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IV.
Das Strafgericht.

Der Kaiser hatte noch immer, in tiefes Sinnen verloren, in seinem Cabinet gesessen, kämpfend mit seinem eigenen Herzen und sich zusammenraffend zu dem, was er thun wollte und thun mußte.

Jetzt auf einmal sprang er empor, und sein Antlitz ward wieder ruhig und energisch. Der Kaiser hatte seinen Entschluß gefaßt, die Stunde des Handelns war gekommen.

Mit hastigem Schritt durcheilte er sein Cabinet und stieß die Thür auf, welche in die daneben befindliche »Kanzlei« führte. Dort an der langen grünen, mit Acten und Papieren bedeckten Tafel saßen die vier Cabinetssecretaire des Kaisers, schweigend, nur beschäftigt mit ihrer Arbeit, und an ihrer Spitze, dicht neben dem für den Kaiser bestimmten Fauteuil, saß der erste seiner Secretaire, der Cabinetsrath Günther.

Hätte Günther diesen zugleich schmerzvollen und zornigen Blick sehen können, mit welchem der Kaiser ihn anschauete, sein Herz würde davor erbebt sein in ahnungsvollem Schrecken. Aber weder Günther noch einer der andern Secretaire schaute von seiner Arbeit empor beim Eintreten des Kaisers. Es war Josephs strenger Befehl so; Niemand sollte durch sein Kommen in der Arbeit sich stören lassen, »denn, hatte Joseph gesagt, in der Kanzlei bin ich nicht der Kaiser, dem Sie die schuldige Reverenz machen müssen, sondern da bin ich, gleich Ihnen, nur ein Arbeiter, der dazu angestellt ist, für Oesterreich und sein Volk zu arbeiten.«

Schweigend setzte sich der Kaiser auf seinen Fauteuil nieder, dann richteten sich seine Augen mit einem raschen Blick auf die vier schweigenden, stillen und fleißigen Arbeiter hin.

Es muß sein, sagte er leise zu sich selber, und mit einer hastigen Bewegung nahm er eine Feder und schrieb einige rasche Zeilen auf das vor ihm liegende Blatt. Dann klingelte er und übergab dem eintretenden Kammerhusaren das beschriebene Blatt.

Sogleich auf die Commandantur zu tragen, sagte er, und seine Stimme zitterte ein wenig. Er hörte es selber, und schwieg, nach Athem, nach Kraft und Fassung ringend.

Eine lange Pause trat ein, die Secretaire des Kaisers schrieben eifrig weiter, und nicht ein einziges Mal hatte Günther den Blick von seiner Arbeit erhoben. Sein Antlitz war ruhig, heiter und klar, wie immer.

Günther, befahl der Kaiser jetzt mit rauher, gebieterischer Stimme, nehmen Sie ein neues Papier und schreiben Sie, was ich Ihnen dictiren werde.

Günther antwortete nur mit einem leisen Neigen des Hauptes und legte ein weißes Blatt Papier vor sich hin.

Die andern drei saßen ruhig da und schrieben ungestört weiter. Nur Einer von den Dreien hob einen Moment sein Antlitz empor und warf einen raschen und spähenden Blick hinüber auf den Kaiser; sein Antlitz war bleich, seine Stirn sorgenvoll, und als er dann wiederum das Auge senkte und weiter schrieb, fuhr die Feder kritzelnd über das Papier hin, denn seine Hand zitterte so sehr, daß sie die Feder kaum zu halten vermochte.

Niemand achtete darauf. Günther wartete auf das, was der Kaiser ihm dictiren wollte.

