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An einem schönen Tage machte Elisabeth zu Fuß mit ihrem kleinen Jungen bei den Großeltern in Woltheim einen Besuch. Wie sie es im Sommer öfters gethan, mußte der Bursche früh, als es noch kühl war, den kleinen Kinderwagen den Tannenberg hinan ziehen, und dann übernahm das Kindermädchen allein die leichtere Hälfte des Weges, der auf diesem nahen Fußstege überhaupt nur eine Stunde lang war. Ihr Mann kam dann gewöhnlich Mittags zu Pferde nach und sie blieben zusammen bis zum Abend.
Als sie mit den Großeltern traulich zusammen saß, theilte sie ihnen ihre weisen Entschlüsse wegen ihres Umganges im nächsten Winter sehr zuversichtlich mit, sie nannte auch als Autorität ihre Eltern und deutete an, daß die Großeltern darin nicht urtheilen könnten, sie wohnten ja auf dem Lande.
Der Großvater erlaubte dem Großmutterherzen nicht viel zu sorgen und viel einzureden, er brach die Unterhaltung ziemlich kurz ab, profezeihte aber dem jungen Paare wenig Freude und viel Unfrieden durch ihren Doppelumgang. Außerdem war er freundlich und liebreich wie immer.
Bei dieser Gelegenheit schüttete Elisabeth den lieben Großeltern einmal wieder ihr ganzes Herz aus: sie war jetzt glücklicher als je, so frisch und vergnügt, sah auch das ganze Leben so an und schaute so zuversichtlich in die Zukunft. Das machte, sie hatte nun mehr Erfahrung, sie war nicht gar zu penibel und anspruchsvoll, wie in der Brautzeit und als ganz junge Frau, wo jede Kleinigkeit, die sie mit dem Mann hatte, sie so sehr beunruhigte.
Die Großmama erinnerte ernsthaft an die Gespräche über die Macht, welche Kleinigkeiten an der Seele üben; sie sollte ja wachen, damit ihre Brautliebe nicht zu einer Flitterwochenliebe würde.
Aber Großmama, begann Elisabeth nachdenklich, wenn ich das auch gern wollte, ich glaube, die Männer verstehen es nicht. Alle diese Kleinigkeiten, die uns glücklich machen, die haben nur für ein Bräutigamsherz Werth, nachher tritt ihr Beruf wieder in den Vordergrund. Das ist auch ganz natürlich; ich müßte doch eine Thörin sein, wenn ich Otto das übel nehmen wollte. Ich weiß, daß er mich lieb hat, wenn er auch einen halben Tag nicht Zeit hat, sich um mich zu bekümmern.
Aber im Anfang hätte es Dich doch betrübt? fragte der Großvater mit klugem Gesicht.
Ja freilich, versicherte Elisabeth, da kam er auch, wenn er in seiner Stube beschäftigt war, hin und wieder zu mir, um mich zu sehen, und ich ging auch zu ihm.
Warum thut Ihr es denn nicht mehr? fragte der Großvater.
Das ist ganz von selbst gekommen, entgegnete Elisabeth, wenn Otto viel zu thun hatte, vergaß er zu kommen.
Dann gingest Du zu ihm? fragte der Großvater weiter.
O nein, fuhr Elisabeth lächelnd fort, ich muß Euch nur sagen, daß es mich sehr ärgerte, wenn er nicht kam, und ich immer versuchte, wie lange er es aushalten könnte.
Und wer konnte es länger aushalten? unterbrach sie der Großvater scherzend.
Zuweilen bin ich doch hingegangen –
Und habe gezürnt, unterbrach er wieder.
Jetzt bin ich darüber hinaus, und kann wohl darüber scherzen, versicherte Elisabeth, aber es hat mir Herzweh genug gemacht, daß es so nach und nach etwas anders mit uns wurde. Aber Ihr versteht mich doch, liebe Großeltern, fügte sie beruhigend hinzu, es waren ja nur immer kleine Aeußerlichkeiten.
Da sehe ich doch, welche kluge Frau Deine Großmama ist, sagte der Großvater. Wenn Du wüßtest, wie sie es gemacht hat. – Elisabeth sah ihn fragend an. – Elisabeth, Du glaubst nicht, was uns Männern alles gelehrt werden kann, fuhr er fort. In diesem Falle würde Deine Großmama mich sehr liebreich überzeugt haben, ich sei zu unglücklich, wenn ich sie nicht zwischen den Arbeiten hindurch aufsuche, oder ihr nicht feierlichst Lebewohl und guten Tag sage bei dem kleinsten Ausgange. Sie versicherte mich dann aber auch, daß sie darüber unglücklich sei.
