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Nach zwei Tagen kam der alte Doctor zu Herrn von Budmar und erzählte, daß er Nachmittag in einem Dorfe eine schwierige Operation habe. Das Dorf war ungefähr zwei Stunden von Woltheim und, wenn auch dem Manöver nicht nahe, doch nach der Seite hin. Elisabeth wußte, daß in dem Dorfe heute Missionsfest war, sie hatte auch Lust gehabt dort hin, aber Oberförsters wollte sie nicht auffordern, und die Großmama hatte Kopfweh. Jetzt bat sie den Doctor ob er sie mitnehmen wollte, und der war gern bereit. Es paßte ja so prächtig, und gleich nach Tische holte er sie ab.
Elisabeth kam etwas zu früh in dem Dörfchen an. Sie trat in die kleine freundliche Kirche, die schon geöffnet und sehr rein und auch mit grünen Zweigen geschmückt war. Sie trat wieder auf den Kirchhof, und ging lesend von einem Grabstein zum andern. Es war so mild und warm und still im Sonnenschein, einzelne Blumen, die des Morgens vom Reif die Kronen senkten, hatten sich wieder erhoben in der Sonne warmem Schein und träumten noch einmal vom Sommer. Elisabeth war so friedlich und war voll Sehnsucht und Erwartung nach dem Gottesdienst, sie wußte, daß ihr eigener gläubiger Prediger dabei betheiligt war, den hatte sie seit lange nur mit einem todten, matten Herzen gehört. Heute war es ihr, als könnte sie nur mit gefalteten Händen und mit stillen Zügen und leisen Schritten hier wandeln und ihre Seele bereit halten für die Erquickung, die ihr da in der kleinen stillen Kirche werden sollte. Es kamen aber auch nach und nach viele andere Leute, die wartend und flüsternd hier standen. Elisabeth war lieber bis zum Läuten allein, trat aus der Kirchhofsthür und über den Weg, und ging vor einem Eichenwäldchen einige Schritte auf und ab. Sie pflückte auch im Gehen die feinen rothen Steinnelken und Thymian und Skabiosen und gelbe und rothe Blümchen zu einem sehr unscheinbaren, aber genau gesehen höchst wunderlieblichen Strauß. Als das Läuten begann, verließ sie ihren stillen Spaziergang, einige Schritte von ihr traten mehrere Damen aus dem Pfarrgarten und gingen ihr voran in die Kirche. Sie war betroffen, als sie eintrat schon alle Plätze besetzt zu finden, und schaute sich verlegen um, als ein liebes bekanntes Gesicht vor ihr stand, ihre Hand nahm und sie mit sich führte. Es war Frau Assessor Borne, eine von den Damen, die aus dem Pfarrgarten traten. Sie nahm sie mit sich in den Pfarrstuhl, wo außer einigen anderen Frauen noch Frau Pastor Kurtius war.
Elisabeth erbaute sich am Gesang und an der Predigt, kaum hatte eine Predigt einen besser zubereiteten Boden gefunden als heute Elisabeths Herz. Kurtius hielt eine Missions- aber zugleich eine Bußpredigt, die Herzen sollten aufgerüttelt werden aus ihrer Lauheit und Trägheit im Dienste des Herrn, die Hände sollten freudiger zum Geben und die Herzen freudiger und lebendiger zum Gebete sein. Als nach der Predigt das Lied angestimmt wurde: »Aus tiefer Noth schrei ich zu Dir, o Herr erhör mein Rufen,« da war es, als ob es für sie allein angestimmt würde, es waren ihr heute nicht nur erbauliche Worte, es war die Lebensfülle selbst in ihrer Seele. »Und ob es währt bis in die Nacht, und wieder an den Morgen, so soll mein Herz an Gottes Macht verzweifeln nicht und sorgen.« Heiße Thränen fielen auf ihr Gesangbuch, sie suchte es zu verbergen und glaubte sich auch unbemerkt.
Sie war es aber nicht. Ihr gegenüber oben, halb von einem Pfeiler verborgen, stand Kadden, und wenn er auch während der Predigt seine Aufmerksamkeit so viel als möglich nach der Kanzel gerichtet hatte, so schaute er jetzt unverwandt nach dem stillen und blassen Gesicht dort unten und hörte mit tiefer Bewegung das für sie beide so bedeutungsvolle Lied.
