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VIII.
Der Widerruf.

Als Herr von Quarin eine Viertelstunde später in das Cabinet eintrat, saß der Kaiser ruhig vor seinem Schreibtisch, der mit Stößen von Acten beladen war, und arbeitete. Quarin blieb ehrfurchtsvoll an der Thür stehen und wartete, bis der Kaiser ihn bemerken wolle.

Plötzlich unterbrach ein heftiger Hustenanfall den Kaiser in seinen Arbeiten. Er ließ die Feder sinken und lehnte sich erschöpft in den Fauteuil zurück. Ew. Majestät dürfen nicht arbeiten, sagte Herr von Quarin ernst, Sie müssen Sich mehr schonen, Sie müssen einige Zeit lang alle Arbeiten aussetzen.

Ich glaube, ich werde sie bald für immer aussetzen, sagte der Kaiser matt. Ich habe Sie rufen lassen! Ich habe einen schlimmen Prozeß mit meiner Brust und möchte gerne wissen, wer ihn gewinnen wird. Des Kaisers eigene Worte. Siehe: Charakterzüge Josephs II. S. 14. Sie sollen mir das sagen, Quarin!

Was soll ich Ew. Majestät sagen? fragte der Arzt zögernd.

Der Kaiser sah ihm mit seinen großen, fieberglühenden Augen fest in's Antlitz. Quarin, Sie wollen mir ausweichen, Sie haben mich aber ganz gut verstanden. Sie sollen mir sagen, wer in dem Prozeß, den ich mit meiner Brust habe, gewinnen wird, der Tod oder ich? Und damit Sie dazu alle nöthigen Beweisstücke haben, nehmen Sie das!

Er zog sein Taschentuch, das er vorher so hastig in seinen Busen gesteckt, hervor und legte es auf den Tisch. Dieses Tuch war dunkelroth gefärbt.

Blut! rief der Arzt erbebend. Ew. Majestät haben sich verwundet?

Ja, innerlich, tief im Herzen, sagte Joseph. Die Ungarn haben mir vorher den Todesstoß gegeben. Das Blut, das von meinen Lippen gequollen ist, zeugt davon! Sehen Sie mich nicht so traurig an, Doctor, lassen Sie uns wie Männer, die den Tod nicht fürchten, zu einander sprechen. Sehen Sie mir fest in's Auge, und dann sagen Sie mir, Doctor, glauben Sie, daß ich genesen kann?

Warum sollten Ew. Majestät nicht genesen können? fragte der Arzt langsam. Sie sind ja noch so jung, Sire, haben eine so gesunde Natur!

Keine Gemeinplätze, Quarin, keine Umschweife, rief der Kaiser ungeduldig. Ich will die Wahrheit, hören Sie, die Wahrheit. Ich darf mich von dem Tod nicht überraschen lassen, denn ich habe für ein ganzes Volk zu sorgen, ich muß mein Haus bestellen, muß alle meine Verhältnisse ordnen! Und ich sage Ihnen, ich fürchte den Tod nicht, er erscheint mir nach einem qualvollen Leben als ein rechter Tröster und Freund. Deshalb, Quarin, zögern Sie nicht, sagen Sie es frei heraus, ich fordere Sie dazu auf als Ihr Kaiser und Herr: ist meine Krankheit gefährlich?

Er sah den Arzt mit großen durchdringenden Augen an; dieser erbleichte, es arbeitete und zuckte in seinem Angesicht, und Ströme von Thränen entstürzten plötzlich seinen Augen.

Ja, Sire, sagte er leise, sie ist gefährlich.

Josephs Angesicht blieb vollkommen ruhig und klar. Können Sie mir mit Bestimmtheit sagen, wie lange ich noch zu leben habe? fragte er.

Nein, Sire. Es kann noch einige Wochen dauern, es kann schnell zu Ende gehen. Diese Krankheit ist eine von denen, wo die Patienten jeden Augenblick ihrem Tod entgegen sehen müssen.

Unheilvolle Brustkrankheit, nicht wahr? fragte der Kaiser ruhig.

Ja, Sire, flüsterte Quarin unter Thränen, unheilbar.