Sie hat das aber nicht aus Absicht gethan, verbesserte die Großmutter, sie that das, weil sie es nicht lassen konnte.
Nun gut, fuhr der Großpapa fort, es hat ihr aber auch nicht viel Mühe gekostet, mich von ihrem Unglück zu überzeugen, denn glaube nur, Elisabeth, wenn die Männer auch noch so großartig und erhaben und unabhängig scheinen, sie thun doch nichts lieberes als sich von solchem Unglück überzeugen zu lassen, und erfüllen so gern alle diese lieben kleinen Wünsche.
Großpapa, sagte Elisabeth nachdenklich, warum thun sie denn als Bräutigam alles von selbst, warum gehört es da zu ihrem Glücke?
Das ist von dem Herrn Gott so eingerichtet, versicherte der Großvater. Ein Bräutigamsherz weiß es von selbst. Dann wird ihm die Frau zur Seite gegeben, daß er es nicht verlernt. Sie muß ihn immer aufmerksam machen auf sein Glück, und wenn er dann doch einmal in sein Unglück hinein geräth, – denn, Elisabeth, der Mensch ist schwach, er thut oft gerade das, was er eigentlich gar nicht will, – dann muß eine Frau nicht mit ihm zürnen und zanken, nein sie muß wie Deine Großmama die größte Theilnahme für den armen Mann haben, der sich nebenbei auch lieber von seinem Unglück als von seinem Unrecht überzeugen läßt. – Deine kluge Großmama hatte übrigens noch ein sehr gutes Mittel, was diese kleinen Aufmerksamkeiten betraf, und Du weißt, Elisabeth, wie wichtig sie diese Art Kleinigkeiten in Herzenssachen betrachtet. So gut das ganze Leben aus Kleinigkeiten besteht, aus ihnen ein Ganzes und Großes wird, und darum jeder Mensch die kleinen Sachen im Leben gewissenhaft und genau nehmen muß: so meint sie, ein Liebesleben müsse auch in diesen Kleinigkeiten zart behandelt sein, wenn es eben im Großen und Ganzen eine Brautliebe bleiben soll. In dieser Meinung nun wahrscheinlich war sie so aufmerksam und zuvorkommend.
Nein, nein, unterbrach ihn die Großmama wieder, sie hatte gar keine Meinung, sie that es nur, weil sie es nicht lassen konnte und es ihr so am besten gefiel.
Gut, fuhr der Großvater fort, aus Absicht hat sie es nicht gethan, und ich habe damals auch nicht weiter darüber nachgedacht, das Resultat aber war natürlich, daß ich, da es mir eigentlich zukam galant und aufmerksam zu sein, nicht zurückstehen wollte, und daß sich zwischen uns beiden ein edler Wettstreit entspann, der dann endlich zur allerliebsten Gewohnheit wurde. Ich muß aber gestehen, daß ich jetzt noch zuweilen erschrecke, die kluge Großmama könnte es mir zuvorthun, sie fängt es immer feiner und feiner an, ein natürlicher Verstand merkt es kaum, es gehört dazu ein besonderes Verständniß. Da es mir aber einmal zukömmt, in allen Stücken über ihr zu stehen, so soll die kluge Großmama ganz gewiß nicht den Sieg davon tragen.
Die Großmama lächelte, sie war sehr glücklich, und der Großvater fuhr fort: Sie verstand es auch mich zu überzeugen, ich sei nirgends lieber als in ihrer Gesellschaft. Sie fing das auf ihre eigene erfolgreiche Art an. Sie versicherte mich, daß sie sich am wohlsten zu Hause fühle, bei ihrem Arbeiten und Schaffen für mich und später für die Kinder. Ihr schönstes Vergnügen wäre, wenn ich in unseren Mußestunden für ihre Unterhaltung sorge. Sie verlangte keinen andern Umgang, als mit den wenigen nahestehenden Freunden, die ja ein jeder Mensch hat, und die wir auch hatten. Wenn sie das versicherte, zu meiner Herzensfreude muß ich gestehen, denn man hört es doch recht gern, daß man die allerliebenswürdigste Gesellschaft ist, obgleich man sich das gar nicht so merken läßt, – war meine nächste Verpflichtung natürlich, der klugen Großmama das wieder zu versichern, und es entstand daraus wieder der edle Wettstreit, bis es uns die allerliebste Gewohnheit geworden war, und bis der Kinderkreis nun gar die Unterhaltung vollkommen machte.