Gleich nachdem der Gottesdienst geschlossen, eilte er durch die Menge und stand an der Kirchthür auf sie wartend still. Elisabeth ward von den Damen freundlich und zuvorkommend angeredet und in das Pfarrhaus geladen, sie trat mit ihnen aus der Kirchthür, als ihr Mann freudig grüßend vor ihr stand. Sie überlegte nicht, wie sie aussehen müsse: Otto, Du hier? sagte sie, und Freude und Glück strahlten aus ihren Augen.
Er hielt ihre Hand in seinen Händen fest und erklärte so den Damen, daß er eine Stunde von hier im Quartier liege, daß er den freien Nachmittag benutzte, das Fest mitzufeiern, und sich nun unerwartet mit seiner Frau hier getroffen habe. Ihre Einladung, mit in die Pfarre zu kommen, nahm er nicht an, er hatte nicht Zeit, er empfahl sich ihnen und führte Elisabeth mit sich.
Er hatte schon im Gasthof, als er sein Pferd dahin brachte, durch Doctors Kutscher von ihrem Hiersein gehört, hatte aber auch gehört, sowie die Kirche aus sei, würde angespannt und fortgefahren. Um seine Frau doch etwas sprechen zu können, wollte er mit ihr den Weg nach Woltheim voran gehen, und ließ dem Doctor das bestellen.
Als sie jetzt beide vor den Eichen waren, sagte er mit freundlichem Vorwurf: Liebe Elisabeth, warum hast Du mir nicht geschrieben?
Ich wußte nicht wohin, war die schnelle Antwort.
Du hast doch meinen Brief erhalten? fragte er ebenso schnell.
Elisabeth schüttelte mit dem Kopf und ihr Kummer darüber war unverhohlen in ihren Augen zu lesen.
Das war unbegreiflich! Er erzählte, wo und wann er geschrieben, und daß er sich die Antwort vor einigen Tagen selbst holen wollte. Das wußte sie schon durch den Boten, und sie sagte ihm, wie es ihr so tröstlich war von ihm zu hören, und daß sie sich danach vorgenommen, noch recht geduldig die letzten Tage zu sein.
Sein Herz zitterte vor Freuden, er wußte kaum was er sagen wollte, und der leidige Doctorwagen kam schon vom Dorfe her. Elisabeth, noch ein Tag morgen, sagte er, übermorgen komme ich nach Braunhausen und Nachmittag zu Dir!
Dann darf ich Dir entgegen kommen? fragte sie leise.
Ja, ich komme zu Fuß, den nächsten Weg nach den Steinen.
Da erwarte ich Dich, fügte sie hinzu.
Sie standen jetzt still, einige Augenblicke schweigend. Dann nahm er einen Eichenzweig aus seinem Knopfloch, der mit Sommertrieben, roth und braun und grün, ganz frühlingsgleich und lieblich war, er reichte ihn Elisabeth und griff dabei zagend und doch glücklich nach ihren Blumen. Sie gab den Strauß erröthend hin, sie war wie im Traume. Er küßte sie zum ersten Mal wieder auf die Stirn und führte sie zum Wagen. Hier begrüßte er den alten Doctor, erkundigte sich erst noch bei Elisabeth nach den Kindern und trug ihr Grüße auf.
Der Doctor hatte nach einer andern Seite von Woltheim in einer Vorstadt zu thun, Elisabeth stieg darum an den großen Eichen in der Nähe der Oberförsterei aus. Sie wollte schnell vorüber und nach Hause, dem kleinen Friedrich durfte sie ihr glückliches Herz ausschütten, sie sehnte sich nach ihren Kindern, und dabei war es ihr so bräutlich und selig zu Muthe, sie sah die Gestalt vor sich, die ihr die liebste auf der Welt war, sie sah die großen, dunkelblauen Augen vor sich, als sie die Blumen tauschte, und es war ganz dasselbe Bild, als wo er ihr damals den Veilchenstrauß schenkte.
Als sie an der Tannenplanke von Oberförsters Küchengarten hineilte, sah sie die Tante und das schlank aufgewachsene Mariechen hoch oben zwischen Bohnenstangen schweben, sie sammelten geschäftig die letzten Wachsbohnen ein. Tante Julchen aber hatte auch Elisabeth erblickt, sie trug eilig ihren Stuhl an die Bretterwand und reichte freundlich ihre Hand hinüber. Du kommst zurück vom Missionsfest? fragte die Tante.
Ja, entgegnete Elisabeth, und denke Dir: Otto war da! setzte sie hinzu mit einem Ausdruck, der nicht mißverstanden werden konnte.
Das war aber schön, sagte die Oberförsterin etwas verdutzt, aber in gutherziger Theilnahme.
