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An demselben Tage rückte Herr von Kadden auf einem Gute ein, mehrere Stunden hinter Braunhausen gelegen, der Oberst mit ihm, und zwar war es bei dem Norderneier Badegast, der die interessanten Berichte über Kadden verbreitet hatte, einem mit der Familie des Obersten sehr befreundeten älteren Oekonomen. Dieser Manöver-Spektakel machte dem Herrn Oberamtmann Wiebert großes Vergnügen, noch mehr aber seinen erwachsenen Töchtern, und da er nicht nur viel Geld hatte, sondern auch generös war, sollte sein Haus sich gegen die Herren Offiziere glänzend zeigen. Adolfine und ihre älteste Schwester waren für die ganzen Tage hergekommen. Adolfine war erfüllt von den herrlichsten Erwartungen, sie stand auch als die strahlendste unter den jungen Damen, als sie den heranziehenden und von Hitze und Staub ermatteten Kriegern von dem Pavillon des Gartens ein freundliches Willkommen zuwinkten.
Ein glänzendes Diner machte den Anfang des Spektakels, womit sollte der Wirth glänzen als mit köstlichen Dingen, die für Geld zu haben waren? Solche Tage waren der Lohn seiner Arbeit, seiner Spekulation, solche Tage waren sein Vergnügen, da zeigte er sich gern in seinem vollen Genügen, in seiner Macht und Herrlichkeit.
Früher hatte Kadden diese Dinge als sich von selbst verstehend mitgemacht, aber so auffallend wie heute waren sie ihm wohl nie entgegengetreten; das zur Schau-Tragen des Reichthums, daß so ganz Verschwimmen in Essen und Trinken und äußerem Luxus. In seiner jetzigen Stimmung wußte er es zu würdigen, und er fühlte entschieden die Fügung des Herrn darin, daß er wider seinen Willen und mit der Sehnsucht seines Herzens jetzt gerade das alles mit durchleben, so recht in den friedenlosen Wust hinein mußte. – Wenn seine Kameraden mehr oder weniger mit strahlenden Gesichtern dem Herrn Oberamtmann ihre dankbaren Huldigungen brachten, der Oberst an der Spitze, der in solcher Geselligkeit die Wahrheit des Lebens erkannte, und Stottenheim, dem diese angenehme Unterbrechung der leidigen Alltäglichkeit ganz erfrischend war, – so blieb Kadden ernst und ruhig, und es gehörten wieder Adolfinens verwirrte Fantasien dazu, um nicht die Geduld heute an seiner Seite zu verlieren. Nur als sie von dem kleinen Friedrich sprach, blitzte es so warm und sehnend über seine Züge. Das war ihr eine Beruhigung, sie wußte, daß er nicht von Eis war.
Am Abend musizirten und spielten die jungen Leute zusammen, die älteren wollten eine Partie arrangiren. Gehören Sie zu den alten oder zu den jungen Herren? trat der Oberamtmann freundlich zu Kadden.
Zu beiden nicht, war seine höfliche Entgegnung, ich möchte mich zurückziehen, ich habe Briefe zu schreiben. Er empfahl sich ihm und der Frau vom Hause, und entfernte sich.
Das Herz möchte einem bluten, wenn man einen solchen jungen Mann so unglücklich sieht, sagte der Oberamtmann theilnehmend zum Obersten und zu Stottenheim, die neben ihm standen und mit denen er schon das Schicksal Kaddens und sein ernstes Gesicht besprochen hatte. Ja, mit der Ehe ist es wie mit einem Lotterieloos, dem einen glückts, dem anderen nicht, entgegnete der Oberst.
Es ist nur ein Glück, daß wenn man eine Niete gezogen hat, lachte der Oberamtmann, man noch einmal einsetzen kann.
Natürlich! sagte der Oberst verbindlich. Der Oberamtmann war nämlich schon von einer Frau geschieden. Ja, aber nun denken Sie sich die Stupidität dieser sogenannten kirchlichen Leute, die da behaupten, eine Ehe darf nicht gelöst werden.
Warum denn nicht? fragte der Oberamtmann.
Weil es gegen Gottes Gebot ist, war Stottenheims schnelle Antwort.
