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Ein halbes Jahr war seitdem vergangen. Die Deputirten der Niederlande waren nach Wien gekommen, und der Kaiser hatte mit ihnen unterhandelt, seine Güte und Sanftmuth, seine Herablassung und Freundlichkeit hatte auf sie Alle einen tiefen Eindruck gemacht, und sie kehrten heim, um dem belgischen Volk die Versicherung des Kaisers zu bringen, daß er niemals die Absicht gehegt, die Freiheiten und Privilegien der Niederländer anzugreifen, vielmehr auch jetzt noch gewillt sei, dieselben aufrecht zu erhalten, nur müßten sie »von einigen schädlichen Mißbräuchen, die sich im Laufe der Zeiten ihnen angehängt, befreit werden.« Zu diesem Zweck versprach der Kaiser Bevollmächtigte nach Brüssel zu senden, um in seinem Namen mit den Ständen zu unterhandeln.
Der Graf von Trautmannsdorf und der General d'Alton waren diese Bevollmächtigten, welche der Kaiser öffentlich nach Brüssel sandte, aber als geheimen Bevollmächtigten wollte er ihnen jetzt noch einen dritten treuen Diener und Freund nachsenden, auf dessen Treue er zählen durfte, wie schon Maria Theresia auf dieselbe hatte zählen dürfen.
Dieser geheime dritte Bevollmächtigte, das war der Graf Dietrichstein, der einstige Hofmarschall der Kaiserin.
Sie sollen den beiden Andern mit Ihrem feinen Kopf und Ihrem zartfühlenden Herzen zur Seite stehen, sagte Joseph zu dem Grafen Dietrichstein, als dieser kam, von ihm Abschied zu nehmen. Ich weiß, daß ich meinen beiden Bevollmächtigten in Ihnen einen weisen Mentor gebe, und ich danke Ihnen, daß Sie mir das Opfer gebracht haben, sich Ihrer süßen Behaglichkeit, Ihrer Ruhe und Ihrer Familie zu entreißen, um mir aufs Neue Ihre Dienste zu weihen. Aber ich nehme dies Opfer von Ihnen an, denn Sie werden dort in den Niederlanden nicht blos mir, sondern noch mehr dem armen, mißleiteten Volk von Nutzen sein. Sie sind mein Deputirter an die Gesellschaft, an die öffentliche Meinung. Klären Sie dieselbe über mich auf, sagen Sie ihr, daß ich nicht der Tyrann bin, als welchen die Priester mich ausschreien, weil ich einige unnütze Klöster aufgehoben, und weil ich auch von der Geistlichkeit, wie von allen meinen Unterthanen, Gehorsam fordere. Sagen Sie den Belgiern, nicht officiell, sondern mit der Ihnen eigenen feinen Zutraulichkeit, daß ich wirklich nicht ein so schlechter Christ bin, als die Priester es sagen, wenn ich auch nicht will, daß der Papst in meinen Landen über mir steht und Befehle ertheilen kann, die den meinen zuwider laufen. Kurz, ich wiederhole es noch einmal, klären Sie die öffentliche Meinung über mich auf!
Dies ist ein sehr leichter Auftrag, sagte Graf Dietrichstein lächelnd, Ew. Majestät haben mir da schon so sehr vorgearbeitet durch die Aufnahme, welche die belgischen Abgeordneten hier gefunden. Es wird nicht nöthig sein, Sire, die öffentliche Meinung für Ew. Majestät, sondern nur, sie gegen die Geistlichkeit anzurufen, gegen diese aufrührerischen Priester, welche sich schützen mit dem heiligen Symbol der Kirche, und, statt das Volk zu beschwichtigen, es aufwiegeln.
Ah, ich sehe, daß Sie mich verstanden haben, mein alter treuer Freund, rief der Kaiser freudig, indem er dem Grafen seine Hand darreichte. Nun sehe ich Sie mit Freuden scheiden, denn ich weiß, daß Sie dort Gutes und Heilsames wirken werden!
Ew. Majestät wissen, daß ich stets bereit bin, für meinen Kaiser mein Leben einzusetzen, sagte der Graf ernst. Es ist dies aber kein Verdienst von mir, sondern eine alte von meinen Ahnen ererbte Gewohnheit meiner Familie. Die Dietrichstein haben immer treu und fest in guten und schlimmen Zeiten zu dem Kaiserhause gestanden, und haben ihm gedient in unerschütterlicher Treue und Ergebenheit.