Uebermorgen ist das Manöver ganz vorbei und er kommt zurück, sagte Elisabeth noch eben so freudig und ließ sich auf keine Unterhaltung weiter ein. Die Großeltern kamen ihr mit Onkel Karl in der Kirschenallee entgegen. Der Onkel lächelte vergnügt, als er sie sah, und die Großeltern waren ganz erstaunt über sie, mit leichten schwebenden Schritten, mit strahlenden Zügen, und in den Augen so viel Güte und Freude und Glück als in den glücklichsten Mädchenzeiten.
Wen habe ich wohl getroffen? sagte sie, als sie ihnen nahe war, und trotzdem ihr ganzes Gesicht lachte, schimmerten in ihren Augen helle Thränen.
Ich errathe, sagte der Großpapa und die Wahrheit fiel ihm ein.
Ja. Otto war da! fuhr sie fort, und fügte ganz unbefangen hinzu: Wir haben uns sehr gefreut, und übermorgen kömmt er her.
Er wird Dir dann wohl nicht die Erlaubniß geben, noch nach Berlin zu reisen? fragte der Großpapa ernsthaft thuend.
Unsinn! rief Elisabeth, und erinnerte mit dem Ton seit langer Zeit einmal wieder an ihre frühere glückliche Keckheit.
Die Kinder kamen mit Johannen dicht hinter den Großeltern, und Elisabeth begrüßte sie und erzählte ihnen und den Großeltern zugleich von ihrer unerwarteten Freude und richtete gewissenhaft alle Grüße aus.
Die Oberförsterin hatte den Abend noch die kleine Aufregung, daß der Doctor kam und seine Bewunderung über das Zusammentreffen des vielbesprochenen Paares mittheilte. Die Gerüchte waren ihm bekannt genug, und die Frau Oberförsterin hatte auch in seiner Gegenwart ihre Seufzer darüber nicht genau überwacht. – Kein Brautpaar kann glücklicher aussehen, versicherte der Doctor, sie haben auch zarte Sträußchen beim Abschied ausgewechselt.
Es ist alles, alles Klatscherei gewesen, versicherte jetzt die Oberförsterin muthig, und am späten Abend las sie noch einmal die Mahnung durch, die ihr Kadden im Andachtsbuche angewiesen.
Den folgenden Tag kam die Sonne nicht zum Vorschein, es blieb kalt und rauh vom Morgen bis zum Abend; Elisabeth ging aber doch spazieren, sie hatte nicht Ruhe im Hause, und zwar ging sie nach den Steinen auf den Tannenbergen. Die Braunhäuser Thürme lagen unter ihr, graue Wolken zogen drüber hin, heute waren sie das Ziel ihrer Sehnsucht noch nicht, sie schaute noch über die fernen Eichen an der anderen Seite hin. Aber morgen um diese Zeit wollte sie hier sehnend und wartend sitzen. Es war als ob sie nur heute her gegangen, um Muth zu sammeln auf das Begegnen morgen. Ja, morgen, hatte sie sich fest entschlossen, da wollte sie Herz und Mund aufthun, hier ganz allein mit ihm wollte sie ihn um Verzeihung bitten für alle den Kummer, den sie ihm gemacht, sie wollte ihn noch einmal um seine Liebe bitten. – Nein, das letzte ging doch nicht, die Bitte konnte ihm drückend sein, er mußte vielleicht sagen: Ich will Dich ehren und achten, aber die Sonne und Blumen in Deinem Leben kann ich Dir nicht wieder schaffen. – Ja, und wenn er das auch sagen muß, schloß ihr Herz, ich werde ihn doch wohl bitten müssen!
Am anderen Nachmittage um dieselbe Zeit saß sie wieder hier, es war noch kälter und stürmischer, aber sie achtete nicht darauf. Es war etwas bange in ihrer Brust, sie wußte nicht recht, wie es werden sollte, aber sie war fest vor dem Herrn: Du mußt ihn um Verzeihung bitten. – Nachdem sie eine ganze Zeit gesessen, und der Wind so eisig sie durchwehte, stand sie auf und suchte in den Tannen Schutz. Sie ging hin und her, trat dann heraus und schaute nach den dunkelen Thürmen. Es ward ihr endlich bange, ob er kommen möchte, sie war wohl in der Unruhe zu früh fortgegangen, als die dunkelen Wolken über Braunhausen sich aus einander thaten, sah man an dem gelben Streif dazwischen, daß die Sonne noch nicht ganz tief stand. Aber es war schaurig hier, sie stand eben wieder vor den Tannen, sie schaute nach den düsteren Wolken und den unheimlichen grellen Lichtern dazwischen, und auf die dunkelen Thürme, – es wollte ihr unheimlich werden in der Einsamkeit, – als der Erwartete schon ziemlich nahe aus dem kleinen Ellerngebüsch ihr entgegen kam.
