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VIII.
Die Vergeltung.

In ihrer eigenen Wohnung war Rahel seit vier Wochen als Gefangene bewacht worden. Eine Schildwacht hatte vor der Thür des Hauses gestanden, zwei Gerichtsbeamten hatten sie im Hause selbst bewacht, und die Thüren ihres Zimmers stets verschlossen gehalten. Niemand hatte zu ihr eintreten dürfen, außer dem katholischen Priester und dem jüdischen Lehrer, welche Beide täglich, dem Befehl des Kaisers gemäß, zu ihr gekommen waren, um die Deistin wieder zurückzuführen zur Religion, zur Kirche der Christen oder zum Tempel der Juden.

Niemand außer diesen Beiden hatte seit vier Wochen zu Rahel eintreten dürfen. Aber heute schien dies Gebot aufgehoben zu sein, denn heute war noch anderer Besuch eingelassen worden, zuerst ein Abgeordneter des kaiserlichen Kanzleigerichts, welcher eine lange Unterredung mit Rahel gehabt, und jetzt beim Anbruch der Nacht kam noch ein anderer Besuch in das einsame, verödete Haus, kam der Baron Eskeles Flies.

Die Schildwacht draußen vor der Thür hatte ihn eintreten lassen, und auch die beiden Gerichtsbeamten in Rahels Vorzimmer machten keine Schwierigkeit, als ihnen der Banquier ein Blatt vorzeigte, einen von des Kaisers eigener Hand geschriebenen Passirschein. Sich tief und ehrfurchtsvoll verneigend übergaben sie dem Banquier die Schlüssel zu Rahels Zimmer und fragten nach seinen weiteren Befehlen.

Geht hinaus auf den Flur, sagte Eskeles mit leiser, hastiger Stimme, und dort wartet, bis ich Euch rufe.

Der Kaiser befiehlt uns durch jenes Papier, Ew. Gnaden zu gehorchen, wir folgen also dem Befehl des Kaisers, sagten sie, wir gehen.

Herr Eskeles dankte ihnen mit einem leichten Kopfnicken, und reichte dann Jedem eine Hand dar. Als er sie zurückzog, blitzte etwas wie Gold in den Händen der Gerichtsboten, und mit einem freundlichen Grinsen schlichen sie hinaus.

Nicht sobald hatte sich die Thür hinter ihnen geschlossen, als Eskeles Flies hastig hineilte und vor diese Thür den Riegel vorschob. Dann durchschritt er das Gemach und näherte sich mit dem Schlüssel in der Hand der gegenüberliegenden Thür. Aber wie er jetzt den Schlüssel in das Schloß schob, zitterte seine Hand so heftig, daß ihr die Kraft fehlte, den Schlüssel umzudrehen und ganz überwältigt von seiner inneren Bewegung sank er auf einen Stuhl nieder.

Wie wird sie mich empfangen? murmelte er leise. Wie werde ich ihr in's Auge sehen? Sie sagen, sie ist bleich und unkenntlich geworden, und ihre Augen sind roth vom vielen Weinen! Oh mein Kind, meine schöne Rahel, werde ich Dich anschauen können ohne Thränen, ohne zu Deinen Füßen niederzusinken und mich anzuklagen als Deinen Verderber? Aber still, unterbrach er sich selber, wozu jetzt die Klagen? Aller Kummer ist ja jetzt ausgelöscht. Ich bin ja hier, um mein Kind wieder heimzuführen in ihr väterlich Haus, um ihr zu vergelten, was ich ihr Böses gethan. Oh, sie soll wieder glücklich werden, und ich werde wieder mit Stolz und Entzücken auf sie schauen können, wenn sie da steht im Kreise ihrer Anbeter, strahlend wie eine Königin, schön wie ein Engel. Jede Thräne, die sie geweint hat, will ich ihr bezahlen mit einem Brillanten, jeden Seufzer will ich vergelten mit einem Goldstück! Oh, ich heiße nicht umsonst der reiche Eskeles Flies, ich habe Mittel, um meine Tochter wieder glücklich zu machen! Jetzt zu ihr, zu meiner Rahel!

Er drehte hastig den Schlüssel um und öffnete die Thür.

Niemand hieß ihn willkommen, als er eintrat, kein Laut unterbrach die Stille dieses schweigenden, öden Gemachs, das durch die vier Lichter, welche da auf dem Tisch in der Mitte des Gemachs standen, auf eine feierliche und unheimliche Weise erhellt ward.

Solche hohen Wachslichter hatten einst das stille schweigende Gemach erhellt, in welchem Rahels Mutter auf der Bahre gelegen.

Daran mußte der reiche Banquier jetzt denken, als er auf diese Lichter hinblickte, und das bleiche stille Leichenantlitz seiner heimgegangenen Gattin fiel ihm ein, als sein Auge jetzt diese bleiche Gestalt gewahrte, welche da drüben auf dem Sopha saß, regungslos wie eine Statue, und in ihrem weißen Gewande mit ihren farblosen Wangen wirklich anzuschauen wie ein Marmorbild.

