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Siebentes Buch.
Des Kaisers Ende.


I.
Aufruhr in den Niederlanden.

Kaiser Joseph war wieder heimgekehrt von seiner Reise in die Krim. Er hatte dort einem neuen Triumph der Kaiserin Katharina von Rußland und des Fürsten Potemkin beigewohnt. Er war Zeuge gewesen, wie Katharina in der von ihr angelegten Festung Sebastopol die ersten Grüße ihrer einstigen Kriegsflotte des schwarzen Meeres erhielt.

Potemkin hatte ihr diesen neuen Triumph bereitet. Er lud seine Kaiserin und den Kaiser Joseph zu einem Diner ein, das in einem eigens dazu errichteten Pavillon eingenommen ward. Plötzlich aber ward das Mahl durch laute Musik und Kanonendonner unterbrochen, und als die russische Kaiserin an der Hand des deutschen Kaisers, aus dem Pavillon hervortrat, sah sie da zu ihren Füßen im Golf des schwarzen Meeres ihre neue Kriegsflotte in Schlachtordnung aufgereiht, und alle diese Schiffe grüßten die Herrin durch die donnernde Jubelstimme ihrer Kanonen. Dann aber, als diese schwiegen, rief Potemkin mit begeisterter Gluth seiner Herrin zu: Diese Donnerstimmen rufen es aus, daß das schwarze Meer jetzt seine Herrin gefunden hat, und daß der russische Pavillon nur noch des Augenblicks harrt, um die Waffen und Fahnen Rußlands zu den Mauern Constantinopels hinüberzutragen. Siehe: Der Kampf um das schwarze Meer. Von Theodor Mundt. Seite 253.

An einem andern Tage hatte Joseph in einer Barke mit der Kaiserin, Potemkin und dem französischen Gesandten eine Spazierfahrt in dem Hafen von Sebastopol gemacht, um dort die neue russische Kriegsflotte näher zu besichtigen. Als sie durch die Reihe der fünfundzwanzig wohlausgerüsteten Kriegsschiffe dahin fuhren, welche in stolzem und schönem Kranz die Rhede besetzt hielten, rief Potemkin der Kaiserin zu: »Diese Schiffe harren nur Deines Winkes, um ihre Segel zu entfalten und zum Zuge nach Constantinopel in das schwarze Meer zu stechen!« Theodor Mundt: Kampf um das schwarze Meer. S. 255.

Und wie Potemkin so sprach, schaute Katharina mit stolz gehobenem Haupt und leuchtenden Augen hinüber nach jener Seite, wo das stolze Byzanz lag, das noch immer sich ihr nicht gebeugt, und glühende Siegesträume waren in ihrer Brust. Kaiser Joseph aber blickte ernst und stumm hinunter in die schäumenden Wogen des Meers, und Niemand sah das leise, spöttische Lächeln, das einen Moment seine feinen Lippen umspielte, als er Katharina und Potemkin dann wieder von der Wiederherstellung der griechischen Republiken und des alten Hellas sprechen hörte.

Er selbst glaubte nicht mehr an diese großen und sternfunkelnden Phantasieen der großen Kaiserin, die Begeisterung, mit welcher er selber einst die Pläne der Kaiserin aufgenommen und zu den seinen gemacht, war erloschen, er war wieder aus diesen berauschenden Zukunftsträumen erwacht, und die Wirklichkeit und die Gegenwart hatte seine Begeisterung längst gekühlt und sie entnüchtert mit dem Zweifel.

All dieser Glanz und diese Pracht, welche Potemkin aus dem Schutt und der Asche eines eroberten Landes hervorzauberte, um seine Kaiserin zu ergötzen, blendete nicht des Kaisers Augen. Hinter den schnell aufgerichteten Palästen sah er die Trümmer der verwüsteten Städte, hinter den jauchzenden Menschenmassen, welche Katharina begrüßten und die Potemkin von fern her hatte zusammentreiben lassen, sah Joseph die bleichen Schattengestalten der Tartaren, die mit finstern Blicken und mit heimlichen Verwünschungen auf den Lippen diese Frau anschaueten, die sich jetzt ihre Herrin nannte, und die es erst geworden, nachdem sie die Städte in Asche gelegt, das Land verwüstet und mehr als fünftausend Tartaren entweder in den Tod oder in die Fremde getrieben.