Einige Augenblicke stand sie erschrocken, ihr Herz klopfte, aber sie faßte Muth und ging ihm entgegen. Womit sollte sie beginnen? Würde er sie verstehen? Würde er es merken was sie wollte. – Ach ja, er merkte es und verstand sie, sie hatte nicht nöthig etwas zu sagen. Er nahm sie in seine Arme und nahm sie an sein Herz, und als sie seine Hand griff, an der sein Trauring steckte, die Hand, die er einst drohend gegen sie erhoben, als sie diese Hand küßte, da verstand er, was ihr demüthiges Herz empfand.
Sie saßen noch zusammen auf den Steinen, Elisabeth konnte wieder reden, ihre großen offenen Augen schauten wieder vertrauend zu ihm auf, er forschte nach ihrem Kummer und nach ihrem Glück, sie verhehlte ihm nichts, und er wußte kaum, was von beiden mehr sein Herz bewegte. – O lieber Otto, sagte sie jetzt, wenn ich es auch nicht begreifen kann, warum Du mich lieb hast, und warum Du mich immer lieb haben sollst, ich weiß es jetzt, daß Deine Liebe der Wille des Herrn ist, ich nehme sie als ein Gnadengeschenk von ihm, und Er soll sie mir auch hüten und bewahren, mir wird es nie wieder bange darum sein.
Mir auch nicht, fügte er hinzu, obgleich ich kaum begreifen kann, wie Du mir verzeihen, wie Du die Vergangenheit vergessen konntest.
Sie küßte noch einmal seine Hand, und als er weiter reden wollte, legte sie ihre Finger leise auf seinen Mund und sagte bittend: So darfst Du nicht reden.
Jetzt saßen sie beide auf derselben Stelle wie die Großeltern vor vielen Jahren, jetzt sprach Elisabeth wie damals die demüthige Braut, jetzt suchte der Mann ihr zur Seite nicht Hilfe in seinem eigenen schwachen Herzen, sondern bei dem Herrn, der unsere Herzen in seiner Hand hält, der allein Glauben und Liebe und Geduld und Treue in uns wirken kann.
Sie waren aufgestanden, sie wollten zu den Großeltern und zu ihren lieben Kindern eilen. Sie fühlten jetzt erst, daß es noch rauher und der Wind heftiger geworden war.
Unter den beiden großen Bildern mit den goldenen Rahmen saß der Großpapa im Sofa, in einer Ecke neben ihm saß das kleine Mariechen, in der anderen Friedrich. Er war nachdenklich, er hatte seine eine Hand schützend auf das kleine Mädchen gelegt, und beide Kinder schauten mit großen Augen nach dem Kaminfeuer, das ihre Gesichterchen mit strahlendem Roth übergossen. Die Großmama stand harrend am Fenster, es war ganz still im Zimmer, nur der Theekessel machte sein singendes Geräusch. Jetzt kommen sie! rief die Großmama, trat zu ihrem Mann an das Sofa und holte tief Athem.
Jetzt wirst Du ja hören, sagte der Großpapa ruhig und reichte ihr die Hand.
Sie setzte sich zu ihm, als ob sie bei ihm ihr Großmutterherz mehr zur Ruhe zwingen könne.
Die Gartensaalthür ward geöffnet und schnell darauf die Stubenthür, Elisabeth trat mit dem Ersehnten ein. Die Großeltern standen auf, das Großmutterherz aber sollte nicht lange zagen, Kadden umarmte sie und sagte bittend und kindlich: Jetzt sollt Ihr sie mir noch einmal übergeben, und jetzt will ich es mit des Herrn Hilfe besser machen.
Wenige Minuten später saß er im Sopha, die Großeltern neben ihm, er hatte beide Kinder auf dem Schooß, Elisabeth saß auf einer Fußbank vor ihm und der Großmama, so hatte sie es gewollt, so konnte sie allen recht in die Augen schauen. – Von der Vergangenheit wurde nicht gesprochen, nur die Großmama kam darauf zurück, als sie sagte: Jetzt, lieber Otto, wissen Sie, daß der Spruch Ihres seligen Großvaters, den Sie in der Bibel haben, Ihnen Glück und Segen verkünden sollte: »Ich habe Dich je und je geliebet, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte.«
Jetzt soll er nicht nur in der Bibel stehen, entgegnete Kadden.
