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Vierzehn Tage waren in gegenseitiger Vorsicht, aber traurig genug vergangen, jetzt mußten ernstlich Vorbereitungen zur Badereise gemacht werden. Der Arzt hatte Wangeroge bestimmt. Elisabeths Nerven sollten sich hier erneuen, auch sollten die Seebäder ihren Mann von den Kopfschmerzen, die ihn in der letzten Zeit immer häufiger und auch heftiger gequält hatten, befreien. Die Badereise war in der Familie genug besprochen, das Großmutterherz blieb dabei, sie werde Wunder thun, Elisabeths Gesundheit herstellen und Kadden wieder glücklich und zufrieden machen. Sie hatte beim Abschiede Elisen noch ernstlich damit trösten wollen, zu Emiliens und Julchens Verwunderung, die nach den letzten Erlebnissen immer sicherer in ihren Voraussetzungen wurden.
Seit einiger Zeit wurden aber nicht allein in der Familie solche Voraussetzungen gefaßt, auch Kaddens Freunde fingen an, Elisabeths Leiden nicht nur in den Nerven zu suchen. Stottenheim, der aufrichtigen Antheil an dem jungen Paare nahm, konnte es nicht lassen, im höchsten Vertrauen seinen Schmerz über dies traurige Verhältniß zu den neugierigen Töchtern des Obersten auszusprechen. Sein gutmüthiges Herz wußte nicht recht, ob es für Elisabeth oder Kadden stimmen sollte, er fand einen Ausweg in der Ansicht, daß sie wirklich nur beide nicht für einander paßten. Sie war so zart und fein und allerliebst, und Kadden der bravste Mensch von der Welt: dabei blieb er stehen.
Nein, sie ist eine zimperliche, zartfühlende, eigensinnige Person! versicherte einmal bei solcher Gelegenheit Adolfine. Daß er heftig ist, hat sie vorher gewußt, nun mußte sie vernünftig sein und sich fügen. Ein Mann wie Kadden, neben einer Frau mit so verschrobenen Ansichten – es muß für ihn verzweifelt schwierig sein!
Der Oberst hatte sich in das Gespräch gemischt und versicherte, es sei für solche Leute kein anderer Ausweg, als sich scheiden zu lassen, es sei gerade so, wie damals mit seiner Cousine, es fange leise an, werde aber immer unerträglicher. Er habe übrigens von seinem jugendlichen Hitzkopf ähnliches erwartet, und nichts hatte seine Befürchtungen mehr befördern können, als daß Kadden in eine pietistische, höchst einseitige Familie gerathen sei. Er werde noch einige Zeit mit den Ketten klirren und sich dann plötzlich und recht unerwartet losreißen.
Stottenheim, obgleich er es durchaus nicht wünschen konnte, mußte gestehen, daß er dieselben Befürchtungen schon längst gehegt, obgleich er für sich selbst durchaus nicht gegen die pietistische Familie sein konnte; es waren vortreffliche und ehrenwerthe Leute, für ihn selbst konnten ihre Ansichten etwas Hinreißendes haben, sie paßten aber ganz und gar nicht zu Kaddens Natur.
Elisabeth hatte an die Reise, besonders auf die tröstlichen Versicherungen des Großmutterherzens, wieder hoffende Gedanken geknüpft. Sie konnte sich darauf freuen, besonders da ihr Mann darauf eingegangen war, die Kinder mitzunehmen. Als sie am Abend vor der Abreise mit Packen und Ordnen fertig und etwas erhitzt davon war, ging sie in den Garten, und ihr Mann fand sie, als sie neben einem blühenden Rosenstrauch stand und einige halbaufgeblühte Knospen pflückte. Ihre Wangen waren leise geröthet, sie sah vergnügt und freudig aus, und hätte sie gesehen, wie seine Augen so warm auf ihr ruhten, so wäre das ein Sonnenstrahl für ihr zagendes und zweifelndes Herz gewesen.
Im Augenblick hatte sie sich mit schönen Reiseaussichten und mit Hoffnung auf Genesung beschäftigt, – sie sah ihn mit ihren großen lieblichen Augen ganz harmlos an und sagte: Diese Rosen pflücke ich mir jetzt, und wenn sie in Wangeroge recht schön aufblühen, soll es mir ein Zeichen sein, daß ich frisch und fröhlich dort werde.
Liebe Elisabeth, sagte er bittend, sie könnten aber schon unterwegs verblühen, und dann könntest Du Dir gar einbilden, die Bäder helfen Dir nicht. Ich denke die Rosen läßt Du lieber.