Kaiser Joseph ließ sich von all dieser Herrlichkeit der russischen Kaiserin nicht blenden, und wenn Katharina mit schwärmerischem Entzücken sich diesen stolzen Triumphen hingab, welche Potemkin ihr in ihrer neuen Provinz bereitete, so bewahrte Joseph immer sein stilles, skeptisches Lächeln, mit welchem er in unerschütterlicher Gelassenheit alle diese schönen Dinge sich betrachtete!

Aber doch wieder ging er mit liebenswürdiger Gefälligkeit auf all die ehrgeizigen Träume der Kaiserin ein, und war ihr gern behülflich, sich in allem Glanz ihrer neuen Herrscherwürde zu zeigen, und der neuen Herrscherin der Krim, welche die Städte der alten Khane zerstört hatte, jetzt zu helfen, sich neue Städte zu erbauen. Unfern von Sebastopol wollte Katharina den ersten Stein legen zu einer neuen Stadt, und sie bat Joseph, sie zu begleiten und Theil zu nehmen an der feierlichen Handlung. Der Kaiser war gern bereit dazu und begab sich mit der Kaiserin und ihrem glänzenden Gefolge hinaus auf die wüste Ebene, in welcher die neue Stadt erbaut werden sollte.

Unter dem Donner der Kanonen, unter dem Jubel der Musik und dem Zujauchzen ihrer Cavaliere legte Katharina den Grundstein zu der Stadt Ekalerinoslaw, und nach ihr nahm der Kaiser die Mauerkelle und den Mörtel und fügte den zweiten Stein dem ersten hinzu. – Er that das mit dem, diesem feierlichen Moment angemessenen Ernst, aber als er eine Stunde später mit dem französischen Gesandten, Herrn von Ségur, wie er es täglich pflegte, seinen Abendspaziergang machte, sagte er lächelnd zu ihm: Wir haben heute ein wahres Zauberwerk zu Stande gebracht, die Kaiserin und ich, denn wir haben in einer Minute den Bau einer ganzen Stadt vollendet. Die Kaiserin hat den ersten Stein gelegt und ich den letzten! Masson: Mémoires secretes sur la Russie. Vol. I.

Aber mitten in diesen Festlichkeiten und Triumphen ward Joseph aufgeschreckt durch seltsame und unerhörte Nachrichten, welche ein Courier ihm von Wien von dem Fürsten Kaunitz brachte. Der Fürst beschwor ihn, heimzukehren in sein Land, welches seines Kaisers bedürfe, denn die Flammen, welche so lange schon unter der Asche sich entzündet, waren jetzt hell emporgeschlagen, das grollende Gewitter, das sich langsam in diesen sieben Jahren der Regierung Josephs zusammengezogen, es begann jetzt sich zu entladen; in den österreichischen Niederlanden zuckten die ersten Blitze des Aufruhrs empor, sie zündeten in allen Gemüthern, die Donner der Empörung rollten durch ganz Belgien dahin, und jetzt war dies ganze Land nur noch Ein großes Gewitter, das den Kaiser bedrohte, und seine Macht und seinen Scepter zu Boden schleudern wollte.

Das waren die Nachrichten, welche Fürst Kaunitz dem Kaiser sandte, und die ihn heimriefen nach Wien. In Kisikermann, auf der Rückreise aus der Krim, nahm er Abschied von Katharinen, aber indem er es that, erneuerte er ihr sein Versprechen, wenn die Zeit gekommen, ihr beizustehen gegen die Türken, und ihre Pläne fördern zu helfen mit aller seiner Macht.

