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37. Die lieben Großeltern

Am folgenden Tage war Herr von Kadden eben von der Uebung zurückgekehrt, als die Schimmel vorfuhren. Er stand einige Sekunden unschlüssig mit der Thürklinke in der Hand, dann eilte er die Treppe hinunter. Er begrüßte den alten Herrn etwas zerstreut und nahm seinen lieben kleinen Friedrich, der durchaus hatte mitfahren und den Papa besuchen wollen, auf den Arm.

Als sie im Zimmer waren, nahm Herr von Budmar Kaddens Hand und sagte freundlich: Da Sie nicht zu uns kommen, komme ich zu Ihnen.

Hat Ihnen Elisabeth alles erzählt? fragte Kadden seufzend.

Elisabeth hat uns nur gesagt, daß sie glücklich ist trotz allem Unglück, war Herrn von Budmars Antwort.

Kadden sah ihn fragend an. Nichts weiter?

Wir waren völlig mit der Antwort zufrieden gestellt, entgegnete Herr von Budmar, und ich komme um zu hören, wie es Ihnen geht, mein lieber Otto.

Ich hoffte auch so antworten zu können, sagte Kadden traurig, seitdem ich aber hier bin, ist es mir als ob ich verwirrt wäre, als ob mir aller Muth vergangen wäre.

Wie so? forschte der Großpapa.

Die Luft hier bedrückt mich, und die Menschen bedrücken mich, ich fühle eine Last auf meiner Brust, es ist als ob ich nicht denken kann, wie ich möchte, nein als ob ich denken müßte, wie sie es wollen.

Lieber Otto, sagte der alte Herr, Sie sind ein freier Mann.

Gewiß bin ich das, unterbrach ihn Kadden, aber Sie glauben nicht, wie schwer es ist, wenn man von Jugend auf in der Welt gelebt hat, wenn man von Jugend auf gewöhnt ist, auf ihr Urtheil, auf ihre Mienen zu lauschen, wie schwer es ist, über ihr zu stehen! Wenn ich in der Fremde lebte, wenn ich mein eigner Herr wäre, so wäre aller Kampf vorbei. Aber hier mitten in einem Leben, das von allen Seiten mich angreift, mich stört, das mich fortwährend mit Menschen zusammenführt, die ich meiden möchte, da, ja ich will es Ihnen bekennen, da fühl ich mich wieder schwach.

Schwach sind wir alle, sagte der Großvater, im Herrn aber sind wir stark, kräftig und herrlich, da überwinden wir die Welt.

Kadden reichte ihm die Hand und sagte: Haben Sie noch etwas Geduld mit mir, der Herr wird auch mir helfen.

Mir ist nicht bange, entgegnete der alte Herr lächelnd, nein ich sehe mich schon hier an Ihrer Seite, wo ich Sie ermahnen muß, daß die Welt dennoch Anrechte auf uns hat.

Nein, das soll sie gewiß nicht haben! sagte Kadden heftig.

Da haben wir es, fiel der Großpapa freundlich ein.

Ich danke Ihnen, daß Sie Nachsicht mit mir haben, sagte Kadden bewegt, Sie sollen mir aber wieder trauen lernen. Und auch Elisabeth wird es wieder lernen! fügte er seufzend hinzu.

Herr von Budmar schwieg zu diesen Worten, er wußte ja nicht, wie es zwischen beiden stand, er schwankte auch, ob er, nachdem er in der Hauptsache beruhigt war, noch das Gespräch der Leute erwähnen solle.

Es ist mir ganz lieb, daß ich jetzt allein sein muß, fuhr Kadden fort, wenn es mir auch schwer wird, es ist gut so. Entschuldigen Sie mich, wenn ich in dieser Zeit nicht nach Woltheim komme. Und wenn sich die Frau Oberförsterin darüber beunruhigt, fügte er etwas bitter hinzu, so beruhigen Sie sie doch.

