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20. Die allerlei lieben Verwandten

Mitte Juli war Emiliens Hochzeit, Schlösser hatte wirklich die gewünschte Stelle bekommen, die Freude war groß darüber, Elisabeth und ihr Mann machten bei dieser Gelegenheit den ersten Besuch im elterlichen Hause. Es war dies ein wunderschönes Vergnügen für Elisabeth, sie war auch noch ganz dieselbe, vergnügt und fröhlich mit den jüngeren Geschwistern, bestimmt und voreilig gegen die Tanten Wina und Paula, ja selbst gegen ihre Mama.

Elisabeth ist nur noch sicherer und übermüthiger geworden, klagte Emilie. Sie sprach es aber nur gegen ihren Bräutigam aus und war sonst ungewöhnlich liebreich und freundlich gegen die ganze Familie, so daß Herr von Kadden selbst Hoffnung faßte, Freund Schlösser könnte doch noch glücklich werden.

Ebenso stieg Kadden in Emiliens Achtung. Als Elisabeth einmal mit großem Eifer ihrer Mutter in Wirthschaftssachen widersprechen wollte, legte er freundlich mahnend die Hand auf die Schulter und sagte: Das Küchlein will doch nicht klüger sein als die Mama?

Er war doch also nicht ganz und gar blind gegen ihre Fehler, und es war Hoffnung vorhanden, daß er immer nüchterner und klarer Elisabeth beurtheilen würde. – Trotz dieser kleinen Anmerkung blieb sie aber dabei, das Glück der beiden könne von keiner Dauer sein, diese wundervolle, ungestörte Liebe zwischen zwei Leuten, die beide unselbständig und lebhaft und unüberlegt waren, die mindestens das Leben sehr harmlos nahmen, wenn man sie nicht geradezu des Leichtsinnes beschuldigen wollte, diese Liebe mußte ein Ende nehmen mit Schrecken. Als Schlösser wieder ungläubig schwieg zu diesen Befürchtungen, sagte sie fast feierlich: Lieber Wilhelm, wir wollen sehen, wer Recht hat. Ich will jetzt gern schweigen und freundlich theilnehmen an beider Glück, aber ich bleibe dabei, es ist ein Unglück für Elisabeth, daß sie keinen Mann bekommen hat, der sie erziehen konnte.– Ebenso halte ich es auch für ihn für ein Unglück, fuhr sie fort, daß er keine andere Wahl getroffen. Wenn er eine oberflächliche Weltfrau nahm, die ohne Bedenken mit ihm in der Welt lebte, mit ihm sich dort zerstreuen konnte, nachdem sie sich beide zu Hause das Leben schwer gemacht, so war jedenfalls besser für ihn gesorgt.

Meinst Du wirklich, daß so besser für ihn gesorgt wäre? fragte Schlösser ernsthaft.

Nicht gerade besser für ihn gesorgt, entgegnete Emilie leise erröthend, es würde ihm dann nur eben so gehen, wie es hunderten von Männern mit seinen Ansichten geht; sie zanken sich einmal mit ihren Frauen und vertragen sich, suchen ihr Vergnügen in der Welt, – gar nicht auf eine schlimme Weise, ganz gemüthlich, – sie führen eine Ehe, wie sie eben ihre Freunde auch führen, und sind in ihrer Art befriedigt, weil sie nicht Besseres erwartet haben.

Möchtest Du ihm das wirklich wünschen? fragte Schlösser weiter.

Emilie schwieg einen Augenblick, sie fühlte, daß sie ihr Verstand wieder einen kalten lieblosen Weg geführt, sie gestand das nur nicht gern und ließ sich in dem Wunsche, den Fehler zu vertheidigen, weiter hinein führen. – Wird er so mehr zu seinem Heil geführt werden? fuhr sie lebhaft fort. Elisabeth kann ihm unmöglich folgen in die Welt, ohne den Stachel im Herzen zu haben, auch er hat im Grunde schon diesen Stachel, und doch können sie der Welt nicht widerstehen. Tante Julchen hat mir ja in höchster Betrübniß und im höchsten Vertrauen mitgetheilt, daß bis jetzt in dem jungen Haushalt nicht viel Christliches zu spüren sei. Im nächsten Winter werden diese Versuchungen erst recht angehen, es kann ihnen bei ihren schwankenden Ansichten nicht anders ergehen als dort im Evangelio, sie werden in einer gefühlvollen Aufwallung einen bösen Geist aus dem Hause vertreiben, das Haus kehren und fegen, und dann desto sorgloser sieben böse Geister einlassen und den Stachel siebenfach im Herzen fühlen. Die Welt muß ihnen ein weit größerer Feind sein, als den Leuten, die sich darinnen behaglich fühlen und sich von ihr ohne Vorwurf zerstreuen lassen. Wenn man nun dazu bedenkt, daß sie auch im Hause nicht glücklich sein, nicht sich gemüthlich zanken und vertragen können, weil Elisabeth anders erzogen, weil sie anspruchsvoller –

Und zartfühlend und liebesbedürftig ist, fügte Schlösser nachdenklich hinzu.

Zartfühlend und liebesbedürftig, wiederholte Emilie bereitwillig, ja sie ist das, aber er –

Er ist es auch, unterbrach sie Schlösser ebenso.

Er ist es auch, wiederholte Emilie noch einmal mit etwas mehr Aufregung, sie haben ja eben beide Ideale im Herzen, aber beide keine Kraft sie zu verwirklichen.

Wir wollen es ihnen aber von Herzen wünschen! bat Schlösser wieder freundlich. Er wußte einmal, daß dieser Punkt Emiliens größte Versuchung war, und vermied es, sich mit ihr darin zu vertiefen.