Joseph athmete hoch auf, seine Stirn legte sich in düstere Falten, sein Auge flammte im Zorn. Schreiben Sie, sagte er rauh. »An Se. Eminenz den Cardinal Migazzi. Ich habe in Erfahrung gebracht, und es ist mir angezeigt worden, daß diese widersinnige und verächtliche Secte der Deisten sich von Böhmen her immer weiter verbreitet, und auch in unserer Hauptstadt selbst schon Anhänger findet. Es ist mir heute eine desfallsige Anzeige und Anklage zugegangen, ein trostloser Vater ist zu mir gekommen und hat seine ehrvergessene Tochter des Deismus angeklagt, und fordert von mir Bestrafung der Gottesleugnerin. Wohin der Aberwitz dieser Sectirer führt, das zeigt sich an dieser Person, welche Gott, dem Befehl ihres Vaters, der Ehre und Schaam trotzend, das Haus ihres Vaters verlassen hat und mit ihrem ehrlosen Liebhaber zusammenwohnt in wilder, gesetzloser Ehe. Ich will, daß diesem Unfug gesteuert werde, und daß diese Person zum Glauben zurückkehrt, oder vom Gesetz gestraft werde zum warnenden Exempel für andere leichtsinnige Frauenzimmer, die ihre Nachahmerinnen sein möchten. Ich gebe Eurer Eminenz daher auf, zuerst zu versuchen, diese Person durch Lehre und Unterweisung auf den Weg der Tugend und des Glaubens zurückzuführen, und sie der christlichen Kirche zu gewinnen. Ew. Eminenz mögen also täglich durch einen würdigen und beredtsamen Priester sie unterrichten lassen in der Lehre unsers christlichen Bekenntnisses; aber zugleich werde ich anordnen, daß auch ein Judenpriester täglich zu ihr gehe. Denn ich will nicht, daß man sagen könne, wir benutzten die Angst des Gefängnisses, um Proselyten zu machen, und da diese Person, welche von dieser Stunde an in ihrem Hause als Gefangene bewacht wird, ursprünglich eine Jüdin ist, so muß es auch den Priestern Levi gestattet sein, zu ihr zu reden und die tolle Deistin zu heilen von ihrem Aberwitz. Ich gebe den Bemühungen der Priester vier Wochen Frist, wenn sie alsdann diese Seele nicht gerettet, diese Person nicht in die Kirche oder den Tempel zurückgeführt haben, so wird sie gestraft nach der Schwere des Gesetzes, und das Gericht wird ihr die fünfzig Stockschläge aufzählen lassen, welche das von mir erlassene Gesetz den Deisten zuerkennt.« Groß-Hoffinger III. 116.

Der Kaiser hatte langsam, jedes Wort betonend, mit grollendem Accent diesen Brief an den Cardinal dictirt, Günther hatte ihn gelassen, nichts Böses ahnend, geschrieben. Nur Einmal, nur als der Kaiser die angeklagte Person als eine Jüdin bezeichnete, hatte seine Feder gestockt, und eine Wolke war über sein edles ruhiges Angesicht hingeglitten. Aber dies dauerte nur einen Moment, alsdann hatte Günther ruhig weiter geschrieben.

Sind Sie fertig? fragte der Kaiser jetzt, und er ließ seine Hand, welche sich zur Faust zusammengepreßt hatte, mit Geräusch auf den Tisch niederfallen.

Ich bin fertig, Sire, sagte Günther mit seiner schönen klangvollen Stimme, welche wider Willen das Herz des Kaisers bewegte. Er bebte leise zusammen, und ein langer, trauriger Blick seiner großen Augen ruhte auf Günther.

Beantworten Sie mir eine Frage, sagte der Kaiser rasch. Man hat mir gesagt, Sie hätten in diesen Tagen von dem Baron Eskeles Flies eintausend Dukaten erhalten. Ist das wahr?

Wieder hob sich das Antlitz des einen der drei anderen Secretaire rasch empor, diesmal waren seine Wangen noch bleicher, zitterten seine Hände noch mehr, und ein wahres Entsetzen sprach aus dem hastigen Blick, den er über den Kaiser und Günther hingleiten ließ.

Aber der Kaiser achtete nicht auf ihn, er sah nur Günther, heftete nur auf ihn seine durchbohrenden flammenden Blicke.

Günther begegnete diesen Blicken nur mit dem Ausdruck der Verwunderung und schien in den Mienen des Kaisers die Bedeutung dieser Frage lesen zu wollen.

