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Das Weihnachtsfest war schön gefeiert, am ersten Festtag mit den Großeltern, Elisabeth war es dabei so freudenvoll zu Sinne als damals, wo sie den ersten Besuch in ihrem jungen Haushalt machten. Freilich hatte sie der Großmama keine neue Einrichtung mit Erbsen und Bohnen und Kaffeesäcken zu zeigen, aber es war in ihrem Herzen alles neu, und ohne davon zu reden, leuchtete es aus ihren hellen Augen. Auch gab es diesmal keine Verlegenheiten wegen des Tischgebetes und der bestaubten Bibel, es war ein ungestörtes Beisammensein unter dem Christbaum.
Nach den Festtagen folgten viele stille schöne Tage, der Doctor hatte doch Recht gehabt, der ungeduldige Patient mußte geduldig erst wieder gehen lernen, und mußte nach Wochen dem klugen Herrn Doctor noch aufrichtig zugeben, daß er am liebsten auf dem Sofa liege.
Der Januar war entsetzlich kalt, auch die ersten Tage des Februars, aber dann brach plötzliches Thauwetter Schnee und Eis, einzelne grüne Streifen im Felde schauten sehnsuchtsvoll zum blauen Himmel und zum milden Sonnenschein hinauf, die Lerchen versuchten ihre Stimmen, es sollte Frühling werden. Eben so sehnsuchtsvoll wie die grünen Streifen des Frühlings harrten, und so gern die laue Luft begrüßten, ebenso glücklich verließ auch Elisabeths lieber Hausherr endlich das Zimmer, um sich an Luft und Sonnenschein recht zu erquicken. Zuerst mußte er sich mit dem kleinen sonnigen Hofe begnügen, dann wurde es trocken im Garten und hinter dem Garten, und endlich machte er auch Besuche bei seinen Kameraden, die ihn in den letzten Wochen fleißig und theilnehmend besucht hatten.
Elisabeth war eines Tages mit ihren Kindern im Garten, – die kleine Marie lief selbständig und tapfer umher und ließ sich nicht gar zu leicht von dem großen Friedrich umrennen, – da kehrte Herr von Kadden von den letzten Besuchen zurück und ließ sich nun von seiner vergnügten Familie im Garten begrüßen und festhalten. Er führte Elisabeth den breiten Weg zwischen den vielen Centifolienrosen hinauf, die kleinen braunen Knospen waren zwar noch sehr winzig, aber sie glänzten doch schon lebhafter im Sonnenschein, und das geheimnißvolle Wunderleben nahm darinnen schon sicher seinen Anfang. Elisabeth war gern diesen lieben Weg sinnend auf- und abgegangen.
Heute habe ich Dir Gesellschaft eingeladen, sagte Kadden vergnügt, Du hast es mir zwar nicht vorgezählt, aber ich habe wohl gemerkt, wie Du in diesen Tagen entsetzlich gewirthschaftet hast, ich weiß, Du läßt Dich dann gern belohnen.
Das laß ich mich nicht, fiel ihm Elisabeth schnell in das Wort, ich verlange nie wieder nach solchen Belohnungen; nein, das Wirtschaften selbst ist mir schon Freude genug. Es ist doch nur für Dich und die Kinder, setzte sie leiser hinzu. – Er sollte sie nicht gerade mißverstehen, wenn sie vom Vergnügen am Wirtschaften sprach; aber das konnte sie ihm nicht sagen, daß sie erfüllt war von dem Bilde einer stillen, frommen, glücklichen Hausfrau, die sich gern selig arbeiten möchte in ihrem einfältigen Berufe, ja in dem sie jetzt schon so wunderselig war in unverdientem Sonnenschein und den Blumen, die darinnen sprießen.
Also nicht zur Belohnung, sagte er und sah sie freundlich aber etwas fragend an.
Nein, fuhr sie vertrauender fort, wenn ich recht fleißig gewesen bin, und habe recht viel Arbeit gehabt, so ist mir doch die schönste Belohnung, wenn Du mit mir und den Kindern bist, Ihr seid mir die liebste Gesellschaft.
Liebe Elisabeth, sagte er jetzt lächelnd, Du mußt nicht glauben, daß ich mich revangiren will, wenn ich Dir dasselbe sage.
O nein, sagte sie vergnügt, ich weiß es ja besser.