Wilhelm, glaube nur nicht, das ich ihr Unglück wünsche! klagte Emilie.

Gewiß, das glaube ich nicht, versicherte er aufrichtig; aber Du fürchtest, daß der liebe Gott nicht anders handeln kann, weil Dein Verstand keinen Ausweg sieht, setzte er scherzend hinzu. – Er reichte der Braut die Hand und sie nahm sich wieder ernsthaft vor, Elisabeths Glück zu wünschen und freundlich und liebreich gegen sie zu sein.

Nur am Hochzeitstage, wo Elisabeth als Gast noch einmal im bräutlichen weißen Festkleide erschien und ihre glückliche Rolle spielte, mußte Emilie schwer kämpfen, besonders als Tante Wina, zwar nur im höflichen Scherz, ihr die liebenswürdige junge Frau zur Nachahmung anpries. Die alberne Wina, die Elisabeths Jugend schon verdorben, setzt es im vergrößerten Maaßstabe jetzt noch fort. Die klugen Lebensregeln, die sie dem Liebling, dem Verzug, vorpredigte, waren fabelhaft anzuhören, noch fabelhafter aber erschien es Emilien, – und Tante Julchen war ganz mit ihr einverstanden, – daß Elise den beiden albernen Schwägerinnen jetzt einen längeren Besuch bei Elisabeth gestatten wollte. Sie hatten auch beide Elisen gewarnt, aber die Sache ließ sich nicht ändern, und Elise konnte dieses Mal mit gutem Gewissen sagen, daß es so der Wunsch ihres Mannes sei. Es war auch verabredet, daß er selbst mit Frau und Kindern von Woltheim aus die Schwestern wieder abholen wollte.

Einige Tage nach den Festlichkeiten reisten die glücklichen Tanten samt verschiedenen Koffern und Haubenschachteln wirklich mit dem jungen Paar nach Braunhausen. Elisabeth hatte gar nichts dagegen, es mußte ihr ja Spaß machen, sich von den Tanten in dem eigenen Haushalt bewundern zu lassen, und ihr Mann war so gefällig und liebenswürdig, sich diesen zwar nicht angenehmen Familienrücksichten freundlich zu fügen. Beide Tanten waren nicht wenig dankbar dafür, sie hatten ihn zwar immer schon entzückend gefunden, jetzt war er »eine unbeschreiblich liebenswürdige Erscheinung,« wie Wina gern versicherte.

Als Herr von Kadden vor dem Gasthofe der kleinen Eisenbahnstation beschäftigt war, die Sachen in den Wagen packen zu lassen, waren die drei Damen indessen in die kühle Wirthsstube getreten, und beide Tanten stimmten wieder des Neffen Loblied an. Tante Wina aber, die sich gar zu gern feierlich reden hörte, knüpfte gleich eine ernste Mahnung für Elisabeth daran. Mit diesem Mann, liebe Elisabeth, versicherte sie, mußt Du jetzt schon wie im Himmel leben; Dir ist das lieblichste Loos gefallen, was ein Mädchen sich nur träumen konnte; er ist ein Ideal, wie wohl selten eines auf Erden zu finden ist. Du mußt das nur stets erkennen, ich versichere Dich, solltest Du einmal nicht glücklich sein, zu mir dürftest Du mit Deinen Klagen nicht kommen, denn Du allein würdest nur schuld daran sein.

Daß ist mir wie aus dem Herzen gesprochen, versicherte Paula.

Und Ihr habt beide Fantasien, wie das jüngste Mädchen! fiel Elisabeth etwas ärgerlich ein. Ihr macht aus meinem Mann den ersten besten Romanhelden. Meint Ihr denn, daß er immer so liebenswürdig ist, wie Ihr ihn in Gesellschaft seht? – Die Tanten sahen sie etwas verdutzt an. – Wenn Ihr das hofft, dann werdet Ihr Euch jetzt sehr verwundern, fuhr sie fort. Ihr glaubt wohl, mein Mann ist vom Morgen bis Abend in einer Zuckerwasser-Stimmung? Nein, er hat seine Geschäfte, er ist auch ernsthaft, auch verdrießlich, er bekümmert sich oft halbe Tage lang nicht um mich, sieht mich kaum an, aber das stört mich gar nicht, ich weiß doch, daß er mich lieb hat.

Elisabeth fühlte sich sehr wichtig bei diesen höchst vernünftigen Aeußerungen, ganz ernst war es ihr bei der letzten Versicherung freilich nicht, es war ihr nie gleichgültig, wenn ihr Mann sich nicht um sie bekümmerte und sie kaum ansah. Es war gerade so, wie das Zanken und Vertragen in der Fantasie ganz interessant ist, aber in der Wirklichkeit, wie Klärchen Warmholz ganz richtig sagte, ist es höchst fatal, wenn ein liebenswürdiger Gegenstand da neben uns ungezogen ist.

Die Tanten waren zu plötzlich in einen anderen Ideenkreis hinein geführt: ihr Romanheld sollte ein gewöhnlicher Mann wie alle Männer sein, und Elisabeth eine sehr verständige junge Frau! Wina faßte sich zuerst und sagte, – immer noch etwas überrascht: Du sprichst sehr vernünftig, liebe Elisabeth, natürlich darf es Dich nicht stören, wenn Dein Mann auch zuweilen in seinen Geschäften vertieft ist, das giebt ihm erst die männliche Würde.

Ja, fuhr Elisabeth eifrig fort, ich würde nie verlangen, daß mein Mann nur für mich lebt, es wäre ja zu albern, ich kann mich ebenso gut allein beschäftigen als er, ja es würde mich sehr belästigen, wenn er keinen Beruf hätte und mir seine ganze Zeit widmen wollte. Elisabeth, übertreibe es nicht, nahm Wina mahnend das Wort, erfreue Dich lieber des Glückes Deiner Jugend.

