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35. Süßigkeit in der Pflicht

Nach zwei Tagen wurde von Herrn und Frau von Hohendorf herzlich Abschied genommen. Madame Brandes und ihre Tochter gingen zugleich mit ihnen fort, Herr von Bühlen war schon acht Tage früher gegangen. Die Abende waren länger, die Insel immer einsamer geworden, Elisabeth sehnte sich nach der Heimath. Sie aber nicht allein. Johanne hatte gar keine Ruhe mehr; sie hatte in Elisabeth eigentlich die Sehnsucht erst recht lebendig gemacht, sie sprach so gern von dem Aufenthalt bei den Großeltern, und wie sich alle Leute freuen würden, daß Elisabeth so wohl geworden.

Den letzten Nachmittag, als alle Sachen gepackt waren, und ihr Mann einige Abschiedsbesuche machte, ging Elisabeth mit den Kindern den Strand weit hinauf, und während ihre Leute mit den Kindern an einer passenden Stelle sich zum Spielen niederließen, ging sie allein noch weiter, bis nach den letzten grünen Dünen. Anna hatte sie vor einigen Tagen hierher geführt, und jetzt hatte sie den Muth, sich ganz allein in diese Einsamkeit zu verlieren; sie wollte Abschied nehmen von der Insel und von der Zeit, die sie hier verlebte. Sie bestieg einen der höchsten wellenförmigen Hügel. Es war ganz einsam hier, nichts regte sich, die Sonne lag still und warm auf dem Sand und auf dem dürftigen Haidekraut und Dünengras, der Himmel war tiefblau, das Meer so licht, die Brandung so silbern. Elisabeth setzte sich. Sie schaute auf das Meer, daß so gleichförmig scheint und so unermüdlich das Auge fesselt. Eine Woge rollt nach der andern, kristallenrein, frisch und schimmernd, und schäumend bricht sie sich am hellen Strand. Das ist ein erfrischendes Rauschen, mit jeder rollenden Woge athmet die Seele Kraft und Muth, sie kann es nicht müde werden, immer noch einmal und noch einmal möchte sie tief aufathmen und sich versenken in die weite, weite, so erquicklich rauschende Fluth. – Was kann der Herr aus einem schwachen Herzen machen? – Elisabeth saß mit gefalteten Händen. Sie hörte das Rauschen, sie folgte jeder schimmernden Woge, – das war wie ein Segensrauschen, immer wieder und wieder, – und immer neu und erquickend. Sie sah aber auch auf zum Himmel, der rein und mild, ein Bild der Gnade und der Treue, sein Friedenskleid weit über die Welt hingebreiiet. Sie hatte sich Flügel wünschen mögen, so wie die Seemöven, die über ihr mit ihren silbernen Fittigen gegen den blauen Himmel schwebten, oder sich leise tauchten in den frischen Schaum der Wogen. Ihr Herz war so leicht und selig.

Wie elend an Leib und Seele war sie hierher gekommen und wie durfte sie wieder abreisen. Sie fühlte keinen Groll, keinen Stachel, keine Demüthigung mehr. Sie hatte den Herrn von ganzem Herzen lieb, und diese Liebe litt nichts als Freude und Zuversicht und Frieden in der Seele. Solches Liebes- und Glaubensleben läßt sich nicht beschreiben, es ist zu wundersam, reich und herrlich. Wie ein ganzes Frühlingsleben, das Knospen und Entfalten der hunderttausend Blüthen und Blumen, – es ist nicht zu begreifen, aber es ist da, es erfüllt die Seele mit Lust und Sehnsucht und Freude und Dank.

Elisabeths warmes Herz sehnte sich in dieser freudenvollen Stimmung nach ihren Lieben daheim, das liebe Großmutterherz sollte sich nie wieder sorgen. Auch im Unglück kann man glücklich sein, das hatte Elisabeth erfahren; sie sah so getrost jetzt in die unbestimmte Zukunft. Ja, wenn sie auch manches Schwere in der Heimath erwarten mußte, wenn sie auch der Mutter und Emiliens und Tante Julchens und vieler anderen Leute Beobachtungen zu fürchten hatte, jetzt dachte ihre Seele nicht daran, sie schwebte mit den Seemöven vor dem klaren blauen Himmel und tauchte sich mit ihnen in die kühle erquickliche Fluth.

