wangeroge, an ihr Gebet, an ihre Sehnsucht. »Kann der Herr Wunder thun, kann er auch eine zerwehte Brautliebe wieder schaffen?« Ja er kann es, der Herr ist ein Helfer und Tröster in jeder Noth, wenn wir nur Glauben haben, ungetheilten Glauben. Nach dem Maaße des Glaubens, das wir bringen, wird uns auch Erfüllung und Erhörung zugemessen. Kommen wir mit getheiltem Herzen, mit zerstreutem Sinn, so ist das freilich ein geringes Maaß, und wir können uns nicht wundern, wenn wir nicht reicher fortgehen als wir kamen. Der Herr Christus sagt: Euch geschehe nach eurem Glauben.


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