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III.
Der letzte Liebestraum.

Therese von Dietrichstein war allein in dem kleinen Pavillon am Ende des Parks. Dieser Pavillon gehörte ihr allein; für sie hatte ihr Vater ihn erbauen lassen ganz nach den Wünschen und dem Begehr seiner Tochter. Der Pavillon bestand aus einem kleinen Salon und einem Cabinet. In dem Salon empfing Therese ihre Gäste, ihren Vater, ihre Tante, oder die nächsten Freunde ihres Hauses, er war mit der äußersten Eleganz und doch ohne allen Prunk eingerichtet, und man konnte darin füglich die vornehmsten, wie die bescheidensten Gäste aufnehmen. Das Cabinet aber durfte Niemand ohne Theresens besondere Einwilligung betreten, es war ihr Sanctuarium, ihre Zelle, ihr Atelier. Dort feierte das junge Mädchen ihre stillen heiligen Andachtsstunden, dort hing sie in ungestörter Stille ihren jungen Mädchenträumen nach, dort verwandelte sich die Gräfin in eine Künstlerin, welche mit tiefem Ernst die Künste, welche sie liebte, und denen sie sich hingegeben, übte und studirte. Therese war eine Virtuosin auf dem Clavier und der Harfe, und eine ausgezeichnete Malerin. Ihr Vater und ihre nächsten und vertrautesten Freunde wußten das; Niemand sonst hatte Proben davon, denn Therese war scheu wie eine Gazelle, sie verbarg mit erröthender Schüchternheit ihre Talente vor jedem fremden Blick und Ohr.

In der glänzenden Villa und in dem Hôtel ihres Vaters war sie die vornehme Dame, die stolze Grafentochter, welche es sehr wohl verstand, zu repräsentiren, welche in dem Salon ihres Vaters statt ihrer Mutter die Dame des Hauses machte, und alle Welt entzückte durch ihre Anmuth, ihre Schönheit und ihren Geist. In ihrem Pavillon aber war Therese nur die Künstlerin oder das träumerische junge Mädchen. In ihrem Cabinet stand ihre Harfe, ihr Clavier, und nahe an dem großen Fenster die Staffelei, an welcher sie malte, daneben der runde Tisch, auf welchem ihr Zeichenbrett, bunte Farben und Stifte lagen.

Wenn sie in dem Cabinet war und malte oder musicirte, mußte ihre Kammerfrau draußen vor dem Pavillon Wache halten, um, sobald irgend ein Besuch durch die Allee, den einzigen Weg, der zu dem Pavillon führte, sich nahete, sofort zu ihrer Herrin zu eilen und ihr Nachricht davon zu geben. Dann erhob sich Therese von ihrer Harfe oder von ihrer Staffelei, und trat aus dem Cabinet, dessen einzige Thür sie sorgfältig hinter sich verschloß, in den Salon, um dort ihre Gäste zu empfangen.

Heute war Therese in ihrem Cabinet, und da sie keinen Besuch zu fürchten hatte, denn ihr Vater war mit ihrer Tante nach Wien gefahren und wollte erst am Nachmittag zurückkehren; da sie also bis dahin sicher war, ganz allein zu sein, hatte sie die Portière, welche in den Salon, und die Thür, welche von da in den Garten führte, nicht geschlossen. Die schöne frische Sommerluft sollte durch Thür und Fenster zu ihr eindringen, der Garten sollte ihr seine Düfte und das sanfte Bäumerauschen herein senden. Sie war ja ganz sicher, nicht gestört und überrascht zu werden, denn draußen im Garten unfern von dem Pavillon saß ja ihre treue Kammerfrau und hielt Wache, daß kein Unbefugter sich nahen durfte.