Neue Couriere waren eben aus den Niederlanden in Wien angelangt, als der Kaiser, von seiner Reise heimkehrend, dort eintraf. Ganz Belgien stand in hellen Flammen, und an der Spitze der Aufrührer standen die Priester und Bischöfe; sie waren es, welche das Volk aufreizten zur Wuth, indem sie auf die aufgehobenen Klöster, die eingezogenen Kirchen deuteten, und dem Volk sagten, der Kaiser sei ein Ungläubiger und Ketzer, welcher die katholische Kirche zertrümmern und in Asche legen, welcher seinen Unterthanen ihren Glauben und ihre Religion nehmen, und sich selber an die Stelle des Papstes setzen wolle. Die Priester waren es, welche die Studenten in Löwen aufstachelten, indem sie ihnen sagten, daß des Kaisers neue Verordnungen und Gesetze die Belgier ihrer Vorrechte und Freiheiten berauben, und ihnen die Joyeuse entrée Die Joyeuse entrée war die alte verbriefte Verfassung, welche einst Philipp der Gute bei seinem Einzug in Brüssel den Belgiern gegeben. Dieser Verfassung zufolge sollte Belgien nie mit Soldaten beschwert, die Beamten nur aus geborenen Brabantern gewählt und nichts geändert werden an den alten Gerichts- und Jagd-Privilegien. Der große Rath von Brabant sollte immer aus fünf Brabantern bestehen, und aus nur zwei fürstlichen Beamten, die indessen des flamländischen Idioms vollkommen mächtig sein sollten. Außerdem sollten der Joyeuse entrée zufolge die Brabanter nur nach ihren Landesgesetzen und von den einheimischen Behörden gerichtet werden, nie außerhalb Landes geführt, nie von fremden Richtern abgeurtheilt werden. nehmen wollten.

Und alles dieses, all dieser Aufruhr, dies Schreien und Wehegeheul, rief Joseph, als ihm Kaunitz diese Nachrichten mittheilte, alles dieses, weil ich einen Seifensieder, den reichen Franz Hondt, nach Wien habe abführen lassen, um ihn zur Verantwortung zu ziehen.

Aber die Joyeuse entrée verordnet, daß jeder Brabanter nur in seinem Lande und von Brabantern gerichtet werde, sagte der Fürst achselzuckend. Die Brabanter kennen jeden Paragraphen ihrer Verfassung sehr wohl!

Aber sie sollen auch mich kennen lernen, rief Joseph heftig. Ich werde nicht zurückweichen. Brabant ist mein, wie alle andern Provinzen meines Landes, die Brabanter sind meine Unterthanen so gut wie die Oesterreicher, die Lombarden, die Ungarn und die Böhmen. Sie sollen sich daher gleich allen Andern den Gesetzen meines Landes unterwerfen. Nicht die fanatischen Priester, nicht der Bischof von Frankenberg soll länger Herr sein in Brabant und Brüssel, ich will es sein, und auch in dieses von Priesterfanatismus und Mönchslehre verdüsterte Land will ich die Aufklärung bringen, will die Gemüther befreien von den Banden religiöser Knechtschaft, will statt eines frömmelnden, müßig betenden Volks, ein glückliches, freies, arbeitsames Volk haben.

Aber die Priester sind leider in Belgien und Brabant mächtiger als Ew. Majestät, sagte Kaunitz gelassen. Der Bischof von Frankenberg ist da der eigentliche Kaiser, denn er beherrscht die Gemüther, während Ew. Majestät nur gezwungenen Gehorsam finden. Der Bischof von Frankenberg ist es, welcher zuerst geschrieen hat gegen die von Ew. Majestät in Belgien errichteten Generalseminarien.

Ich glaube es wohl, daß der bigotte Bischof diese Seminarien haßt, rief Joseph, denn in ihnen will ich dem Volk neue Priester erziehen, damit die Kinder Levi nicht mehr mit dem Menschenverstand ein Monopol treiben können. Des Kaisers eigene Worte. Siehe: Briefe Joseph II. welcher den Bischof von Frankenberg zerschmettern will, dabei zugleich Ihre eigene Herrschaft in Belgien zerschmettern. Belgien ist ein schlimmes und gefährliches Land. Die Allmacht von tausend kleinen localen Autoritäten ist da auf den Baum der Volksfreiheit gepfropft, in Folge dessen sind unzählige Mißbräuche in die Verwaltung eingedrungen; es sind da so viele Berechtigte, welche ein Stück Privilegium auszubeuten haben, und Jeder betrachtet den Mißbrauch, von dem er Genuß und Vortheil zieht, als sein Eigenthum und sein Recht. Aber er soll erkennen lernen, der stolze Bischof von Frankenberg, daß ich auch der Kaiser bin über ihn, und daß die Hand des Papstes nicht hinüberreicht nach Brüssel, um den aufrührerischen Bischof zu beschützen vor meinem Arm, wenn der den Ungehorsamen zerschmettern will!