Haben Sie wirklich von dem Baron Eskeles Flies tausend Dukaten bekommen? fragte er noch hastiger, noch dringender. Antworten Sie. Ist es wahr?

Es ist wahr, Sire, sagte Günther vollkommen ruhig, ich habe gestern von dem Baron Eskeles Flies eintausend Dukaten erhalten, nicht für mich, sondern für eine Dame, deren Namen Ew. Majestät wohl errathen werden. Es war das Erbtheil ihrer Mutter.

Der Kaiser lachte laut auf, aber es war ein so wildes, höhnisches Lachen, daß es das Herz aller seiner Hörer mit Entsetzen erfüllte.

Geben Sie mir das Schreiben an den Cardinal, sagte er rauh, und als Günther es ihm darreichte, las er es hastig und setzte dann seinen Namen darunter. Dann reichte er es einem der andern drei Secretaire hin. Couvertiren und adressiren Sie es sogleich, sagte er. Doch halt, Eins habe ich vergessen, wir müssen noch die Adresse dieser Person, welche sich frecher Weise eine Deistin nennt, hinzufügen. Diese Person heißt: Rahel Eskeles Flies!

Ein Schrei des Entsetzens tönte von Günthers Lippen, unwillkürlich streckte er die Hand aus, um das Papier zu ergreifen, dann ließ er sie, wie gelähmt von Schrecken, wieder sinken.

Majestät, sagte er mit flehender Stimme, ich bitte um Gnade für Rahel. Man hat Ew. Majestät getäuscht.

Ja, man hat mich getäuscht, rief der Kaiser, und der heimliche Schmerz, den er empfand, steigerte nur noch seinen Zorn, man hat mich furchtbar getäuscht, aber diejenigen, welche es gewagt haben, sollen es auch furchtbar jetzt büßen. Stehen Sie auf und treten Sie zurück von diesem Tisch, der nicht wieder durch Ihre Berührung entehrt werden soll. Sie sind aus meinem Dienst, aus dem Dienst des Staats für immer entlassen, als ein ehrloser, treuloser und käuflicher Verräther entlassen!

Ew. Majestät! rief Günther fast mit drohendem Ton. Sie beschimpfen mich, ohne mir zu sagen, wessen man mich anklagt, ohne mir eine Rechtfertigung zu erlauben! Was ist es? Welches Verbrechens beschuldigt man mich, Sire?

Fragen Sie darnach Ihr eigenes Gewissen, und es wird Ihnen die Antwort geben! rief Joseph, auf das Aeußerste gereizt von Günthers stolzem kühnem Wesen.

Nun, wenn Ew. Majestät mir es nicht sagen wollen, rief Günther, so verlange ich, daß man mich vor Gericht führe, denn der Richter wird wenigstens meine Schuld mir sagen, und meine Vertheidigung anhören müssen, und das Gesetz wird mich erst strafen können, wenn es mich schuldig gefunden!

Ich bin Ihr einziger Richter, sagte der Kaiser mit jener eisigen Kälte, welche das Uebermaß des Zorns zuweilen hervorruft, ich bin Ihr einziger Richter und das einzige Gesetz, welches über Sie urtheilt. Ich habe Sie schuldig befunden und ich verurtheile Sie.

Aber weshalb? wofür? schrie Günther. Ew. Majestät werden es mir sagen, wenn Sie nicht wollen, daß ich wahnsinnig werde!

Ich will nichts, als Sie strafen, sagte der Kaiser, indem er die Klingel nahm und heftig schellte. Sind die Leute da, welche ich herbestellt, fragte er den eintretenden Kammerhusaren.

Zu Befehl, Sire, erwiederte dieser. Ein Unterofficier von dem dritten kaiserlichen Regiment und vier Soldaten stehen im Vorsaal.

Sie sollen sogleich eintreten! befahl der Kaiser. Der Kammerhusar öffnete die Thür und der Unterofficier mit den Soldaten schritt herein.

Ihr tretet in einer Stunde Euren Marsch nach Ungarn in Eure neue Garnison an? fragte der Kaiser.