Therese war also ganz unbesorgt. Sie durfte sich zwanglos ihren Phantasieen und Träumen hingeben, durfte thun und treiben, was ihr beliebte. Sie hatte eben musicirt, zu ihrer Harfe hatte sie sich ein Lied gesungen, das sie selber gedichtet und componirt. Die letzten Töne dieses Liedes waren eben verhallt; Therese ließ ihre weißen durchsichtigen Hände von den Saiten niedergleiten und lehnte ihre Stirn an die goldene Säule ihrer Harfe. Der goldene Adler, der sich auf der Spitze der Säule befand, schwebte mit seinen weit ausgebreiteten Schwingen über dem Haupt Theresens, als wolle er sie beschützen mit seinen Fittigen und die Pfeile des Unglücks von ihr abwenden.

Das junge Mädchen überließ sich ihren Träumen; die Worte des traurigen Liedes, das sie eben gesungen, schienen noch in ihr nachzuklingen, denn sie seufzte tief auf, und zwei Thränen glitten langsam über ihre Wangen nieder. Wer sie so gesehen hätte in ihrer schwermuthsvollen Haltung, in diesem leichten luftigen weißen Negligé, das lose und malerisch ihre edle stolze Gestalt umhüllte und in langen wallenden Falten bis auf die Füße herunterfiel, wer sie so gesehen, das schöne Haupt geneigt an die Harfe, die schönen, nur halb von den weiten weißen Aermeln verhüllten Arme nachlässig im Schooße ruhend, die bleichen und durchsichtigen Wangen von Thränen bethaut, der hätte die zarte, edle und schöne Erscheinung wohl für den Genius der Musik halten mögen, der, an die Harfe gelehnt, an dem Grabe irgend eines großen Künstlers trauere.

Aber Therese war nur mit ihrem eigenen Leid beschäftigt, sie trauerte nur um sich selber, und die Thränen, die über ihre Wangen niederglitten, galten dem Kummer, der tief in ihrer Seele schlummerte, und den sie niemals zu Worten aufwachsen ließ, den sie sich selber kaum zu gestehen wagte.

Als daher die Thränen jetzt von ihren Wangen auf ihre Hände niederfielen, schrak sie zusammen, als habe eine brennende Kohle sie berührt, und hob hastig ihr Haupt empor. Ein ängstlicher Blick ihrer großen dunkelblauen Augen irrte in dem Gemach umher, ein leises Roth flog über ihre Wangen hin, als erröthe sie über diese Thränen, welche ihr Herz verrathen.

Ich will nicht weinen, sagte sie leise. Niemand darf ahnen, daß mein Herz trauert, ich selber kaum! Nein, ich will nicht weinen! Ich will mein Geschick annehmen und es schweigend tragen! Schweigend und muthig! Für mich giebt es auf Erden kein Glück, aber das Unglück will ich mir fern halten und mich nicht einschmieden lassen in seine Fesseln. Frei will ich sein und bleiben, und keine Drohungen und keine Bitten sollen mich vermögen, meine traurige Freiheit aufzugeben. Ich will wenigstens das Recht haben, weinen zu dürfen, ohne daß meine Thränen mich anklagen, träumen zu dürfen, ohne daß meine Träume ein Verbrechen sind! Ich nehme mein Schicksal an, aber nur von meinem eigenen Herzen; ich will meinen einsamen stillen Weg durch das Leben dahin gehen, und wenn sie mich mit Gewalt davon forttreiben wollen, so flüchte ich mich in ein Kloster! Ja, rief sie ganz laut und begeistert, ja, dann flüchte ich in ein Kloster!

Und warum in ein Kloster? fragte eine sanfte Stimme hinter ihr.

Therese stieß einen Schrei aus und sprang so rasch empor, daß die Harfe mit einem schrillenden Klang zurückfiel an die nahe Wand.

Therese kannte diese sanfte Stimme gar wohl, sie war die Musik ihrer Träume, das heimliche Entzücken ihres Herzens, und wie sie jetzt so unvorbereitet, so unerwartet an ihr Ohr schlug, hatte das junge Mädchen ein Gefühl, als ob ein Blitz ihr Herz treffe, als ob sie sterben müßte, sie wußte selber nicht, ob vor Entsetzen oder vor Glückseligkeit.