O, nein, die lasse ich nicht, sagte sie lächelnd und in ihrem alten liebenswürdigen bestimmenden Ton.
Mir zu Liebe thust Du es doch, bat er und legte seinen Arm um ihre Schulter.
Sie sah ihn an. Das war ein Ton und ein Blick, der ihre Seele bewegte; sie wagte aber nicht, diesem Ton zu trauen, und wagte nichts zu entgegnen, sie reichte ihm nur die Rosen hin.
Er nahm ihr die Blumen aus der Hand und sagte freundlich: Du kannst sie auch mitnehmen, sie sollen Dich morgen während der Reise freuen, aber am Abend werfen wir sie ruhig fort.
Sie nickte und war es zufrieden.
Am andern Tage sehr früh traten sie die Reise an. Außer den Kindern und dem Kindermädchen nahmen sie noch den Burschen mit. Im Anfang ging es recht gut, der Morgen war herrlich kühl, der kleine Friedrich unterhielt sich sehr gut, die kleine Marie schlief viel. Aber die Reise war lang, der Tag wurde heißer, Friedrich wurde ungeduldiger, und weil seine Mama nicht Lust hatte, auf seine vielen Fragen zu antworten, so wandte er sich damit immer zu dem Papa, bis dieser sich auch still in die Ecke lehnte und über Kopfweh klagte. Das gute Kindermädchen that, was in ihren Kräften stand, aber beide weinende Kinder zu beruhigen war unmöglich, und die ganze Reisegesellschaft kam in höchster Verstimmung in Hannover an.
Hier sollte gegessen werden, Herr von Kadden, anstatt die Einrichtung dazu zu treffen, legte sich in die Sofaecke und schloß die Augen. Er war gewiß leidend, er war so bleich, Elisabeth sah ihn aufmerksam an. Wenn sie sich nur hätte überwinden können, ihm einige Worte der Theilnahme zu sagen. Sie fürchtete aber, er möchte als Antwort nur ein abwehrendes Zeichen mit der Hand machen, wie er schon öfters gethan, und das konnte sie nicht ertragen. Auch gesellte sich zu ihrer theilnehmenden Liebe sogleich das Zürnen. War sie nicht eben so elend als er, und hatte er denn die geringste Theilnahme für sie? In allem Trübsal und Kummer über ihre verwehte Liebe konnte sie es doch nicht lassen, immer zuerst an sich zu denken, sich immer als die erste zu betrachten. So wie der Hochmuth nicht glauben läßt, so läßt er auch nicht lieben; die Demuth, die beides so selig und leicht macht, kommt aber dem natürlichen Menschen gar zu schwer an.
Nachdem Elisabeth mit den Kindern gegessen hatte, gingen das Mädchen und der Bursche mit ihnen hinaus, damit ihr kranker Herr ungestört sei. Elisabeth war in dem kleinen Stübchen neben dem größeren Wartezimmer mit ihrem Mann allein, er lag noch immer mit geschlossenen Augen, er hatte nichts gegessen. Sie stand am Fenster, sah auf den weiten stillen Platz, über den zuweilen nur einzelne Menschen gingen, – fremde Menschen. Der Himmel stand hoch und blau über den fremden Häusern, ja sie war zum erstenmal in der Fremde und fühlte sich auch einsam und verlassen. Sie sah in den blauen Himmel hinein.
Wenn ich den Herrn lieben könnte, dachte sie traurig, würde ich mich nicht allein fühlen. Aber ihr Herz war schwer und lau, zum innigen Gebet kam sie nicht mehr, sie konnte nur seufzen oder matte Gedanken hinauf schicken. Sie kannte es, wie wunderbar das ist, den Herrn lieben, wie das Herz dann so ruhig und friedlich und selig ist. Zuweilen erfaßte sie eine große Sehnsucht danach, und die Sehnsucht selbst war schon so friedebringend. Aber das waren nur kurze Lichtblicke, so ganz ohne ihr Zuthun, denn sie konnte ja gar nichts thun. Ebenso war es mit dem Bibellesen, sie sah wohl in das Buch, las einige Verse mit zerstreutem lauem Sinn und legte es wieder traurig fort. Auch heute hatte sie ihre kleine Bibel in ihrem Täschchen bei sich; aber zum Entschluß, darin zu lesen, kam sie nicht, trotz ihres Einsam- und Verlassenseins.