Es ist auch gut, daß wir lieber mit uns als mit fremden Leuten sind, fuhr er fort; wir werden sie aber einladen müssen, wenn es uns nützlich und nöthig scheint.
Ja, das wollen wir auch, fuhr Elisabeth lebhaft fort, und es soll uns auch Vergnügen machen, aber es soll nichts Besonderes für mich sein, und ich will es als keine Belohnung haben.
Das klang freilich anders, als wenn sie früher kam und ihren Mann versicherte: sie habe sich so viel mit den langweiligen und unangenehmsten Arbeiten gequält, nun möge er sich ordentlich überlegen, welches Vergnügen er ihr dafür schuldig sei. – War das damals ein Unrecht? Wenn auch das nicht, so war es doch nicht das Rechte, es paßte nicht zu dem Leben einer gottseligen Hausfrau, und das ist doch wahrlich mehr werth, als so einzelne Vergnügungen und Zerstreuungen zwischen unangenehmen und langweiligen Arbeiten, die außerdem die Zeit ausfüllen. Aber alles was schön und herrlich ist, was der Seele Freude und Frieden bringt, muß mit dem Herzen geschehen, eine halbe Christin kann nie eine gottselige Hausfrau sein. Sie kann wohl in einer poetischen Aufwallung das Flicken angenehm und ihre Küchenschränke interessant finden, das reicht aber nicht hinaus über die poetischen Stimmungen, und diese Stimmungen verfliegen schon bei Verlegenheiten und Unannehmlichkeiten des Lebens, vielmehr bei wirklichem Kreuz und Leiden. Da aber unser irdisches Leben ganz sicher uns mehr Gelegenheiten zu bedrückten und schweren Stimmungen als zu jugendlich frischen poetischen bietet, so muß man das Herz Dem übergeben, der da Gewalt hat über unser Leben und über alle Stimmungen, traurige oder freudige; man muß die Seele hinein schicken in die Wunderwelt des Glaubenslebens, in der wir über den Verlegenheiten und Unannehmlichkeiten der Welt stehen, in der selbst Kreuz und Leiden die Seele stärkt und reicher macht, auf daß, wenn die trüben Zeiten vorüber, wenn der Herr wieder lichten Sonnenschein und blauen Himmel und eine Frühlingswelt von Frieden und Freude sendet, das Herz nur jugendlicher und poetischer und freudiger hinein schauen lernt. – Elisabeth hatte das alles erfahren. Jetzt bangte ihr nicht mehr für ihre Zukunft. Der Glaube war der Grund ihres Glückes, sie hatte selbst dazu nichts zu thun, als den Herrn zu lieben, Ihm zu vertrauen, Ihm den ersten Platz im Herzen einzuräumen. Das war aber keine schwere Pflicht, das war ihr das liebste und seligste Thun. Sie hatte erfahren, wenn die Welt und die Sünde das irdische Glück zerwehet und zerstört hat, so kann der Herr doch Frieden geben und Freude dem betrübten Herzen. Sie hatte es jetzt erfahren, daß den Herrn lieb haben doch seliger ist als jede Brautliebe, mag sie auch noch so lieblich das Herz bewegen. Sie wußte jetzt, daß sie ihren Mann und ihre Kinder darum so innig und ruhig und sicher lieben könne, weil der Herr den ersten Platz im Herzen einnahm. Er war der Felsengrund ihres Glückes, ihres Muthes und ihrer Freudigkeit. Sie wußte aber auch, um recht glücklich und frisch und freudig mit Mann und Kindern sein zu können, mußte sie am liebsten mit dem Herrn allein sein. Ein jeder Tag mußte ein solches Alleinsein in sich schließen, und sollte es eben auch nur bei geringer Arbeit der Hände sein, beim stillen Nähen und Schaffen in ihrem Beruf, sollte es auch nur sein, wenn sie sich mit einem schönen Lied oder Spruch bekannt machte oder den Katechismus wiederholte. Dabei konnte die unangenehmste und langweiligste Arbeit nicht langweilig, nicht unangenehm sein; für solche schöne stille Stunden konnte sie doch keine Belohnung in irgend einer Zerstreuung mit Menschen suchen. Wohl aber konnte sie durch diese stillen Stunden, in denen ihre Seele Befriedigung und volles Genügen gefunden, mit doppeltem Vergnügen und doppelter Freude mit ihren Lieben und mit guten Freunden fröhlich sein.