Ich wollte Euch nur vorbereiten, Ihr sollt Euch nicht wundern, entgegnete Elisabeth, wenn Ihr unser Leben anders findet, als Ihr gehofft habt.

Herr von Kadden forderte die Damen jetzt zum Einsteigen auf, das Gespräch hatte ein Ende. Paula blieb darüber etwas verwundert in ihren Gedanken, aber Wina machte sich die Sache klar: Elisabeth war von einem unbegrenzten Widerspruchsgeist beseelt, dabei so gewandt, daß sie Weiß zu Schwarz disputiren konnte; also war es ihr ein Kleines aus diesem engelgleichen Manne eine sehr gewöhnliche Erscheinung zu schaffen. – Sie beunruhigte sich darüber nicht, sie wollte mit ihren Augen selbst sehen und dabei auf die verzogene Nichte einen höchst wohlthätigen Einfluß üben.

Die beiden Tanten standen am offnen Fenster ihres Stübchens, das nach dem Hofe gelegen, jetzt keine Sonne hatte, sie lüfteten ihre Hauben, um sich nach der heißen Fahrt etwas zu verpusten, und theilten sich flüsternd ihr Entzücken mit über diesen poetischen Aufenthalt.

Wir wollen uns auch das Glück hier nicht verkürzen lassen, schärfte Wina der Schwester ein: wenn von unserer Abreise in vierzehn Tagen die Rede ist, schweigen wir, – das wird sich finden. Ich weiß recht wohl, daß die Großeltern und Elise, ja die ganze Sippschaft uns nicht gern hier sieht; armen unverheiratheten Mädchen das Leben lieblich zu machen, fällt ihrer christlichen Liebe nicht ein. Man muß sich wirklich eine etwas dickere Haut angewöhnen und sich nicht immer gleich aus dem Wege räumen lassen. Wie gesagt, wir lassen es darauf ankommen, wir bleiben wenigstens sechs Wochen hier.

Meinst Du? fragte Paula bedenklich.

Ja, ich meine. Ich weiß, Elisabeth hat uns gern hier, sie ist ein gutes dankbares Kind.

Aber ihr Mann? unterbrach sie Paula besorgt.

Ihr Mann wird nicht gefragt, mein Kind, fuhr Wina fort; glaube doch nicht, was Elisabeth von ihm spricht, sie glaubt es selbst nicht, ich sah noch nie einen zarteren, fein gebildeteren jungen Mann, dessen Wünsche so ganz in den Wünschen seiner jungen Frau aufgehen.

Elisabeths fröhliche singende Stimme ließ sich jetzt hören, die Schwestern brachen das Gespräch ab und öffneten der holden Nichte selbst die Thür. Es erfolgte eben wieder ein Strom von Entzücken aus der Tanten Munde, als sich Herrn von Kaddens laute Stimme im Pferdestalle hören ließ.

Jetzt zankt er mit dem Burschen, sagte Elisabeth mit einiger Genugthuung, als ob es ihr lieb sei, daß die Tanten mit den Fehlern ihres Mannes bekannt würden.

Das wird auch wohl zuweilen sehr nöthig sein, versicherte Wina.

Alle drei horchten am Fenster, Paula wurde schon etwas unruhig, als Herr von Kadden, von dem Burschen gefolgt, das schöne braune Pferd aus dem Stalle führte. Das Pferd hinkte, der Herr führte es einige Schritte auf und ab, er machte dem Burschen heftige Vorwürfe, und der vertheidigte sich.

Wenn er doch nicht widersprechen wollte, begann Elisabeth ziemlich eifrig, der dumme Mensch! Er weiß, mein Mann kann keinen Widerspruch vertragen.

Rufe es ihm doch zu, bat Paula ängstlich.

Elisabeth schüttelte den Kopf.

Dein Mann wird sich doch in seiner Gewalt haben? sagte Wina schon etwas besorgt.

Das wird er nicht, versicherte Elisabeth; warum hat er denn der Hitzkopf geheißen?

Aber ich bitte Dich, Elisabeth, ein gebildeter Mensch, wie kann er sich so vergessen, fuhr Wina auf, es ist ja entsetzlich!

Es ist ja entsetzlich! jammerte Paula, und Elisabeth stand allerdings auch in höchster Spannung. Ihres Mannes Stimme war so hoch hinauf gerathen, daß man sie kaum verstehen konnte, und wie der Bursche beharrlich eine gesicherte Stellung hinter dem Pferde zu behaupten suchte, war ein Beweis, daß die aus der Mode gekommenen Ohrfeigen zu befürchten waren.

Elisabeth, es ist Deine heilige Pflicht, geh hin, bringe Deinen Mann zur Vernunft, eiferte Wina.

Nicht doch, Elisabeth! warnte Paula, er ist zu heftig, er würde es gegen Dich auch sein.

Albern! sagte Wina, ein gebildeter Mann wird seine Frau nicht wie seinen Reitknecht behandeln. Wer soll ihm denn die Wahrheit sagen und ihn dadurch erziehen, wenn es die Frau nicht thut!

Elisabeth hatte wirklich das Zimmer schon verlassen, um auf den Hof zu eilen, auf dem Vorsaal trat sie noch einmal an das Fenster und sah, daß ihr Mann mit dem Pferde wieder im Stalle war. Nach kurzer Zeit trat er in die Wohnstube.