Wie? War das wirklich Rahel? Diese Frau mit den vergrämten Zügen, der schmerzgebeugten Gestalt, den glanzlosen Augen, war das sein schönes Kind, seine Königin, sein Engel? Was sollten die Diamanten auf dieser gramgefurchten Stirn, was sollten die Goldstücke in diesen blassen magern Händen, die sich matt gerungen in Gebeten der Verzweiflung, und jetzt kraftlos und kalt in Rahels Schooße ruhten.

Ein Schrei des Entsetzens drängte sich auf ihres Vaters Lippen, als er sie anschauete, aber er hielt ihn mit Gewalt zurück und zwang sich zur Ruhe, zur Gelassenheit. Leise und langsam durchschritt er das Gemach und näherte sich seiner Tochter, die ihn fest anblickte mit ihren großen verweinten Augen.

Rahel, sagte er leise und flehend, Rahel, kennst Du mich?

Ich kenne Dich, erwiederte sie kalt, aber Du, kennst Du mich?

Ich kenne Dich, und mein Herz ruft Dich zu sich, mein Kind, meine Rahel, rief ihr Vater mit vor Rührung zitternder Stimme. Oh komm, meine Rahel, komm an das Herz Deines Vaters. Sieh, ich strecke Dir meine Arme entgegen, ich habe Alles vergeben und vergessen, ich will nichts mehr als Dich glücklich machen! Oh, mein Kind, komm doch in die Arme Deines Vaters!

Er streckte ihr seine beiden Arme entgegen, aber Rahel folgte nicht seinem Ruf. Sie war aufgestanden, aber sie blieb bewegungslos stehen und sah ihren Vater mit einem finstern, fast drohenden Blick an.

Herr Eskeles Flies seufzte tief auf und ließ seine Arme sinken. Eine lange Pause trat ein. Dann schritt Rahel langsam zu ihrem Vater hin und blickte, ganz nahe ihm gegenüberstehend, mit durchbohrenden Augen ihn an.

Wo ist Günther? fragte sie. Was hast Du aus ihm gemacht?

Ich? fragte ihr Vater zurück. Der Kaiser hat ihn gestraft, hat ihn wegen Verrath und Treubruch seiner Aemter entsetzt und ihn unter die Soldaten gesteckt. Er ist mit dem Regiment nach Ungarn abmarschirt. Der Kaiser hat ihn als Verräther erkannt und gestraft.

Ich kenne dieses Mährchen, sagte Rahel mit einem verächtlichen Lächeln. Die Priester, die Ihr mir gesandt, haben es mir ja täglich, um mich zu trösten, wiederholt, daß Günther ein Verräther ist, und daß der Kaiser ihn gestraft hat. Aber ich weiß es besser, und Du weißt es auch. Nicht der Kaiser hat ihn gestraft, sondern Du hast Dich gerächt! Du bist es, der ihn als Verräther angeklagt hat, Du bist es, der mit Complotten, mit Intriguen, mit falschem Zeugniß, mit falschen Briefen, mit Allem, was die Rache ersinnen, und das Geld bezahlen kann, ihn dem Kaiser verdächtigt hat! Du allein bist der Ankläger meines edlen unschuldigen Günther gewesen!

Wer sagt das? Wer wagt es, mich anzuklagen? fragte ihr Vater.

Dein Gesicht sagt es! Deine Augen, die nicht wagen, den meinen zu begegnen, Deine Augen klagen Dich an, sagte Rahel feierlich. Leugne es, wenn Du kannst, Vater! Beim Geist meiner Mutter, bei dem Glauben Deiner und meiner Väter fordere ich Dich auf, mir die Wahrheit zu sagen: Bist Du es, der ihn angeklagt hat?

Er wagte es nicht, ihren durchbohrenden Blicken zu begegnen, sondern senkte die Augen nieder. Wer ihn angeklagt hat, gilt gleich, sagte er. Der Kaiser hat ihn schuldig befunden des Verraths, der Kaiser hat ihn gestraft.

Der Kaiser ist getäuscht, elendiglich, sträflich getäuscht, rief Rahel, oh, der Kaiser kennt nicht, was Judenbosheit vermag, er weiß nicht, was die Rache des Juden ersinnen kann. Ich aber weiß es. Ich kenne meinen Vater und ich kenne Günther! Ich weiß, daß Du Dich gerächt hast, und daß Günther unschuldig ist.

Wenn Du das sagst, klagst Du den Kaiser an, der ihn verurtheilt hat.

Wenn ich das sage, klage ich Dich an, der ihn verleumdet und angeschuldigt hat.

Wir wollen uns jetzt in dieser Stunde des Wiedersehens nicht streiten um Worte, sagte ihr Vater sanft. Ich bin nicht gekommen, um mit Dir von diesem Mann zu sprechen, der wie ein dunkler Schatten durch unser Beider Leben dahin gegangen ist, und über Dir geschwebt hat wie eine schwarze Wolke, die mir das Antlitz meines Kindes umdüstert hat. Der Schatten ist jetzt auf immer verschwunden, die Wolke ist vorübergezogen, und Alles ist wieder hell und licht um uns, und nichts soll mehr zwischen uns stehen!