Ja wenn ihr Herz den Herrn lieben könnte, und ruhig und friedlich und selig wäre, dann könnte sie auch hingehn zum Gemahl, zu seiner Seite hinknieen, theilnehmend die Hand liebkosen, und wenn er sie auch abwehrt, doch leise an seiner Seite bleiben, bis ihm die Theilnahme selbst wohlthuend ist und er dankbar die Hand auf ihren Kopf ruhen laßt. – Der Gedanke durchzuckte ihr Herz, sie trat dem Sofa näher, sie stand zagend, – da schlug er die Augen auf und sah sie so verwundert an. Sie wandte sich erschrocken wieder zum Fenster. – Nein, die Zeiten, wo es so zwischen beiden stand, waren unwiederbringlich vorüber.
Um vier Uhr brauste der Zug weiter, die Kinder waren erfrischt, der kühlere Abend und die nur noch kurzen Stunden der Fahrt machten überhaupt die Reiseaussicht nicht mehr schlimm. Es ging auch recht gut. In der letzten Zeit schliefen beide Kinder, die Eltern ruhten wenigstens mit geschlossenen Augen, und sie waren alle überrascht, als der Zug in Bremen hielt.
Jetzt kam aber noch der unangenehmste Theil der ganzen Reise. Das Auspacken und Nachsehen der vielen Sachen, die Wahl des Gasthofs, und überhaupt das Befördern dahin. Schon bei ganz gesundem Kopf ist das alles sehr verdrießlich. Herr von Kadden übernahm es trotz des Kopfwehs, und Elisabeths Stimmung machte ihm die Sache nicht leichter.
Endlich waren sie glücklich im Gasthof angekommen, Elisabeth wurde mit den Kindern in einige freundliche Zimmer geführt, während ihr Mann noch mit den Sachen beschäftigt war. Er kam endlich. Ich habe uns nur die Reisetaschen bringen lassen, sagte er, die Koffer und Kisten habe ich dem Lohnbedienten übergeben, der sie gleich morgen früh nach dem Dampfschiff bringen will.
Den einen Koffer muß ich aber behalten, um die Einkäufe, die ich hier mache, einzupacken! unterbrach ihn Elisabeth lebhaft.
Du willst hier noch Einkäufe machen? fragte er verwundert.
Das weißt Du doch? entgegnete sie gereizt.
Allerdings wußte er es, es war zu Hause weitläuftig besprochen. Elisabeth hatte im vergangenen Sommer und auch in diesem, wo sie unwohl war, gar nicht an ihren Anzug gedacht, zu dieser Badereise fehlte ihr manches, und es ward ihr von Bekannten gerathen, in Bremen, wo man so schöne und geschmackvolle Sachen haben könnte, das Nöthige zu kaufen. Ihr Mann selbst war ganz einverstanden damit, ja er hatte ihr versprochen, sie in alle Läden zu begleiten, oder wenn sie angegriffen wäre, alles für sie zu besorgen. Sie überlegte sich jetzt nicht, daß er seine Gesinnung darin nicht geändert hatte, daß er ihr herzlich gern alles anschaffen möchte, wenn das nur möglich war, ohne daß er davon hörte; sie überlegte nicht, daß er verstimmt war, angegriffen von der Reise, daß er überhaupt nicht Lust hatte, etwas zu besorgen und zu bedenken, und daß es ihm im Augenblick, wo er glaubte, mit allem fertig zu sein, höchst unangenehm war, von neuen Unruhen und Besorgungen zu hören. Sie hätte es wohl überlegen können, sie hatte Erfahrung genug, sie wollte es aber nicht. Nein, es war ihr gerade recht, jetzt ihre eigene gereizte Stimmung mit gutem Recht an ihm auslassen zu können. Sie folgte ihrer bösen Laune und dachte: wenn er mich noch lieb hätte, würde er so nicht reden, es ist ihm aber jetzt gleich, was ich anziehe. Wie unrecht ist es, sich das merken zu lassen! Wie schwer wird es mir, überhaupt in der Art etwas von ihm zu verlangen.
So flogen ihr die Gedanken durch den Kopf, als er ihr entgegnete: Ja, ich erinnere mich, Du wolltest hier einkaufen, aber laß mich nur heute in Ruhe.
Wenn der Koffer morgen früh schon nach dem Dampfschiff soll? fragte sie gespannt.
So gehe jetzt hin und kaufe alles, entgegnete er ruhig und reichte ihr seine Börse.
Ich soll doch nicht allein in der fremden Stadt umher laufen? fuhr sie in demselben Tone fort.
So nimm Wilhelm mit, war seine Antwort. Wilhelm war der Bursche.
Das würdest Du früher nicht von mir verlangt haben, klagte sie jetzt.
Ich bitte Dich, Elisabeth, schweige, quäle mich heute nicht! war seine ernste Forderung.