Joseph! rief sie laut, sich selber unbewußt, und ganz ermattet, ganz überwältigt sank sie wieder nieder auf den Sessel. Ihre Arme fielen kraftlos nieder, ihr Haupt neigte sich auf ihre Brust, ein Zittern durchflog ihre ganze Gestalt.

Sofort war der Kaiser an ihrer Seite. Mit dem Ausdruck tiefen Erschreckens neigte er sich zu ihr nieder und faßte ihre Hände.

Verzeihung, Comtesse, sagte er leise, ich habe Sie erschreckt. Es war unrecht von mir, daß ich es wagte, unangemeldet bei Ihnen einzutreten und die Kammerfrau fortzuschicken, die mich annonciren wollte. Oh mein Gott, in meinem Egoismus dachte ich nur an mich, nur daran, daß ich nicht eine Minute länger warten wollte, Sie zu sehen, und daß das Annonciren das verzögern würde. Oh, sagen Sie mir, daß Sie mir verzeihen, Comtesse, schauen Sie mich an und lassen Sie mich in Ihrem Antlitz lesen, daß Sie mir vergeben haben!

Sie hob langsam ihr Haupt empor und schaute ihn an. Sie wollte sagen, daß sie ihm nicht zürne, aber das Wort verstummte auf ihren Lippen; der Kaiser bannte es mit seinen großen blauen Augen, die mit einem Ausdruck unaussprechlicher Zärtlichkeit auf ihr ruhten. Sie hatte nicht die Kraft, diesen Augen auszuweichen, diese tiefen zärtlichen Augen bannten sie wie ein Zauberkreis und schienen mit magischer Kraft die geheimsten Gedanken ihres Herzens hervorzulocken und sie aus ihren Blicken sprechen zu lassen.

Verstand der Kaiser, was diese Blicke zu ihm sagten?

Er schaute sie noch immer an, so tiefernst, so zärtlich und durchdringend. Sie versuchte, sich diesem Zauber zu entwinden, sie wollte die Augen niederschlagen, das erhobene Haupt senken, und aufstehen. Er drückte sie sanft wieder in ihren Sessel nieder und bat leise: bleiben Sie! Und als sie ihr Haupt senkte, legte er mit einem unaussprechlichen Ausdruck seine beiden Hände an ihre Wangen, und hob ihr Haupt empor und schaute sie an.

Oh, entziehe mir nicht Dein Antlitz, Therese, flüsterte er leise. Ich habe es so lange nicht gesehen, so ewig lange nicht! Laß mich Abschied nehmen von diesem letzten schönen Traum meines Lebens, Abschied von Deinem Engelsangesicht.

Sie zuckte schmerzlich zusammen und fragte leise: Abschied?

Ja, so ist es! sagte Joseph. Abschied! heißt das Wort, welches mich hergeführt. Sie haben mein Herz errathen, die klugen Menschen, sie haben das Geheimniß ausgespürt, von dem ich glaubte, daß nur ich und Gott es kenne. Und doch habe ich Dir niemals gesagt, wie unaussprechlich ich Dich liebe! Aber meine Augen haben es doch verrathen, und seit jenem Abend, wo ich in Schönbrunn die Rose aufnahm und sie küßte, die Dir vom Busen gefallen, seit jenem Abend habe ich Dich nicht wieder gesehen. Ich hätte es Dir nie gesagt, daß ich Dich liebe, aber der Schmerz und die Ueberraschung dieser Stunde entlockt mir dieses Wort. Es wird vor Deinen Ohren verklingen, wie eine fremde Melodie, die Du einst von einem armen vorüberziehenden Wanderer vernommen, und Du wirst sie vergessen unter den Jubelklängen Deines schönen glücklichen Lebens!

Er ließ seine Hände langsam von ihrem Antlitz niedergleiten und wandte sich ab, um die Thränen nicht sehen zu lassen, die seine Augen verdüsterten.