Nun ich muß sagen, begann der Oberamtmann gutmüthig, ich weiß nicht genau, was Gottes Gebot darüber ist, es heißt freilich: Ehen sind im Himmel geschlossen, und was Gott zusammen fügt, soll der Mensch nicht scheiden; aber es giebt mehr Dinge in der Bibel, die sich nicht mit dem Leben zusammen reimen.
Natürlich, versicherte der Oberst, das Leben zeigt immer am besten den Weg an, den wir gehen müssen.
Mir war der Weg einfach genug gezeigt, versicherte der Oberamtmann, ich lebte mit meiner ersten Frau wie Hund und Katze. Ich muß Ihnen sagen, flüsterte er vertraulich, ich bin einmal mit der Hetzpeitsche auf sie losgegangen, es war aber eine maliziöse Person. Kurz und gut, wir trennten uns. Und jetzt? Nun lieber Oberst, Sie können es am besten beurtheilen, ob ich nicht mit meiner Frau jetzt ganz gut zusammen lebe, es war eben nicht meine Schuld.
Sie sollen den alten Herrn von Budmar darüber reden hören, nahm Stottenheim, der jedenfalls auch nach dieser Seite hin seine Bildung zeigen mußte, das Wort. Der Teufel, sagte er, erlaubt es in seinem Reich, daß sich die Leute scheiden und verheirathen nach den bösen Neigungen ihres Herzens, den Kindern Gottes ist es nicht erlaubt, sie sollen einer dem andern verzeihen, Nachsicht und Geduld üben und an das Ende ihres Lebens und an die Ewigkeit gedenken.
Na hören Sie mal, begann der Oberamtmann lächelnd, an nichts denke ich weniger gern, als an das Ende des Lebens und an die Ewigkeit, ich sage Ihnen, wenn es ewig hier so währen könnte, ich wäre vollkommen zufrieden damit.
Das geht aber einmal nicht, sagte Stottenheim achselzuckend, und, fügte er wichtig hinzu, ich kann Ihnen doch eigentlich versichern, wahrhaftig ich kann es, denn ich habe mich bemüht, auch die Richtung dieser Leute kennen zu lernen – Wissen Sie, der Mensch kann nie zu viel lernen, unterbrach er sich. Der Oberamtmann nickte Beifall. – Ich kann Ihnen versichern, daß die Leute, die sich wörtlich an die Bibel halten, auch ihre Gebote streng erfüllen und sich auf die Verheißungen vom Himmel und von der Seligkeit verlassen, schon hier recht glücklich sind.
Ein schöner Glaube, versicherte der Oberamtmann, ein schöner Glaube! Aber welches Menschenkind kann denn alles das wörtlich nehmen und erfüllen? Nein liebster Freund, das ist eine Unmöglichkeit, und darum ist alles Schwärmerei, wir sind einmal so geschaffen und können nicht Engel sein.
Das hören diese Leute gerade gern, unterbrach ihn Stottenheim, der sich zu gern reden hörte: durch eigene Kraft sollen wir nicht Gottes Gebote erfüllen, nun kommen sie mit dem notwendigen Erlöser.
Der Oberamtmann schüttelte bedenklich den Kopf. Nein, hören Sie, ich will mir den Abend damit nicht verderben, man muß jetzt oft genug gegen seinen Willen von solchen Dingen hören, ist eigentlich in keiner Kirche mehr recht sicher, und ich versichere Sie, es ist mir passirt, daß ich des Abends vor solchen Vorstellungen nicht einschlafen konnte.
Was sich mit der Wahrheit des Lebens nicht verträgt, werfe ich über Bord, sagte der Oberst verständig. Das Gebot Gottes ist für uns da, daß wir keine schlechten Menschen werden, es kann nichts gebieten, wodurch die Menschen schlechter werden, und wenn zwei Leute zusammen bleiben sollen, die sich nicht ausstehen können, so werden sie dadurch schlechter.
Richtig, sagte der Oberamtmann.
Herr von Budmar würde Ihnen da sagen, sie sollen eben zusammen bleiben, damit sie besser werden, warf Stottenheim lachend ein.
Ich möchte aber doch wissen, ob die Familie wirklich so gegen Kaddens Scheidung ist, sagte der Oberst, der Oberförster scheint doch ein verständiger Mann.
Oberförsters, das weiß ich genau, versicherte Stottenheim, die möchten Frau von Kadden nicht wieder zu ihrem Manne lassen, aber es soll nur für jetzt eine Trennung und keine Scheidung sein.