Ein Abgrund steht zwischen uns, und aus diesem Abgrund erhebt sich das Grab meines Glückes, und Günther streckt mir aus demselben seine Hand entgegen. Ich kann nicht zu Dir, mein Vater, ich muß bei diesem Grabe und bei Günther bleiben, und kann niemals darüber hinaus. Ein Schatten, sagst Du, war Günthers Liebe zu mir, eine Wolke, die mein Antlitz verdüsterte? Nein, sage ich Dir, nein! Er war meine Sonne und mein Licht, und alles Unglück der Welt löscht diese Sonne nicht aus. Sie strahlt noch in meinem Herzen, trotz dieser furchtbaren Wochen, die ich jetzt durchlebt habe. Ich sage Dir nicht, was ich gelitten habe in diesen Wochen, nichts von meinem Jammer, meiner Einsamkeit und Verzweiflung, nur das sage ich Dir, daß ich dennoch nicht bereue, ihn geliebt zu haben, daß er immer noch das Licht meines Lebens ist, und daß ich nimmer von ihm lassen werde, wie Er nimmer von mir!

Er ist jetzt ein entehrter Mensch, ein gemeiner Soldat! sagte Eskeles Flies düster.

Und ich werde morgen auch eine Entehrte sein! rief sie fast triumphirend.

Ihr Vater schrak zusammen. Ueber dem Wiedersehen hatte er alles Andere vergessen, selbst die Gefahr, welche Rahel bedrohete.

Rahel, sagte er leise, Rahel, ich komme ja, Dich zu holen, Dich zu erretten vor dem morgenden Tag.

Mich zu holen? wiederholte sie langsam. Wohin?

Zu mir! In das Haus Deines Vaters, Rahel!

Ich habe keinen Vater, sagte sie düster. Er hat mich verstoßen, er hat mich aus seinem Hause verbannt, er hat meinen Geliebten in Schande und Verzweiflung getrieben, er hat mein Glück gemordet. Ich habe keinen Vater mehr, und nie kehre ich heim in das Haus, dem ich entfliehen mußte, weil ich verkauft werden sollte an einen Mann, den ich verabscheute. Du hast meine Seele damals nicht bezwungen, und auch die Priester haben sie jetzt nicht bezwungen! Ich bin frei im Glauben, im Lieben und im Hassen, und diese Freiheit wird mir bleiben und meine Seele aufrecht erhalten, auch wenn sie morgen meinen Körper schmachvoller Strafe dahin geben.

Du wirst diese Strafe nicht erleiden wollen, rief ihr Vater entsetzt. Du wirst widerrufen, meine Rahel, wirst nicht mehr sagen, daß Du keine Religion und kein Glaubensbekenntnis; hast, daß Du nur Gott glaubst, und keiner Religion angehörst.

Ich muß sagen, was wahr ist, ich gehöre keiner Religion an, die Pforten des Tempels und der Kirche sind mir geschlossen, ich bin keine Jüdin mehr, und ich darf keine Christin werden, denn der Schwur, den ich Dir geleistet, hält mich zurück. Aber auch ohne diesen Schwur würde ich jetzt keine Christin mehr werden; durch Furcht und Drohungen will ich mir keine Religion aufzwingen lassen. Frei soll mein Glaube sein, frei mein Gebet. Und ich richte mein Gebet an Gott, ich glaube an ihn, ich hoffe auf ihn, und all der Jammer, den ich erduldet, alle diese qualvollen Tage und Nächte haben mein Vertrauen und meinen Glauben an meinen Gott nicht irre gemacht und nicht erschüttert. Was liegt daran, ob ich nun eine Jüdin, eine Christin oder Deistin heiße, ich glaube Gott, ich liebe Gott, ich fürchte Gott, und ich hoffe auf ein ewiges Leben! Oh, wie hoffe ich darauf! Wie sehnt sich meine ganze Seele gen Himmel! Und morgen schon wird meine Seele ihre Schwingen entfalten, morgen werde ich bei Gott sein!

Morgen? Du willst Dich also selber tödten? schrie ihr Vater, bleich vor Entsetzen.

Nein, aber glaubst Du, daß ich die Schande und Schmach überleben werde, die sie morgen im Namen der christlichen Kirche über mich verhängen wollen? Oh, mein Körper ist todesmatt, und in allen diesen schlaflosen Nächten, diesen trostlosen Tagen habe ich gefühlt, wie der Todtenwurm in meinen Gliedern gearbeitet und gehämmert hat, daß sie immer matter und hinfälliger wurden, immer weniger die Kraft haben, meine Seele noch länger zu fesseln. Bei dem ersten Schlag, mit dem sie morgen meinen Körper treffen, wird meine Seele frei werden und mein Körper sterben.