Aber die Großmama werden Sie heute begrüßen, sagte Herr von Budmar.

Natürlich, entgegnete Kadden schnell, ich komme so gern.

Die Frau Oberförsterin soll auch gewiß heute keinen Einlaß haben, versicherte der alte Herr.

O verzeihen Sie mir, bat Kadden.

Nein, ganz gewiß nicht, versicherte Herr von Budmar noch einmal.

Jetzt klopfte es an die Thür, Stottenheim trat ein. Er hatte die Schimmel vor der Thür gesehen, und konnte es nicht lassen, seinem Freunde bei irgend einer jedenfalls sehr ereignißvollen Szene als ein Schutzengel muthig zur Seite zu stehen. Mit seinem äußerst gefälligen und sich immer gleichbleibenden Wesen und Worten trat er ein. Daß der alte Herr so gemüthlich und ruhig ihn begrüßte, hätte ihn beinahe etwas aus der Contenance gebracht, aber er war ein Mann von Lebensart, und einige verbindliche Worte flossen ihm gewandt von den Lippen.

Ich kam eigentlich Dich zum Diner beim Oberst abzuholen, wandte er sich dann zu Kadden.

Ich gehe nicht mit, ich werde nach Woltheim reiten, entgegnete Kadden ruhig.

Stottenheim zuckte bedenklich die Achseln. Du hast es angenommen, sagte er, es ist das erste Mal nach langer Zeit. Du weißt, die fremden Herren sind alle dort.

Essen Sie erst zu Mittag mit den Herren, rieth der Großpapa, dann kommen Sie und bleiben den Abend bei uns, es ist Mondenschein.

Kadden schwankte einen Augenblick, dann entschloß er sich zu bleiben. Aber lieber Friedrich, wandte er sich zu dem Kleinen, soll ich mich so schnell wieder von Dir trennen?

Den nehmen wir mit, schlug Stottenheim lebhaft vor, die jungen Damen dort werden sehr glücklich sein, ihren kleinen Liebling wieder zu sehen. Ich versichere Sie, er ist dort sehr gut aufgehoben, wandte er sich zu dem alten Herrn, von dem er natürlich einen Einwand erwartete.

Er hatte sich wunderbarer Weise wieder geirrt. Herrlich! sagte der Großpapa, Friedrich bleibt bei dem Papa, für den kleinen Menschen ist Nachmittag bald eine Equipage angeschafft.

Ich bleibe bei meinem Papa! sagte das Kind glücklich, ließ sich von ihm auf den Arm nehmen und sehr warm an das Herz drücken.

Die Sache war abgemacht. Herr von Budmar nahm Abschied und ließ sich von den jungen Leuten zum Wagen geleiten. Stottenheim ging nicht noch einmal mit Kadden hinauf, es war ihm ganz lieb, mit den Damen Bonsak noch eine vertrauliche Unterredung zu haben, er eilte darum dem Freunde voraus.

Sehen Sie, meine Damen, begann er gleich sehr wichtig, als er kaum eingetreten war, es hilft mir alles nichts, mein armer Freund wird wie ein Conscribirter gefordert und wird dem Rufe Folge leisten. Ich fand die Schimmel vorhin vor seiner Thür und den alten Herrn von Budmar bei ihm.

Es ist eigentlich unbegreiflich, daß sie zuerst zu ihm kommen! sagte Frau von Bonsak.

Die Menschen haben kein Gefühl, fiel Adolfine eifrig ein, ich sollte glauben, er hat seine Meinung durch sein Betragen in diesen Tagen deutlich kund gegeben.

Er hat auch heute seine Frau nicht grüßen lassen, versicherte Stottenheim. Er ging dann in seinen Voraussetzungen kühnlich weiter, in dem stolzen Gefühle, eine wichtige Person zu sein und das Schicksal seines Freundes zu leiten oder ganz und gar in Händen zu haben.