Ja, Majestät, wir sind reisefertig, war die Antwort.

Der Kaiser deutete mit erhobener Hand auf Günther hin, der bleich, starr vor Entsetzen dastand. Nehmt Den da mit, sagte er, ich übergebe ihn Euch als Euren Rekruten!

Günther stieß einen Schrei des Entsetzens aus und stürzte wie zerschmettert zu des Kaisers Füßen nieder. Gnade, ächzte er leise, Gnade!

Keine Gnade, sondern Gerechtigkeit für Alle! rief der Kaiser hart. Er winkte mit der Hand nach den Soldaten hin. Führt ihn fort und bewacht ihn gut, daß er Euch nicht entwischen kann, sagte er. Ich übergebe ihn Dir, Unterofficier, gieb ihm seine Montirung und mach' aus dem Rekruten einen Soldaten. Fort!

Günther sträubte sich nicht, als die Soldaten zu ihm herantraten und ihn aufhoben; er war betäubt, gelähmt, ohne Bewußtsein und Kraft, er ließ es willenlos geschehen, daß die Soldaten ihn am Arm ergriffen und ihn fortführten.

Die Thüren schlossen sich hinter ihm. Der Kaiser blieb allein mit seinen drei Secretairen. Eine bange, fürchterliche Pause trat ein, während welcher man draußen den verhallenden Schritt der Soldaten vernahm. Dann sagte der Kaiser mit kalter, harter Stimme: Er war ein Verräther, ein Meineidiger, welcher seinen Schwur gebrochen und ein Geheimniß des Staats für Geld verrathen und verkauft hat. So wie ihm wird es Jedem ergehen, der seinen Eid bricht und zum Verräther wird. Nehmen Sie Alle sich ein Beispiel an dem Schicksal dieses ehrvergessenen, treulosen Beamten!

Er grüßte die Secretaire mit einer leichten Handbewegung und durchschritt das Gemach, um in sein Cabinet zurückzukehren. Hier angelangt, schloß er die Thür hinter sich ab, und da er jetzt allein war, überließ er sich den schmerzvollen, bittern Gefühlen, die seine Seele bestürmten und Thränen in seine Augen trieben.

Ich konnte, ich durfte nicht anders handeln, murmelte er leise. Ich mußte, weil ich ihn liebte, auch ihn als gerechter Richter die Schwere des Gesetzes fühlen lassen. Was würden meine Feinde nicht geschrieen haben, wenn ich, der den Grafen Podstadzky und den Obrist Szekuly nicht begnadigt habe, wenn ich jetzt diesen Verbrecher begnadigt hätte, weil er meinem Herzen nahe gestanden, mein vertrauter Diener gewesen und meines Kammerdieners Bruder ist? Würde man da nicht gehöhnt und gesagt haben, daß die Camarilla jetzt wieder herrsche, wie in früheren Tagen, und daß die Gerechtigkeit nur Diejenigen treffe, welche der Kaiser nicht liebt? Nein, nein, ich durfte ihn nicht begnadigen. Ihm mußte seine Strafe werden. Ach, aber es thut mir weh, strafen zu müssen, und es wäre so viel leichter und bequemer, begnadigen zu dürfen. Aber die Gnade gehört Gott allein. Ich bin dazu da, Gerechtigkeit zu üben ohne Ansehen der Person.

Eine Stunde später marschirte das dritte Infanterie-Regiment aus Wien ab, um sich nach Szegedin, seiner neuen Garnison, zu begeben. Einige Wagen folgten dem Regiment, in welchen sich die Bagage befand, und die kranken und schwachen Soldaten, welche man den Strapazen dieses beschwerlichen Marsches nicht unterwerfen wollte. Auf dem letzten dieser Wagen lag ein armer bleicher Mensch, ein junger Recrut, der eben erst in das Regiment eingetreten war. Seine weitgeöffneten Augen starrten zum Himmel, seine Lippen bebten im wilden Fieber, der Athem ging keuchend aus seiner Brust hervor. Einmal schien er aus seinen Fieberträumen zu erwachen, denn er richtete sich empor und fragte leise: »Wo bin ich?« Niemand gab ihm Antwort, aber er gab sie sich selbst, und indem er mit einem Ausdruck trostlosen Schmerzes und tiefer Klage seine Augen gen Himmel richtete, flüsterten seine Lippen leise: Rahel, meine arme Rahel!