Unsinn, sagte der Oberamtmann, und weil Stottenheim in dem Augenblick von den jungen Leuten fortgerufen war, fuhr der Oberst vertraulich fort: Ich muß Ihnen nur gestehen, ich fühle so eine Art Verpflichtung, mich dieses jungen Mannes anzunehmen: er hat niemanden in der Welt, und ist eigentlich ganz in der Gewalt dieser Menschen.
Er ist doch aber ein freier Mann! sagte der Oberamtmann lebhaft.
Er hat aber seit Jahren mit ihnen dieselbe Luft geathmet, versicherte der Oberst, er hat von ihren Vorurtheilen eingesogen, er hat wenigstens nicht den Muth, einen Entschluß zu fassen.
Richtig, sagte der Oberamtmann, ich weiß, es gehört ein Entschluß dazu, mich hat auch ein Freund erst auf die Beine bringen müssen. Ich werde einmal mit dem jungen Mann sprechen, recht vernünftig sprechen, denn ich habe die Erfahrung für mich.
Nein, sagte der Oberst, thun Sie das nicht, er ist ein eigenthümlicher Mann, man müßte erst eine Anfrage an seine Frau und an die Familie gelangen lassen, wie sie über die Scheidung denken. Um ihm zu helfen, müßte man ihm mit etwas Bestimmtem entgegen treten können, das wäre der beste Anfang.
Der Oberamtmann war damit einverstanden, und übernahm es, bei dem Oberförster, mit dem er trotz der verschiedenen Glaubensansichten doch ordentlich und nachbarlich stand, einmal hinzuhorchen. Und zwar kam er gleich in diesen Tagen wegen einer Weide-Regulirung mit ihm zusammen, das mußte eine passende Gelegenheit dazu geben.
Der folgende Tag war eine Ruhetag. Die Offiziere, die auf den benachbarten Bauerdörfern lagen, waren eingeladen, den Abend sollte ein Ball schließen. Das Wetter war unvergleichlich schön, die jungen Herren und Damen wußten es zu benutzen. Als Kadden noch ziemlich früh von einem einsamen Spaziergange zurückkehrte, fand er eine große Gesellschaft auf einem Angerplatz hinter dem Garten, und zwar Adolfinen und zwei Offiziere zu Pferd.
Da kömmt Kadden, rief Stottenheim, der mag das Pferd prüfen, er versteht sich auf Damenpferde. Einer von den Herren stieg ab, und Kadden bemerkte jetzt erst, daß auf dem einen Pferd ein Damensattel lag.
Ja, mein lieber Herr von Kadden, redete ihn der Oberamtmann an, versuchen Sie das Pferd einmal, meine Tochter will durchaus reiten, und ich bin bange dabei.
Kadden bestieg das Pferd, prüfte es einige Zeit, und versicherte, die Dame könne es ohne Gefahr besteigen. Jetzt wurde er vom Oberamtmann aufgefordert, ihr einige Anleitung zu geben, und er war höflich genug einzuwilligen. Es währte nicht lange, daß sein eigenes Pferd gebracht wurde, und er ritt nun neben dem jungen Mädchen her, während Adolfine mit den anderen Herren dem Walde zuflog. Nach kurzer Zeit kehrte sie zurück und war nun dreist genug, Kadden zu bitten, ihr Pferd zu bewundern und sie Schule reiten zu lassen. Auch dagegen hatte er nichts, sie ritt wirklich sehr gut, es war ganz hübsch anzusehen. Er mußte sie loben. Endlich ritt sie stolz und kühn neben ihm zum Hause zurück, und er ahnete nicht, was er wieder in ihren Fantasien angerichtet.
Am Nachmittag war der Himmel umzogen, man blieb im Zimmer, es wurde musizirt. Kadden hörte gern zu, – da ihn Stottenheim darauf aufmerksam gemacht, sich nicht gar zu sehr zurückzuziehen, war ihm diese Unterhaltung noch die liebste. Er war dem Klavier näher getreten und sprach mit einem Kameraden, als er ein Flüstern dort bemerkte. Die eine Tochter des Hauses hatte eben das Volkslied angestimmt: »Es ist bestimmt in Gottes Rath,« – als Adolfine schnell das Buch fortnahm, und Stottenheim mit einem Blick auf Kadden leise zu ihr sprach.