Der Freund trat selbst ein. Sein kleiner Begleiter gab sogleich den Stoff zur Unterhaltung, die Damen waren in zärtlicher Aufregung für dies liebe Kind, das sie wirklich noch kannte, besonders Cäzilien, die im vergangenen Sommer Elisabeth oft besucht, dann sich mit den Kindern viel beschäftigt hatte, und wirklich sehr liebreich und verständig war. Heute aber mußte Adolfine den kleinen Friedrich ganz allein haben, er mußte auch bei Tisch bei ihr sitzen, und Kadden, der an ihrer anderen Seite saß und von ihren unglückseligen Gedanken keine Ahnung hatte, bedankte sich beim Abschiede aufrichtig und herzlich für die Sorge und Mühe, die ihr das Kind gemacht.

Die Großmutter und Elisabeth gingen gegen Abend vor dem Hause hin und her, als der erwartete Reiter in den Garten einbog, – nicht sehr schnell, er hatte den kleinen Friedrich vor sich auf dem Pferde. Beide gingen ihm entgegen, Elisabeth nahm ihm das Kind ab. Er stieg vom Pferd, übergab es dem alten Friedrich, und begrüßte nun die Großmama, die ihm ebenso liebreich in die Augen schaute, als beim Abschied. Wie wohl that ihm das, ein Stein mehr fiel von seiner Brust. Er reichte ihr den Arm und sagte bittend: Es ist so Unrecht, daß ich nicht gestern schon gekommen bin, verzeihen Sie mir nur.

Die Großmama sah ihn freundlich an und sagte: Ich weiß ja doch, daß Sie mich nicht vergessen haben.

Gewiß nicht! entgegnete er warm und küßte ihre Hand.

Jetzt kam ihnen Johanne mit Mariechen entgegen, er nahm ihr das Kind ab, er herzte und küßte es und trug es bis zum Hause, wo der Großvater und Onkel Karl schon grüßend in der Thür standen. Sie gingen alle nach der nahen Linde, und Elisabeth machte sich hier sogleich mit dem Theetisch zu schaffen.

Kadden war als ob er von einem bösen Traum befreit war. Sie waren ja alle wie früher gegen ihn, der Großvater war nur vergnügter als bei seiner Abreise und die Großmutter noch herzlicher. Sie schaute ihn zuweilen so innig und vertrauend mit ihren lieben Augen an, sie reichte ihm auch ihre Hand und sagte leise: Ich freue mich, daß Sie wieder hier sind.

Ja das ist auch wunderbar im Verkehr der Kinder Gottes unter einander: wenn sie in der Hauptsache einig sind, verschwinden menschliche und weltliche Intriguen, Verwicklungen und Verlegenheiten wie Nebel vor der Sonne, es ist alles licht und klar, ist gar nichts zu befürchten, es ordnet sich alles von selbst.

Warum sollte die Großmama nicht liebreich gegen den ihr so lieben Sohn sein? Sie hatte heute von ihrem Manne die tröstlichsten Nachrichten über ihn; die Befürchtungen, womit die Welt sie schrecken wollte, waren gänzlich dadurch zerronnen, er war nur verleumdet. Der Großpapa hatte heute mit ihm gerade so ermahnend und tröstlich gesprochen, wie er es in der letzten Zeit oft gethan, aber noch nie hatte Kadden so eingehend darauf geantwortet als heute. Ja über alles Erwarten und Verstehen hatte der Herr die Gebete des Großmutterherzens erhört. Kaddens Stellung zu Elisabeth war ihr auch jetzt nicht unerklärlich, er hatte ihr ja seit lange vor der Badereise schon geklagt, daß Elisabeth unleidlich sei, und sie hatte ihn immer um Geduld gebeten. Hatte er ihr nun wirklich gesagt, wie es mit seinem Herzen stand, hatte sie das erschreckt, so war es ja zu ihrem Heil gewesen, und der Herr konnte beiden so am besten helfen. Ja sie hatte sich fest vorgenommen, diese Zeit zu benutzen, Elisabeth von ihrem Unrecht zu überzeugen: selbst wenn ihr Mann auch nicht ohne Schuld war, wenn er jetzt wirklich hart und unfreundlich gegen sie gewesen und dadurch die schlimmen Gerüchte veranlaßt, die hierher gedrungen, so sollte sie sich prüfen, ob sie nicht zuerst schuld war; sie sollte jetzt, wo der Herr ihr Kraft gegeben, ihre Seele wieder zu erheben, auch bei ihm Kraft finden zum Nachgeben und Verzeihen und Liebreichsein. Das liebe Großmutterherz sorgte einmal wieder vergebens, sie ahnete nicht, wie es mit ihrem Liebling stand.