Am Abend dieses Tages verließ der Baron Eskeles Flies zu Fuß und ohne Begleitung sein Hôtel, und hastig durch die Straßen dahinschreitend, trat er in ein Haus ein, in welchem er eine Treppe hinaufschritt, und dann an der nächsten Klingel heftig schellte.

Ein reich gallonirter Livréebedienter öffnete ihm. Ist der Herr Geheim-Secretair Warkenhold daheim? fragte der Banquier rasch.

Der Diener sagte, daß er es nicht genau wisse, daß er nachsehen wolle; aber Eskeles Flies drängte ihn mit einer stolzen Handbewegung zurück und trat in den Corridor.

Ich sehe es an Ihrem Gesicht, daß Ihr Herr zu Hause ist, sagte er, Sie haben auch nicht nöthig, mich anzumelden, der reiche Baron Eskeles Flies ist überall willkommen. Gehen Sie nur voran und zeigen Sie mir den Weg.

Der Diener gehorchte und führte den Baron durch eine Reihe Gemächer, deren glänzende Einrichtung Herr Eskeles mit einem halb spöttischen, halb verächtlichen Blick betrachtete.

Jetzt gehen Sie nur, sagte er dann, als sie jetzt vor einer niederhangenden Portière standen. Da drinnen ist Ihr Herr, ich werde mich selbst anmelden!

Er schlug die Portière zurück und klopfte hastig an die dahinter befindliche Thür. Auf das laute Herein öffnete er die Thür und trat ein.

Eskeles Flies! rief der Herr, welcher da drüben auf dem Sopha saß, und welcher Niemand anders war, als der Geheim-Secretair des Kaisers, der heute Morgen mit so viel Entsetzen dem Strafgericht des Kaisers beigewohnt hatte. Eskeles Flies! rief er noch einmal, indem er hastig vom Sopha aufsprang und dem Banquier entgegeneilte.

Ja, der Baron Eskeles Flies! sagte der Banquier betonend, Sie wissen doch, daß mich der Kaiser zum Baron ernannt hat?

Aber mein Gott, weshalb kommen Sie hierher? fragte der Secretair Warkenhold entsetzt. Wenn Sie Jemand hat eintreten sehen, bin ich in höchster Gefahr, daß Alles entdeckt wird.

Niemand hat mich eintreten sehen, sagte der Banquier, indem er sich unaufgefordert mit größter Behaglichkeit in einen Lehnstuhl setzte. Ich bin zu Fuß gekommen und ohne Diener. Uebrigens, mein lieber Herr Warkenhold,, wird Niemand dadurch gefährdet, wenn ich ihm die Ehre meines Besuches erzeige.

Nur in dieser Stunde, nur heute ist es für mich gefährlich, sagte Warkenhold angstvoll.

Dann hätten Sie mir zuvorkommen, hätten sich Ihr Geld abholen sollen, rief Herr Eskeles lachend. Sie waren ja so in Noth um Geld, hatten Alles im Spiel verloren, und wagten nicht, es dem Kaiser und Ihrer Frau zu gestehen. Ich gab Ihnen Gelegenheit, Geld zu verdienen, und jetzt kommen Sie nicht einmal zu mir, um es abzuholen. Ich aber liebe es nicht, Schulden zu haben, und deshalb bringe ich Ihnen Ihr Geld. Hier ist es! Eine Anweisung auf tausend Dukaten!