Vorwürfe darf ich Dir nie machen, fuhr sie fort, ich soll immer schweigen, wenn ich auch Recht habe.
Elisabeth, ich werde sehr heftig, wenn Du noch ein Wort sprichst, sagte er und stand zürnend vor ihr.
Aber sie dachte: An diese Heftigkeit bin ich ja gewöhnt, und die Vorsicht in den letzten Wochen ist mir zu schwer geworden, jetzt muß ich mich aussprechen, ich habe einmal angefangen, nun soll es auch alles von dem Herzen, er muß einmal sein Unrecht hören können. – Ja immer heftig und unfreundlich bist Du gegen mich, sagte sie mit bebender Stimme, wenn Du zu allen Menschen freundlich bist und nachsichtig und höflich.
Elisabeth schweig! rief er noch einmal mit kämpfendem Zorn.
Ich muß alles tragen, fuhr sie leise fort, selbst mit dem Dienstmädchen kannst Du freundlich sein.
Du sollst schweigen! rief er jetzt und holte drohend mit der Hand aus, ja wenn sie sich nicht erschrocken von der Seite gebogen, er hätte sie gewiß geschlagen.
Ihr erstes Gefühl war, ihm zu Füßen zu sinken und um Verzeihung zu bitten, da hörte sie ihn sagen: O du Qual meines Lebens!
Ach da stürmten auch andere Gefühle über sie ein. Er hat dich schlagen wollen, – dich, die Mutter seiner Kinder, – er liebt dich nicht, er achtet dich nicht, – es ist alles vorbei!
Als er sich jetzt selbst von seinem Schrecken erholt hatte und wieder zur Besinnung kam, trat er zu ihr. Er wollte ihre Hand nehmen. Elisabeth, habe doch Mitleid mit mir, wozu bringst Du mich doch. – Sie nahm seine Hand nicht und sah nicht auf. – Elisabeth, verzeihe mir! bat er und griff noch einmal nach ihrer Hand.
Sie wehrte ihn zurück und sagte: Nie, nie, – es ist alles aus, – es ist auch so am besten!
Er wußte nicht, ob er sich darüber betrüben, oder ob er zürnen sollte, das letzte lag ihm näher. Er wandte sich von ihr und trat an das Fenster.
Sie bemerkte jetzt erst, daß sie sich vorhin bei der schnellen Bewegung des Kopfes mit der Schläfe an die Sekretär-Ecke gestoßen hatte. Die Stelle schmerzte sehr und einzelne warme Blutstropfen rannen am Halse nieder. Sie war wie betäubt, sie setzte sich auf das Sofa.
Also jetzt waren des Großvaters Profezeihungen eingetroffen und auch Emiliens, – o wie entsetzlich war das! – Jetzt wäre es vielleicht Zeit gewesen ein Vater Unser zu beten, aber daran war nicht zu denken, es war grau in ihr und über ihr, sie hätte sterben können ganz ohne Todesfurcht, es war ihr alles gleich.
Als ihr Mann sich bald vom Fenster wandte, sah er sie bleich, mit geschlossenen Augen, und helle Blutstropfen auf ihrem weißen Kragen. Was hast Du gemacht, Elisabeth? Du blutest? fragte er erschrocken.
Ich habe mich gestoßen, entgegnete sie, es ist aber nichts. Sie wischte sich mit dem Taschentuch das Blut ab und schloß die Augen wieder. Als zu gleicher Zeit der Kellner kam, um das Abendbrot anzurichten, stand sie schnell auf, ging in das Schlafzimmer und legte sich auf ihr Bett.
Herr von Kadden sagte dem Kindermädchen, seine Frau habe sich gestoßen, sie möchte Wasser und Arnika besorgen, das Mädchen sagte es dem Burschen, der lief zur Wirthin, und diese, eine sehr gefällige Frau, kam mit der Arnika selbst in das Schlafzimmer, um die Wunde zu sehen. Elisabeth sah sie eintreten, und sah, wie ihr Mann ihr ein leinenes Tuch reichte; als aber beide dem Bette näher kamen, schloß sie die Augen, sie konnte unmöglich mit der Frau reden, sie ließ geduldig die Wunde untersuchen und das nasse Tuch auflegen.
Eine gefährliche Stelle, flüsterte die Frau, nun Gott sei Dank, daß es so ablief, das hätte schlimm werden können. – Den Leuten versicherte sie, die Dame liege in einer förmlichen Betäubung von dem Stoß, und es fiel niemanden auf, daß Elisabeth nicht zu Abend aß und auch nicht zum Vorschein kam.