Als Kadden am Abend von ihnen Abschied nahm, reichte er auch Elisabeth freundlich die Hand. Das gefürchtete erste Zusammensein mit ihm und den Großeltern war also glücklich vorüber und war ihr gar nicht schwer geworden. Er hatte oft mit ihr gesprochen, gerade wenn sie in Gedanken versunken war, redete er sie an, sie merkte an seinen Blicken, daß ihm ihr Schweigen unangenehm war, und nahm dann gleich Theil an der Unterhaltung. Daß ihr Wesen so ganz anders als früher war, glaubte sie nicht, und die Großeltern waren klug genug, es nicht zu bemerken.

Als sie ihren Mann zur Gartensaalthür geleitete, wo wie gewöhnlich sein Pferd ihn erwartete, fragte sie ihn, zwar etwas zaghaft, ob sie mit den Kindern des Nachmittags nach den Steinen auf den Tannenbergen kommen sollte. Er hatte vorher erzählt, daß er in den nächsten Tagen viel Arbeit habe und nicht oft nach Woltheim kommen könne. Wenn Du Zeit hast, kannst Du die Kinder dort sehen, sagte sie. Wir wollen nicht gerade warten, fügte sie, weil er nicht gleich antwortete, hinzu.

Er hatte, als er schon auf dem Pferde saß, ihre Hand noch einmal gefaßt, der helle Mondenschein lag auf ihrem Gesicht. Ich komme gern! sagte er dann freundlich und ritt davon.

Am anderen Nachmittag ging Elisabeth mit Johannen und den Kindern nach den Tannenbergen, auf den Steinen ließen sie sich nieder, und Elisabeth schaute gedankenvoll nach den Thürmen unter sich. Sie hatten nicht lange zu warten, als ein Reiter den Weg kam. Da kömmt der Papa! rief Friedrich freudig.

Aber er war es nicht, es war nur der Bursche, der den Bescheid brachte, daß sein Herr den ganzen Nachmittag im Dienst sei. Frau und Kinder sollten nicht vergebens warten, darum schickte er den Boten, er schickte aber auch eine große Bonbontüte für die Kinder, und Friedrich ward dadurch vollständig entschädigt.

Ein aufsteigendes Gewitter nöthigte die Wanderer zum schnellen Aufbruch, sie waren kaum bei den Großeltern angekommen, als ein Sturmwind sich erhob, und dann Donner und Blitz und starker Regen bis tief in die Nacht nicht aufhörten.

Auch am anderen Morgen sah Elisabeth zu ihrer Betrübniß den Himmel voller schwerer Wolken. An ein Zusammentreffen auf den Tannenbergen war nicht zu denken, und das war sehr schwer. Mit den Großeltern zusammen, durfte ihr eigentlich das Leben nicht schwer sein, bis vor wenigen Tagen war ja dieser Aufenthalt ihres Herzens Wunsch gewesen, hatte ihr so erquicklich und leicht geschienen. Nein, leicht war er ihr nicht, ihr Herz war voll Sehnsucht und Kummer, aber sie wollte geduldig sein, ein Tag, und wenn er noch so lang war, mußte nach dem anderen hingehen, und so mit ihnen die schweren Wochen.


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