Ueber die Geselligkeitsfrage hatte Elisabeth mit ihrem Mann keine Berathung wieder gehabt. Das verstand sich jetzt alles von selbst; die Klippen, die sie sonst überall gesehen, waren verschwunden. Ja gerade so wie wir die Welt und ihre Verhältnisse ansehen, so ist sie und so läßt sie sich ansehen; geradeso wie wir sie behandeln, so läßt sie sich behandeln. Sind wir schwankend und unselbständig ihr gegenüber, so beherrscht sie uns; sind wir kühn und fest und entschlossen sie zu beherrschen, so unterwirft sie sich, thut sie es auch mit einigen Grimassen und Seitenhieben, es trifft uns nicht. Die Welt verlangt nicht einmal eine Erklärung unseres Thuns, sie weiß alles, sie fühlt es, ob wir ihr dienen, oder sie beherrschen wollen, ob wir mit ihr verkehren aus Furcht, Schwäche, Eitelkeit und halber Lust an ihr, oder ob wir es thun aus Pflichtgefühl und weil wir es hier und dort für gut finden. Der Herr hat seinen Gläubigen oft mitten in der Welt ihren Beruf angewiesen, und hat ihnen darin auch ihre Pflichten angewiesen. Der Herr zeigt in allen irdischen Verhältnissen einen richtigen bestimmten Weg. Er spricht: Gebt Gotte was Gottes ist und dem Kaiser was des Kaisers ist – und jederman was ihr schuldig seid. Es giebt also auch Pflichten dieser äußeren Gemeinschaft, Pflichten gegen die uns Nahestehenden, gegen die Vorgesetzten und Mitarbeiter; ja, es soll selbst nicht nur bei diesem Pflichtgefühl bleiben, wir sollen uns nicht hochmüthig von ihnen abschließen, wenn sie auch nicht unseres Glaubens sind. Wir wollen aufrichtige Theilnahme und Liebe für sie hegen, und auf welche Weise wir das äußeren und in das Leben bringen sollen, zeigt uns der Herr deutlich, wenn wir erst Ihm geben was Ihm gebührt, wenn Er mit Seinem Worte die Richtschnur unseres Lebens ist.
Kadden erzählte seiner Elisabeth, daß er alle die jüngeren Kameraden zum Thee eingeladen habe, er wollte sich dankbar beweisen für die viele aufmerksame Theilnahme, die sie ihm in der Krankheit bewiesen hatten, und Elisabeth war sehr einverstanden damit und versprach ihm ein sehr splendides Fest. Nur eine Bitte hatte sie: sie wollte sich Cäzilien einladen. Erstens um nicht ganz allein zwischen den vielen Herren zu sein, und zweitens hoffte sie Stottenheim damit einen besonderen Gefallen zu thun.
Cäzilie hatte wirklich nach und nach und in aller Stille bei Elisabeth die Stelle einer Hausfreundin eingenommen. Schon im ganzen Jahre, wo Elisabeth elend und leidend war, kam sie uneingeladen, spielte mit den Kindern, und suchte Elisabeth in der ihr so schweren Einsamkeit zu zerstreuen. Später, während Kaddens Krankheit, war sie oft bei Johannen in der Kinderstube oder half in nöthigen Arbeiten der Wirtschaft. Außerdem aber war sie eine treue Verehrerin des Pastor Kurtius und hatte sich zuweilen mit den gläubigen Frauen an Wohlthätigkeitsarbeiten betheiligt, – es war unverkennbar, daß sie einen Zug zum Herrn hatte und es durch ihr Leben beweisen wollte. Auf wen anders als auf Cäzilien konnte sich Stottenheims solide Neigung richten? Er verhehlte es auch nicht, und Cäzilie schien damit einverstanden, recht zu Elisabeths Verwunderung.
Als sie jetzt von ihrem Gemahl die Erlaubniß zu der Einladung erhalten hatte, sagte sie auch wieder: Ich lade sie freilich zusammen, ich hätte aber doch Cäzilien einen anderen Mann gewünscht.
Sie bekömmt aber keinen anderen, sagte Kadden scherzend, und dann ist Stottenheim ein treuer und gutmüthiger Mensch.
Nun ja, aber wie man den Entschluß fassen kann, ihn zu heirathen, das begreife ich nicht! war Elisabeths Antwort.