Rahel, rief ihr Vater verzweiflungsvoll, Du wirst nicht so grausam sein, diese furchtbare Entscheidung abzuwarten. Du wirst das Wort sprechen, das Dich frei macht, Du wirst heimkehren in die Kirche Deiner Väter, Du wirst in diesen Wochen erkannt haben, daß Du keine Christin werden möchtest. Sieh, wie heimtückisch und scheinheilig diese Religion der Christen ist. Sie nennen sie die Religion der Liebe, aber sie ist die Religion des Hasses, des Stolzes und der Grausamkeit. Im Uebermuth ihres Selbstgefühls verachten sie alle diejenigen, welche nicht glauben, was sie glauben, nennen sie Alles eine Irrlehre, welches nicht lehrt, was sie gelernt wissen wollen, und indem sie mit ihren süßlächelnden Lippen das Gebet der Liebe plärren, verfolgen sie mit höhnischer Grausamkeit alle diejenigen, welche ihnen widerstreben, und strafen den Unglauben als ein Verbrechen. Nennen sie nicht Dich, meine unschuldige, edle Rahel, eine Verbrecherin, blos weil Du nicht eintreten willst in ihre Kirche, blos weil Du ehrlich genug bist, zu sagen: ich glaube nicht an Euren Christus und an Eure Kirche, aber ich glaube an Gott! Wollen sie Dich nicht martern mit schimpflicher Strafe, daß Du nur Gott glaubst, nicht die Kirche? Sieh, das ist ihre gepriesene christliche Liebe, das ist ihre Duldsamkeit und ihr Erbarmen. Nein, ich weiß, meine Rahel will sich nicht bekennen zu einer Religion, die mit entehrenden Schlägen diejenigen straft, welche vor ihr zurückweichen. Sprich es also aus, mein Kind, daß Du eine Jüdin bist und bleibst, und Alles ist wieder gut.

Ich kann nicht heimkehren zu dem Gott der Juden, rief Rahel feierlich, es ist ein Gott der Rache und des Zorns, und mein Gott ist ein Gott der Liebe und des Erbarmens; er will sich ja meiner erbarmen, und mich zu sich rufen, morgen schon! Ich muß meinen Gott bekennen und für ihn leiden.

Nun wohl, sagte ihr Vater nach einer langen Pause, so habe denn Deinen Willen! Du willst keine Jüdin mehr sein, und der Schwur bindet Deine Lippen, daß Du keine Christin werden kannst. – Ich nehme diesen Schwur zurück, ich entbinde Dich von der Erfüllung Deines Eides! Gehe hin und werde eine Christin! Oh, Rahel, mein Kind, dies ist der größte Beweis meiner Liebe, den ich Dir geben kann. Um Dich zu retten, erlöse ich Dich von Deinem Schwur. Gehe hin und werde eine Christin!

Nein, sagte sie kopfschüttelnd, ich kann keine Christin mehr werden, darin hast Du Recht, es ist ihnen durch ihre Härte und Grausamkeit gelungen, mich dem Christenthum abwendig zu machen. Die Christen tragen die Liebe auf den Lippen und den Haß im Herzen, ich will nicht zu denen gehören, welche meinen Geliebten unschuldig gestraft haben.

Oh, das sind die Worte einer Jüdin, daran erkenne ich meine Tochter, rief Eskeles Flies, strahlend vor Freude. Wie kannst Du sagen, Rahel, daß Du keine Jüdin bist, da doch Dein Denken und Empfinden, Dein Stolz und Dein Haß jüdisch ist? Du bist mein Kind, bist die Tochter Deines Volkes! Bleibe bei uns, meine geliebte Rahel, laß uns treu zusammenhalten, wie wir es gethan seit uralten Zeiten her. Sieh, der Herr hat uns gezeichnet, und wir sind sein Volk geblieben, obwohl wir verstreut worden durch die ganze Welt. Ueberall, in allen Ländern und bei allen Völkern, erkennt man an seinem Antlitz schon den Juden, und kein Christentaufwasser verlöscht von unserm Antlitz dieses heilige Erkennungszeichen, welches Gott in unser Antlitz gezeichnet. Daran siehst Du, daß das Judentum mächtiger ist, als das Christenthum, denn es läßt sich nicht hinwegwischen, und klagt zu jeder Stunde diejenigen als Apostaten an, welche sich Christen nennen und doch zu unserm Volk gehören. Gott hat uns damit wollen ein Zeichen geben, daß wir treu bleiben sollen ihm und seiner Lehre, und nie uns vermengen sollen mit denen, welche nicht zu uns gehören, und uns schon äußerlich kenntlich gemacht sind durch ihr Gesicht als unsere Feinde. Erkenne also das Judenthum an, das Gott auf Deine Stirn geschrieben hat, meine Tochter. Komm, gieb mir Deine Hand, sage, daß Du wieder zu uns gehören willst, und wenn sie morgen kommen, die christlichen Richter, wenn sie Dich abholen wollen, um Deine edle, schöne Gestalt zu zerschlagen, wenn die Priester ihrer Kirche kommen, um Dich mit Drohungen und Bittworten zu bekehren, dann schreie ihnen entgegen: »ich bin eine Jüdin und will eine Jüdin bleiben!« Und dann wirst Du frei, dann wirst Du wieder die Tochter des reichen Juden sein, und alle Welt wird sich vor Dir beugen, und alle die vornehmen Cavaliere werden wieder werben um Dich, und werden Dich preisen um Deiner Schönheit willen! Oh, Rahel, es kann ja Alles wieder gut und glücklich werden! Komm nur, komm!