Therese stand auf, sie wollte fliehen, und vermochte es doch nicht, ein süßer Schauer durchrieselte ihre ganze Gestalt und machte das Blut in ihren Adern stocken, und ihr Herz still stehen, und dann wieder so heftig und stürmisch schlagen.

Der Kaiser wandte sich wieder zu ihr hin, und sein Antlitz war jetzt ernst und gefaßt. Er hatte sich überwältigen lassen von dem ersten Moment des Wiedersehens, das fühlte er mit Beschämung, und er wollte jetzt wieder gut machen.

Schweigend nahm er die Hand Theresens und führte sie zu dem Divan hin, in welchen er sie mit sanfter Gewalt niederdrückte. Sie ließ es geschehen, sie hatte keinen eigenen Willen mehr, sie war sich keines andern Gedankens bewußt, als daß Er da war, Er, dessen Name in ihrem Herzen brannte, und den ihre Lippen kaum zu nennen wagten. Ihre ganze Seele lag in dem Blick, mit welchem sie zu ihm aufschaute, zu ihm, der mit verschränkten Armen vor ihr stand und sie betrachtete, wie man ein ideales Kunstwerk, ein angebetetes Heiligenbild betrachtet.

Therese, sagte Joseph nach einer langen Pause, warum sagten Sie vorher, daß Sie in ein Kloster flüchten wollten?

Therese schrak zusammen, und das Lächeln erblaßte auf ihrem Antlitz, denn seine Stimme kam ihr jetzt so kalt und hart vor. Joseph verstand ihren Blick und neigte sich nieder zu ihr, und wiederholte mit leiser, weicher Stimme seine Frage.

Wenn mein Vater mich zwingen will zu einer verhaßten Vermählung, dann flüchte ich mich in ein Kloster, sagte Therese, die unter dem Zauber seiner Blicke die Wahrheit aus ihrem Herzen auf ihre Lippen hervorströmen fühlte, wie der Duft aus dem Kelche der Rose steigt.

Aber Sie werden ihm doch folgen und nachgeben müssen, Therese, sagte er traurig, eingedenk des Versprechens, das er dem Grafen gegeben. Sie werden sich vermählen müssen.

Ich werde es niemals thun, rief sie heftig, ich werde mich niemals vermählen.

Es ist indessen die Bestimmung des Weibes, sagte Joseph, das Weib soll dem Gatten folgen.

Wenn sie ihn liebt, unterbrach sie ihn rasch. Oh, es muß süß und köstlich sein, mit dem Geliebten in die Welt hinauszugehen, mit ihm Leid und Freude zu theilen, ihm sich hinzugeben mit allen Gedanken, allen Wünschen, aller Begeisterung der Seele, aller Gluth des Herzens, für ihn zu leben in Liebe, für ihn, wenn Gott diese Gnade gewährt, zu sterben in Liebe.

Therese! rief Joseph mit leidenschaftlicher Innigkeit, über dem Anschauen ihres strahlenden, begeisterten Angesichts all seiner Vorsätze, seiner Versprechungen vergessend.

Sie schrak zusammen bei ihrem Namen und schien wie aus einer Verzückung zu erwachen. Tief erröthend senkte sie ihre Blicke nieder. Ich werde ein solches Glück nie kennen lernen, sagte sie, ich werde mich nie vermählen!

Nie?

Nein, nie!

Und warum nicht? fragte er heftig. Warum wollen Sie, so jung, so schön, so begeistert und glühend, warum wollen Sie schon jetzt, am Eingang in das Leben, verzichten auf das Glück desselben? Warum wollen Sie sich nie vermählen?

Therese antwortete ihm nicht. Sie saß da mit niedergeschlagenen Augen, beschämt, verwirrt, und in dieser Verwirrung überaus reizend anzuschauen.

Sagen Sie es mir, Therese, bat er dringender, vertrauen Sie es mir, mir, dem Ihr Wohl und Ihr Glück theurer ist, als sein eigenes Leben, sagen Sie es mir, warum wollen Sie sich nicht vermählen?

Therese antwortete noch immer nicht.