Aber wenn Ew. Majestät so handeln würden, sagte Kaunitz, bedächtig sein Haupt wiegend, so möchte gar leicht der Arm Eurer Majestät, und weil ich diese Mißbräuche abschaffen will, schreien sie, daß ich sie bedrohe an ihrem Eigenthum, rief Joseph schmerzlich, und weil ich ihnen neue Gesetze geben möchte, welche sie glücklich und frei machen sollen, schreien sie, daß ich ihre alten Privilegien zerstöre, und klagen mich an als einen Neuerer, der ihr Glück zerstören will. Oh, mein Freund, ich fühle zuweilen, wie mein Muth ermattet in diesem fortgesetzten Kampf mit der Dummheit, dem Eigennutz und dem Hochmuth der Menschen; es giebt Stunden, in denen ich mir schon sage, daß es sich eigentlich gar nicht der Mühe verlohnt, den Völkern die Freiheit, die Aufklärung und die Cultur zu bringen, und daß es für die Völker besser ist, wenn man sie ruhig in der Knechtschaft des Geistes, die sie nicht mehr empfinden, und in der Erniedrigung, die ihnen eine liebe Gewohnheit geworden, dahin schleichen läßt, um nichts bekümmert, als um ihr leiblich Wohl, gleich dem Thier nur dem elenden Leibesbedürfniß nachgebend, und nichts begehrend und wünschend, als ihres Leibes Nahrung!

Die Völker an sich sind auch nichts Besseres werth, sagte Kaunitz mit seiner eisernen Ruhe. Es sind gedankenlose, egoistische Kinder, die Jeder fangen und gewinnen kann, wenn er ihnen ein Stück Zucker darreicht. Ew. Majestät haben das vielleicht zu sehr versäumt, Ew. Majestät haben nicht bedacht, daß es sehr schwer hält, den Kindern, wenn sie krank sind, die nützliche Arzenei einzuflößen, und daß man sie nur dazu vermag, wenn man ihnen zugleich ein Stückchen Kuchen oder ein Spielzeug giebt. Die Belgier sind auch solche kranke Kinder. Die Joyeuse entrée hat sie krank gemacht, und Ew. Majestät wollen sie nur heilen mit bittern Arzeneien, und mit Pillen, die nicht einmal versilbert sind! Das geht nicht, Sire, selbst der geschickteste Arzt muß etwas Hocuspocus treiben, und dem Bitterwasser einigen Zuckerstoff beimischen, damit es trinkbar wird. Ew. Majestät sind zu ehrlich verfahren, zu offen gewesen in Ihren Angriffen gegen das, was die Belgier ihre verbrieften Freiheiten, wir aber verrottete und schändliche Privilegien nennen. Vieles läßt sich thun, wenn man es nur zu verhüllen weiß, und wenn man langsam vorwärts schreitet. Ew. Majestät hätten langsam, Tag um Tag, das alte Gebäude der Joyeuse entrée unterminiren müssen, bis es endlich von selbst zusammengefallen wäre, ganz ohne Geräusch und Aufsehen. Aber statt dessen wollten Sie es an Einem Tage durch eine Pulvermine in die Luft sprengen, und nun schreien diese großen Kinder, es brenne in dem Tempel ihrer Freiheiten, und Ew. Majestät sei es, welcher das Feuer angelegt. Hätten Ew. Majestät den betrügerischen Seifensieder nicht nach Wien abgeführt, sondern ihn richten lassen nach den Gesetzen seines Landes, so würden die guten Brabanter ihn als Verbrecher gestraft haben, während er ihnen jetzt als ein Märtyrer ihrer Freiheit erscheint, und sie um ihn weinen und jammern, als um ein Kleinod, das man ihnen entführt hat!

Ich kann nicht Winkelzüge machen, kann nicht heucheln und schmeicheln, rief der Kaiser. Grade aus ist mein Weg, mit raschem Schritt muß ich ihn vorwärts schreiten, und die Wahrheit ist das Banner, das ich in Händen halte!

Aber auf diesem Wege und mit diesem Banner in der Hand werden Ew. Majestät zuletzt vor einem Abgrund anlangen, den Ihre im Hinterhalt lauernden Feinde Ihnen gegraben, und den sie so sorgsam verdeckt haben, daß Ew. Majestät ihn nicht eher bemerken können, als bis Sie in ihm versinken! Die Politik kann nicht grade aus gehen, sie muß immer Seitenwege neben der graden Straße anlegen, sie muß sich auch immer einige Schlupfwinkel offen halten, in denen sie sich bergen kann, wenn es stürmt und ungewittert, und wenn auch die Wahrheit immer ihre Standarte ist, so thut sie doch gut, einen Schleier darüber zu breiten, daß man sie nur halb unkenntlich hinter demselben hindurch glitzern sieht.