Am andern Morgen frühstückte Herr von Kadden mit den Kindern allein; Elisabeth hatte die Augen noch nicht aufgethan, obgleich er wohl denken konnte, daß sie nicht schlief. – Es trieb ihn bald aus dem Haus. Für die Schönheiten der Stadt hatte er keinen Sinn, aber es war ihm eine Erquickung, in den schattigen Anlagen ganz allein zu wandeln. Viele Leute, vornehme und geringe, liefen mit gleichgiltigen Gesichtern an ihm vorüber, wie lieb war es ihm, daß er so ganz fremd hier war, so ganz unbemerkt hier gehen konnte, und er sehnte sich förmlich nach dem Dampfschiff, das ihn noch weiter in die Fremde hinein tragen sollte. – Wenn er jetzt hätte seinen Freunden begegnen müssen, Stottenheim gegenübertreten, der ihn schon oft mit seinen zudringlichen freundschaftlichen Reden gequält hatte! – Es ist ein Unglück, hatte er erst noch kürzlich gesagt, daß Deine liebe Frau zu ideale Ansichten vom Leben hat, und daß Du nun davon angesteckt bist. Ihr macht Euch beide das Leben ohne Noth schwer, sie verlangt zu viel von Dir, ein Mann kann doch nicht immer wie ein Bräutigam sein. Es ist wahr, ich habe noch nie etwas lieblicheres und reizenderes gesehen, als Deine junge Frau, sie war so zart, so allerliebst. – Ist sie das nicht mehr? hatte Kadden gefragt. – Sie ist es freilich noch, war Stottenheim eifriger fortgefahren, das ist ja eben ihr Unglück, denn Du, mein lieber Freund, bist nicht so geblieben. Du konntest auch nicht so bleiben, und daß Du Dich darüber plagst, das ist eben Eure gegenseitige thörichte Quälerei. – Du irrst Dich, hatte Kadden zürnend erwiedert, unsere idealen Ansichten quälen uns nicht, aber die jämmerlichen Ansichten, die in Eurer Gesellschaft herrschen, die haben uns gequält. – Jetzt, Kadden, sei aufrichtig, hatte ihn Stottenheim unterbrochen, habe ich je Eure schwärmerischen Ansichten angegriffen? Haben wir es nicht eigentlich alle vermieden, mit Euch über solche Dinge zu streiten? – Das war auch gar nicht nöthig, war Kaddens kurze Antwort; nur in solcher Luft zu leben ist das Verderben eines jeden inneren Lebens. – Allerliebst! wirklich man könnte erschrecken, hatte Stottenheim verdutzt entgegnet, aber ich erlaube Dir, zu reden wie Du willst, und versichere Dich, ich nehme Dir nichts übel, ich weiß, wir werden uns dennoch verständigen. – Nein, nie verständigen! hatte Kadden weiter gezürnt, ich kann Dir nur gestehen, daß ich ein elender, armseliger Mensch bin, daß ich Elisabeth dem Verderben Eurer ganz gemüthlich aussehenden Lebensanschauungen ausgesetzt, und wie Du sagst, ihr zartes, allerliebstes Seelenleben erschüttert habe. Das sind die gegenseitigen Quälereien allerdings. Aber mit des Herrn Hilfe wird es ja endlich anders werden. – Wie schwärmerisch klingt das wieder: Mit des Herrn Hilfe! Was soll Dir der Herr bei so herkömmlichen, einfachen, vernünftigen Dingen helfen? Man könnte ganz verwirrt werden, wahrhaftig. – Ist Er, hatte ihn Kadden unterbrochen, nicht im vergangenen Jahre mächtig zwischen Eure erbärmlichen vernünftigen Ansichten dreingefahren? Denkt Ihr nicht alle schon anders über die gläubigen Leute, auch über unsern Pastor? Bist Du nicht selbst entzückt gewesen über unsern alten Herrn von Budmar, wie er dem kleinstädtischen Trödel gegenüber so ruhig und zuversichtlich und erhaben blieb, und wie der Oberförster so einfach und humoristisch Ordnung hielt. – A la bonheur, war Stottenheim darauf bei der Hand gewesen: in politischer Hinsicht nehme ich meinen Hut vor diesen Leuten ab. Ja in der Hinsicht ist uns allerdings im vergangenen Jahre das Verständniß geöffnet, und es wäre ein Frevel, die Hand Gottes da wegzuleugnen. – So bedarf es auch nur der Hand Gottes, das Verständniß