Ich wünschte, es gäbe ein Mittel, Ihnen und Ihrer Familie diese hundertjährige Treue und Anhänglichkeit zu lohnen, und Ihnen zu beweisen, daß die Habsburger dankbar sind, rief der Kaiser.
Sire, es giebt ein solches Mittel, sagte der Graf nach einer Pause mit ernster Stimme. Wenn Ew. Majestät wirklich vermeinen, daß mein Haus und meine Familie einer Anerkennung von Ew. Majestät werth sind, so weiß ich eine Gnade, um deren Bewilligung ich Eure Majestät anflehen möchte.
Sprechen Sie, Graf, rief der Kaiser hastig. Sprechen Sie, sagen Sie mir Ihre Bitte, ich bewillige sie Ihnen schon, bevor ich sie kenne, denn ich weiß, daß der Graf Dietrichstein niemals etwas Unbilliges und Unmögliches von mir fordern wird.
Ich nehme diese Bewilligung meiner Bitte schon im Voraus von Ew. Majestät an, sagte der Graf mit demselben feierlichen Ernst, wie zuvor. Meine Bitte ist indeß für Ew. Majestät leicht zu erfüllen, sie wird meinem angebeteten Kaiser keine Mühe und Schwierigkeiten machen. Ich wollte Ew. Majestät um eine Gnade bitten in Bezug auf meine Tochter Therese, die ich hier in Wien zurücklasse.
Wie? Sie lassen Therese hier? fragte der Kaiser erstaunt.
Ja, Sire, die Comtesse Therese bleibt hier in meinem Hôtel unter der Obhut ihrer Tante.
Ach, Therese bleibt hier! rief der Kaiser, und es blitzte wie ein Strahl der Freude über sein Antlitz hin.
Graf Dietrichstein sah es, und über sein Antlitz hin legte sich ein düsterer Schatten. Ich lasse meine Tochter hier, sagte er, weil die Sendung, welche Ew. Majestät mir aufgetragen, vielleicht nicht ohne Gefahr ist, denn wenn es zu ernsten Conflicten in Belgien kommt, so sind die treuen Diener Ew. Majestät von der Wuth des Volks bedroht. Ich opfere freudig mein Leben dem Dienst Ew. Majestät, aber ich habe nicht das Recht, das Leben meiner Tochter zu gefährden. Deshalb bleibt sie hier. Aber freilich, Gefahren giebt es überall, besonders für ein junges schönes Mädchen. Deshalb ist es mir auch nicht genügend, daß Therese hier unter dem Schutze ihrer Tante zurückbleibt, sondern ich möchte ihrer Jugend, ihrer Ehre und Unerfahrenheit noch einen andern kräftigeren Schutz an die Seite stellen.
Der Kaiser hatte, während Graf Dietrichstein so sprach, sich langsam abgewendet und war hastig und unruhig einige Male auf und ab gegangen, dann trat er an's Fenster, und dem Grafen den Rücken zuwendend, schien er aufmerksam hinunter zu schauen auf den Platz.
Graf Dietrichstein blickte mit düsterm Gesicht zu ihm hinüber und ging dann langsam durch das Zimmer nach dem Kaiser hin.
Sire, sagte er laut, ich wünschte meine Tochter Therese jetzt zu vermählen!
Mit wem? fragte der Kaiser, ohne indessen sich umzuwenden.
Mit dem Grafen Philipp von Kinsky, dem Kammerherrn Eurer Majestät. Der Graf liebt sie zärtlich und wirbt schon seit lange um Theresens Hand.
Und Ihre Tochter? fragte der Kaiser, immer noch dem Grafen den Rücken zukehrend und aus dem Fenster schauend. Hat die Comtesse seine Bewerbungen nicht angenommen?