Still, um Gotteswillen, nennen Sie die Summe nicht so laut, flüsterte Warkenhold angstvoll. Und was soll ich mit einer Anweisung? Ich wage es nicht, sie einzulösen, denn das könnte mich verrathen, der Kaiser könnte es erfahren, mein Gott, Sie wissen es ja, daß er seine Secretaire Nacht und Tag umgiebt mit Spionen und Aufpassern. Wenn die ihm hinterbringen, daß ich in Ihr Comtoir gegangen bin, daß ich da tausend Dukaten erhoben habe, so wird er mißtrauisch werden, wird nachforschen, wofür ich sie erhalten habe.

Wird aber vergeblich nachforschen, unterbrach ihn der Banquier lachend. Wer sollte es dem Kaiser verrathen, da Niemand es weiß außer uns Beiden. Haben wir das Geschäft nicht ganz allein gemacht? Wer soll's also dem Kaiser verrathen, daß Sie ein so geschickter Künstler sind, der die Handschrift Günthers so genau nachzuahmen versteht, daß der Günther selber hätte schwören müssen, er selbst habe jene beiden Briefe geschrieben. Und wer kann es ihm denn anzeigen, daß Sie ganz zufällig in der Kanzlei waren, als der Kaiser dem Günther jenes Rescript an die Generalstaaten dictirte, und mit ihm die ganze Angelegenheit besprach? Wer hat's denn gesehen, daß die Thür zum Cabinet offen stand, und daß Sie hinter der Thür standen und horchten, und Alles niederschrieben, was der Kaiser sprach, um, aus herzlicher Liebe für mich, mir dies Staatsgeheimniß zu hinterbringen!

Jesus Maria, müssen Sie denn Alles wiederholen, was ich gethan habe? rief der Secretair. Ist's nicht genug, daß mein Gewissen mich plagt und peinigt, Nacht und Tag, daß ich nimmer und nimmer diesen Blick vergessen kann, mit welchem der arme trostlose Günther zusammenbrach? Oh, es war ein Weltgericht, das da über mich hindonnerte, ich glaubte es nicht überleben zu können, ja, ich hoffte fast, ich würde wahnsinnig werden, damit ich kein Bewußtsein mehr hätte für diese Scene des Schreckens.

Es war also recht fürchterlich und grausam? fragte der Banquier mit einem höhnischen Lachen. Donnerte er recht, der gute Kaiser, und zerschmetterten seine Wuthblitze den guten unschuldigen Günther, der den Kelch austrinken mußte, den wir Beide ihm eingeschenkt hatten? Oh, erzählen Sie mir das recht genau, hören Sie, recht genau.

Warkenhold erfüllte seinen Wunsch. Mit beredten Farben, noch in sich selber erschauernd, schilderte er ihm die fürchterliche Scene dieses Morgens, von dem Moment an, wo der Kaiser eingetreten, wie er dann Günther jenes Rescript an den Cardinal Migazzi dictirt, und dann, als Günther bei Rahels Namen laut aufgeschrieen, ihn mit einer so tiefbewegten Stimme gefragt habe, ob er von Eskeles Flies tausend Dukaten erhalten habe.

Und er mußte Ja sagen, unterbrach der Banquier den Erzähler mit triumphirendem Lachen. Der Günther ist ein Ritter der Wahrheit, und er mußte also Ja sagen, denn ich hatte es vorher berechnet, daß der Kaiser ihn so fragen würde, und war also der Antwort zuvorgekommen, hatte gerade gestern tausend Dukaten hingeschickt, als das Erbtheil ihrer Mutter. Oh, ich bin mit mir zufrieden, ich habe meine Berechnungen gut gemacht. Erzählen Sie weiter, und recht genau, recht umständlich.