Wir sind auch sehr gern allein, versicherte Elisabeth ernsthaft, wenn ich des Abends arbeite und Otto liest mir vor, bin ich am vergnügtesten.
Ich meine auch, Ihr habt das Kränzchen wirklich nicht nöthig, fiel die Großmama ein, Ihr könnt zusammen lesen, zusammen Klavier spielen –
Nein, Großmama, unterbrach sie Elisabeth lächelnd, Klavierspielen werden wir wohl ganz lassen müssen, wir zanken uns so leicht dabei, Du weißt, weßhalb wir kluger Weise auch das Englisch-Lesen gelassen haben.
Zanken? forschte der Großpapa, wie denn?
Wenn wir vierhändig zusammen spielen, und aus dem Takt kommen, so will Otto nie zugeben, daß er Unrecht hat, wenn ich es noch so gewiß weiß. Ich spiele ja weit besser als er, er müßte sich auf mein Urtheil doch verlassen.
O Elisabeth, scherzte der Großvater, ich erkenne immer mehr, welche kluge Großmama Du hast. Wir haben auch früher zusammen gespielt; wenn da ungewünschte Pausen eintraten, sagte sie gleich: Lieber Fritz, ich werde mich wohl hier geirrt haben. Oder: Wir müssen hier langsamer spielen, Du hast da eine ungewöhnlich schwierige Partie. Ich sollte nur nie merken, daß ich schlechter spielte als sie. Ich entgegnete dann, es sei wahrscheinlicher, ich habe mich geirrt. Weil sie mir aber mit ihrem Unrecht eher entgegen kam, wurde ich endlich ganz irre in mir; auch wenn ich einmal recht hatte, wurde ich mißtrauisch, ob sie mir nicht aus Gefälligkeit recht gäbe. So hatte endlich die kluge Großmama erreicht, daß ich ihr ein für alle Mal recht gab.
Elisabeth hörte lächelnd den Großpapa so scherzen aber es fiel ihr doch alles sehr schwer in das Gewissen. Sie wußte nichts zu entgegnen, und als die Großmutter sie erinnerte, ob sie nicht im Winter sich mit Zeichnen beschäftigen möchte, wie sie es als Mädchen so gern gethan, nickte sie und sagte, um dieses Kapitel abzubrechen: Großmama, Du hast wohl nie gezeichnet?
Nie gezeichnet? wiederholte der Großpapa: die Großmama ist eine rechte Künstlerin in der Art gewesen, und hat das dankbarste Publikum von der Welt gehabt. Sie hat es nicht allein zum Vergnügen, sie hat es als bildende Kunst in der Kinderstube benutzt. Da gab es ein gewisses Bild, was in jedem Winter die Kinderstube entzückte, das durch die Tradition von einem jungen Künstler zum andern an historischem und an Kunstwerth gewann. Ich sehe es noch lebhaft vor mir: links war ein runder Berg mit zwei runden Büschen darauf, rechts ein Haus mit zwei großen Schornsteinen, die herrlich rauchten, an jeder Seite stand eine schlanke Pappel. Auf einem schönen graden Wege von der Hausthür fort stand eine Person mit einem runden Hut und einem langen Rock, die hatte vor sich eine alte Gans und eine Anzahl kleine Gisselchen. Das schönste war aber über dem Berge eine runde Sonne mit vielen, vielen Strahlen. Zuerst mußte die Großmama allein malen, dann wurde dem Schüler die Sonne überlassen, die er auch bald richtig machen lernte mit all den Strahlen lang und kurz, zu gleicher Zeit durfte er auch den herrlichen krausen Rauch versuchen. So ging das stufenweise weiter, die Pappeln waren auch nicht schwer, wenn er nur erst der Gefahr entgangen war, die vielen Zweige bergab statt bergauf zu machen. Die Großmama berichtigte dann diese kleinen Verirrungen und erklärte die verunglückte Pappel für einen Weihnachtsbaum. Gegen das Frühjahr konnte man sicher annehmen, wenn der Schüler nur etwas Talent hatte, konnte er das Bild bis auf das Gänsemädchen zeichnen, zugleich seine kleineren Geschwister anlernen und ihnen in seinem eigenen Kunstwerk die Sonne und den Rauch anvertrauen. Um nun ihre Künstler recht lange beschäftigt zu haben, rieth die schlaue Großmama, ja recht viele Fenster in das Haus zu machen, und da war das Häuschen meistens mit Fenstern von allen Größen reichlich bedeckt. Auch eine große Gänschen-Heerde sah schön aus, und die Dingerchen polterten immer so natürlich eines über das andere, daß es eine Lust war.