Sie mögen Recht haben, seufzte der Kaiser, aber es ist traurig, daß es so ist. Ich hatte es so gut und ehrlich im Sinn! Ich wollte meinen Völkern das Glück bringen und die Freiheit, und sie verkennen meine Absicht und beschuldigen mich der Tyrannei. Ich habe ihnen ein Herz voll Liebe entgegen getragen, und sie schreien wider mich, als sei ich ihr Feind, der sie haßt und sie in's Verderben stürzen will. Aber gleich viel! Der Undank der Menschen soll mich nicht irre machen in dem, was ich als recht und groß und gut erkannt habe! Und das Geschrei der Belgier soll mich nicht bestimmen, meinen Willen zu ändern, der nur das Beste meines Volkes beabsichtigt. Mit gebundenen Händen kann Niemand arbeiten, mit geknebeltem Munde kann Niemand Urtheil sprechen und Recht. Die Joyeuse entrée bindet meine Hände und knebelt meinen Mund, sie ist der gordische Knoten, den ich auflösen oder zerhauen muß, um Belgien mein zu nennen; das Auflösen würde zu lange dauern, also zerhaue ich ihn!

Eben öffnete sich die Thür der Kanzlei, einer der Cabinets-Secretaire trat ein, und schritt hastig zu dem Fürsten hin.

Soeben, sagte er, ist ein Courier aus Brüssel angelangt und bringt Depeschen vom Grafen Belgiojoso an Ew. Durchlaucht. Da der Courier Ew. Durchlaucht nicht zu Hause traf, ist er hierher gekommen.

Ich hatte befohlen, wenn Couriere anlangten, sie herzusenden, damit ich Ew. Majestät sofort Bericht abstatten könnte, bemerkte Kaunitz, indem er die Papiere nahm und den Secretair mit einem stummen Wink bedeutete, hinauszugehen. Erlauben Ew. Majestät, daß ich die Depeschen lese?

Ich bitte Sie darum, sagte der Kaiser hastig. Hoffentlich bringen sie uns gute Nachrichten! Ich habe Belgiojoso strenge Verhaltungsbefehle gegeben, er soll meinen Willen durchführen, er soll den Belgiern beweisen, daß ihr Kaiser sich nicht einschüchtern läßt. Er soll ihnen sagen, daß ich, unbekümmert um ihre alten, verrotteten Privilegien, ihnen ihren kostbaren Seifensieder nicht wieder schicken werde. Er hat mich, seinen Landesherrn, betrogen, und es ist mein gutes Recht, den Betrüger richten zu lassen nach meinen Gesetzen. Er soll ihnen ferner sagen, daß sie gleich allen andern Provinzen meines Reichs auch außerordentliche Abgaben entrichten müssen, ohne daß ich erst den Brabanter großen Rath um Erlaubniß gefragt habe.

Belgiojoso hat den Belgiern das Alles gesagt, und sie nach dem Willen Ew. Majestät beschieden, sagte Kaunitz, der eben mit dem Lesen der ersten Depesche zu Ende war. Er hat ihnen gesagt, daß der Seifensieder Hondt in Wien bleiben und nach den dortigen Gesetzen gerichtet werden würde, obwohl er ein Brabanter sei. Dafür hat das gute Volk von Brüssel dem Grafen Belgiojoso die Fenster eingeworfen.

Oh, sie sollen mir diese Fenster wohl bezahlen, rief der Kaiser zornig.

Und ferner, fuhr Kaunitz ruhig fort, ferner hat er den Ständen der sieben Provinzen gesagt, daß sie außerordentliche Abgaben auf Befehl Ew. Majestät zahlen müßten, wenn auch der achte Artikel ihrer Joyeuse entrée besagt, daß der Fürst dem belgischen Volk keine Abgaben auferlegen könnte ohne Bewilligung der Stände. Darauf haben sie ihm geantwortet mit dem neunundfunfzigsten Artikel ihrer Joyeuse entrée.