Elisabeth hatte sich allein hier von ihrem Schrecken zu erholen gesucht, aber eingedenk Winas Worte, daß es ihre heiligste Pflicht sei, ihren Mann zu erziehen, was ihr in der eigenen Aufregung sehr einleuchtend war, empfing sie ihn gleich und zwar mit einem besonders herausfordernden Tone: Otto, wie kannst Du so heftig sein?

Der Mensch ist dummer als das Vieh, was er abwarten soll! entgegnete er noch sehr aufgeregt und warf die Mütze auf den Tisch.

Ich habe mich so sehr erschrocken, fuhr Elisabeth vorwurfsvoll fort, ich habe gezittert und die Tanten waren förmlich entsetzt.

Ihr seid alle drei Thörinnen, unterbrach er sie, bei Männern ist das nicht anders.

Mein Vater ist nie so heftig gewesen, entgegnete Elisabeth lebhaft.

Elisabeth, ich will nicht die Vergleiche mit Deinem Vater hören, sagte er jetzt ärgerlich, Dein Vater ist flegmatisch und ich bin es nicht.

Elisabeth konnte sich noch nicht bezwingen, sie war in zu gutem Rechte. Wina sagte aber auch, begann sie eifrig, ein gebildeter Mann –

Herr von Kadden hatte schon nach der Mütze gegriffen. Wenn Du mich nicht zwingen willst, das Haus zu verlassen, unterbrach er sie, und gerade so lange fort zu bleiben als Deine albernen Tanten hier sind, so schweige.

Sie schwieg, er ging in sein Zimmer, und sie blieb mit höchst unangenehmen Gefühlen allein. Ihre heilige Pflicht hatte sie erfüllt, aber ohne Erfolg; jetzt war ihre einzige Sorge, daß die Tanten nicht erfuhren, wie es ihr zu Sinne war, sie mußte sich zwingen vergnügt zu sein, und die Sache unwichtig nehmen. Als sie jetzt zu ihnen kam, wurde sie von Paula sogleich empfangen: Wie steht es?

Es ist alles gut, entgegnete Elisabeth leicht.

Hat er sein Unrecht eingesehen? forschte Wina.

Eingesehen? fragte Elisabeth, ein Mann hat immer Recht, und in solche Sachen muß man sich nicht mischen. Dann forderte sie die Tanten schnell auf, in den Garten zu kommen, es sei so erquicklich und schön, sie wolle voran gehen und das Abendbrot dahin bestellen.

Wina! begann, als die Schwestern allein waren, Paula feierlich: ich fürchte mich vor diesem Mann.

Die arme Elisabeth! setzte Wina ebenso feierlich hinzu.

Die Männer sind alle Barbaren, fuhr Paula fort.

Ja liebe Paula, wir können beide froh sein, daß wir nie geheirathet haben, wir wären am Herzweh gestorben, sagte Wina.

In der Unschuld unseres Herzens glaubten wir, dieser Mann sei wirklich liebenswürdig, seufzte Paula.

Ja wir können es in unserer idealen Welt nicht begreifen, wie Männer so roh, so rücksichtslos sein können, fuhr Wina fort. Aber Paula, mein erstes Gefühl, als ich diesen Mann sah, hat mich also nicht getäuscht, obgleich später meine Gutmüthigkeit mich irre führte: er ist ein gefährlicher Mensch! Und daß Elisabeth ihn nicht erziehen soll, ist das Schlimmste.

Ich muß dem armen Dinge doch rathen, daß sie ihn nur nie reizt, warnte Paula.

Und ihn doch klug leitet, fiel Wina ein.

Wir werden doch aber so bald als möglich abreisen, bat Paula. Natürlich so bald als möglich, fiel Wina ein, ich möchte nur einen Eclat vermeiden, darum reise ich nicht augenblicklich.

In der Art ging die Unterhaltung noch ein Weilchen fort, bis sie mit Hüten und Arbeitsbeuteln, Wina in würdigen stolzen Schritten, Paula etwas trippelnd, über den Hof nach dem Garten gingen.

Der Abend war wirklich wunderschön, der weißgedeckte Tisch stand einladend in der Jasminlaube, und Elisabeth, im himmelblauen Musselinkleide, schickte sich an, die liebenswürdige Wirthin zu machen. Die Spannung, ihres Herzens, den Gedanken, wie ihr Mann sich heute Abend verhalten würde, verbarg sie sehr geschickt. Das durchzuführen, mußte sie natürlich vermeiden, ihn allein zu sehen und sich mit ihm auszusprechen, die Tanten hätten dann jedenfalls die Sache durchschaut. Sie stellte sich darum nur unter sein Fenster und rief: Lieber Otto, das Abendessen ist bereit!

Wenige Minuten später kam er in den Garten, man setzte sich zu Tisch, und zur Verwunderung der Tanten war er ganz ruhig, höflich und zuvorkommend wie immer, nur etwas ernster. Tante Wina, die im Stillen noch die Hoffnung gehabt, er werde ihr gegenüber, der bedeutenden und geistvollen Tante, etwas beschämt und verlegen sein, war wirklich indignirt über diese Gefühllosigkeit.

Elisabeth mußte nun eine Rolle spielen, die ihr herzlich sauer wurde; sie wollte unbefangen und vergnügt sein, sie sprach darum scherzend und neckend zu den Tanten und eben so zu ihrem Mann. Ihn anzusehen konnte sie sich nicht entschließen, es hätte vielmehr nur eines fragenden oder eines zu ernsten Blickes bedurft, sie aus der Fassung zu bringen. Und wie froh war sie, als er endlich in denselben Ton einstimmte und unverändert darin blieb, so lange sie zusammen waren. Als es dämmrig wurde und die Tanten sich anschickten auf ihr Zimmer zu gehen, sagte Herr von Kadden seiner Frau und den Gästen zugleich gute Nacht, er wollte auf seinem Zimmer eine Menge Schreibereien, die er nach der Reise vorgefunden, noch heute Abend beseitigen.