Der Kaiser schwieg einen Moment und blickte ernst und sinnend vor sich hin. Dann reichte er mit einem sanften Lächeln dem Arzt seine Hand dar. Ich danke Ihnen, mein Freund, sagte er, danke Ihnen aus tiefster Seele, daß Sie mir die Wahrheit gesagt haben. Ich werde Ihnen beweisen, daß ich dankbar bin, und Ihre Treue und Wahrheitsliebe gern belohnen möchte. Diese Scene ist historisch genau, wie auch des Kaisers Worte. Hübner II. 496. Sie haben Familie, nicht wahr?

Ja, Sire, zwei Töchter!

Und Sie sind nicht reich?

Sire, das Gehalt, welches mir Ew. Majestät gnädigst geben, und meine Praxis ernähren uns reichlich.

Der Kaiser nickte leicht mit dem Kopf. Ich bitte Sie, eine kleine Bestellung von mir zu übernehmen, sagte er, und indem er sich dem Schreibtisch zuwandte, nahm er die Feder und schrieb auf ein Blatt Papier hastig einige Zeilen.

Nehmen Sie, Doctor, sagte er dann, dem Arzt das Papier darreichend, haben Sie die Güte, dies Blatt in meiner Hofkanzlei bei dem Finanzbüreau abzugeben. Man wird Ihnen zehntausend Gulden dafür zahlen. Das ist die Aussteuer Ihrer Töchter.

Oh, Sire, rief der Arzt tief bewegt und mit zitternder Stimme, ich danke Ihnen, danke Ihnen im Namen meiner Töchter und mit der ganzen Kraft meines Vaterherzens.

Nein, sagte der Kaiser sanft, danken Sie mir nicht, es ist meine Pflicht, Verdienste zu belohnen. Des Kaisers eigene Worte. Damit Sie aber auch persönlich ein kleines Erinnerungszeichen an mich haben, das Sie immer mit sich herumtragen müssen, ernenne ich Sie zum Freiherrn, und werde dafür sorgen, daß Ihnen das Patent gleich ausgefertigt werde. Still, Freund, kein Wort mehr! Lassen Sie mich jetzt allein. Ich muß arbeiten, denn, Sie wissen es am besten, meine Zeit ist kurz und meine Stunden sind gezählt! Gehen Sie! Wer weiß, wie bald ich Sie wieder werde rufen müssen!

Herr von Quarin küßte schweigend die dargereichte Hand, und ging dann rasch, um seine Thränen nicht sehen zu lassen, hinaus.

Der Kaiser sank tief aufseufzend in seinen Lehnstuhl zurück. Seine großen Augen richteten sich mit einem unaussprechlichen Ausdruck gen Himmel, sein bleiches, abgezehrtes Gesicht hatte einen wunderbaren Glanz, es leuchtete wie in einem Strahl der Verklärung.

Da öffnete sich hastig die Thür der Kanzlei, sein erster Cabinetsrath trat ein und schritt, mit Papieren in der Hand, rasch zu dem Kaiser hin.

Was giebt's? fragte der Kaiser, leicht zusammenschreckend.

Sire, zwei Couriere sind soeben eingetroffen. Der Eine kommt vom Grafen Cobenzl. Er hat ihn in Luxemburg abgefertigt, und meldet, daß sich ganz Belgien, mit Ausnahme Luxemburgs, in den Händen der Patrioten befinde, daß eine General-Versammlung der unirten belgischen Provinzen von van der Noot zusammenberufen sei, in welcher der Cardinal Frankenberg als Präsident fungirt. Man hat feierlich Belgien zu einer Republik erklärt, und England, Preußen und Holland sollen als Garanten derselben auftreten. Graf Cobenzl bittet Ew. Majestät um Verhaltungsbefehle, was nun zu thun sei?

Der Kaiser hatte der traurigen Botschaft mit vollkommen ruhigen Mienen zugehört. Und der zweite Courier? fragte er nach einer kurzen Pause.

Sire, sagte der Cabinetsrath zögernd, der zweite Courier kommt von dem kaiserlichen Statthalter in Tyrol.

Was meldet er?

Schlimme Botschaft, Sire. Das Volk empört sich, es schreit laut gegen die Conscription und gegen die kirchlichen Reformen. Es droht mit Abfall und Empörung, wenn die neuen Gesetze nicht wieder abgeschafft werden.

Der Kaiser stieß einen lauten Schmerzensschrei aus, und drückte seine beiden Hände auf seine Brust. Es ist nichts, sagte er dann nach einer Pause, als er den angstvollen, fragenden Blicken des Cabinetsraths begegnete, ein zufälliger, vorübergehender Brustschmerz, weiter nichts! Fahren Sie fort in Ihrem Bericht!