Und wie lautet dieser neunundfunfzigste Artikel ihrer Verfassung?

Er lautet: »Wenn der Fürst sich in irgend einer Weise gegen die eingegangenen Verbindlichkeiten vergeht, wenn er die Vorrechte und Privilegien der Stände mißachtet und etwas anordnet und befiehlt, was den Artikeln der Joyeuse entrée zuwider ist, so sollen ihm die Stände und das Volk keinen Gehorsam mehr schuldig und nicht mehr verpflichtet sein, seinen Bedürfnissen zu genügen.«

Das ist die Sprache des Aufruhrs und der Empörung! rief der Kaiser.

Es ist auch abermals zu Aufruhr und Empörung gekommen, sagte Kaunitz, der die zweite Depesche entfaltet und gelesen hatte. Das Volk hat sich in Mecheln und in Brüssel auf den Straßen zusammengerottet, die Bürger haben sich zu Tausenden bewaffnet und sind mit drohendem Geschrei und unter Absingung aufrührerischer Lieder nach dem Palast des kaiserlichen General-Gouverneurs gezogen. Sie haben den Palast umzingelt, und während das andere Volk zu ganzen Schaaren sich auf dem Platz und in den angrenzenden Straßen drängte, haben die bewaffneten Bürger verlangt, daß man ihnen die Thore des Schlosses öffne und sie zu dem General-Gouverneur führe, dem sie die Wünsche des belgischen Volkes vorzutragen hätten.

Und hat mein Schwager, der Herzog von Sachsen-Teschen, sie angenommen? fragte der Kaiser hastig.

Ja, Sire, er hat sie angenommen, sagte Kaunitz, mit einem düstern Blick auf die Depeschen.

Und was hat er den Aufrührern auf ihre unverschämten Forderungen erwiedert? Sie schweigen, Kaunitz? Ah, ich lese in Ihren Blicken, daß es nichts Gutes ist! Ich kenne ja meinen Schwager Albrecht, oder vielmehr, ich kenne meine Schwester Christine, denn sie spricht immer aus ihrem schwachen Mann, sie ist ihres Mannes Mann! Und Christine ist immer meine Feindin gewesen, von frühester Jugend an ist sie mir stets feindlich gewesen, hat immer zwischen mir und meiner Mutter gestanden, hat alle meine Pläne gekreuzt und verdächtigt, alle meine Schritte zu hemmen gesucht. Oh, Christine wird ihren schwachen Gemahl auch in Brüssel haben eine Antwort sagen lassen, von der sie weiß, daß sie meinen Wünschen entgegen ist!

Es scheint, daß Ew. Majestät Recht haben, sagte Kaunitz mit seiner eisernen Ruhe. Die Bürger haben von dem General-Gouverneur, Herzog Albrecht von Sachsen-Teschen, die ausdrückliche Erklärung verlangt, daß er die Joyeuse entrée in allen ihren Artikeln anerkennen und sofort wieder herstellen solle, und daß Alles und Jedes, was derselben zuwider sei, sofort abgeschafft werden solle.

Nun, sagte Joseph aufathmend, diese Forderungen sind wenigstens so unverschämt, daß selbst meine Schwester Christine, wie sehr sie auch heimlich meine Feindin sein mag, sie doch nicht bewilligen konnte, um ihrer Würde nichts zu vergeben! Ich bin begierig zu erfahren, wie also mein Herr Schwager sich da herausgewunden und mit was für süßen Schmeichelworten er die Leute abgewiesen hat! Sagen Sie also, Kaunitz, wie war es? Was hat er gesagt?

Er hat sich Bedenkzeit ausgebeten, Sire, zwölf Stunden Bedenkzeit. Die Bürger kamen um eilf Uhr Vormittags, um eilf Uhr Nachts wollte er ihnen Antwort geben auf ihre Forderungen.

Und die Leute kehrten ruhig heim?

Nein, Sire, sie lagerten sich um den Palast, und immer neue bewaffnete Schaaren kamen hinzu, und in einigen Stunden glich der ganze große Schloßraum nur einem ungeheuren Waffenplatz, und hinter den Bewaffneten stand das Volk zu Tausenden, es füllte die benachbarten Straßen, es kletterte auf die Bäume und auf die Dächer, und Alles schrie und heulte, und donnerte und brüllte: Gebt uns die Joyeuse entrée wieder! Die Joyeuse entrée wollen wir haben!

