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Es war Alles vollbracht. Er hatte Abschied genommen von seiner Familie, seinen Freunden, seinen Dienern, er hatte gebeichtet, und öffentlich, im Beisein seiner Familie und seiner Freunde, das heilige Abendmahl empfangen.
Der Kampf mit dem Leben war ausgekämpft, alle Schmerzen waren überwunden. Mit heiter strahlendem Angesicht lag Joseph auf seinem Lager; kein Wort des Unmuthes oder der Klage kam über seine Lippen. Er tröstete die Weinenden, und hatte für jeden ein Wort der Beruhigung und der Liebe. Er schrieb noch in den letzten Tagen mit eigener zitternder Hand Abschiedsbriefe an seine Schwestern, an den Fürsten Kaunitz, und an einige Damen seines nähern Umganges, Briefe voll rührender Innigkeit und Zartheit, und unterzeichnete noch am siebenzehnten Februar achtzig Mal seinen Namen.
Aber jetzt fühlte er, daß seine Kräfte zu Ende, und als am Abend dieses Tages seine Freunde Lacy und Rosenberg zu ihm kamen, um die Nacht bei ihm zu wachen, winkte er sie mit der Hand dicht zu sich heran an sein Lager.
Es geht zu Ende, meine Freunde, sagte er leise, die Lampe hat kein Oel mehr, sie wird bald erlöschen! Still! Weint nicht, sagt mir heiter das letzte Lebewohl!
Heiter? fragte Lacy traurig, heiter, wenn wir Sie niemals wieder sehen sollen?
Der Kaiser blickte sinnend zur Decke empor. Wir werden uns wieder sehen, sagte er nach einer langen Pause. Nicht hier auf Erden, aber im Jenseits. Oh, ich glaube an ein Jenseits, ich hoffe auf ein Jenseits! Muß es denn nicht ein Dasein geben, wo ich einigen Ersatz finde für Alles, was ich hier auf Erden gelitten?
Und eine Strafe für Diejenigen, welche Ew. Majestät leiden gemacht? fragte Graf Rosenberg düster.
Ich habe Allen verziehen, sagte der Kaiser lächelnd. Kein Groll und kein Uebermuth ist mehr in meinem Herzen, ich bin ganz resignirt! Ich hatte die gute Absicht und den redlichen Willen, mein Volk glücklich zu machen, ich zürne ihm nicht, daß es nicht annehmen wollte, was ich ihm geboten habe. Ich wünschte, man schriebe auf mein Grab: »Hier ruht ein Fürst, dessen Absichten rein waren, der aber das Unglück hatte, alle seine Entwürfe scheitern zu sehen.« – Ach, meine Freunde, der Dichter hatte nicht Recht, wenn er sagt: » Et du trône au cercueil le passage est terrible.« Ich vermisse den Thron nicht, und fühle mich ganz ruhig, nur ein wenig gekränkt durch so viele Lebensplage, so wenig Glückliche und so viel Undankbare gemacht zu haben. Allein das ist das gewöhnliche Schicksal der Männer auf dem Thron! Des Kaisers eigene Worte. Siehe: Characterzüge etc. II. S. 23.
Das Schicksal der großen Männer, die ihrer Zeit vorangehen, sagte Lacy, das Schicksal Aller, die Großes wollen, Großes erstreben, und den Völkern neue Ideen des Glücks, der Aufklärung und der Geistesfreiheit bringen. Sie müssen Alle sterben als Märtyrer der Dummheit, des Uebelwollens und der Kleinlichkeit.
Ja, ein Märtyrer bin ich, sagte Joseph mit einem sanften Lächeln, aber sie werden aus meinen Gebeinen keine Reliquien machen. Aber die Liebe zu Eurer Majestät werden wir als heilige Reliquie in unserm Herzen tragen, rief Graf Rosenberg weinend.
Sie sollen nicht weinen, sagte Joseph. Haben wir nicht schöne Tage der Treue und Freundschaft mit einander durchlebt, wollen Sie mir nicht auch jetzt noch Ihre Freundschaft beweisen, indem Sie mir ein heiteres Angesicht zeigen? Sie vor allen Dingen, Rosenberg, Sie, welcher mir heute die letzte Freudenbotschaft gebracht, das letzte Freudenlächeln auf meinem Antlitz gesehen haben, als Sie mir meldeten, daß meine geliebte Nichte Elisabeth meinem Franz eine Tochter geschenkt hat. Oh, es ist schön, eine Freude mit sich in sein Grab zu nehmen, und sterbend eine neue Hoffnung aufblühen zu sehen! Elisabeth wird dereinst Eure Kaiserin sein, liebt sie, Ihr, meine alten Getreuen, liebt sie um meinetwillen, denn ich habe sie geliebt, wie mein eigenes Kind! Man hat mir seit einigen Stunden schon keine Nachricht von ihr gebracht. Es geht ihr gut, nicht wahr?
Die beiden Freunde antworteten nicht und senkten die Augen nieder.
Lacy, rief der Kaiser, und jetzt fuhr wieder ein Ausdruck menschlichen Leidens durch die vorher so verklärten Züge, Lacy, warum weinen Sie? Sie schweigen, oh mein Gott, Sie schweigen? Rosenberg, ich beschwöre Sie bei unserer Freundschaft, bei Allem, was Ihnen heilig und theuer ist, sagen Sie mir die Wahrheit: wie steht es mit der Erzherzogin Elisabeth, mit meiner Tochter?