in Glaubenssachen zu öffnen, hatte ihn Kadden unterbrochen, und uns darin stark zu machen. Er sprach gern so zu Stottenheim, es war ihm ein Trost und eine Stärkung; wenn er nur auch die Kraft gehabt hätte danach thun! – Wir sind aber auf ein ganz anderes Kapitel gekommen, däucht mich, hatte Stottenheim noch einmal gesagt. Denke Dir, Deine Frau wäre anders erzogen, hätte nicht so ideale Ansichten, wäre nicht so zartfühlend, das wäre jedenfalls besser. Du könntest heftig sein, zuweilen auch etwas ausfallend, du lieber Gott! ein Mann hat das nicht immer in seiner Gewalt, besonders wir armen Soldaten, die wir gezwungen sind, so viel mit der rohen Natur zu verkehren. Wenn sie sich das nicht zu Herzen nähme, ich möchte sagen, es wie ein Gewitterschauer über sich hingehen ließe. – Vielleicht wieder etwas ausfallend wäre, hatte ihn Kadden spöttisch unterbrochen. – Meinetwegen, das müßtest Du Dir gefallen lassen! lachte Stottenheim, aber wenn es vorüber, wäre es vergessen. Du bist ein so grundbraver, ehrenwerther Mensch, warum kann das eine Frau nicht ebenso im Auge behalten, als ich? Mir sollte doch wahrhaftig nie einfallen, Dir Deine Heftigkeit abzugewöhnen, sie verletzt mich gar nicht. – Stottenheim! hatte Kadden ernsthaft gesagt, merke auf, um meinetwillen müßte Deine Liebe das an mir nicht dulden wollen. – Stottenheim hatte ihn mit den großen hellblauen Augen verwundert angesehen. – Ja, das ist eben die Sache, fügte Kadden hinzu, daß man gegenseitig das Ideal nicht aufgeben kann. Ich will lieber bis zum Tode mit meiner Heftigkeit und Rohheit kämpfen, als Elisabeth weniger zartfühlend sehen. – Stottenheim hatte den Sinn dieses Ausspruchs verstanden, er hatte ihn wunderschön gefunden, wirklich sein eigenes Herz war davon bewegt; aber es war Poesie, keine Wirklichkeit, und um sich noch deutlicher zu machen, hatte er ein Mädchen wie Adolfine, die jetzt sehr solide und liebenswürdig war, Elisabeth gegenüber gestellt. Wie würde sie das Leben nehmen und wie sich über so unumgänglichen Schaum in der Ehe hinwegsetzen. – Oder sich wehren, hatte Kadden damals spottend hinzugesetzt. –
In diese Erinnerungen vertieft ging er in den Anlagen hin und her, in diesen Erinnerungen tauchte Elisabeths Bild als Braut und in der Zeit, wo sie noch ganz für sich leben konnten, in ihm auf. Wie sie da so leise jede Seelennoth gefühlt, und Hilfe gesucht und gefunden, und ihn damit selbst so glücklich gemacht. Sollte sie denn jetzt anders empfinden? die Seelennoth weniger fühlen? Nein gewiß nicht, die Seelennoth war gestiegen, aber das Hilfesuchen hatte sie in der Zerstreuung des Weltlebens verlernt und ihre ganze Stimmung hatte darin ihren Grund. Das war ihm bei besonderen Gelegenheiten durch das Herz gegangen, das hatte ihn in Liebe und Mitleid und Schuldgefühl zu ihr gezogen und die einzelnen Sonnenblicke in ihrem Leben jetzt noch veranlaßt.
Diese Betrachtungen machten sein Herz immer schwerer, es war als ob nach diesem letzten traurigen Vorfall die ganze Vergangenheit an sein Gewissen stürmte. Und wie ganz trostlos und verlassen mußte sie jetzt sich fühlen, niemand zu haben, dem sie ihren Kummer mittheilen konnte, ganz allein in der Fremde mit einem Mann, den sie fürchten mußte, in dessen Gewalt zu sein ihr eine entsetzliche Demüthigung sein mußte. Er dachte an das Großmutterherz, wie das um ihren Liebling gern sorgen und bangen, wie es gern trösten und lieben würde. Es war ihm alles entsetzlich schwer. Er mußte auch an den Großvater denken, an dessen Warnung, an die Zeit, wo er Elisabeths Stolz, ihr Glück und ihr Schutz gewesen. Konnte er sie denn mit seiner Liebe nicht mehr trösten? – Nein, die Zeiten waren vorbei.