Nein, es kann niemals wieder gut werden, sagte Rahel kalt, denn Günther ist nicht bei mir, und ohne ihn giebt es für mich kein Glück. Auch kann ich niemals Dir meine Hand geben und bei Dir bleiben, niemals beten mit Dir in Einem Tempel und zu Einem Gott! Denn Du bist der Ankläger meines Geliebten, und sein Unglück ist das Werk Deiner Rache! Aber ich will Dich jetzt strafen für das, was Du an Günther gethan! Ich bleibe! Ich will die Strafe, die entehrende Strafe leiden, und wenn mein Blut in Strömen über meinen Rücken hinfließt, und wenn mein wahnsinniger Schmerzensschrei die Luft durchhallt, und wenn da auf dem Marktplatz inmitten des gaffenden Volkes ein entehrtes, zerschlagenes Weib am Boden liegt, dann werde ich gerächt sein, denn dann wird der Stolz des reichen Juden gebeugt werden und alle Welt wird mit Fingern auf ihn zeigen, und Jedermann wird scheu zurückweichen vor diesem Mann, dessen einziges Kind entehrende Strafe hat erleiden müssen.

Sie hatte sich stolz und hoch aufgerichtet, während sie so sprach, eine fieberhafte Gluth brannte jetzt auf ihren vorher so bleichen Wangen und ihre Augen leuchteten im Feuer der Begeisterung oder der Krankheit.

Ah, ich sehe wohl, Du hassest mich, sagte ihr Vater traurig, aber ich kann dennoch nicht von Dir weichen, ich muß Dich retten wider Deinen Willen. Rahel, Du mußt und Du sollst mit mir gehen. Sieh, Alles ist bereit zu Deiner Flucht, und der Kaiser selbst will, daß Du fliehst, der Kaiser selbst schaudert zurück vor diesem Strafgericht und will Dich ihm entziehen. Mit Seiner Bewilligung bin ich hier, Er ist es, der mir erlaubt hat, wenn Du nicht widerrufen und zu keiner Religion Dich bekennen willst, mit Dir zu entfliehen, Er selber hat mir Pässe gegeben nach Paris. Dorthin will ich Dich führen, dort wollen wir ein neues Leben beginnen!

Ah, rief sie höhnisch, und die dunklen Rosen des Fiebers leuchteten höher empor auf ihren Wangen, ah, der Kaiser will, daß ich entfliehe, damit die Schmach und Grausamkeit dieses Gesetzes, welches Deisten mit Stockschlägen zur Kirche zurücktreiben will, nicht auf ihn zurückfallen möge. Er hat das Gesetz gegeben, Er muß jetzt auch die Consequenzen tragen. Oh, wird es nicht herrlich sein, wird die Welt sich nicht freuen, zu sehen, wie dieser menschenfreundliche, humane Kaiser, welcher sich verrühmt, die Aufklärung, die Toleranz und Menschenfreundlichkeit zu bringen, auch unduldsam, tyrannisch und grausam ist, wie sie Alle? Ich hasse diesen Kaiser, welcher meinen edlen, unschuldigen Günther in's Verderben gejagt hat, ich will ihn daher nicht erretten von der Schmach, daß er ein Weib hat peitschen lassen, weil sie bekennt, daß sie Gott liebt und fürchtet, aber nicht an eine Kirche glaubt, sondern nur an Gott. Das Glaubensbekenntniß der Deisten war sehr einfach. Es heißt: »Wir glauben an Einen Gott, welcher die Welt regiert, das Böse straft und das Gute belohnt. Wir halten Jesus Christus für den erhabensten und edelsten aller Menschen, aber nicht für einen Gott.« – Die Strafe, welche Kaiser Joseph für diejenigen, welche sich zum Deismus bekennen, zum Gesetz erhoben, lautete auf fünfzig Stockschläge. Aber eben so viel Schläge wurden demjenigen zuerkannt, der einen Andern verleumderischer Weise einen Deisten genannt. Ebenso sollte, »wer Jemand einen Naturalisten nannte, mit zehn Stockschlägen gestraft werden.« Siehe: Groß-Hoffinger, Th. II. und III. und Friedels Briefe, Th. I. Nein, ich fliehe nicht, ich bleibe, der Kaiser soll mich strafen lassen, wie er Günther gestraft hat, er soll mich entehren, wie er ihn entehrt hat. Beide sind wir unschuldig, und unsere Leiden und unsere Thränen werden zum Himmel emporschreien um Rache! Und unsere Qual wird –

Sie stockte und lehnte sich schwankend an einen Sessel. Ist das schon der Tod? murmelte sie leise. Kommt er schon, mich –

Das Wort verhauchte auf ihren Lippen, sie hatte jetzt keine Kraft mehr, die Arme ihres Vaters zurückzuweisen, sie duldete es, daß er sie emporhob an seine Brust, daß er sie durch das Zimmer nach dem Divan trug. Ihr Haupt lag schwer auf seiner Schulter. Ihr Athem stockte in ihrer Brust.

Sie ist ohnmächtig, flüsterte Eskeles Flies, indem er sich über sie neigte und in trostloser Angst in ihr Antlitz schaute. Mein Gott, es ist die höchste Zeit zur Flucht. Rahel, Rahel, erwache! Richte Dich auf, mein Kind, und folge mir. Die Stunde ist abgelaufen, welche der Kaiser mir bestimmt, wir müssen fort, Rahel, damit die Schande Dich nicht ereilt!

Sie athmete hoch auf und öffnete die Augen und blickte ihren Vater mit starren, fieberisch glühenden Augen an. Komm, meine Tochter, komm, sagte er dringend.