Der unangenehmste Theil der Reise war überwunden. Das Aufstehen mitten in der Nacht, das in dem kleinen Boote mehrstündige Warten auf das Dampfboot, die unruhige Meer- und Weserfahrt, das Transportiren der Sachen vom Dampfboot zum Bahnhof, das Versteuern und Verpacken, – die kleine Reisegesellschaft saß endlich im Dampfwagen. Elisabeth sah es ihrem Mann an, daß er Kopfweh hatte, obgleich er die Mühe und Reisebesorgungen ruhig und bereitwillig auf sich genommen. Jetzt saß er wieder in der Wagenecke mit geschlossenen Augen. Johannen war von der abscheulichen Wasserfahrt noch ganz übel und schlimm, die Kinder waren todtmüde und konnten nicht schlafen, Elisabeth allein schien frisch und wohl.

Ja, selig sind die Sanftmüthigen. War sie leiblich wohler als auf der Hinfahrt? Nein. Sie war auch müde von der durchwachten Nacht, sie war auch angegriffen und unwohl und hatte Nervenunruhe in den Füßen und in der Stirn; aber sie dachte nicht daran, es war ihr wundersam selig und lieblich ihre Pflicht zu erfüllen. Damals auf der Hinreise hatte sie mit Bitterkeit auf ihren Mann geschaut, sie hatte gedacht: warum hat er keine Theilnahme für dich? Du bist auch unwohl und angegriffen, – es wäre seine Pflicht, für dich zu sorgen; nun verlangt es dein Ehrgefühl, deine Stellung, daß du dich auch um ihn nicht kümmerst; auch für die Kinder muß er sorgen, muß sie unterhalten, er kann die Last eher tragen als du. O wie schwer war das, wie fühlte sie sich gefangen in Elend und Unglück. Und was ihr damals die Quelle des Aergers, der Pein und der Qual war, wurde ihr heute die Quelle des Friedens und der Freude. Ja, selig sind die Sanftmüthigen.

Sie beruhigte die kleine Marie, sie nahm Friedrich auf den Schooß, ließ ihn zum Fenster hinaus sehen, erzählte ihm Geschichtchen, alles in der stillen Sorge, damit ihr Mann nicht gestört werde. Sie schob unbemerkt die Gardine vor, um ihn vor den Sonnenstrahlen zu schützen, sie nahm Sachen, die die Kinder um ihn herum warfen, leise fort, ja er sollte es alles nicht merken, sie wollte es nur thun, weil es ihr so lieb war und sie es nicht lassen konnte.

Er merkte es aber doch, er fühlte dieses leise Thun der Sorge und Theilnahme zwischen den Kopfschmerzen hindurch, es that ihm so wohl; zugleich aber war ihm dies sorgsame Streben, ihre Pflicht zu erfüllen, ihr rührendes sanftes Wesen seit dem Augenblick, wo er so drohend vor ihr gestanden, immer nur ein Stachel. Dazu mußte er der Verhältnisse in der Heimath gedenken; er wußte kaum wie es werden sollte. Seine Kopfschmerzen-Verstimmung kam dazu, daß er keinen klaren und tröstlichen Gedanken fassen konnte. Daß Elisabeth jetzt zu den Großeltern ging, mußte er ihr gönnen, obgleich es ihm sehr bitter war, Menschen zwischen sich und ihr zu wissen, die ihrem Herzen näher stehen durften als er, zu denen sie sprechen konnte von Gedanken und Empfindungen, die sie ihm zu verbergen suchte. Es hätte ihm vielleicht nahe liegen können, sie zu bitten, gegen ihre Familie nichts zu erwähnen von der unglücklichen Scene, die sie beide aus ihrem traurigen Nebeneinanderleben aufschreckte; er konnte an die Bitte Versprechungen knüpfen, die wirklich seines Herzens aufrichtige Meinung waren, aber sein ganzes Herz sträubte sich dagegen. Er wollte Elisabeth den Trost des Aussprechens, wenn es ihr Bedürfniß war, nicht verwehren; er wollte ihr Vertrauen nicht erzwingen, darum hatte er am vergangenen Abend noch einmal das Nöthigste wegen ihres Aufenthaltes in Woltheim mit ihr besprochen. Die leise Hoffnung, die er gehegt, sie möchte lieber mit ihm nach Braunhausen als zu den Großeltern gehen, hatte er aufgeben müssen; sie dachte gar nicht daran, sie dachte nur an die Verabredung, die schon vor der Reise getroffen war.

In der heutigen Verstimmung hatte er auch nichts dagegen, es mußte für ihn jedenfalls bequemer sein, wenn er erst allein in Braunhausen war. Auch das Manöver war ihm erwünscht; in der Zeit konnte sich manches, den neugierigen Beobachtern unbemerkt, wieder besser gestalten. – Bei allen diesen unangenehmen verwirrenden Gedanken hielt er das Eine aber fest, daß er und Elisabeth in des Herrn Hand waren, und daß es in des Herrn Hand lag, ihr Verhältniß auch der Welt und den geschäftigen Zungen gegenüber zu ordnen, wo möglich zu verbergen.