Warkenhold erzählte weiter; Eskeles hörte ihm mit gespannter Aufmerksamkeit, mit freudestrahlendem Angesicht zu, und als Jener schwieg, sagte er lebhaft mit dem Kopfe nickend: Sie sind ein wahres Genie. Sie wissen nicht allein Handschriften nachzumachen und an den Thüren zu horchen, sondern Sie verstehen auch zu erzählen wie Homer. Niemals habe ich mich im Theater so gut amüsirt, als jetzt bei Ihrer Erzählung, die Sie vorgetragen haben, wie eine große dramatische Scene. Sie sind wirklich ein ausgezeichneter Mensch, einer der amüsantesten Christen, die ich je kennen gelernt habe, und Ihnen allein verdanke ich, daß Alles mir so wohl gelungen ist! Kein Judas hätte den Verrath pfiffiger anstellen können, oder vielmehr, Sie sind noch talentvoller als Judas, denn Sie sind nicht ein solcher Narr, nachher sich aufzuhängen in weichmüthiger Reuezerknirschung. Ihr Christen versteht Euch gut auf den Verrath, und wenn Ihr Geld verdient, gilt's Euch ganz gleich, ob der, den Ihr verrathet, auch ein Christ ist, wie Ihr. Wir Juden denken anders. Kein Jude verräth den Juden. Der Judas war auch kein Jude, wir weisen ihn zurück aus unserer Gemeinschaft. Er war ja ein Anhänger und Jünger von Christus, und also war er auch ein Christ, und hat auch gleich gehandelt wie ein rechter Christ; hat schlecht berechnet, hat nicht die Wirkung nach der Ursach calculirt, sondern vor der Wirkung seiner Thaten ist er feige zurückgeschaudert und hat sich in den Tod geflüchtet. Sie werden kein solcher Narr sein, und darum sag' ich eben, daß Sie talentvoller sind in Ihrem Fach, als es der Judas war. Und als besondere Anerkennung Ihres großen Talents will ich noch fünfzig Dukaten zulegen zu den tausend, die wir für dies Geschäft bestimmt hatten, als ein kleines Nadelgeld für Ihre Geliebte!

Er zog seine Börse heraus und zählte langsam fünfzig Dukaten auf den Tisch hin.

Ich danke Ihnen, murmelte Warkenhold leise. Ich muß das Geld wohl nehmen, denn ich bin in äußerster Verlegenheit. Aber ich gäb' meine rechte Hand darum, wenn ich dieses Verbrechen nicht hätte nöthig gehabt, um mich selber zu erretten!

Die rechte Hand? Wär's nicht an der linken genug, da Sie die rechte Hand doch so nothwendig zum Schreiben gebrauchen? fragte Herr Eskeles Flies lachend. Lassen Sie doch die Redensarten, mein Herr, und drapiren Sie sich nicht vor mir mit der römischen Toga der Redlichkeit und Herzensreinheit. Ich weiß doch, was ich von Ihnen zu halten habe. Unser Geschäft, denke ich, ist jetzt zu Ende. Sie haben keine weitern Forderungen an mich?

Nein, ich habe keine weitern Forderungen.

Gut, sagte Herr Eskeles Flies, indem er aufstand und seinen Hut aufsetzte. Wir haben also nichts mehr mit einander zu schaffen, und da ich Ihnen gestehen muß, daß ich eine Antipathie gegen Verräther habe, und den Schlangen gern aus dem Wege gehe, so möchte ich nicht, daß sich unsere Wege jemals berührten. Ich hatte ein heiliges Werk der Rache zu vollführen, Sie waren dabei nur mein Werkzeug, weiter nichts. Wenn man sein Werk vollendet hat, so ist das Werkzeug nichts nütze und stumpf, und man schmeißt es weg und zerbricht es. So schmeiß ich auch Sie jetzt weit von mir, Sie mein elendes, verächtliches Werkzeug, und verbiete Ihnen, sich jemals finden zu lassen auf meinem Wege, jemals mich zu grüßen, oder die Schwelle meines Hauses zu überschreiten! Hätte einer von uns gethan, was Sie gethan haben, so würden die stolzen Christen geschrieen haben: »Er hat gehandelt wie ein echter Jude.« Ich aber sage jetzt von Ihnen auch so: Sie haben gehandelt wie ein echter Christ, ich habe Sie redlich bezahlt, wie es einem ehrlichen Juden geziemt, unser Geschäft ist zu Ende! Wir kennen einander nicht mehr! Adieu!

Und ohne Warkenhold eines Grußes oder eines Blickes zu würdigen, schritt der Banquier an ihm vorüber und verließ das Gemach.


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