Kadden merkte augenblicklich, was das bedeuten sollte; es kochte etwas in ihm, aber ruhig trat er näher. Wollen Sie das schöne Lied nicht singen? fragte er. Die junge Dame schlug das Buch verlegen wieder auf.
Sie singen auch! fragte die ältere Schwester, welche die geheime Unterredung nicht gehört hatte.
Er singt wunderschön, versicherte Stottenheim. Du solltest einmal singen! fügte er hinzu, mit einem Tone als wollte er sagen: Armer Junge, sei doch nicht so traurig.
Auch das reizte Kadden, er setzte sich an das Klavier und sagte lächelnd: Dann müssen Sie mir aber erlauben gerade das Lied zu singen, es ist ein Lieblingslied von mir.
Stottenheim und seine Befreundeten waren etwas verdutzt, aber Kadden sang mit schöner Stimme das ganze Lied. Die Strofen: »Wenn dir geschenkt ein Knösplein was, so thu es in ein Wasserglas,« – die klangen gar beweglich. Das war natürlich, weil er seines Knöspleins gedachte. Und als er gesungen: »Nun mußt du mich auch recht verstehn, ja recht verstehn: wenn Menschen auseinandergehn, dann sprechen sie auf Wiedersehn, auf Wiedersehn!« – da stand er vom Klavier auf, hörte die üblichen Worte des Dankes und Lobes ruhig an, und verließ das Zimmer.
Wie sonderbar! sagten die Mädchen. Ja wirklich, versicherte Stottenheim, wenn man nicht wüßte, daß er ein verheiratheter Mann ist, man sollte denken, er wäre in einer gewissen Periode vor der Verlobung. Er ist so zerstreut, so in Gedanken versunken, er geht allein spazieren, sammelt sich zarte Blumensträußchen, es ist unbegreiflich.
Adolfine war so herzverwirrt, zu erröthen und sich verlegen abzuwenden.
Am anderen Morgen rückte das Militär weiter, nur um eine Nacht zu bivouakiren und dann nach hier zurückzukehren. Die jungen Damen hatten Zeit sich auszuruhen und die schönen Tage zu überlegen. Adolfine steckte tief in ihrer Verblendung. Kadden war am Ballabend einige Stunden ein höflicher Zuschauer gewesen, und hatte sich dann früh zurückgezogen, während der Stunden aber hatte er zweimal neben ihr und ihrer Mutter gesessen und so viel von seinen Kindern gesprochen, und wie er sich zwischen den vielen Menschen einsam fühle. Sie hatte das tiefste Mitleiden mit ihm und überlegte sich, wie sie am folgenden Abend, wenn er zurückkehrte vom Bivouak, ihn trösten wollte.
Sie war eben im Begriff, einen einsamen Spaziergang zu machen, als auf dem Hausflur ein Bauerjunge mit einer Posttasche an ihr vorüber ging. Gehst Du nach Braunhausen? fragte sie. Der Junge bejahte. Sie nahm ihm die Posttasche aus der Hand unter dem Vorwand, ob ein Brief ihres Vaters darin sei. Sie trat damit an das Fenster. Ihre Neugierde wurde befriedigt: ein Brief an Frau von Kadden war dazwischen. Sie sah ihn an. Was stand darin? An dieser Frage hing das Glück ihres Lebens. Sie schwankte nicht lange, es war zu unwiderstehlich, geschickt hatte sie ihn in der Hand. Der Junge erhielt seine Tasche und sie sah ihm gespannt nach, bis er den Hof verlassen.
Sie eilte nun in den Garten, nach dem einsamsten Theil, an einen großen Baumstamm gelehnt, der sie schützen mußte, erbrach sie das Siegel. Es war wirklich, als ob sie vor dem längst geträumten und ersehnten Glücke stände, als ob sie plötzlich aus Zweifel und Erwartung in Gewißheit und Wonne gerathen solle. – Sie las, – und las noch einmal, – sie ward roth, zerknitterte das Blatt in den Händen, und als sie Schritte zu hören glaubte, eilte sie weiter und zum Garten hinaus.
Was hatte sie denn gelesen? Gar nichts Besonderes. Keine Beschwörungen und Vorwürfe und feierliche Lossagungen; es war ein einfacher, kurzer, wunderbarer Brief, für sie hätte er freilich nicht gepaßt, sie war sehr unruhig, daß sie ihn in Händen hatte.