Sire, ich bin zu Ende. Dies ist die ganze Meldung des kaiserlichen Statthalters. Er beschwört Ew. Majestät, den Aufruhr im Keim zu ersticken, und –

Und meine Gesetze und Erlasse zurückzunehmen, nicht wahr? unterbrach ihn der Kaiser ruhig. Oh, ich kenne das, es ist das alte Unkenlied, das ich jetzt von allen Seiten vernehme! Nun, ich will mir's überlegen, und werde Sie nachher rufen, um Ihnen meinen Entschluß mitzutheilen!

Aufruhr in Tyrol, Aufruhr in Ungarn und in den Niederlanden, sagte der Kaiser leise vor sich hin, als er wieder allein war. Sie läuten von allen Seiten meine Todtenglocken! Sie wollen mich begraben, noch ehe ich todt bin! Kaiser Karl der Fünfte, mein großer Ahn, schaute auch seinem Begräbniß zu, aber er that's freiwillig, mich wollen sie dazu zwingen durch Aufruhr und Rebellion. Ich soll Alles begraben, was ich gewollt, gewirkt und erstrebt habe, ich soll sterben mit dem Bewußtsein, umsonst gelebt zu haben! Oh, mein Gott, welche Qualen sind dies, und wodurch habe ich denn solche Demüthigung verdient? Was habe ich denn verschuldet, daß ich so furchtbar büßen muß? Und muß ich denn, giebt es kein Rettungsmittel für mich? Muß ich, oh, mein Gott, muß ich widerrufen?

Er schwieg, und versank tiefer in sich selbst, und überdachte angstvoll und schmerzensreich seine Lage. Und immer bleicher ward sein Angesicht, immer düsterer sein Blick, immer schwerere Seufzer hoben seine beklemmte Brust.

Ja, murmelte er nach einer langen Pause leise vor sich hin, ich habe kein anderes Mittel mehr, ich kann mein Werk nicht vollenden, es bricht über mir zusammen! Ungeheure Schwierigkeiten thürmen sich gegen dasselbe auf, und ich habe kein Leben mehr vor mir, keinen Raum für meine erlöschende Kraft. Drei meiner Länder in Aufruhr, und nur die äußerste Gewalt wäre im Stande, ihn zu dämpfen. Oh, mein Gott, warum muß ich gerade jetzt sterben, warum darf ich nicht noch einige Monate leben, nur so lange, bis ich meinem Reich wieder Ruhe gegeben! Denn so kann ich es, so darf ich es meinem Nachfolger nicht hinterlassen, kann ihm diese Erbschaft der Revolution nicht auferlegen. Ich muß es verhüten, daß mein Staat zusammenbricht. Ich muß es verhüten, denn ich habe es verschuldet. Oh, und es giebt dazu nur Ein Mittel, ein furchtbares, martervolles Mittel, aber ich muß es ergreifen, ich muß widerrufen!

Er schauderte in sich zusammen und legte seine beiden Hände über sein schmerzzuckendes Angesicht. Lange saß er so da, tief gebeugt, leise stöhnend und wimmernd, ringend mit seiner Qual. Große Thränen rannen zwischen seinen Fingern hervor, seine ganze Gestalt erbebte im Kampf des Schmerzes. Einmal schrie er laut auf vor ungeheurer Seelenpein, und hob sein zitterndes Antlitz jammernd zum Himmel empor, dann senkte er es wieder nieder in seine Hände, und kroch schmerzvoll in sich selbst zusammen.

Dann, nach einer langen, langen Stunde der Qual, ließ er langsam seine Hände von seinem Gesicht gleiten, das jetzt farblos und bleich war, wie das eines Todten.

Jetzt ist's vorüber, sagte er mit zitternden Lippen, der Kampf ist ausgekämpft, das Opfer ist gebracht. Alle meine Werke, meine Gesetze und Einrichtungen sollen mit mir niedersteigen in mein Grab, und wenn sie es über mir schließen, wird keine Spur von mir zurückbleiben. Ich will meinem Vaterland und meinem Nachfolger dies letzte Opfer darbringen, ich will widerrufen!