Elisabeth war ganz vergnügt bei dieser Erzählung, und als der Großvater ihr auseinandersetzte, Frauen könnten ihre Zeichenkünste gar nicht schöner und geschickter anwenden als die Großmama, war Elisabeth damit einverstanden; sie hätte gleich ihrem lieben kleinen Friedrich, wenn er nur nicht noch zu dumm war, ein solches Bild vorzeichnen mögen.
Elisabeth hatte schon einige Mal nach der Uhr gesehen, jetzt war es gegen zwölf, ihr Mann mußte bald kommen. Sie griff nach ihrem Hut und ging in den Garten. Nach den Schilderungen des Großvaters war es ihr seltsam zu Sinne, sie wollte ihrem Mann entgegen gehen, – nicht etwa aus kluger Absicht, nein, es war ihr gerade wie der Großmama zu Sinne, sie konnte es nicht lassen. Sie hatte es bei ähnlichen Gelegenheiten wohl lassen können, sie hatte dann gedacht: er wird sich nicht viel daraus machen, ob er dich eine Viertelstunde eher sieht, und du kannst dich auch gedulden, es ist so heiß, gerade Mittag, und ihr seid ja immer zusammen. – Jetzt ging sie durch den Garten, und dann weiter in dem leichten Schatten der Kirschenallee. Die September-Sonne lag heiß und still auf der Welt, Elisabeth schaute sehnend in den blauen Himmel, der da sein weites Friedenskleid über sie ausgebreitet, sie hätte so gern eine Brautliebe im Herzen gehabt, und wagte es doch kaum zu haben.
Bald erblickte sie den Reiter, aber kaum hatte er sie erkannt, da flog er herbei, wie ein Bräutigam. Er hielt vor ihr; sprang vom Pferde und begrüßte sie freudig: Wie sehr freue ich mich, daß Du mir entgegen kommst!
Elisabeths Herz und Gewissen zitterte, sie konnte ihre Thränen nicht zurückhalten, zum ersten Mal kam ihr der Gedanke: Es ist so unbegreiflich, daß er dich lieb hat, du verdienst es doch nicht. – Diese Thränen waren ihm unverständlich, fragend und theilnehmend sah er sie an, und sie gestand ihm, sie habe gefürchtet, daß er sich über ihr Entgegenkommen kaum freuen würde, weil sie es wirklich nicht werth sei.
Dies Geständniß bewegte sein Herz zu den liebreichsten Versicherungen, und beide überzeugten sich, es könne kommen was da wolle, nie wollten sie sich glauben machen, sie hätten einander nicht lieb.
Der Tag war für beide ein wunderschöner Tag, still und friedlich saßen sie mit den Großeltern vor dem Gartensaal, ihr kleiner lieber Junge spielte auf einer Decke neben ihnen mit bunten Herbstblättern, und als es für das Kind Zeit war, trat Herr von Kadden mit seiner Familie, und von den Großeltern noch ein ganzes Stück begleitet, zu Fuß den Rückweg an.
An demselben Abend, als Elisabeth mit ihrem Mann allein war, wurde noch einmal die Geselligkeits-Frage besprochen und dieselben Entschlüsse, und zwar fester als vorher, gefaßt. Elisabeths ganze Seele war ja erfüllt von guten Vorsätzen, sie fühlte, daß sie viel versäumt hatte in ihrem jungen Leben, sie wollte nun liebenswürdig wie die Großmutter werden, wollte alles nachholen, wollte ein ganz neues Leben beginnen, sie war so glücklich, daß es noch nicht zu spät sei. Wenn sie dies alles auch nicht mit Worten aussprach, so war doch ihre Stimmung so reich und übervoll und hatte in dem Herzen des Mannes eine gleiche angeregt. Beide fühlten sich hoch erhaben über das nichtige Weltleben um sie herum, mit so guten Vorsätzen im Herzen konnte es keine Gefahr für sie geben, und recht getrost und sicher sahen sie dem Herbst und Winter in die Augen.