Wie konnte sie so albern, so verwirrt sein? Kadden, der sonderbare ernste Mann, sollte eine unerlaubte Neigung zu ihr haben! Sie gerieth in eine unangenehme Aufregung. Schaam und Aerger stritten sich um die Oberhand, doch entschied sie sich bald für letzteren. – Wie viel besser hätte sie diese schönen Tage benutzen können! Gestern den Ballabend, wo sie die Hauptperson hätte sein können, und wo sie sich eigentlich um keinen Menschen bekümmert hatte, – sie hatte die herrlichsten Dinge erleben können und müssen! Welch ein Glück war es doch, fügte sie sich tröstend hinzu, daß sie den Brief erwischt hatte! Sie zerpflückte ihn jetzt in hundert Stückchen, warf ihn in den Bach, und machte sich gar kein Gewissen daraus, ihn gelesen zu haben. Vierzehn Tage waren nach Elisens Abreise vorüber gegangen, als die Großeltern von einem Spaziergange zurückkehrten und in ihr liebes Wohnzimmer traten. Elisabeth hatte schon seit zwei Tagen nicht ausgehen dürfen, sie war erkältet und blieb mit ihren Kindern auf ihrem Zimmer.
Mit den Großeltern fast zugleich trat die Frau Oberförsterin ein, es war ihr gleich anzusehen, daß sie etwas Besonderes auf dem Herzen hatte. Nun Julchen, sagte der Großpapa lächelnd, was hast Du denn wieder?
Ich werde zwar sehr in den Verdacht kommen, geschwätzig zu sein, nahm Julchen etwas gereizt das Wort, aber ich muß doch meinen Auftrag ausrichten.
Das Großmutterherz schaute sehr bange auf die Tochter, die letzten vierzehn Tage waren ihr schwer genug gewesen. Kaddens Abschied von Elisabeth, und daß er nicht ein Wort seitdem geschrieben, ja Elisabeths Wesen selbst, ihr Kämpfen mit Traurigkeit und ihr Trostsuchen zeigten ihr, daß ihre Befürchtungen schon vom Sommer her richtig waren, und trotz Kaddens gutem Willen, Elisabeth zu ehren und zu achten, seine Neigung zerstört war.
Julchen erzählte nun in gutmüthiger Erregung des Oberamtmanns Auftrag, sich nach der Familie Ansichten über eine Scheidung zu erkundigen. Sie erzählte aber auch getreulich, wie Kadden mit den jungen Damen geritten, mit ihnen gesungen, und daß er auf dem Ball gewesen.
Julchen, das ist alles Klatscherei, sagte der Großpapa ruhig, die Anfrage wegen der Scheidung ist eine Lüge.
Aber Vater, sagte Julchen, es ist noch nicht sehr lange her, wo Du selbst von Kadden einen Wunsch nach Trennung befürchten konntest, wo es Dich beruhigte, daß in seinen Kreisen nicht eine Persönlichkeit war, die seinem Herzen gefährlich werden konnte.
Denke Dir, Julchen, diese Befürchtung habe ich schon gehabt, als er der glücklichste Bräutigam war, sagte der Großvater ebenso ruhig, und denke Dir, ich habe ihm damals schon gesagt, seine glückliche Ehe könnte trotz seines heißen Herzens mit einer Scheidung enden, er könnte ebenso glühend, wie er damals Elisabeth liebte, auch einst eine andere lieben. Aber, Julchen, dasselbe kann man allen Männern und Frauen sagen, die sich auf ihre edeln Herzen verlassen.
Aber, lieber Vater, wunderst Du Dich denn jetzt, nachdem wir die Ehe lange unglücklich gesehen haben?
Weil Kadden sich jetzt nicht mehr auf sein edles Herz verläßt, sondern den Herrn fürchtet, sagte der Großvater kurz. Geduldet Euch nur, in acht Tagen kehrt er zurück; aber zu Deiner Beruhigung verspreche ich Dir, ich will mit ihm sogar wegen der Scheidung sprechen.
Die Großeltern brachen beide die Unterhaltung ab. Julchen zwang sich zum Schweigen.