Als Elisabeth die Tanten hinauf gebracht, stand sie schwankend im Wohnzimmer. Sollte sie noch einmal zu ihm gehen? Er schien es aber selbst nicht zu wünschen, er war beschäftigt. Die Sache war auch abgemacht, zum ersten Mal auf diese kluge Weise, – sie hatten sich beide vor den Gästen zwingen müssen, es war beiden gelungen. – warum sich jetzt noch durch ein Aussprechen beunruhigen? – Sie stand nachdenklich vor ihrem Schreibtisch, Bibel und Ziehkästchen lagen da, heute konnte sie aber nicht lesen, sie war zu abgespannt von der Reise. Wenn sich ihr Herz danach gesehnt, hätte sie es dennoch gethan, sie scheute sich aber davor.

Sie trat in ihr Schlafzimmer und seufzte doch. Man soll die Sonne über seinem Zorn nicht untergehen lassen, dachte sie. Zornig war sie freilich nicht, sie war nicht einmal böse, sie hätte das aber gern auch ausgesprochen, und er hätte es vielleicht gern gehört. Nein, dann hätte er mir nicht im Garten gute Nacht gesagt, setzte sie hinzu und Thränen traten ihr in die Augen. Sie entschloß sich, zu Bett zu gehen mit der Unruhe im Herzen. Vor Kurzem wäre ihr dies freilich ein unmöglicher Gedanke gewesen, – die Umstände verlangten es aber heut so, – es war auch im Grunde nicht viel zu risquiren, war es ihr zu schwer, konnte sie sich morgen noch aussprechen, – sie wollte es nur versuchen. – So kämpften die Gedanken noch lange hin und her, bis sie vom Schlaf überrascht wurde und zwar ohne Abendgebet.

Am andern Morgen war sie kaum angekleidet, als die Tanten schon erschienen und den herrlichen Morgen mit ihr genießen wollten. Ihr Mann ritt wie gewöhnlich bald fort, er war auch noch nicht zurück, als sie mit den Tanten die beabsichtigten Visiten antrat. Beide Damen hatten sehr den Wunsch, sich hier zu zeigen und sich zu amüsiren, und Herr von Kadden hatte Elisabeth selbst vorgeschlagen, in dieser Zeit gesellig zu sein, um die Tanten nicht immer selbst unterhalten zu müssen. Elisabeth ging mit ihnen zu Bonsaks und noch einigen verheiratheten Offizier-Damen. Es wurden Vergnüglichkeiten verabredet und die Tanten kamen in sehr guter Laune zurück und versicherten lebhaft: Braunhausen sei ein allerliebster Ort.

Elisabeth war durch diese Visiten selbst zerstreut, die kleine bedenkliche Scene von gestern erschien ihr heute in einem andern Lichte, und als ihr Mann heute eben so gut scherzen konnte als gestern, so wurde es ihr heute auch leichter und die Sache sollte nun wirklich vergessen sein. Der Versuch war also geglückt. Man muß nicht zu zartfühlend sein, tröstete sich Elisabeth, und sich das Leben nicht unnöthig schwer machen. Es bedurfte auch nur noch am folgenden Tage einer Landpartie mit Bonsaks, Stottenheim und andern Bekannten, und Elisabeths fröhlicher Sinn hatte alles überwunden, ja auch endlich jede Spur von Absicht im Benehmen ihres Mannes, er war ja ebenso froh, die kleine Last vom Herzen los zu sein.

Dieser ersten Partie folgten noch andere, die vierzehn Tage waren schnell vergangen, und Wina instruirte die Schwester, wie man sich zu verhalten habe, um die Abreise hinaus zu schieben. Sie war fest entschlossen, sich hier länger zu amüsiren. Mein Herz ist wieder ganz ruhig, versicherte sie; ich sehe, in welchem liebenswürdigen Kreise unsere jungen Leute leben. Kadden ist darin doch wenigstens vernünftig, daß er weiß, was zum Leben gehört, er weiß nach der Arbeit und der Einförmigkeit des profanen häuslichen Lebens muß sich das Gemüth wieder erheitern. Wenn er Elisabeth auch im Hause viele schwere Stunden schafft, in angenehmer Gesellschaft kann sie es vergessen; die Männer sind einmal nicht anders.

Herr von Stottenheim ist aber allerliebst! unterbrach sie Paula: mit einem solchen Mann würde unsere Elisabeth glücklicher sein.

Ja, er ist ein vernünftiger und ein braver Mann, und ich habe ihm gern im Vertrauen Elisabeths Glück, so zu sagen, auf die Seele gebunden. Er soll vor allen Dingen Kadden in diese Geselligkeit mehr hinein ziehen. Stottenheim hofft das jetzt, da durch uns der gute Anfang gemacht ist und Elisabeth sich sehr darin zu gefallen scheint.

Der wohlthätige Einfluß ihres Besuches durfte sich aber nicht auf so kurze Zeit beschränken, versicherte Wina der Schwester, und Elisens Absicht, mit ihrem Mann acht Tage das Logirstübchen zu bewohnen, während dessen die Tanten nach Woltheim übersiedeln sollten, und dann nachher zusammen zurück zu reisen, mußte durchaus vereitelt werden.

Elise will aber lieber hier logiren, machte Paula eine bescheidene Einwendung.