Er richtete sich halb empor und schaute in athemloser Angst auf den Grafen hin. Dieser wagte es nicht, den Blicken des Kaisers zu begegnen.
Die Erzherzogin Elisabeth ist sehr krank, sagte er leise. Die Entbindung hat sie sehr angegriffen.
Ah, sie ist todt, rief der Kaiser, nicht wahr, sie ist todt?
Niemand antwortete, nur die Thränen, welche in Lacy's und Rosenberg's Augen standen, gaben die Antwort.
Joseph stieß einen lauten Schmerzensschrei aus, und seine Arme zum Himmel emporstreckend, rief er: Oh Gott, Dein Wille geschehe! Aber was ich leide, ist unbeschreiblich! Ich meinte, ich wäre bereit, alle Todespein zu ertragen, die es Gott gefallen möchte, mir zu senden: aber dieses fürchterliche Unglück übersteigt Alles, was ich jemals gelitten hatte! Des Kaisers eigene Worte.
Er sank zurück auf sein Lager und lag still und starr da eine lange, lange Zeit. Dann auf einmal richtete er sich wieder empor, und seine Stimme war wieder kräftig und voll, und sein Auge hatte wieder Feuer und Glanz, und sein ganzes Wesen zeigte wieder den Kaiser und den Herrscher, der vor allen Dingen sich selbst beherrscht.
Man soll die Erzherzogin mit allen Ehren, wie sie diese edle und erhabene Fürstin verdient, bestatten, sagte er. Ihnen übertrage ich die Sorge, Rosenberg, daß das Leichenbegängniß mit allem Pomp geschehe. Morgen soll die Leiche in der Hofkapelle ausgestellt werden, aber dann soll man sich beeilen, sie zur ewigen Ruhe in die Kaisergruft hinabzusenken, damit in der Hofkapelle Platz werde für meine eigene Leiche! Des Kaisers eigene Worte. Siehe: Hübner II. S. 491.
Das war der letzte Befehl, den der Kaiser ertheilte; von nun an war er nur noch ein armer, sterbender Mensch, und nur Gott und seinem Volk galten seine letzten Gedanken.
Er ließ seinen Beichtvater an sein Lager rufen, und bat, ihm etwas aus dem Gesangbuch vorzulesen, ein Sterbegebet.
Mit gefaltenen Händen hörte er zu, die großen Augen gen Himmel gewandt, aber plötzlich schien es, als wenn eine freudige Begeisterung über ihn komme, und er begann laut die Worte des Gebetes mitzusprechen.
So bleiben nun Glaube, Hoffnung und Liebe! betete der Geistliche.
Der Kaiser wiederholte die drei letzten Worte. Er sprach das Wort Glaube mit tiefer Zuversicht, das Wort Hoffnung leise und schüchtern, das Wort Liebe aber rief er mit einer wahren, freudigen Inbrunst. Ramshorn, S. 449.
Dann wieder ward er ganz still. Die Gebete verstummten. Der Kaiser lag mit gefalteten Händen bleich und unbeweglich da.
Einmal hörte man ihn leise sagen: Herr, der Du mein Herz kennst, Dich rufe ich zum Zeugen an, daß ich Alles, was ich unternahm und befahl, aus keinen andern Absichten als zum Wohl und zum Besten meiner Unterthanen meinte. Dein Wille geschehe! Hübner II. S. 502.
Dann wieder ward er still, ganz still. – Weinend, mit gefalteten Händen stand der Erzherzog Franz, Lacy und Rosenberg an seinem Lager. Der Kaiser sah sie mit seinen großen, gebrochenen Augen an, aber er kannte sie nicht mehr.
Aber dann wieder blitzte der Geist mit einem letzten Scheidegruß in seinen Augen auf und mit fester Stimme sagte er: Ich glaube meine Pflicht als Mensch und als Regent erfüllt zu haben!
Dann wandte er sein Antlitz zur Seite.
Wieder herrschte eine tiefe Stille. Auf einmal ward diese Stille unterbrochen von einem langen, schweren Seufzer.
Es war der Todesseufzer Kaiser Joseph des Zweiten! – –
Am 20. Februar 1790 starb Kaiser Joseph. Aber sein Geist starb nicht mit ihm, er lebte und wirkte fort bis auf die heutigen Tage! Auch sein Volk, welches ihn oft mißkannt, fühlte nach seinem Tode erst, was es an seinem Kaiser verloren, und wie sehr er es geliebt hatte. Jetzt, da er todt war, da sie ihm das Herz gebrochen, jetzt liebten sie ihn und weinten um ihn. Die Dichter sangen ihm ihre Klagelieder nach und mühten sich ab, geistreiche Grabschriften für den großen Märtyrer der Aufklärung zu machen. Die beste und geistvollste dieser Grabschriften ist vom Fürsten von Ligne und lautet also:
Ce prince malheureux, dans ses vastes projets,
Pour fixer leur bonheur, déplut à ses sujets.
Esclave d'un devoir, que vit mal son génie
A créer, reformer, il consuma sa vie:
Sourd aux cris de son coeur, qu'égarait son esprit
Risquant plus d'une fois de perdre tout crédit,
Allarmant ses états, et l'Europe et l'Asie,
Blamé par des ingrats que suscitait l'envie,
Il entreprit beaucoup, et commençant toujours
Ne put rien achever, exceptés ses beaux jours.
Das Volk aber sang:
Ich denk' so manchmal hin und her,
's kommt doch kein Kaiser Joseph mehr!
Wenn Einem der in's Auge sah,
Das war mein' Seel' ein Gloria!