Zu Hause aber schüttete sie dem Manne das Herz aus. Die guten Eltern waren nicht zu überzeugen! Wenn sie sich nur überreden ließen, wenigstens Elisabeth noch zu Elisen zu schicken, bis mit Kadden vernünftig verhandelt würde! Die Scheidungsfrage wurde ja doch in der Welt längst besprochen. Wenn das auch noch nicht schlimm war, – wie der Oberförster ruhig bemerkte, – im vergangenen Jahre hatte man auch gesagt, der Oberforstmeister wolle sich von seiner Frau scheiden lassen, nur weil sie ihrer Gesundheit wegen ein Vierteljahr in Berlin war. Ja, die Welt ist wunderlich, wenn sie Langeweile hat, macht sie über irgend etwas Lärm, aber ein Lärm vertreibt zum Glück den andern.
Am folgenden Tag sollten eine Menge fremder Truppen an Braunhausen vorüber ziehen und etwas dort manövriren, von allen Seiten strömten Zuschauer herbei, auch von Woltheim fuhren und gingen die Leute dorthin. Als Elisabeth hörte, daß Oberförsters nach der Gegend hin fahren wollten, bat sie mitfahren zu dürfen, und die gutmüthige Oberförsterin gönnte ihr die kleine Zerstreuung, Die Kürassiere, das war bekannt, zogen eine Stunde von Braunhausen entfernt nach dem Platz, wo das letzte Zusammentreffen der verschiedenen Truppen stattfinden sollte.
Der Himmel war hell und blau, aber der Wind kalt; Elisabeth verhehlte es, daß sie noch sehr angegriffen war, ja daß ihr beim Umziehen heute Morgen schwindlich wurde. Eine große Unruhe trieb sie nach Braunhausen, sie konnte vielleicht wenigstens von ihrem Manne dort hören; daß er gar nicht geschrieben, machte sie zu traurig, und daß die Großmama selbst bedrückt war, konnte ihr trotz alles Ringens nach Trost und Kraft das Herz zittern machen.
Der Oberförster fuhr selbst, außer seiner Frau und Elisabeth waren noch die Kinder auf dem großen Jagdwagen. Dicht an Braunhausen wurde gehalten, mit Aufmerksamkeit und Entzücken schauten sie alle nach der einen Seite, wo die Truppen versammelt waren.
Elisabeth hatte auch gedankenvoll hingesehen, dann wandte sie sich nach dem Exercierplatz. Sie traute ihren Augen kaum, aber es war sicher so: ihr Mann hielt auf dem braunen Pferd still auf einer Stelle, und Adolfine galloppirte in Volten und allerhand Kunststückchen um ihn herum. Der Oberst und noch einige Offiziere hielten neben ihm. – Elisabeth schloß die Augen. Ihr Mann dort mit Adolfinen? Sie war viel zu schwach, um Reflexionen zu machen. Nur das Bild des Abends stieg vor ihrer Seele auf, wo Frau von Bandow ihr bange machen wollte mit der Untreue ihres Mannes, und wo er ihr so ruhig und schützend die Hand reichte. War er denn nicht derselbe mehr? – Es ward dunkel vor ihren Augen, sie ward still und bleich, und hatte doch die Herzensangst dabei, unbemerkt zu bleiben.
Da sagte plötzlich die Oberförsterin überrascht und voreilig: Da ist ja Kadden! Dann sah sie auf Elisabeth und fügte erschrocken hinzu: Sie ist ohnmächtig. Laß uns schnell fortfahren! wandte sie sich zu ihrem Mann.
Er wandte augenblicklich den Wagen. Wer ist denn die Dame mit ihm? fragte der Oberförster leise.
Adolfine, um die er sich scheiden lassen will, flüsterte seine Frau in großer Erregung.
Elisabeth aber war nicht ohnmächtig, sie hörte die Worte und schlug auch die Augen wieder auf. Sie saß aber still wie im Traum, bis sie zu Hause ankamen.
Sie lag bei der Großmama auf dem Sofa, während Tante Julchen im Gartensaal den Großeltern den unangenehmen Vorfall mittheilte, aber äußerst wortkarg und vorsichtig, nur das Factum, ihre Bemerkungen dazu behielt sie jetzt für sich.