Nein, Sire, sie hat sie bis jetzt immer zurückgewiesen. Sie behauptet, einen unüberwindlichen Abscheu gegen die Ehe zu haben, und verlangt durchaus meine Einwilligung, um in das Kloster der Elisabethinerinnen eintreten zu dürfen. Ich aber will ihr meine Einwilligung nicht geben, ich will nicht, daß mein einziges Kind, um einer schwärmerischen Mädchenlaune willen, ihre Jugend in einem Kloster vergrabe, sie gehört der Welt an und soll in dieser Welt eine Rolle spielen, wie sie der Tochter meines Hauses gebührt. Der Graf Kinsky ist ein Ehrenmann, er liebt meine Tochter und wird sie glücklich machen. Ich wünsche deshalb diese Verbindung, und es betrübt mich, daß meine Tochter mir ihre Zustimmung versagt. Deshalb also will ich das Aeußerste thun, um meinen Wunsch erfüllt zu sehen. Meine Tochter ist auch darin die echte Tochter ihres Hauses und ihres Vaters, daß sie eine unbegrenzte Hochachtung und Verehrung für Ew. Majestät hegt, und daß jeder Wunsch Ew. Majestät für sie ein Befehl ist, den sie sich beeilen wird, zu erfüllen. Deshalb also, und weil ich weiß, daß es zum Besten meines einzigen Kindes ist, deshalb wage ich es, Ew. Majestät an die Worte zu erinnern, welche Sie vorher gesprochen, und Sie um die Gnade zu bitten, daß Ew. Majestät ein mächtiges Wort sprechen, daß Sie meiner Tochter sagen, es sei auch Ew. Majestät Wunsch, daß die Comtesse Dietrichstein sich mit dem Grafen Philipp von Kinsky vermähle, und Ew. Majestät zweifeln gewiß nicht, daß meine Tochter sich beeilen würde, Ihren Wunsch zu erfüllen.
Der Kaiser wandte sich hastig um und schaute den Grafen mit glühendem Antlitz an. Wie? fragte er mit leiser, zitternder Stimme. Sie fordern von mir, daß ich den Brautwerber bei Ihrer Tochter machen solle?
Sire, es ist die Bitte, welche ich an Ew. Majestät richten wollte, und welche Ew. Majestät bereits die Gnade gehabt, mir im Voraus zu bewilligen, sagte der Graf ernst und fest.
Der Kaiser antwortete nicht sogleich. Er schaute den Grafen mit finstern, durchbohrenden Blicken an, aber der Graf schlug vor ihnen die Augen nicht nieder, sondern er begegnete ihnen mit festem, ruhigem Anschauen.
Eine lange Pause trat ein. Allmälig ward der Blick des Kaisers milder, allmälig schwand die Röthe von seinen Wangen und machte einer tiefen Blässe Platz. Er athmete hoch auf und zuckte zusammen, als erwache er aus tiefem Nachsinnen.
Graf Dietrichstein, sagte er endlich und seine Stimme zitterte, als er sprach, Graf Dietrichstein, ich habe Ihnen gesagt, daß ich mir ein Mittel wünschte, um Ihnen beweisen zu können, daß ich Ihnen dankbar bin für langjährige treue Dienste. Sie haben mir dieses Mittel genannt, und ich nehme es an! Ich werde bei der Comtesse Therese der Brautwerber sein für den Grafen Kinsky!
Ach, daran erkenne ich meinen großmüthigen, edlen Kaiser! rief der Graf in freudiger Rührung, indem er die Hand, welche der Kaiser ihm darreichte, zärtlich an seine Lippen drückte. Oh, Sire, ich danke Ihnen nicht blos in meinem Namen, sondern im Namen aller meiner Ahnen, denn Therese ist die letzte Tochter unsers Hauses, und sie soll unsern Namen rein und schön hinüber tragen in das edle Haus der Grafen Kinsky. Ew. Majestät wollen das vermitteln, und darum danke ich Ihnen in meinem und meiner Ahnen Namen.
Danken Sie mir nicht, mein Freund, sagte der Kaiser trübe. Ich habe Sie verstanden, und Sie haben mich verstanden, das ist Alles! Wann soll ich meine Brautwerberschaft antreten?
Sire, ich soll nach den Befehlen Ew. Majestät heute Abend schon abreisen, und ich möchte meine Tochter gern als Braut des Grafen zurücklassen! Wenn ich wieder heimkehre, soll dann sofort die Vermählung sein!
Gut denn, sagte der Kaiser mit einem mühsam unterdrückten Seufzer, so werde ich noch heute Ihren Wunsch erfüllen und bei Ihrer Tochter den Brautwerber für Kinsky machen. Ist die Comtesse zu Hause in Ihrem Hôtel?
Nein, Sire, sie ist heute Morgen hinausgefahren auf unsere Villa in Schönbrunn. Aber ich werde sogleich meine Equipage hinaussenden, die Comtesse abzuholen, und sobald sie hier ist, werde ich die Ehre haben, es Ew. Majestät zu melden.