Der Herr aber schließt die Ehen und führt die Herzen zusammen, sagte er wieder. Und glaube nur: sie wird nicht so viel Noth haben, als eine gewisse andere Frau, setzte er seufzend hinzu, – es fiel ihm ein, daß es in der letzten Zeit schon oft nicht nur bei den gewissen schnellen fragenden Blicken geblieben war.
Elisabeth sah ihn zuversichtlich an, sie war augenblicklich sehr muthig gestimmt. Die Frau ist aber nicht ein so genügsames Gemüth, sagte sie kühn, sie macht viel Ansprüche und fürchtet gar nichts.
Sie wird aber doch so anspruchslose und friedliche Ehen in ihrer Nähe dulden wollen? warf er ein.
Recht gern, ich habe gar nichts dagegen, versicherte sie; ich begreife aber auch gar nicht, was Du eigentlich willst?
Ich will nur hören, daß Du anspruchsvoll bist und bleibst, sagte ihr Mann scherzend, und daß Du mit mir zufrieden bist, wenn ich auch nie so sanftmüthig werde als Stottenheim.
Und mich doch nicht fürchte, setzte sie noch zuversichtlicher hinzu.
Sie waren aus dem Garten getreten. Die Kinder baten, sie wollten nach dem Pferdestall, wo Kadden ihnen in diesen Tagen angewöhnt, sie reiten zu lassen. Indem er nun bereitwillig mit den Kindern vor ihr her ging, dachte Elisabeth: Es ist doch unbegreiflich, wenn es dich je kränken sollte, wenn er heftig ist. Du weißt es nun, er ist heftig und wird es sein Leben lang bleiben. Du weißt es aber, daß er es nicht so meint, daß es gar nicht mit seiner Liebe zusammenhängt. Du wirst nach deinen jetzigen Erfahrungen also endlich aufhören, so kindisch zu sein; dein Herz wird doch endlich stark werden. Ei natürlich, setzte sie zuversichtlich hinzu: der Kampf mit so natürlichen Schwächen und Fehlern muß endlich aufhören. Wenn man sie vollständig kennt und darüber steht, so wird man den Herrn doch nicht immerfort mit solchen Kleinigkeiten zu behelligen brauchen, man wird es gar nicht mehr zu Kämpfen kommen lassen; denn wenn man auch den Sieg vorher weiß, sind sie doch störend und höchst unangenehm.
Elisabeth trat in den Pferdestall, als beide Kinder jubelnd auf den Pferden saßen, das kleine Mädchen aber im höchsten Entzücken. Nun Elisabeth, sagte Kadden scherzend, Du wirst es erleben, daß Dein Töchterlein Dich an Muth übertrifft.
Das ist noch die Frage, entgegnete Elisabeth ebenso.
Könntest Du das Reiten wieder versuchen? fragte er.
Ja recht gern, entgegnete sie schnell, aber ohne Nebenleine, fügte sie herausfordernd hinzu.
Natürlich, ohne Nebenleine, wiederholte Kadden: Lieschen, dann fürchte ich, Du reitest noch auf Windmühlenflügel los, fügte er scherzend hinzu, indem er ihr die kleine Marie in den Arm gab.
Dieser Scherz aber war ihrem Herzen ein Schrecken. Er erinnerte sie an einen entsetzlich schweren Tag, und es war ein Glück, daß ihr Mann mit dem kleinen Friedrich beschäftigt war, und daß sie mit Mariechen vorangehen konnte. Im Hinausgehen hörte sie noch, wie er dem Burschen bestellte, daß er gleich nach Tische das Pferd eine Stunde mit dem Damensattel reiten solle, weil er gleich darauf mit seiner Frau ausreiten werde.
Elisabeth trug ihr kleines Mädchen in die Kinderstube, Johanne war nicht hier, sie setzte das Kind zu den Spielsachen und trat nachdenklich an das Fenster. Warum dachte sie denn jetzt nicht an die erst vor wenigen Minuten so zuversichtlich entwickelten Grundsätze? Sie dachte gar nichts, sie vertiefte sich ganz und gar in die Erinnerung, die der Scherz ihres Mannes veranlaßte.