Da rief Elisabeth. Die Großmama trat ein. Gieb mir doch Dein Büchelchen, bat sie freundlich. Die Großmama reichte es ihr und blieb theilnehmend an ihrer Seite stehen. Elisabeth blätterte darin und sagte dann zur Großmama: Diese Seite hat mir Otto den letzten Tag gezeigt, ich möchte sie Tante Julchen zu lesen geben.
Die Großmama richtete ihren Auftrag aus. Tante Julchen las und erröthete, aber die Großeltern sahen mit ihr in das Buch: »Ich sage euch aber, daß die Menschen müssen Rechenschaft geben am jüngsten Gerichte von einem jeglichen unnützen Worte, das sie geredet haben.« Und nachher weiter: »Doch wird von Frommen auch dies wohl nicht recht bedacht! denn wie viel faul Geschwätz, wie viel unnütze Dinge hört man doch da und dort.«
Ich sehe aber nicht ein, warum wir hier und nicht bei Elisabeth sind, sagte der Großpapa jetzt ernst, und führte die Frauen in das Wohnzimmer. Er hatte noch nicht ein Wort auf der Oberförsterin Bericht erwidert, und diese war ganz betroffen von Kaddens Warnung, sie konnte es nicht begreifen. – Nun sagt einmal, liebe Kinder, begann der Großpapa ganz heftig, was Ihr für Unsinn treibt, förmlich Komödie spielt: Ihr seht Kadden dort und fahrt nicht zu ihm.
Elisabeth richtete sich plötzlich auf.
Warum kam er nicht zu uns? fragte die Oberförsterin verlegen.
Wenn er Euch gesehen hätte, wäre er gekommen, sagte der Großvater, und wenn er weiß, wie Ihr gehandelt habt, muß er Euch für verwirrt halten. – Julchen wagte kein Wort zu sagen. – Er klingelte und bestellte einen reitenden Boten. Ich werde an ihn schreiben, er ist jedenfalls nur auf kurze Zeit und in Geschäften in Braunhausen, wie sehr wird er sich freuen, von Elisabeth und den Kindern zu hören. Tante Julchen ging mit einem seltsamen Gesichte fort, als aber Elisabeth mit den Großeltern allein war, fing sie bitterlich an zu weinen und klagte ihnen den Ausspruch Tante Julchens.
Unsinn! sagte der Großvater heftig. Aber, setzte er ruhiger hinzu, wir sprechen kein Wort mehr mit ihnen darüber. Dich, liebe Elisabeth, brauchen wir wohl nicht zu beruhigen über eine solche lächerliche Klatscherei, und es ist sehr gut, daß Du Julchen Kaddens Rath mitgetheilt.
Elisabeth sah den Großvater dankbar an; neben den drohenden Bildern, neben ihrem schwachen, zweifelhaften Herzen stand doch bald wieder das Bild ihres Mannes, so fest und treu und dem Herrn ergeben.
Der Bote ward fortgeschickt und kam mit der Nachricht zurück, daß Herr von Kadden in seiner Wohnung gewesen und bei den Wirthsleuten (weil die Köchin während der Manöverzeit in Woltheim war) nach einem Briefe von seiner Frau gefragt. Er hatte erwähnt, daß er nur des Briefes wegen sich von seiner Schwadron entfernt hatte. Er war sehr betrübt gewesen, keinen zu finden, und hatte zurückgelassen, daß er in höchstens sechs Tagen mit seiner Familie einziehen würde. Wo er während dieser wenigen Tage sein würde, hatte er selbst noch nicht gewußt. – Die Nachrichten brachte der Bote mündlich und ward vom Großpapa auch damit zur Oberförsterei geschickt. Der Großpapa hatte Elisabeth ganz gesund gemacht, sie sah wieder ruhig und klar, und es war ihr als ob sie wirklich verwirrt gewesen.
Die Frau Oberförsterin konnte sich zwar aus ihrem Ideenkreise nicht heraus finden, aber sie war etwas stutzig geworden. Eine jede Sache hat zwei Seiten, man kann sie einfach wahr und wirklich sehen wie sie ist, oder sie romantisch, verwickelt und wunderbar sehen. Der Schritt von dem einen zum andern ist bei einem Frauengemüth oft nur ein kurzer. Die gute Frau Oberförsterin bemühte sich heute mit aufrichtigem Herzen und prüfendem Gewissen den Schritt zurück zu thun, er wurde ihr freilich etwas schwerer, als der vorwärts.