Sie regte sich nicht und antwortete auch nicht, sie blickte starr in das Weite und ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Ihr Vater faßte entsetzt ihre Hand, sie wehrte es ihm nicht, ihre Hand brannte wie eine glühende Kohle in der seinen, der Athem, welcher vorher gestockt, kam jetzt keuchend und fieberisch heiß aus ihrer Brust hervor.

Sie ist krank! Sie wird sterben! schrie ihr Vater mit einem herzzerreißenden Wehelaut, und wie zerschmettert sank er neben ihr nieder. Aber dann sprang er wieder empor, dann stürzte er hinaus und rief die Gefangenwärter, und bot ihnen Geld, viel Geld, wenn sie schnell einen Arzt herbeischafften.

Und sie stürzten von dannen, und er eilte wieder zu seiner Tochter hin. Sie lag noch immer mit weitgeöffneten Augen unbeweglich da, ihr Athem keuchte und wimmerte aus ihrer hochfliegenden Brust hervor, ihre trocknen, glühenden Lippen murmelten leise, zitternde Worte, die unheimlich und tonlos, wie Geistergeflüster, die Stille durchbebten.

Endlich kam der Arzt; er neigte sich schweigend über die Kranke, er horchte auf ihren Athem, prüfte ihren Puls und legte seine Hand auf ihre Stirn und ihre Brust. Dann zuckte er leise die Achsel und wandte seine Blicke auf den Banquier hin, der mit hochklopfendem Herzen in athemloser Angst jede seiner Mienen belauscht hatte.

Sind Sie verwandt mit der Kranken? fragte er.

Ja, ich bin ihr Vater, sagte der Banquier, und selbst in diesem schreckensvollen Augenblick that es ihm wohl, dies Wort sprechen zu können, welches so lange nicht über seine Lippen gekommen.

Dann bedauere ich, Ihnen wenig Hoffnung geben zu können, sagte der Arzt. Es ist der Typhus in seiner heftigsten Gestalt. Ich fürchte, die Kranke hat nur noch wenige Tage zu leben; das Fieber muß lange schon heimlich in ihrem Körper umhergeschlichen sein, und sie hat es verborgen, bis es sie jetzt gewaltsam niedergeworfen hat. Hat die Kranke vielleicht irgend einen Kummer, ein großes Herzeleid gehabt?

Ja, ich glaube, sie hat Kummer und Herzeleid gehabt, murmelte Eskeles Flies mit von Thränen halb erstickter Stimme. Sie wird sterben, sagen Sie?

Ich fürchte, daß die Kranke nicht zu retten ist!

Doctor, rief der Banquier, aus seinem dumpfen Schmerz sich aufrichtend, Doctor, Sie müssen sie retten, Sie sollen sie retten. Fordern Sie, was Sie wollen, ich bin ja reich, ich will Ihnen geben, was Sie haben wollen, ich will Ihnen eine Million geben, nur retten Sie mir mein Kind!

Das Leben läßt sich nicht mit Millionen erkaufen, sagte der Arzt achselzuckend, und am Krankenbett ist auch der reiche Mann arm und hülflos. Nur Gott kann retten und helfen, ich habe keine Mittel, um diese Krankheit zu lindern. Hätte ich sie, würde es Ihrer Millionen nicht bedürfen, um mich zur Hülfe aufzurufen. Wir können nur versuchen, zu lindern und der Natur zu Hülfe zu kommen, helfen aber kann nur die Natur und Gott allein!

Was können wir thun zu ihrer Linderung? fragte Eskeles Flies ganz demüthig und zerbrochen.

Kühlende Getränke, kühlende Arzeneien, kalte Umschläge um den Kopf, das ist Alles! Haben Sie keine weibliche Bedienung hier?

Nein, meine Tochter ist allein, sie ist eine Gefangene. Es ist ja Rahel Eskeles Flies!

Ach, die Deistin, welche morgen gestraft werden sollte. Armes Kind, sie wird nicht nöthig haben, irgend eine Kirche zu wählen, Gott, den sie bekannt hat, Gott wird sie zu sich nehmen.

Aber es ist doch noch möglich, daß sie gerettet wird, Doctor, rief der Banquier flehend. Wir müssen alle Mittel versuchen, es muß ja Hülfe geben!

Es muß ja Hülfe geben, wiederholte der Arzt mit leisem Hohn, ja, es muß, denn Sie sind ja der reiche Baron Eskeles Flies, Sie können die Hülfe ja bezahlen! Sehen Sie, wie ohnmächtig Sie sind, all Ihr Geld und Ihre Schätze haben doch diese arme schöne Frau nicht glücklich machen können, und sie wird sterben vor Gram und Kummer trotz ihres Vaters Millionen.

Eben schrie Rahel laut auf und faßte mit beiden Händen nach ihrem Kopf und klagte, daß da in ihrem Hirn ein Feuerbrand sei, der sie verbrenne.

Kalte Umschläge, rasch kalte Umschläge! rief der Arzt mit gebieterischer Stimme, und Herr Eskeles Flies stürzte in das Nebengemach, und holte von dem Toilettentisch seiner Tochter das Lavoir und die Kanne mit Wasser und Tüchern herbei und legte selber mit zitternden Händen die Umschläge um ihre glühende Stirn, und empfand ein seliges Entzücken, als sie aufhörte zu wimmern und wieder still zurücksank.