Sondern im Herzen, fügte die Großmama freundlich hinzu.
Während des Gespräches hatte Kadden eine Tasse heißen Thee nach der andern geschlürft. Elisabeth sah ihn einige Zeit nachdenklich an, es fiel ihr jetzt erst auf, daß er tiefe Schatten unter den Augen hatte und beim Husten zuweilen schmerzhaft nach der Brust faßte, dabei war die Hand, die sie nahm, eiskalt. Lieber Otto, Du bist unwohl, sagte sie jetzt.
Er sah sie freundlich an, dann sagte er: Ja das bin ich auch.
Die Großeltern wurden auch aufmerksam und er erzählte, daß er schon länger Katarrh habe, daß es seit gestern ihm aber in der Brust weh thue, wenn er huste. Heute morgen fühlte er sogar beim Reiten einen fortwährenden Schmerz und war deshalb gern zu Fuß hergegangen.
In dem Augenblick wurde sein Pferd gemeldet; der Bursche erhielt die Anweisung, es in den Stall zu bringen, weil er noch nicht Lust hatte zum Fortreiten, und morgen früh, das war ausgemacht, sollte Elisabeth mit den Kindern zu ihm kommen.
Elisabeth hatte nicht Ruhe, sie bat um die Erlaubniß, den Doctor holen zu lassen. Ihr Mann war nicht ganz einverstanden damit, die Großeltern aber waren auf Elisabeths Seite, da er plötzlich einen so heftigen Frost bekam, daß er sich kaum erwehren konnte mit den Zähnen zusammen zu schlagen.
Der Doctor kam bald und stellte ihm die Alternative, entweder augenblicklich wohl eingepackt im verschlossenen Wagen nach Braunhausen zu fahren, oder sich auf einige Wochen hier in Woltheim gefaßt zu machen. Er entschloß sich schnell für das erste, und augenblicklich wurden alle Anstalten zur Abreise getroffen. Elisabeth, obgleich sie etwas ängstlich war, fühlte doch heute zu viel Dank und Glück im Herzen, um sich wirklich zu sorgen: sie war ja wieder seine Elisabeth, sie durfte nun ungefragt mit ihm fahren und ihn pflegen, sie durfte nie wieder bange und ungewiß ihm gegenüber sein.
Der Bursche war vorausgeschickt, um ein Zimmer zu heizen, und war doch kaum mit seinen Pferden eher angekommen. Das Feuer brannte zwar im Ofen, man merkte aber im Zimmer noch nichts davon. Die Köchin, die sie gleich mitgenommen, mußte Thee besorgen, der Bursche war nach dem Arzt, und Kadden lag noch eingepackt in allen Reisekleidern auf dem Sofa. Elisabeth fühlte ihr Herz jetzt bedrückt, es war so öde, so unwohnlich hier überall, und die Erinnerung an das letzte Jahr ward nur zu lebendig in den alten bekannten Räumen.
Ihr Mann verstand sie, er fühlte ihre Stimmung, er rief sie zu sich und sagte: Weißt Du noch, Elisabeth, den Morgen nach Charlottchens Tode, als wir den Herrn baten, er möchte uns führen, durch Glück oder Unglück, es sollte uns recht sein? Bald darauf fing ja unser Kummer an, und die Erinnerung daran kann uns nur zum Dank auffordern.
Ja, das soll es, sagte sie.
Ich denke nichts weiter, als daß Du meine liebe Elisabeth bist, und mich pflegen mußt, fuhr er freundlich fort. – Sie nickte. – Auch diese Krankheit schickt der Herr zu unserem Segen, mir ist so wohl, daß ich mich um alle Welt nicht kümmern soll, daß ich keinen Menschen sehen muß.
Ach ja, entgegnete Elisabeth schnell; es fielen ihr die schlimmen Gerüchte ein, Tante Julchens entsetzliche Worte, als sie ihn den Morgen neben Adolfinen sah.
Der Arzt unterbrach ihr Gespräch, und wenn Kadden es gewünscht hatte, von der Welt nichts hören und sehen zu müssen, so ward ihm in der Aussage des Arztes die Erfüllung dieses Wunsches. Nach dem Fieber zu urtheilen, stand ein heftiger Kampf bevor, – eine schleichende Lungenentzündung nannte es der Arzt. Er rieth, das beste und ruhigste Zimmer jetzt gleich als Krankenzimmer einzurichten.