Joseph neigte sich zu ihr nieder und faßte ihre Hände, die in ihrem Schooß ruhten, und diese Berührung schien sie Beide zu durchglühen, wie ein elektrischer Funke, denn Beide schraken sie zusammen, Beide errötheten sie.

Oh, schau mich an, Therese, flüsterte er leise, hebe Dein Antlitz zu mir empor und laß mich in Deinen Augen die Antwort lesen, die mir Deine Lippen versagen. Schau mich an, Therese, denn Dein Antlitz ist mein Himmel und mein Licht, und wenn ich es nicht sehe, ist es trübe um mich und kalt.

Therese hatte nicht die Kraft, ihm zu gehorchen, sie neigte ihr Haupt tiefer, und bange Seufzer hoben ihre Brust.

Joseph, kaum wissend, was er that, kniete vor ihr nieder, um ihr in's Antlitz zu sehen, um in ihren Mienen zu lesen, um ihre Augen zu schauen. Vor ihr auf den Knieen liegend, ihre Hände in den seinen, sein Antlitz nahe dem ihren, sah er sie an mit seinen flammenden Blicken und flüsterte: warum willst Du Dich nicht vermählen?

Der Zauber seiner Augen wirkte wieder auf sie; wider Willen hob sie ihre Blicke empor und begegnete den seinen, wider Willen, betäubt, selig, befangen von seiner Nähe, seinem Anschauen, seinen Worten, wider Willen flüsterte sie: Weil ich Dich liebe!

Hatte sie das wirklich gesprochen? War sie wirklich von ihren Lippen gehaucht, diese süße, heilige Musik? Waren es nicht die Bäume gewesen, die sie gerauscht? Hatten sie nicht die Vögel gesungen, die vorüberflatterten an den Fenstern? Hatte sie nicht der Himmel geflüstert, der so rein und blau zu ihnen hernieder schauete?

Hatte Therese wirklich diese süße, heilige Musik von ihren Lippen tönen lassen, diese Musik, welche Josephs Herz mit süßen Schauern erfüllte und sein Antlitz strahlen machte wie im Sonnenglanz?

Er kniete noch immer vor ihr und hielt ihre zuckenden Hände in den seinen und schaute sie an mit einem stolzen, seligen Lächeln.

Und so habe ich Dich endlich gefunden, Du letzter Stern meines düstern, einsamen Lebens, sagte er nach einer langen Pause, so bist Du endlich mein geworden, Du schüchterne Gazelle, die scheu vor mir her floh, immer höher, höher hinauf den steilen Pfad, höher hinauf in Schnee und Eis? Endlich, hoch oben in den Schneeregionen des Lebens, da hat sie sich mir ergeben, meine süße Gazelle. Oh, Therese, warum erst in den Schneeregionen, warum habe ich Dich nicht gefunden am Anfang meiner Laufbahn, warum erst jetzt, da ich ein Mann bin, ein alternder, von Sorgen gebeugter Mann? Und dennoch danke ich Dir, daß ich Dich jetzt finde, denn Du giebst mir meine Jugend wieder, meine Illusionen und Jünglingsträume. Wenn ich Dich anschaue, bin ich wieder jung und das Leben lacht mir wieder entgegen, und alle Schmerzen sind vernarbt in meinem Herzen, und alle Erfahrungen sind ausgelöscht. Ich fühlte und wußte das, als ich Dich zum ersten Mal sah, Therese, als Du an der Hand Deines Vaters mir entgegentratest, so stolz wie eine Königin, so demüthig wie eine Priesterin, so schön wie eine Venus. Ich stand Dir stumm und staunend gegenüber und fand kein Wort, Dich zu begrüßen, aber mein Herz grüßte Dich mit seinen lauten Schlägen und hieß Dich willkommen als seine Herrin! Und so bin ich Dein Sclave geworden, ohne daß ich es selber wußte, so bin ich Dir gefolgt und habe Dir gehuldigt, ohne zu wissen, was ich that. Nur neulich, als ich jene Rose nahm und sie küßte, und dann Deinen Vater sah, der mich mit düstern Blicken anschaute, da ward ich zuerst mit mir selber klar, da wußte ich, daß ich Dich liebe, daß ich Dich ewig lieben werde. Ja, Therese, Du bist meine letzte Liebe, der letzte Liebestraum eines armen, mattgehetzten Menschen, den sie da draußen einen Kaiser nennen, der aber vor Dir kniet, wie ein armer, kranker Bettler vor dem Madonnenbild, und Dich anfleht um ein wenig Trost und Erquickung, um eine milde Gabe Deiner Liebe! Neige Dich zu mir, Madonna, Einmal nur laß mich tief in Deinen Augen lesen, Einmal nur laß mich ihn noch träumen, den letzten Liebestraum! Oh, sie werden schon kommen, mich zu wecken, mich aufzuschreien mit der Mahnung, daß ich ein armer Kaiser bin, der nicht werben darf um den reichen Schatz Deiner Liebe, daß Du eine reiche, stolze Gräfin bist, die alles Glück und alle Pracht des Lebens verschenken soll an einen andern Mann, nicht an mich, oh, nicht an den armen Kaiser! Neige Dich zu mir, Therese, nur Einmal, Einmal berühre meine Lippen mit einem Kuß, weihe meine Lippen für den Schmerz und die Entsagung!