Im vergangenen Sommer, kurz vorher ehe sie nach Wangeroge gingen, fuhr sie mit einigen Damen nach einem benachbarten Orte, die Herrn ritten. Hier versuchte es Kadden – nicht mit seinem eigenen Pferde, das war auf diese Kunststücke hinlänglich eingeübt, – nein mit dem jungen, wilden Pferde eines Kameraden, gegen Windmühlen-Flügel zu reiten. Weder die Bitten seiner Frau, noch ihr unglückliches Schweigen, noch die Empörung der anderen Damen konnte ihn abhalten; sein Ehrgefühl und sein Durst, das Pferd zu bändigen, ließ ihn alles Uebrige vergessen, bis er das Pferd geduldig und mit Schaum bedeckt seinem Kameraden übergab. Die Damen stellten ihm ernstlich vor, er möge so etwas wenigstens allein mit seinen Kameraden vornehmen und nicht in Gegenwart seiner Frau und anderer ängstlicher Seelen. Er hörte kaum nach ihnen hin und ließ sich nur von seinen Kameraden bewundern. Als Adolfine, die dabei war, Elisabeth rieth, durch eigenes kühnes Reiten die Sorge um ihren tollkühnen Reiter zu vergessen, und ihr Mann, wie sie sich längst in diesem Kreise angewöhnt hatten mit einander zu reden, neckend einstimmte, versicherte sie, daß sie nie wieder ein Pferd besteigen würde, und er versicherte dagegen, daß er sie nie wieder in Versuchung dazu führen würde.
Die Erinnerung an diese Szene war zu bitter. Daß er darüber scherzen konnte, war unbegreiflich, es mußte sie kränken und verletzen. Sein Scherz jetzt war doch ein Zeichen, daß ihm sein Betragen von damals nicht leid war, und was einem nicht leid ist, kann man auch wieder thun. Ich bin auch gar nicht sicher, daß er es nicht wieder thut, fuhr sie in Gedanken fort und ärgerte sich schon im voraus darüber, und begann, ähnlich wie Tante Wina bei ihrem ersten Besuche hier, über die Eigentümlichkeit der Männer zu reflectiren. Sie sind alle Egoisten, sie können sich in zartere Empfindungen nicht hinein denken. Da sie aber nicht wie Tante Wina hinzusetzen konnte: Es ist ein Glück, daß du nicht geheirathet hast, – so setzte sie hinzu: Du mußt nicht so anspruchsvoll sein, nicht zu zartfühlend, du mußt resigniren und fertig werden so gut es geht.
Sie wurde in ihren Philosophieen durch den Ruf zu Tische unterbrochen. Daß sie nicht gerade lebhaft und fröhlich war, fiel ihrem Manne nicht auf; er war zu vergnügt. Er sprach auch von dem Reitversuch, der gleich heute gemacht werden sollte, und Elisabeth gewann es über sich zu lächeln und zu nicken.
Während er, wie er es jetzt immer noch gewohnt war, eine längere Mittagsruhe hielt, saß sie in ihrer Stube und folgte wieder ihren herrlichen Fantasieen. Es ward ihr immer unbegreiflicher, daß er über die Windmühlenflügel scherzen konnte, die Windmühlenflügel wurden immer entsetzlicher, und mit ihnen drehten sich ihre Gedanken im Kopfe herum. Sie konnte nicht begreifen, daß sie wieder mit ihm reiten wollte, und konnte nicht begreifen, daß vorhin, als er sie wegen seiner Heftigkeit bedauerte, sie so vergnügt entgegnen konnte: sie fürchte sich nicht. Von der einen Seite betrachtet, war es nicht wahr; und dann war es jedenfalls unklug, es zu sagen. Er mußte seine Heftigkeit ganz leicht nehmen, glauben, er sei vollkommen, und sie konnte nicht mehr auf ihn einwirken.
Ja heftig und herrschsüchtig wird er immer bleiben philosophirte sie weiter, und als sie die Sache nach allen Seiten hin betrachtet hatte, blieb ihr doch nichts weiter übrig, als, wie er gerade war, mit ihm zufrieden zu sein. – Uebrigens war die Zeit der Mittagsruhe vorübergegangen, sie hörte ihres Mannes Schritte und hatte zwischen zwei Dingen zu wählen: entweder sie ritt mit ihm, obgleich er es gar nicht verdiente, oder sie sagte ihm: Wegen der Windmühlenfiügel ist es mir wirklich nicht möglich, je wieder mit Dir zu reiten. Den letzten Gedanken konnte sie aber kaum fertig denken, sie schämte sich, und als ihr Mann in das Zimmer trat, stand sie auf und ging ihm mit der Frage entgegen: Soll ich mich fertig machen?