Wir bedürfen hier der weiblichen Hände und Pflege, sagte der Arzt. Die Kranke muß in's Bett gebracht werden, muß die sorgsamste Pflege haben. Eilen Sie, Herr Baron, holen Sie aus Ihrem Hôtel Dienerinnen und Wärterinnen. Ich nehme Alles auf mich, ich werde selber morgen früh in den Controlorgang gehen, um dem Kaiser Bericht abzustatten. Einer solchen Krankheit gegenüber hört alle Gefangenschaft auf. Eilen Sie nach Hause, und senden Sie weibliche Hülfe.

Nein, ich bleibe, sagte der Banquier entschieden. Sie hat nur noch wenige Tage zu leben, sagen Sie, ich kann also keine Minute missen, die ich bei ihr sein könnte. Ich beschwöre Sie, eilen Sie in mein Hôtel, holen Sie einige von meinen Leuten, die Dienerinnen meiner Tochter, welche immer da waren und sie erwarteten. Oh, aus Barmherzigkeit, eilen Sie hin. Mein Wagen steht an der nächsten Straßenecke, fahren Sie mit ihm hin und bringen Sie die Dienerinnen. Oh, hören Sie nur, sie schreit schon wieder auf, ihr Kopf brennt schon wieder. Neue Umschläge, schnell, schnell!

Und mit angstvoller Hast bereitete er neue Umschläge und legte sie mit der Sorgsamkeit einer Mutter um ihre Stirn. Aber ach, es war kein Wasser mehr in der Flasche, nirgends ein Tropfen mehr, und doch bedurfte er es zu neuen Umschlägen für seine Tochter. Ohne zu zaudern, ohne sich nur zu bedenken, nahm Eskeles die Kanne und stürzte fort, die Treppe hinunter, hinaus auf den Hof und zum Brunnen hin. Mit geschäftiger Eile steckte er die Kanne unter den Brunnen und begann den Brunnenstiel hin und her zu bewegen.

Die ersten Strahlen der Morgensonne begannen eben emporzuleuchten, und einer dieser Strahlen beleuchtete mit hellem Schein das todesbleiche, gramerfüllte Angesicht des Millionnairs, der da am Brunnen stand und Knechtesdienst verrichtete für seine Tochter, die er einst verstoßen hatte!

Jetzt war die Kanne gefüllt, jetzt konnte der Banquier wieder mit ihr hinaufeilen zu der Kranken. Schon auf der Treppe hörte er ihr lautes Schreien und Klagen, ihren wilden Schmerzensschrei. Er beflügelte seine Schritte, er fühlte gar nicht, daß er eine Last trug, seine Füße berührten kaum den Boden. Er war wieder jung und stark geworden in der Sorge um sein Kind.

Der Arzt hatte nur sein Kommen abgewartet, um, wie er gebeten worden, fortzueilen, und die Dienerinnen für Rahel aus dem Hôtel ihres Vaters herbeizuholen.

Er blieb bei ihr, ganz allein, und das that ihm wohl, denn er durfte jetzt weinen, und ihre Hände küssen, die sie ihm willenlos überließ, er durfte auch niederknieen und beten, beten heiß und inbrünstig für das Leben Rahels, seiner Tochter, die er so grenzenlos wieder liebte.

Die Zeit verging, und der Arzt brachte die Dienerinnen und aus der Apotheke zugleich kühlende Arzneien mit, und machte mit halblauter Stimme seine weitern Verordnungen, und versprach, in einigen Stunden schon wieder zu kommen, um zu sehen, ob er noch Weiteres thun könne.

Als er ging, war es Herrn Eskeles Flies, als ob eine Centnerlast sich auf seine Brust wälze, als sei seine Tochter jetzt ganz verloren und aufgegeben.

Er half Rahel in ihr Bett tragen und setzte sich vor ihrem Lager nieder, er saß da Stunde um Stunde, immer bereit, ihr hülfreich zu sein, auf jeden ihrer Seufzer, jede ihrer Klagen achtend, und immer bemüht, ihr Linderung zu schaffen.

Und so saß er da den kommenden Tag und die kommende Nacht, keine Nahrung kam über seine Lippen, kein Schlaf kam in seine Augen. Aber Thränen, ach, welche schmerzvolle, bittere Thränen! Und wie es ihm das Herz zerriß, wenn sie klagte und jammerte, welche Verzweiflung seine Seele erfüllte, wenn er ihren Phantasieen lauschte.

In diesen Phantasieen war sie auch glücklich, sie scherzte und lachte, während der Tod schon seinen Finger auf ihre gramdurchfurchten Züge gelegt hatte.

Oh, wie furchtbar dieses Lachen war, wie grauenvoll, heitere Scherzworte von diesen heißen, fieberzuckenden Lippen flüstern zu hören! Und wie glühend dann wieder diese Sprache der Liebe, mit welchem Entzücken sie zu ihm sprach, zu ihrem Geliebten, den sie immer vor sich sah, von dem sich ihre Gedanken nicht einen Moment abwandten.