Nicht doch, lassen Sie die Comtesse immerhin in der Villa, sagte der Kaiser rasch, gönnen Sie es ihr, noch einen Tag in stiller Zurückgezogenheit ihren jungen Mädchenträumen nachzuhängen, ehe sie als Braut des Grafen Kinsky eintritt in die große Welt. Ich werde meine Spazierfahrt nach Ihrer Villa richten und dort meine Werbung anbringen. Und damit die Sache bald entschieden sei, werde ich sogleich fahren. Freilich werde ich dann wohl auf Ihre Begleitung verzichten müssen, denn ich weiß, daß Sie sogleich zum Fürsten Kaunitz wollen, der Sie schon erwartet, um Ihnen weitere Instructionen zu geben.
Ein düsterer, mißtrauischer Blick des Grafen Dietrichstein traf das Antlitz des Kaisers; er begegnete diesem Blick und fuhr hastiger fort: aber wenn Sie mich auch nicht begleiten können, so werden Sie mir doch nachfolgen. Ich erwarte Sie in Ihrer Villa, und bringen Sie nur gleich den Grafen Kinsky mit, damit wir ihm seine Braut entgegenführen können, wenn Sie wirklich meinen, daß meine Fürbitte bei der Comtesse von Einfluß sein wird!
Ich bin davon überzeugt, Sire. Meine Tochter Therese wird den Wünschen Ew. Majestät ebenso gehorsam sein als ich. Und so wie ich jetzt getreu den Befehlen Ew. Majestät zum Fürsten Kaunitz gehe und auf das Glück verzichte, Ew. Majestät nach meiner Villa begleiten zu können, so wird auch Therese den Befehlen Ew. Majestät gehorchen, und den Gemahl annehmen, den Ew. Majestät ihr vorschlagen.
Wir wollen es versuchen, sagte der Kaiser düster. Eilen Sie, Herr Graf, sich beim Fürsten Kaunitz zu beurlauben. Ich fahre sogleich nach Ihrer Villa, und Sie – beeilen Sie sich, mir dahin mit Ihrem Schwiegersohne nachzukommen!
Er reichte dem Grafen seine Hand dar und entließ ihn mit einem freundlichen Lächeln. Aber sobald der Graf das Zimmer verlassen hatte, schwand dieses Lächeln von dem Antlitz des Kaisers, und es nahm den Ausdruck tiefer Trauer an. Mit einem schweren Seufzer auf einen Sessel niedergleitend, schlug er beide Hände vor sein Angesicht.
So saß er lange da, unbeweglich, nur zuweilen aufächzend wie in tiefer Pein. Tiefe Stille herrschte um ihn her; aber plötzlich ward sie unterbrochen durch den hellen Klang der Kaminuhr, welche die elfte Stunde anschlug.
Der Kaiser schrak zusammen und ließ die Hände von seinem Antlitz gleiten, welches jetzt farblos war und tief bewegt. Elf Uhr! flüsterte er mit zitternden Lippen. Die Zeit verfliegt und ich muß eilen, denn ich habe mein Wort gegeben, und es ziemt mir, es zu halten! Ein Kaiser hat nicht Zeit, seinem Schmerz nachzuhängen, er darf nicht menschlich leiden, und nicht Schonung haben für sich selber! Ach, es ist zuweilen sehr schwer, seiner Pflicht zu genügen! Aber ich will es! Die Devise meines Wappens muß ich treulich erfüllen! Virtute et exemplo! Fort zu ihr!
Eine Viertelstunde später fuhr der Kaiser hinaus nach der Villa des Grafen Dietrichstein, die unfern von dem Lustschloß Schönbrunn inmitten eines Parks belegen war. Der Kaiser fuhr dahin, ganz allein in seinem Cabriolet, nur begleitet von seinem Jockey, der hinter ihm auf dem leichten Wagen saß. Die Leute auf den Straßen Wiens blieben stehen, um den Kaiser vorüberfahren zu sehen und ihn zu begrüßen; Joseph nickte freundlich nach allen Seiten hin, und Niemand sah es, wie bleich seine Wangen, und wie traurig seine Augen waren, denn der Kaiser liebte es, wie seine Mutter, rasch zu fahren, und er flog in seinem Cabriolet, das er selber leitete, flüchtig wie ein Blitz vorüber.