Er hielt sie in der Thür auf und sagte: Du willst wirklich? Das freut mich zu sehr, eigentlich bin ich es wohl nicht werth.
Sie wurde roth und er nahm ihren Kopf in die Höhe und sah sie fragend an. – Sie wurde verlegen und sagte unwillkürlich und mit einem tiefen Seufzer: Ach ja, die Geschichte mit den Windmühlenflügeln!
Was willst Du mir darüber sagen? bat er freundlich.
Nein, entgegnete sie gefaßter, ich will Dir gar nichts darüber sagen, Du weißt doch Frau von Hohendorfs Rath wegen der angenehmen Fantasieen, denen nicht recht zu trauen ist, und die man für sich behalten muß.
Aber etwas Wahres ist gewiß daran, sagte Kadden, und wenn Du mir meine Fehler nicht sagst, wie soll ich sie ablegen?
Nein, sagte Elisabeth schnell, in solcher Stimmung werde ich Dir Deine Fehler nie sagen. – Ihre Fantasieen traten seiner getreuen Wirklichkeit gegenüber schon den Rückzug an. Ja plötzlich blitzte ein neuer Gedanke in ihrer Seele auf: Tadeln ist überhaupt eine bedenkliche Sache, es ist besser, ein jeder bringt seine Fehler gewissenhaft dem Herrn selbst. Ja mit einem Mal ward es ihr klar, daß es gar nicht nöthig war auf ihren Mann einzuwirken, daß er gewissenhaft genug selbst war. Und freudig sagte sie: Otto, weißt Du was? Wir wollen uns nie tadeln, wir wollen uns gegenseitig nur loben.
Da hast Du recht, liebe Elisabeth, entgegnete er lachend, aber seine Augen schimmerten dabei feucht, beim Tadeln hat der Teufel sein Spiel. Und nun, Lieschen, versuch es mal und lobe mich wegen der Windmühlenflügel.
Nein, Otto, sagte sie etwas betreten. Du mußt darüber nicht lachen.
Es ist nur Freude, versicherte er; der Gedanke, daß Du mich nur immer loben willst, ist zu schön. Ich gehe den Vorschlag ein, ich verspreche Dir aber, daß ich gewissenhaft dafür sorgen will, das Dir das Lob nicht zu schwer wird.
Sie sah ihn einverstanden an.
Was die Windmühlenflügel betrifft, setzte er bittend hinzu: ich versichere Dich, ich habe Dich weder damit ängstigen noch kränken wollen, ich that es nur, weil ich es durchaus thun mußte, ich mußte das Pferd bändigen. Wenn wieder eine solche Gelegenheit kommt –
Dann werde ich es wieder nicht lassen können, fiel Elisabeth ihm schnell in die Rede.
Ja, dann wollt ich Dich bitten, daß Du es mir erlaubst und Dich nicht darüber kränkst. Reiten ist doch mein Beruf, und als ordentliche Soldatenfrau mußt Du Dich schon daran gewöhnen. – Elisabeth nickte. – Und nun, liebe Elisabeth, fuhr er ernsthaft fort, daß Du nie mit mir zanken willst, bin ich wohl zufrieden; aber wenn Du wirklich betrübt bist, da bleibt es bei unserer Verabredung, das muß ich immer wissen. – Elisabeth sah ihn wieder nur nachdenklich an. – Du weißt doch den Unterschied zwischen beiden? fragte er.
O ja, den weiß ich, sagte Elisabeth mit einem Seufzer, weil sie der Vergangenheit gedachte: Wenn man nur betrübt ist, hat man seine Noth dem Herrn schon gebracht; wenn man ärgerlich ist, da steckt man selbst noch mitten in der Noth und in der Sünde.
Er war zufrieden mit dieser Auslegung und küßte sie auf die helle Stirn, in der immer so schöne rettende Gedanken auftauchten.
Als der Diener am Nachmittag die gesattelten Pferde meldete und Elisabeth im Reitkleide mit ihrem Manne die Treppe hinab ging, sagte er noch: Du erlaubst mir aber heute noch einmal den Nebenzügel, ich ängstige mich so.
Sie lächelte: O lieber Otto, ich weiß wohl, Du sagst das für mich, und ich will nur gestehen, Du hast recht; aber nur heute zum Anfang noch; dann, versichere ich Dich, thue ich was Du willst.