Kaunitz, Sie würden die Wuth des Volkes weniger lebendig ausmalen, wenn die Antwort des Herzogs nicht eine feige und erbärmliche gewesen wäre! rief Joseph heftig. Was hat er dem aufrührerischen Volk nach abgelaufener Frist geantwortet? Sagen Sie rasch!

Sire, als die zwölf Stunden verflossen waren, als es eilf Uhr schlug, warteten die Bürger nicht, daß ihnen die Schloßthore geöffnet würden, sondern sie schlugen sie selber ein, zweihundert bewaffnete Bürger stürzten in's Schloß, und traten unangemeldet zu dem Herzog ein, um sich seine Antwort abzufordern.

Nun, Kaunitz, und seine Antwort?

Der General-Gouverneur hat ihnen bewilligt, was sie forderten, er hat die Joyeuse entrée wieder in allen ihren Punkten hergestellt!

Der Kaiser stieß einen Schrei des Zorns aus, und eine tiefe Blässe überzog plötzlich seine Wangen. Er hat die Joyeuse entrée wieder hergestellt, rief er. Oh, sagte ich es Ihnen nicht zuvor, Christine ist meine erbitterte Feindin? sie ist es, die mir diese neue Schmach zugefügt hat! Widerrufen! Sie haben widerrufen, was ich befohlen habe! Das Geheul des wüthenden Pöbels hat genügt, um meine Autorität umzustoßen, meinen Willen zu brechen! Oh, was werden sie gelacht haben, diese elenden Empörer, als sie blos mit dem verpesteten Athem ihres Mundes meine Befehle wie Kartenhäuser umstoßen konnten, wie elend mußte ihnen dieser Kaiser dünken, der das Gute selbst nur so lange will, als es nicht angefeindet wird, der dem Schlechten den Sieg läßt, sobald es sich zum Kampf gegen das Gute erhebt.

Nein, Sire, diese Leute haben weder gelacht noch gehöhnt, sagte Kaunitz ruhig, sie sind blos selig gewesen, sie sind die ganze Nacht hindurch jauchzend und lobsingend durch die Straßen gezogen, sie haben am andern Tage ganz Brüssel illuminirt, und sechshundert junge Leute haben sich vor den Wagen des Herzogs und seiner Gemahlin gespannt, und haben sie in's Schauspielhaus gezogen unter dem lauten Jubelrufen: Vive l'Empereur! Vive la Joyeuse entrée! Groß-Hoffinger III. 201 und Hübner II. S. 447.

Vive l'Empereur! rief der Kaiser höhnisch lächelnd. Sie wollen es mit mir machen, wie die Wilden mit ihrem hölzernen Götzen. Wenn er ihnen nicht den Willen thut, so prügeln sie ihn, und nachher, wenn der Zufall thut, was sie wünschten, so heben sie den geprügelten Götzen wieder auf den Altar und beten ihn an. Ich will ihnen aber beweisen, daß ich kein hölzerner Götze bin, sondern ein Mann und ein Fürst, welcher das Schwert zu führen und den ihm angethanen Schimpf zu rächen weiß. Nur in Blut kann das Feuer des Aufruhrs gelöscht werden, und also will ich es löschen mit dem Blute der Empörer! Des Kaisers eigene Worte. Siehe: Coxe history of the house of Austria. Vol. IV. p. 478.

Aber es ist auch schon manche Krone untergegangen in den Wogen vergossenen Menschenblutes, sagte Kaunitz bedächtig, und mancher edle Fürst ist in der Geschichte als Tyrann gebrandmarkt worden, blos weil er das Gute mit Gewalt durchsetzen wollte, und weil er die Bösen, die ihm widerstrebten, züchtigte. Die aufrührerischen Stände haben einen Schein von Recht für sich, und dieser Schein wird sich als Märtyrerglorie um ihre Stirn legen, wenn Ew. Majestät mit Härte und Strenge gegen sie verfahren!