Daß die Zungen jetzt schon sehr beschäftigt waren, und daß Gerüchte in der Heimath laut geworden, die über die Wahrheit hinaus gingen, ahnete er freilich nicht. – Ein Oekonom aus der nächsten Umgebung war in Nordernei gewesen; auf dem Rückwege traf er auf dem Dampfschiff mit Passagieren, die von Wangeroge zurückkehrten, zusammen; sie erkundigten sich nach dem sonderbaren jungen Paare und er schwankte gar nicht, eine Erklärung dazu zu geben. Auch in der Heimath unterließ er es nicht, die Beobachtungen der Wangeroger weiter zu erzählen, die hier nach der gewöhnlichen Art solcher Gerüchte sehr gern gehört, und im Erzählen immer wunderbarer und großartiger ausgeschmückt wurden. Durch den Oberförster, der etwas neutral dazwischen stand, hörte auch Elisabeths Familie von diesen Gerüchten, die zu Elisabeths wenigen kurzen und eigenthümlichen Briefen in keinem Widerspruch standen, und eben so wenig zu dem Verhältniß, in dem sie schon vor ihrer Abreise mit ihrem Manne lebte. Die Frau Oberförsterin und Emilie hatten ja alles vorher gesagt, und es war eigentlich nur unbegreiflich, daß sich irgend ein Mensch noch darüber täuschen konnte. Die Frau Oberförsterin war aber gutmüthig und auch verwandtschaftlich genug, Elisabeths Partie zu nehmen, denn nach dem, wie es die Gerüchte schilderten, so hatte Kadden sich in Wangeroge gar nicht um seine Frau bekümmert, sie kalt und rücksichtslos behandelt. Seine Freunde in Braunhausen waren dann freilich wieder geschäftig genug, zu behaupten, das sei das einzige Mittel, um neben der Frau, die gar nicht für ihn passe, das Leben erträglich zu finden. Die Meinung war förmlich in zwei Feldlager getheilt, und die Rückkehr der Vielbesprochenen war ein wundervolles Ereigniß, und wurde mit großer Spannung erwartet.

Die Reisenden hatten der Kinder wegen in Hannover geruht, am andern Tage ungefähr um Mittag hielt der Zug vor der kleinen Station bei Braunhausen. Die Schimmel standen hier, auch das schöne nußbraune Pferd erwartete seinen Herrn, – außerdem aber noch eine sehr unwillkommene Erscheinung: Herr von Stottenheim. Er war ein zu aufrichtiger Freund, die Theilnahme hatte ihm keine Ruhe gelassen, versicherte er, die lieben Reisenden schon hier zu begrüßen. – Wie viel eine gewisse unruhige Neugier dazu beigetragen, ein Verlangen, sich zu überzeugen, daß seine Ansichten, seine Befürchtungen dem Freunde gegenüber endlich den Sieg gewonnen, das machte er sich selbst nicht klar.

Elisabeth begrüßte ihn natürlich verlegen, und nur auf seine Versicherung, daß sie außerordentlich blühend und wohl aussähe, – was zu seinen Erwartungen eigentlich nicht stimmte, – konnte sie einige unbefangene Worte entgegnen. Während ihr Mann mit Packen und Anordnen beschäftigt war, trat sie mit dem kleinen Friedrich auf dem Arme zu dem hübschen braunen Pferd, um es zu begrüßen; Stottenheim mußte mit Theilnahme nach ihr blicken, sie sah zu lieblich, freundlich und kindlich aus, – das stimmte auch nicht zu seinen Erwartungen. Nur der Abschied beruhigte ihn wieder: Kaddens zerstreutes, ernstes Wesen hatte jedenfalls den erwarteten Grund, und als er das Pferd bestieg und dem Wagen vorausflog wie ein Pfeil, und Stottenheim ihm wieder unwillig zurief: So reite doch nicht so unvernünftig! da dachte er befriedigt: Ja die Sache ist richtig. Damals flog er nur mit freudigen Blicken davon, um ihr früh genug zu begegnen, jetzt sucht er ihr mit düsteren Blicken zu entfliehen.

Stottenheim, als er wieder neben ihm ritt, fühlte recht gut, daß, obgleich seine Freundschaft sich ungeduldig nach einer vertraulichen Mittheilung sehnte, er mit dem eigenthümlichen Freunde doch vorsichtig zu Werke gehen mußte. Für jetzt war gar nichts zu machen. Er that also unbefangen und erzählte höchst lebhaft von den geringsten Tagesneuigkeiten.


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