Und Therese, ganz überwältigt von seinen Worten, seinen Blicken, Therese, gleich ihm befangen in dem begeisternden Traum ihrer Liebe, neigte sich zu ihm nieder, ihre Augen leuchtend in Thränen, ihr Mund umflattert von einem seligen Lächeln.

Ihre Lippen brannten auf einander, innig und fest, ihre Arme legten sich wie von selbst um seinen Nacken, seine Arme schlangen sich fest um ihre schlanke Gestalt. Eine unaussprechliche Wonne durchglühte sie Beide in diesem ersten Kuß ihrer Liebe.

Tiefe Stille herrschte um sie her. Auf einmal ward diese Stille unterbrochen von einem doppelten Schrei, und in der offenen Portière des Salons stand Theresens Vater mit dem Grafen Kinsky, die entsetzten bleichen Gesichter hingewandt auf das Liebespaar.

Der Kaiser sprang empor, flammend vor Scham, vor Zorn und Schreck. Therese schauerte in sich zusammen und schlug ihre beiden Hände vor ihr bleiches Angesicht, und saß da, tief gebeugt, zitternd wie eine Angeklagte, die ihr Urtheil erwartet.

Eine lange Pause trat ein, Niemand wagte es, das erste Wort zu sprechen, den Gefühlen Ausdruck zu geben, die mit wildem Ungestüm in ihrem Innern tobten.

Mit finstern, drohenden Blicken schauten die beiden Grafen hinüber zu dem Kaiser, der, an der Fensternische lehnend, die großen Augen mit einem unaussprechlichen Ausdruck von Schmerz und Klage zum Himmel emporgerichtet hatte.

Endlich wandten sich diese Blicke niederwärts, und richteten sich hinüber nach den beiden Männern, die noch immer unbeweglich, finster und schweigend auf der Schwelle standen.

Die schmerzliche Spannung verschwand aus des Kaisers Zügen, die jetzt einen milden, schwermuthsvollen Ausdruck annahmen. Er hatte seinen Schmerz niedergekämpft, er hatte sein Herz bezwungen!

Mit stolz gehobenem Haupt, mit ruhiger, ernster Haltung trat er wieder zu Theresen hin, die noch immer mit verhülltem Antlitz da saß.

Stehen Sie auf, Therese, und geben Sie mir Ihre Hand, sagte er fast gebieterisch.

Sie gehorchte ihm ohne Widerstreben und reichte ihm aufstehend ihre Hand. Der Kaiser nahm sie und drückte sie fest in der seinen, als wollte er ihr damit Muth einflößen, den Muth der Entsagung.

Sie an der Hand führend, durchschritt Joseph mit ihr das Gemach und ging zu den beiden Grafen hin, die ihnen entgegen schauten wie zwei Richter dem Angeklagten.