Müde und kummervoll kam er in den Gasthof zurück. Er fand das Kindermädchen mit den Kindern im Flur, er erkundigte sich nach seiner Frau und hörte, daß sie auf gewesen, ihre Sachen zum Dampfboot geordnet und sich wieder niedergelegt hatte. Die Wunde schmerzte noch, sie hatte die Nacht nicht geschlafen und wollte versuchen zu ruhen.
Als er sich das berichten ließ, wurden eben die Koffer und Sachen vom Lohnbedienten auf einen Rollwagen geladen. Das erinnerte ihn an die unglücklichen Einkäufe, die aber doch jedenfalls nöthig waren. Er fragte Johannen danach; diese versicherte, die gnädige Frau habe eigentlich gar keinen Hut, auch fehlte ihr ein Tuch oder ein Mäntelchen, und die Kinder mußten Jäckchen haben. Die gnädige Frau hatte aber den Kopf geschüttelt, als sie vorhin daran erinnerte.
Man könnte die Sachen alle herkommen lassen, rieth die gefällige Wirthin, und die Dame trifft hier die Wahl.
Herr von Kadden dankte, er ließ sich nur von der Wirthin bescheiden und ging mit Johannen und den Kindern selbst aus. Wie gern that er das, – wenn sie auch nichts davon wußte, nichts davon wissen sollte, so durfte er doch für sie und seine Kinder etwas thun.
Von der Dame im Modegeschäft wurde er sehr zuvorkommend behandelt, sie hätte ihm mögen den ganzen Laden präsentiren, weil er aber sonst ernst und schweigend war, wandte sie sich an das verständige Kindermädchen, die ihre gnädige Frau beschreiben mußte, damit sie passende Sachen vorschlagen konnte. Johanne that es sehr gewissenhaft, und er stand dabei mit sonderbaren Gefühlen. Er hörte von den braunen Locken, und der schlanken Gestalt, und der weißen Farbe, – alles Antworten auf die Fragen der Putzmacherin. Als sie aber vorschlug: einen schneeweißen Basthut mit Cerise oder hartem Blau, entschied er schnell für Blau. Das war ja die Farbe, darinnen er Elisabeth zum ersten Mal gesehen, – es war ihm gerade als ob sie todt sei und er nun sich an die Erinnerung seines Glückes halten müsse. – Dazu wählte die kluge Johanne noch ein blaues Sammettuch und für die Kinder hübsche Jäckchen. Zu Mittag sollten die Sachen in einem Carton nachgeschickt werden und darin die Reise bis Wangeroge machen.
Während dessen lag Elisabeth auf ihrem Bette, die Nacht war ihr ohne Schlaf hingegangen, sie lag in großer Abspannung fast ohne Gedanken, grau war es über ihr und grau in ihr. Sie war am Morgen aufgestanden, um ihre Sachen zu ordnen, ihr einziger bestimmter und schreckhafter Gedanke war: ihr Mann könnte in seiner Verstimmung, und vielleicht um sie zu strafen, den Gedanken fassen umzukehren. Sie wollte aber lieber alles geduldig von ihm tragen, als die Großeltern und ihre Familie jetzt sehen.
Als sie mit Ordnen fertig war, hatte ihr Johanne mit Gewalt eine Tasse Bouillon aufgenöthigt. Sie nahm es an unter der Bedingung, Mittag in Ruhe zu bleiben. Johanne verband darauf die böse Wunde wieder und machte ihrer lieben Frau auf dem Bett ein bequemes Ruhelager.
Elisabeth, um der qualvollen Gegenwart zu entrinnen, vertiefte sich mit ihren Gedanken in ihre Jugend, in die harmlosen fröhlichen Tage, wo sie bei den Großeltern war. Wollten ihre Gedanken weiter gehen, bis zu dem Ball, bis zu der Bekanntschaft ihres Mannes, so schob sie dieselben mit Gewalt zurück, und es gelang ihr nach manchen solchen Kämpfen doch immer wieder einen freundlichen Ruhepunkt zu finden, bis sie wirklich darüber eingeschlafen war.
Kadden, nachdem er zurückgekehrt und fast eine halbe Stunde im Wohnzimmer gesessen hatte, während seine Kinder vor der Thür unter Bäumen spielten, ließ es nicht mehr ruhen, er mußte Elisabeth sehen. Ganz leise öffnete er die Thür des Schlafzimmers und trat leise an das Bett. Er überzeugte sich gleich, daß sie schlief und nicht bloß die Augen geschlossen hatte. – Sie saß mit dem Rücken gegen weiße Kissen gelehnt, der Kopf war etwas von der Seite auf die Brust gesunken, das sah so krank und traurig aus, dazu die weiße Binde und das bleiche Gesicht, und die schmalen bleichen Hände. Er konnte es nicht ansehen vor Herzweh, ja mit kämpfenden Thränen trat er an das Fenster, was auf einen kleinen Hof ging, und schaute in die trübselige fremde Welt hinaus.