Er griff nach der Klingel und schellte heftig, und befahl dem eintretenden Kammerdiener, den Kabinetsrath aus der Kanzlei herbeizurufen, denn seine Stimme hatte nicht mehr die Kraft, zu rufen.

Jetzt, sagte er, als der Kanzleirath eintrat, jetzt wollen wir arbeiten! Meine Hand ist leider zu schwach, die Feder zu führen, Sie werden Alles für mich ausarbeiten müssen. Zuerst die Antwort für die Ungarn. Ein Manifest setzen Sie auf, in dem ich alle die Neuerungen, alle die Gesetze, welche gegen die alte ungarische Reichs-Constitution sind, – widerrufe!

Er schwieg einen Augenblick, und trocknete sich den Schweiß ab, der in großen Tropfen auf seiner Stirn stand. Hören Sie, fuhr er dann fort, ich widerrufe in diesem Manifest alle meine Gesetze, mit Ausnahme des Toleranz-Ediktes. Ich verspreche den Ungarn, im kommenden Jahr den Reichstag auszuschreiben, und die Verwaltung und die Rechtspflege des Königreichs wieder auf den alten Fuß, wie es vor 1780 war, herzustellen. Ich hebe die Conscription feierlich und förmlich auf und nehme das Steuergesetz zurück. Alles soll wieder so werden, wie es zu Maria Theresias Zeiten gewesen. Ich verspreche, die Grundgesetze des Landes und die geheiligten Rechte der Stände zu ehren und nie zu verletzen. Ich verordne, daß die ungarische Krone sofort wieder von Wien nach Ofen gebracht werde, und bin bereit, sobald ich mich von meiner Krankheit erholt habe, nach Ungarn zu kommen, und mich krönen zu lassen. Dies ist der Inhalt der Widerrufungs-Verordnung, die Joseph einige Wochen vor seinem Tode erließ, und die damals in der ganzen Welt das ungeheuerste Erstaunen und Aufsehen erregte. Siehe Groß-Hoffinger III. S. 290. Hübner II. S. 279. – Fertigen Sie dies Decret sogleich aus, und bringen Sie es mir zur Unterschrift. Alsdann wird es dem Kanzler Grafen von Palfy übergeben, er wird es nach Ungarn bringen. –

Das war, was wir für Ungarn zu thun hatten! – Unsere zweite Sorge gilt Tyrol. Fertigen Sie in meinem Namen auch ein Decret für Tyrol aus. Ich bin bereit, dem Willen des Volkes Genüge zu thun, ich hebe die Conscription auch für Tyrol auf, und nehme die eingeführten Neuerungen in Kirchensachen zurück. Fertigen Sie dies Decret auch sogleich aus, geben Sie es mir zur Unterschrift und senden Sie es alsdann sofort durch einen Courier an den kaiserlichen Statthalter in Tyrol. – Dann haben wir also Ungarn und Tyrol Ruhe und Zufriedenheit gegeben, und es bleibt nur noch übrig, die Niederlande zu beruhigen. Aber ich fürchte, dort wird Niemand meine Stimme mehr hören wollen. Ich werde also mein Herz überwinden und meinen Stolz beugen. Ich werde an den Papst schreiben, seine Vermittelung anflehen und ihn bitten, daß er die Bischöfe und die Geistlichkeit ermahne, Frieden mit mir zu machen. Groß Hoffinger III. S. 279. Was sehen Sie mich so erstaunt und traurig an? Ich mache meinen Frieden mit der Welt, mein Freund, ich streiche mein Leben mit einigen Federzügen aus und gieße das Dintenfaß über meine Gesetze! Eilen Sie, die Decrete auszufertigen. Besorgen Sie auch einen Courier, der nach Rom abgeht. Ich will sogleich das Schreiben an den Papst aufsetzen, denn, wenn man als Bittsteller kommt, muß man schon eigenhändig schreiben. In einer Stunde kommen Sie hier herein, das Schreiben abzuholen, und jetzt eilen Sie sich.

Nach einer Stunde trat der Cabinetsrath, dem kaiserlichen Befehl gemäß, wieder in das Cabinet.

Auf dem Schreibtisch lag der schon beendete Brief des Kaisers an den Papst. – Aber diese letzte furchtbare Demüthigung hatte die letzte Kraft des Kaisers gebrochen.

Er lag ohnmächtig in seinem Fauteuil und seine Lippen waren von dem Blut geröthet, das aus seiner Brust hervorströmte.


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