Sie will und wir wollen, entgegnete Wina mit Nachdruck, wir sind schon hier und sind im Vortheil; bei solchen Gelegenheiten muß man nicht zu zartfühlend sein, ich sage immer: unverheiratheten Mädchen wird gern viel geboten, man muß sich aber nicht in die Ecken stoßen lassen, man muß sich wehren.

Am Abend, ehe Kühnemans erwartet wurden, theilte Wina ihrer Nichte mit großer Ruhe ihren Entschluß mit. Wir sind einmal hier, sagte sie, wer weiß, wann wir die Reise wieder machen. Deine Mutter wird sie oft genug machen, sie wird uns den Aufenthalt hier gern gönnen. Es wird auch ziemlich gleich sein, ob sie hier oder in Woltheim logirt, wir wollen ja täglich zusammenkommen.

Der Vater aber, glaube ich, wünscht es auch, entgegnete Elisabeth verlegen.

Dein Vater wird nicht so rücksichtslos sein, uns hier verdrängen zu wollen, sagte Wina belehrend.

Elisabeth sagte den Tanten mit einigen höflichen und verlegenen Redensarten gute Nacht, sie war in dem Augenblick zu sehr überrascht, um Einwendungen machen zu können.

Sie ging gleich zu ihrem Mann, um ihm diese neue Verlegenheit mitzutheilen. Dieser wollte erst ärgerlich werden, als er aber Elisabeth selbst so bedrückt und nachdenklich vor sich sah, besann er sich schnell. Wir wollen doch sehen, ob ich Herr im eigenen Hause bin, sagte er scherzend, ich versichere Dich, liebes Lieschen, ich schaffe sie Dir fort.

O, was könntest Du in der Art wohl nicht ausführen, entgegnete Elisabeth mit freundlichem Vorwurf; aber bedenke, Tante Wina!

O nein, ich will ganz höflich sein, versicherte er, ich will eine Gesandtschaft an sie abschicken, und zwar die liebenswürdigste von der Welt. Du gehst hin und sagst: Ich soll einen schönen Gruß bestellen von meinem lieben Mann, und Sie möchten doch so gütig sein und morgen lieber nach Woltheim reisen.

Aber Otto, sagte Elisabeth lachend und zugleich kopfschüttelnd.

Geht das nicht? fragte er. Nun so mache sie freundlich darauf aufmerksam, sie würden sich nicht mehr wohl fühlen hier, denn ich sei nur so liebenswürdig gegen sie gewesen in der Hoffnung ihrer baldigen Abreise. Allerdings eine Unvorsichtigkeit von mir, fügte er hinzu.

Das geht auch nicht! zürnte Elisabeth.

Das geht auch nicht? fragte er freundlich.

Elisabeth schüttelte ziemlich rathlos den Kopf.

Liebe Elisabeth, nahm er jetzt ernsthaft das Wort, hierbleiben können sie nicht, die verwandtschaftlichen Pflichten haben wir erfüllt, und ich denke, ich habe meine Sache gut gemacht, setzte er lächelnd hinzu. Sie länger hier zu behalten, würde ich für ein Unrecht halten. Also sage ihnen morgen früh wirklich: wir hätten uns beide auf den Besuch der Eltern gefreut und wünschten, daß es bei der Verabredung bliebe.

Elisabeth sah ihn nachdenklich an und nickte. Ja, so war es am besten. Sie war auch mit den Tanten so bekannt, warum nicht aufrichtig mit ihnen sprechen?

Recht freundlich und liebenswürdig wirst Du dabei schon sein müssen, sagte ihr Mann, – auch wenn Wina sehr eifrig wird.

Elisabeth nickte wieder, reichte ihm die Hand und ging mit einiger Furcht vor dem andern Morgen zur Ruhe.

Der andere Morgen war wunderschön, Elisabeth hatte das Frühstück in der Jasminlaube zurichten lassen, die Tanten hatten mit wahrem Entzücken die Schönheit der Natur und den guten belebenden Kaffee genossen, jetzt aber saßen sie Elisabeth gegenüber, mit heißen Wangen, und Wina besonders mit funkelnden Augen. Elisabeth hatte den schwierigen Auftrag mit vieler Ueberlegung und ebenso viel Sanftmuth ausgeführt, und Tante Wina hatte ihr Erstaunen und ihre Kränkung darüber in großer Erregtheit ausgesprochen. Sie konnte aber immer noch nicht fertig werden. Dir mein Kind, sagte sie scharf, mache ich keinen Vorwurf über diese unbegrenzte Rücksichtslosigkeit, Du thust was Dein Herr Gemahl befiehlt, und das ist ja recht, obgleich ich von Deiner Liebe und Dankbarkeit erwarten konnte, Du hättest uns diesen Kummer erspart, sollte es auch mit einigen schweren Stunden Deinem Mann gegenüber erkauft sein. Du hast mir auch schwere Stunden gemacht, mein Kind, jahrelang, meine Liebe hat keine Mühe und Arbeit gescheut. – Jetzt folgte eine Schilderung der vergangenen Zeiten.

Elisabeth ließ dies alles schweigend über sich ergehen, sie hatte ihre Gründe in Freundlichkeit erschöpft und wußte, daß es der Tante eine Erleichterung und ein Trost sei, bei solchen Gelegenheiten ihr sehr edeles inneres Leben aufdecken zu können.

Beide Damen gingen dann in ihr Zimmer um zu packen, – gegen Mittag wurden die neuen Gäste erwartet, – und Wina mußte, nachdem sie der Nichte ihre edelen Gefühle mitgetheilt, der Schwester auch den gerechten Zorn ausschütten. Nie wollte sie dieses Haus wieder betreten, wo Rohheit und Tyrannei das Scepter führen: das war ungefähr das Resultat ihrer Gerechtigkeit, und Paula bat nur um Fassung für den Abschied.