Welch ein armseliger Mensch bist du doch? dachte er erschüttert: wo ist denn jetzt dein Himmel des guten Gewissens? deine Rechtschaffenheit, dein braver Wille, deine Großmuth? Er hinderte es nicht, daß die Erinnerung wieder mit traurigen Bildern in ihm lebendig wurde, und eine Zeit nach der andern verklagend vor ihm aufstieg. Er sah auf seinen Trauring, er gedachte der Traurede, – des Gottes-Wortes: »Du sollst ihr Herr sein.« Was für ein Herr war er ihr gewesen? Hatte er sie so lieb gehabt als sich selbst? hatte er mit Vernunft bei ihr gewohnt und ihr als dem schwächeren Theile der Ehre gegeben? Lieb hatte er sie wohl gehabt und war freundlich und vernünftig gewesen, wenn es ihm gerade so um das Herz war und wenn sie liebenswürdig war; aber wenn es ihm nicht so war, oder sie war schwach und eigensinnig, dann lag es ihm näher, herrschsüchtig und unvernünftig und unfreundlich zu sein. Wie hatte er sie in ihrer ganzen Krankheit mit so wenig Nachsicht behandelt und ihre Verstimmungen nur mit heftigen Scenen gestraft. Die guten Vorsätze, ihr zu Liebe immer wieder freundlich und nachsichtig zu sein, hatten ihm wenig geholfen. Elisabeth hatte ja im Anfang schon ganz richtig erfahren: wenn man ärgerlich ist, hilft die Liebe nichts, weil sie vor dem Aerger sticht. Zu ähnlichen guten Vorsätzen, mit denen er Elisabeth in guten Stunden oft genug zu trösten suchte, die aber immer ohne Erfolg geblieben, hatte er nach dem was vorgefallen war, jetzt wo Elisabeths Herz Furcht und Widerwillen erfüllten, noch weniger Muth. Ja, er schämte sich, wenn er ihrer gedachte, schämte sich, zu Elisabeth ähnliche Worte wieder zu reden, und fühlte sich rathlos.
Da kam plötzlich ein Gedanke wie ein Lichtstrahl in sein kummervolles Herz: Suche einmal nur Gottes Wort und Gebote zu erfüllen, und warte in Geduld den Segen davon ab. Deine Liebe und deine guten Vorsätze und deine Rechtschaffenheit haben dir nicht geholfen, jetzt thue um des Herrn Willen deine Pflicht, habe Lust ihn zu hören, so wird er dich wieder hören. Zu ihm durfte er ja kommen, mit der Reue, mit dem Unfrieden und mit dem Kummer seiner Seele. »Denn so Du willt das sehen an, was Sünd und Unrecht ist gethan, wer kann, Herr, vor Dir bleiben?« Er stand lange so gedankenvoll. – In der Hingabe an den Herrn, der uns fortwährend vergiebt mit Gnade und Barmherzigkeit, ward es still in seinem Herzen, er hatte wieder einen Grund gefunden, von wo er das Leben anfassen konnte. Es war schon eine große Erleichterung, zu wissen, was er von diesem Augenblick an zu thun hatte, unbekümmert um die Stimmung seiner Frau. Sie soll sich wenigstens nicht vor dir fürchten, dachte er mit bewegtem Herzen, als er sich wieder zu ihr wandte, sie soll es selbst fühlen, daß du ihr getreulicher Schutz bist, und daß niemand in der Welt ihr näher stehen darf in Sorge und Theilnahme, als der Mann, der nach Gottes Gebot ihr der Nächste sein soll.
Er sah auf seinen Trauring, er sah auf Elisabeths Trauring, er gedachte der Worte des Großvaters, daß er Ehen gekannt, die mit schwärmerischer Liebe, mit Glück und Zuversicht begannen und mit der Scheidung geendet hatten. O welch ein Trost war ihm jetzt die Stellung der ganzen Familie, die eine Scheidung unmöglich machte. Elisabeth war sein eigen bis zum Tode. Niemand darf sie von deiner Seite nehmen. Aber wenn sie durchaus nicht möchte an deiner Seite leben? Möchtest du sie dazu zwingen? – Dieser Gedanke war ihm neu und erschütternd und bedrohte von neuem seinen Frieden und seinen Muth. »Es ist alles aus, es ist auch so am besten,« – diese Worte standen jetzt nur vor seiner Seele.