Nicht einen Moment gedachte sie ihres Vaters, nicht einmal in ihren Fieberphantasieen nannte sie seinen Namen! Er schien ausgelöscht in ihrem Gedächtniß und in ihrem Herzen. Sie hatte immer noch ihren Geliebten, aber sie hatte keinen Vater mehr.

Oft lag er vor ihr auf seinen Knieen und rief sie an mit verzweiflungsvollem Schmerz, und flehte zu ihr nur um ein Wort, einen Blick, ein Wort der Vergebung.

Aber Rahel schwärmte und lächelte, und sang und scherzte weiter und achtete nicht auf den verzweifelnden schmerzzuckenden Mann, der da bleich und zerschmettert vor ihrem Lager kniete, und den ihre leuchtenden Augen nicht sahen, weil sie immerfort nur ihn sahen, nur ihren Geliebten, ihren Freund.

Aber auf einmal wurden die lächelnden Phantasieen von einem wilden Schmerzensschrei ihrer zuckenden Lippen unterbrochen. Auf einmal fuhr sie empor in wilder Raserei und suchte sich nun mit wilden Zuckungen den Armen ihrer Wärterinnen zu entwinden, und schrie und jammerte über ihr grausames Schicksal und über diejenigen, welche sie so unglücklich gemacht, und rief den Zorn und die Rache des Himmels hernieder auf ihre und auf Günthers Mörder.

Und jetzt in ihrer Raserei hatte sie den Namen ihres Vaters genannt, aber indem sie ihn nannte, hatte sie ihn verwünscht.

Wie er das hörte, sank er mit lautem Jammergeschrei vor ihrem Lager nieder, barg sein Antlitz in seinen Händen und ächzte laut.

Rahel aber ward allgemach stiller und sanfter, sie fiel zurück auf ihr Lager, so matt, so zerbrochen, wie eine welke Blume. Jetzt schien sie zurückzukehren zu ihren glücklichen Phantasieen, denn ein seliges Lächeln umspielte ihre Lippen. Aber sie sprach nicht, sie seufzte auch nicht, sie war lautlos und stumm. Nur einmal flüsterte sie leise, ganz leise: Günther! dann ward sie wieder stumm.

Ganz stumm. Ihr Vater, erschreckt von der tiefen Stille, richtete sich von seinen Knieen empor, er sah die Dienerinnen weinend an der andern Seite des Lagers stehen, er blickte Rahel an.

Wie schön sie aussah, so still, so sanft, so lächelnd und verklärt. So still. Kein Schrei mehr tönte von ihren Lippen, kein Seufzer hob ihre Brust. Aber das Lächeln blieb, blieb unverändert, als die starren, weit geöffneten Augen schon glanzlos wurden und trübe.

Rahel war todt!

Zwei Tage später bewegte sich ein langer dunkler Trauerzug von dem Hôtel des reichen Barons Eskeles Flies dahin durch die Straßen.

Es war der Leichenzug seines einzigen Kindes. Rahel war heimgekehrt in das Haus ihres Vaters, aber nur als Leiche, Rahel bekannte sich wieder zum Judenthum, aber nur als Leiche.

Diese Leiche ward hinausgefahren auf den Begräbnißplatz der Juden, nach jüdischem Ritus ward sie eingesegnet.

Die todte Rahel war keine Deistin mehr, sondern eine Jüdin. Sie war heimgekehrt zu dem Gott, welcher nicht blos der Gott ihrer Väter, sondern der Gott aller Erdenkinder ist.

Viel Leidtragende waren ihrer Leiche gefolgt, nicht blos Männer ihres Volkes, sondern auch viele von den vornehmen Cavalieren, die einst der schönen Rahel, der Tochter des Banquiers und Millionnairs, gehuldigt hatten, der Kaiser selbst hatte seine Equipage gesandt, um ein öffentliches Zeugniß seiner Theilnahme zu geben. Ueber das traurige Schicksal Günthers und seiner »schönen und geistvollen Geliebten Rahel Eskeles Flies« berichtet Hormayr in seiner Schrift: Kaiser Franz und Metternich. Ein Fragment. S. 78.

Als das Begräbniß zu Ende war, fuhren die Kutschen wieder von dannen, hierhin und dorthin, um die Leidtragenden wieder zu den Freuden und Genüssen des Lebens hinzuführen.

Nur den Einen, der da in seiner Kutsche durch die Straßen rollt, den führt sie nicht mehr zu Freuden und Genüssen, niemals mehr. Und doch ist er ein Millionnair und ein vornehmer Mann, und vor ihm beugen sich die stolzen Christen, obwohl er ein Jude ist.

Vor dem stolzen Hôtel des Barons Eskeles Flies hält die Kutsche an, und die Lakaien stürzten herbei, um ihm beim Aussteigen zu helfen.

Langsam, schwerfällig steigt er aus, der fünfzigjährige Greis mit dem weißen Haar, der gramgebeugten Gestalt. Langsam tritt er ein in sein stolzes, glänzendes Hôtel, schreitet er die breite Marmortreppe empor, allein, schweigend und einsam. Niemand heißt ihn willkommen, Niemand ruft ihm einen Gruß der Liebe entgegen. Oede und leer sind die reichen Säle.

Er ist ein sehr armer, unglücklicher Mann, der reiche Baron Eskeles Flies.


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