Herr Graf Dietrichstein, sagte der Kaiser ernst und fest, Sie mahnten mich heute an die hundertjährigen Dienste, welche Ihre Familie dem Kaiserhause geleistet, und ich versprach Ihnen zu vergelten, wenn es in meiner Macht stände. In dieser Stunde ist es in meine Macht gegeben. Herr Graf Dietrichstein, ich führe Ihnen Ihre Tochter zu, sie ist bereit, freudig und gehorsam Ihren Willen zu thun, und den Gemahl anzunehmen, den Ihre väterliche Liebe ihr ausgewählt. Sie giebt Ihnen und mir, und auch Ihnen, Herr Graf Kinsky, ihr Wort, daß sie nicht in ein Kloster gehen, und auch nicht unvermählt bleiben, sondern daß sie ihr Geschick ertragen und ihren Beruf erfüllen will, wie wir Alle es müssen. Nicht wahr, Therese, es ist so, wie ich in Ihrem Namen Ihrem Vater verspreche?

Ja, es ist so, sagte sie leise.

Und jetzt, Herr Graf Dietrichstein, fuhr der Kaiser fort, jetzt muß ich Sie bitten, Ihre Reise noch auf einige Tage zu verschieben. Ich gebe Ihnen noch acht Tage Urlaub, damit Sie alle Anordnungen treffen, die zur Vermählung Ihrer Tochter nothwendig sind, denn es ist besser, daß Sie sie als vermählte Frau denn als Braut zurücklassen. In acht Tagen, wünsche ich, soll die Vermählung stattfinden in der Kapelle der Kaiserburg. Ich selbst will Zeuge sein bei der Trauung. Herr Graf von Kinsky, sehen Sie da Ihre Braut, in acht Tagen schon Ihre Gemahlin! Leben Sie wohl! In der Schloßkapelle sehen wir uns wieder!

Er grüßte die Herren mit einem flüchtigen Neigen des Kopfes, und ging an ihnen vorüber und durchschritt raschen Fußes den Salon. Er hörte wohl den durchdringenden Schmerzensschrei, der von Theresens Lippen tönte, aber er wandte sich nicht um, auch dann nicht, als Graf Dietrichstein mit lauter, ängstlicher Stimme nach Hülfe, nach Theresens Kammerfrau rief. Aber als der Kaiser diese Frau, welche den Ruf nicht gehört, weiter hinauf in der Allee bemerkte, ging er zu ihr hin und sagte flüchtig: die Comtesse ist ohnmächtig geworden, eilen Sie zu ihr.

Dann ging er weiter die Allee hinauf, zwischen den Blüthenbäumen und duftenden Sträuchern dahin, und er gedachte daran, wie Adam aus dem Paradiese getrieben worden durch die drohende Stimme Gottes und seiner eigenen Schuld, und er fühlte, daß diese Austreibung aus dem Paradiese an jedem Menschen sich erneuere, auch an ihm, dem schwerbeladenen, traurigen Menschensohn, der eben noch geträumt den seligen Traum des Paradieses, und jetzt aus der Pforte desselben hinausschritt in das rauhe, kalte, stürmende Leben.

Vor der Pforte des Parks stand sein Cabriolet mit dem harrenden Jokey daneben. Der Kaiser schwang sich hinein und ergriff die Zügel und kehrte in rasendem Galopp heim nach Wien.

Und wieder blieben die Leute auf der Straße stehen, um ihn zu grüßen, und wieder neigte sich der Kaiser freundlich dankend nach allen Seiten hin, und Jeder war entzückt von seiner Leutseligkeit, und Niemand sah, daß der Kaiser jetzt bei seiner Rückkehr von der Spazierfahrt noch bleicher war, als beim Anfang derselben. Niemand sah das, denn der Kaiser liebte es, rasch zu fahren, und er flog in seinem Cabriolet, das er selber leitete, wie ein Blitz an ihnen vorüber.


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