Als beide, nachdem sie solange als möglich im eigenen Zimmer geblieben, wieder im Wohnzimmer erschienen, wurden sie von Elisabeth recht herzlich empfangen, und die Unterhaltung schleppte sich leidlich hin, bis Herr von Kadden erschien. Es war ein unerträglich heißer Tag, er warf sich in die Sofaecke, legte zuweilen die Hand an die Schläfe, ein Zeichen, daß er Kopfweh hatte. Es war ihm eine große Ueberwindung, hier bei den wortkargen Damen zu sitzen; er blieb, um ein höflicher Wirth zu sein, aber war eben so wortkarg als sie, so daß Elisabeth, die von dem fatalen Morgen ebenfalls angegriffen war und recht auf seine Unterhaltung jetzt gerechnet hatte, sich über ihn ärgerte. Hätten sie nicht alle vier selbst mitgespielt, hätten sie dies Zusammensein recht komisch finden müssen; sie fanden es aber alle höchst unangenehm, und es war ein rechtes Glück, daß Stottenheim erschien. Er hatte von dem Freunde erst jetzt die überraschende Nachricht von der Abreise der Damen gehört, er mußte sich ihnen empfehlen. Beide Tanten erkannten diese Aufmerksamkeit mit Rührung an, Wina wurde sehr gesprächig, und zwar nicht ganz ohne einige Seitenhiebe und Blitze auf die beiden Verbrecher, die neben ihr saßen.

Du bist wohl etwas übeler Laune heute? wandte sich Stottenheim nach einiger Zeit zu seinem Freunde.

Ich habe Kopfweh, war dessen kurze Antwort.

Gestehe es nur, Du hast Dich über diesen brutal dummen Menschen geärgert, fuhr Stottenheim fort. Dann zu den Damen gerichtet, schilderte er das Schwere des Soldatenstandes, immerfort mit so rohen und beschränkten Menschen verkehren zu müssen.

Doppelt ehrenwerth, wenn man von der Rohheit nicht angesteckt wird, versicherte Wina mit einer höflichen Verbeugung.

Ich wollte aber doch nicht wünschen, immer von zartfühlenden Damen belauscht zu werden, lachte Stottenheim, die Galle geht einem oft genug über. Der Mensch verstand Dich heute auch erst, wandte er sich zu Kadden, als Du ihn mit einigen verdienten Ehrentiteln regalirtest.

Du hast doch nicht geschimpft? fragte Elisabeth schnell. – In Herrn von Kaddens Gesicht war eine unangenehme Bewegung zu bemerken, er schwieg aber. – Das ist doch schrecklich! begann Elisabeth.

Da legte er seine Hand auf ihren Mund und sagte ernst: Laß das, Elisabeth, Du verstehst das nicht.

Elisabeth schwieg und schaute erröthend auf ihre Arbeit. Wina schoß Pfeile auf den Barbaren, und Stottenheim sagte lachend: Du bist doch ein ungalanter Mann. Aber Sie können es glauben, meine Damen, versicherte er, es geht nicht anders. – Er führte die Unterhaltung in fließender Weise weiter, und Elisabeth, die ihres Mannes Unart heute sehr schwer nahm, verließ das Zimmer und ging, um nach dem Mittagsessen für die Eltern zu sehen.

Als einige Minuten später auch ihr Mann das Zimmer verlassen hatte, konnte sich Wina nicht mehr halten, ihr verständiger braver Freund Stottenheim mußte an dem Weh, das ihre Seele verzehrte, theilnehmen. Arme junge Frau! begann sie seufzend: haben Sie gesehen, wie sie mit den Thränen kämpfte? Und er? – er ist zu seinen Pferden gegangen. – Sie versicherte nun, daß sie dieses Haus gern verlasse, weil man sich dem Manne gegenüber immer in der Spannung eines nahenden Unglücks befinde.

Stottenheim vertheidigte den Freund wieder aufrichtig, aber beide kamen darin überein, dem jungen Paare sei nur durch einen passenden Umgang, eine angenehme Geselligkeit zu helfen. Um Gottes Willen durften sie nicht einseitigen, düstern und das Leben ganz und gar mißverstehenden Menschen in die Hände fallen.

Leider kam Kadden zu schnell zurück, Wina hätte gern noch länger mit Herrn von Stottenheim das Glück ihrer Schützlinge arrangirt. Zu gleicher Zeit fuhren aber auch die lieben Gäste vor, und von der Unruhe der Ankunft und des Begrüßens wurden alle verschiedenen Stimmungen überwältigt.

Elisabeth umarmte die Mutter mit Thränen, Elise sah sie besorgt an, aber es waren wohl nur Freudenthränen, Elisabeth umarmte die Geschwister trotz der Thränen so glücklich, Charlottchen wollte sie gar die Treppe hinauf tragen, wollte sie nicht aus den Armen lassen. Während die Koffer der Eltern von dem Wagen genommen und die der Tanten aufgepackt wurden, beschlossen die Eltern auf Elisabeths Wunsch, daß alle Kinder für jetzt hierbleiben sollten. Die drei ältesten, die eigentlich mit den Tanten nach Woltheim gesollt, konnten den Abend recht gut zu Fuß dahin gehen. Elisabeth mußte heute alle Geschwister um sich haben, sie mußte ihnen ihr warmes Herz ausschütten, und der Jubel und die Freude und Liebe der Kinder entzückte sie zu sehr.