Und doch bin ich, ich allein der Märtyrer! rief Joseph schmerzlich, der Märtyrer der Freiheit und der Aufklärung! Oh, Kaunitz, wie das wehe thut, sich mit seinen besten Absichten, seinem reinsten Willen verkannt zu sehen, es dulden zu müssen, daß die, welche man liebt, irre geleitet werden von der Bosheit, der Heuchelei und dem Uebelwollen unserer Feinde! Ich muß das Volk strafen, und doch sind es die Mönche und Priester allein, welche Alles verschuldet haben. Sie haben mir diesen Aufruhr angestiftet, sie stehen hinter den Coulissen und lassen die Stände und die Bürger wie Marionetten agiren, sie halten sie an ihren Drähten und setzen sie in Bewegung ungesehen und wohl geborgen.

Und weil es so ist, Sire, und weil das Volk nicht der eigentliche Aufrührer ist, sondern die Priesterschaft, so geben Sie dem Volk und den Ständen noch eine Frist, versuchen Sie es noch einmal mit väterlicher Milde und Geduld. Vielleicht, daß es damit gelingt, den Aufruhr zu stillen.

Aufruhr? fragte der Kaiser befremdet. Der Aufruhr ist ja beseitigt. Der General-Gouverneur hat ihnen ja die Joyeuse entrée wiedergegeben, er hat den Ständen ja den Willen gethan!

Und doch sind neue Tumulte schon am folgenden Tage entstanden, Sire. Man hat den Versprechungen des General-Gouverneurs, wie es scheint, gemißtraut; in Brüssel, in Mecheln, überall haben sich die Bürger bewaffnet und durchziehen in Patrouillen die Stadt, die Priester rufen mit fanatischem Geschrei das Volk zum Kampf auf für die Kirche und den Glauben, aufrührerische Schriften, Brandbriefe und Pasquille scheinen vom Himmel niederzuregnen, denn sie liegen an jedem Morgen neu auf den Straßen, ganz Belgien steht da wie Ein Mann, und wartet auf die Entscheidung Ew. Majestät. Sie müssen jetzt das ganze Volk niederschmettern, wenn Sie Ihren Willen mit Gewalt durchsetzen wollen! Man muß aber niemals zu solchen äußersten Mitteln schreiten, so lange man noch nicht alle andern Mittel erschöpft hat.

Und welches andere Mittel rathen Sie mir an? rief der Kaiser heftig. Soll ich unterhandeln mit dem Pöbel?

Nein, Sire, aber unterhandeln mit dem Volk! Wenn das ganze Volk vereinigt dasteht, ist es seinem Fürsten ebenbürtig, und er erniedrigt sich nicht, wenn er ihm milde und wohlmeinend begegnet. Noch haben Ew. Majestät in diesen Streitigkeiten nicht persönlich zu Ihrem Volk gesprochen, versuchen Sie es damit. Berufen Sie Abgeordnete aller Provinzen und der drei Stände hierher nach Wien, um mit ihnen zu unterhandeln. Damit werden Sie Zeit gewinnen, die erste Hitze der Aufrührer wird sich abkühlen, sie werden wieder nüchtern und besonnen werden, und warten auf das Ende der Unterhandlungen hier in Wien. Wenn man es aber mit einem aufrührerischen Volk erst bis zum Waffenstillstand der Unterhandlungen gebracht hat, so ist das Volk auch schon so gut wie besiegt, denn in seiner kindlichen Arglosigkeit versteht es sich sehr schlecht auf Diplomatenkünste. Unterhandeln Ew. Majestät also! Lassen Sie Deputirte hersenden! Rufen Sie mit väterlichem und gütigem Wort diese Deputirten hierher!

Nun wohl, es sei, sagte der Kaiser nach langem Besinnen. Ich will Ihnen nachgeben, will meinen Stolz bezwingen zum Wohl dieses armen, von fanatischen Priestern irre geleiteten Volks. Ich will Deputirte aller Provinzen und der drei Stände und außerdem den General-Gouverneur mit seiner Gemahlin und meinen Militair-Bevollmächtigten herbeirufen. Sie Alle sollen mir Rechenschaft geben und mir ihre Klagen und Wünsche vortragen. Ich will sie noch einmal als Vater und Freund anhören, ehe ich sie als Richter verdamme. Wenn aber auch dieser letzte Schritt meiner Güte nicht fruchtet, wenn die Belgier fortfahren in ihren Ausschweifungen und Empörungen, dann werden sie auch die Folgen zu tragen haben, und nicht auf mich, sondern auf sie allein komme dann die Schuld des vergossenen Blutes! Des Kaisers eigene Worte. Siehe: Hübner II. S. 454.


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