Es war für die Stadtkinder aber auch eine Lust, sich herumzutummeln im Garten, in der schattigen Laube Kaffee zu trinken, und auch weiter zu wandeln durch die Hecke über den Weg nach dem Grasrain. Sie pflückten Feldblumen machten Kränze und Sträußchen, Elisabeth, ihre allerliebste Schwester, immer glücklich mit ihnen. Als sie Charlottchen eben einen Kranz auf die Locken setzte, trat ihr Mann zu ihr; er freute sich herzlich ihres Glückes und ahnete kaum, daß er ihr hatte wehe gethan.

Liebe Elisabeth, daß Du doch so warm lieben kannst! sagte er freundlich; aber mich mußt Du doch immer am meisten lieb haben, sonst werde ich traurig.

Sie sah ihn freundlich an und es fiel ihr jetzt erst ein, daß sie sich den ganzen Tag um ihn nicht bekümmert hatte. Sie hatte kein Verlangen danach gehabt, in ihrer beleidigten Stimmung vom Morgen war es ihr eine Genugthuung, sich in den Geschwistern befriedigt zu fühlen und ihm das zu zeigen. Als er jetzt so freundlich bittend vor ihr stand, schämte sie sich ein wenig und die Stimmung vom Morgen war darüber vergessen, sie mußte ihm ganz warm und beweglich in die Augen schauen. Sich über die wechselnden Stimmungen des Tages auszusprechen, hatte sie auch kein Verlangen, sie wollte sich nicht damit beunruhigen, sie hatte erfahren, daß es bei solchen Gelegenheiten auch ohne Aussprechen geht.

Die nächste Woche war schnell vergangen, aber anders als die beiden ersten. Diese Gäste verlangten nach keinen Landpartien und Visiten mit den Braunhäusern, sie waren fortwährend wunderschön unterhalten, der Verkehr mit Woltheim war die einzig gewünschte Abwechslung. Die beiden Tanten waren immer dazwischen, der Geheimerath, der gleich am ersten Tage von Elisabeths Kampf mit ihnen gehört, hatte lachend gesagt: Man muß ihnen nichts übel nehmen und Geduld mit ihnen haben. In diesem Sinne wurden sie auch freundlich und rücksichtsvoll von allen behandelt.

Auf der Rückreise, so war es längst beschlossen, wollte die ganze Verwandtschaft Emilien den ersten Besuch machen, sie wollten mit dem Frühzug fahren und am Abend ein jeder nach seiner Heimath zurückkehren. Von den beiden Tanten nahm man an, da sie mit Emilien nie befreundet waren, sie würden gleich nach Berlin durchfahren, aber Wina dachte erstens nicht daran, sich von diesem ländlichen Vergnügen ausschließen zu lassen, und außerdem hatte sie noch höhere Pflichten zu erfüllen. Emilie, die einzige in der Familie, die mit ihr das richtige Urtheil über Kadden hatte, mußte von ihren traurigen Erfahrungen in dem jungen Haushalt hören.

Ein schöner Tag begünstigte den Besuch und erlaubte den lieben Gästen, da das Pfarrhaus nicht Raum hatte für alle, sich im Garten und im anstoßenden einsamen Kirchhof zu zerstreuen.

Emiliens erste Frage an Wina war ganz natürlich: Sie sind länger bei Elisabeth gewesen?

Wina bejahte nur kurz, weil Leute in der Nähe standen, sie zuckte aber zugleich die Achseln und schaute hinauf zum Himmel. Die Versuchung war für Emilien zu groß, sehr kurz darauf hatte sie es eingerichtet, mit Wina und ihrem Mann allein zu sein, ja er sollte die Nachrichten von Wina selbst hören, nicht erst von ihr.

Hat es Ihnen in Braunhausen nicht gefallen? fragte Emilie gleich ganz offenherzig.

Wina holte tief Athem, zuckte die Achseln und schilderte nun, zwar nur die erlebten Dinge, aber mit Zornes Eifer, die Rohheit des Gatten und die verborgenen Thränen der Frau.

Elisabeth ist aber gewiß auch daran schuld, unterbrach sie Emilie.

Sie kennen Elisabeths Fehler, fuhr Wina fort, ich habe mich vergebens bemüht sie ihr abzugewöhnen, und sie sind freilich bei des Mannes Eigenschaften Zunder zum Feuer. Daran knüpfte sie auf ihre Weise eine Abhandlung, wie solch ein häusliches Unglück nur durch eine angenehme Geselligkeit zu ertragen sei, und in dieser einzigen Hinsicht habe Kadden vernünftige Ansichten, da er sich einem sehr liebenswürdigen Kreise angeschlossen.

Emilie ließ sich über den letzten Punkt nicht weiter ein und war überhaupt sehr vorsichtig mit ihren Aeußerungen; als aber die Gäste das Pfarrhaus verlassen hatten, mußte ihr Mann, und zwar nicht zu seiner Freude, Emiliens Betrachtungen über Elisabeth und ihre wundervolle Liebe mit anhören. Sie hatte es alles voraus gesehen, aber freilich so schnell die Erfüllung nicht befürchtet.

Schlösser konnte dieses Mal wenig sagen, da seine Beobachtungen selbst nicht befriedigend gewesen. Kadden hatte ein freundliches Zwiegespräch, wie er es vor seiner Verheirathung gern hatte, mit ihm nicht gesucht, und Elisabeth, obgleich sie freundlich mit ihrem Manne war, schien mit dem Abschied von ihren kleinen Geschwistern fast zu sehr beschäftigt.

So ging denn von heute aus ein Flüstern durch die Familie, ganz leise von Ohr zu Ohr. Nur Elisen erreichte es nicht, wohl aber die Großmama, und das gute Großmutterherz mußte wieder sorgen und mußte sich trösten lassen, daß der Herr ja die Seinen oft wunderlich führe.


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