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Die acht Tage waren verflossen, alle Geschäfte waren beendet, die Regimenter waren ausgerückt und auch der Kaiser war jetzt reisefertig. Er hatte in diesen acht Tagen rastlos gearbeitet, hatte sich Tag und Nacht keine Ruhe gegönnt, und wenn seine Freunde ihn beschworen, sich zu schonen, wenn sein Leibarzt es wagte, ihn zu ermahnen, mehr Sorgfalt auf seine Gesundheit zu verwenden, und von unregelmäßigem Puls und von Fieberröthe auf den Wangen sprach, so wies Joseph alle diese Mahnungen kopfschüttelnd und mit einem sanften Lächeln zurück.
Der Staat hat mich nicht zum Kaiser gemacht, sagte er, damit ich meines Leibes pflege und an mein Wohlergehen denke, sondern damit ich für ihn arbeite, und seinem Wohlergehen jede Stunde meines Lebens weihe. Ich bin nur der erste Beamte meines Staates und wenn ich nicht mehr die Kraft habe, meine Schuldigkeit zu thun, so muß ich mich pensioniren lassen und in ein Kloster gehen, wie Carl der Fünfte. Des Kaisers eigene Worte. Siehe Hübner I. S. 184. Dazu aber habe ich noch gar keine Lust, sondern ich möchte gern noch ein wenig als Kaiser leben, und dann zuletzt auch als Kaiser sterben! Lassen Sie mich also immerhin meine Pflicht thun.
Aber, Sire, sagte der Leibarzt, Herr von Quarin, Sie haben vor allen Dingen auch die Pflicht, sich Ihrem Volk zu erhalten. Und Sie werden krank werden, wenn das so fortgeht. Ew. Majestät haben heute heftiges Fieber, die Wangen sind eingefallen, die Lippen brennen, und die Augen glühen fieberhaft.
Geben Sie mir kühlende Tränke, Doctor, vielleicht kühlt das mein brennendes Herz, rief der Kaiser mit einer schmerzlichen Ironie.
Kühlende Tränke sind nicht genügend, Sire, sagte Herr von Quarin. Der Schlaf ist die Hauptarzenei, welche Ew. Majestät bedürfen, denn Ew. Majestät schlafen zu wenig.
Ich mag nicht schlafen, sagte der Kaiser düster vor sich hin. Der Schlaf bringt mir Träume, die ich fürchte, weil sie schön sind. Und ich mag nicht von einem Glücke träumen, das ich im Wachen nicht besitzen kann!
Der Kammerdiener hat mir gesagt, daß Ew. Majestät die vorige Nacht gar nicht geschlafen haben!
Der Kammerdiener ist ein Schwätzer, der nichts davon weiß, rief Joseph hastig.
Er weiß indessen, daß Ew. Majestät gar nicht Ihr Bett berührten!
Nun, so habe ich im Lehnstuhl geschlafen! – Nein, fuhr der Kaiser nach einer kleineren Pause mit weicherem Tone fort, nein, ich will Ihnen die Wahrheit sagen, Quarin, ich habe wirklich diese Nacht nicht geschlafen. Ich hatte eine schwere Arbeit zu vollenden, und ich durfte Wien nicht verlassen, bevor ich damit fertig war. Ich habe mein Testament gemacht!
Ihr Testament? fragte Herr von Quarin entsetzt. Ew. Majestät fürchten doch nicht –
Ich fürchte gar nichts, unterbrach ihn der Kaiser, selbst nicht den Tod. Oh, es muß schön sein, todt zu sein, denn dann ist es vorbei mit allem Fieber und mit allen Träumen, und man schläft entweder den ewigen Schlaf, oder man ist selig im ewigen Leben und Wachen! Nein, ich fürchte den Tod nicht, aber ich mußte mein Haus ordnen, und mich auf ihn vorbereiten. Die Kugeln haben gar keinen Respect, und wissen nichts von dem Ceremoniell, daß man einem Kaiser nicht unangemeldet nahen darf. Und ich denke, es sollen in nächster Zeit sehr viel Kugeln fliegen, und ich werd' ihnen nicht ausweichen. So könnte es also sein, daß eine von ihnen mein Haupt zur ewigen Ruhe legte. Machen Sie nicht ein so jammervolles Gesicht, Doctor. L'empereur est mort! Vive l'empereur! Und Sie werden einen lieben jungen Kaiser haben nach mir, und eine schöne, liebreizende Kaiserin, ist das nicht besser, als einen mürrischen alten Junggesellen, wie ich es bin? Der Franz ist jetzt mein Stolz und meine Freude, und seine Gemahlin Elisabeth liebe ich wie mein eigen Kind. Ich mußte also wohl mein Testament machen und für meine Kinder sorgen. Doctor, sind Sie nun zufrieden, und verzeihen Sie es mir jetzt, daß ich die Nacht nicht geschlafen habe?
Ich habe nichts zu verzeihen, Sire, ich habe nur zu bitten. Und um eine Gnade möchte ich Ew. Majestät jetzt in dieser Stunde bitten.
Sie wollen mir Arzeneien und Latwerge mitgeben, nicht wahr? fragte der Kaiser lachend. Oh, ich seh's an Ihrem Gesicht, daß Sie das wollen, eine ganze Apotheke liegt in Ihren Mienen!
Nein, Sire, ich möchte Ew. Majestät mich selber mitgeben, ich möchte Sie beschwören, mir zu erlauben, daß ich Ew. Majestät begleite, damit ich zur Hand bin, wenn irgend etwas geschieht!
Nein, Quarin, ich kann Ihnen dies nicht gewähren, sagte der Kaiser ernst. Es wäre zu viel Egoismus von mir, denn Tausende von Menschen würden Sie hier entbehren, und ich – würde doch keinen Vortheil von Ihnen haben, denn mein Unwohlsein dürfte ich doch nicht beachten. Sie wissen ja, ein Soldat im Felde läßt sich nicht krank melden, damit man ihn nicht der Feigheit beschuldige! Und wenn eine Kugel mich niederwirft, so sind ja die Chirurgen da, welche mich so gut verbinden werden, wie meine Soldaten. Bleiben Sie also hier, Quarin, und gedenken Sie meiner, indem Sie recht viele Kranke gesund machen. Und jetzt leben Sie wohl, Quarin! In zwei Stunden reise ich ab. Vorher aber habe ich noch zwei wichtige Geschäfte; zuerst muß ich zum Fürsten Kaunitz und ihm mein Testament bringen.
Ew. Majestät wissen doch, daß der Fürst neulich die Gräfin Clary fast geschlagen, und sie acht Tage von seinem Angesicht verbannt hat, weil sie das Wort »Testament« in seiner Gegenwart ausgesprochen hat?
Ich weiß es, und werde mich wohl hüten, mich in eine ähnliche Gefahr zu bringen, rief der Kaiser lächelnd. Ich werde nicht von meinem Testamente sprechen, sondern ich werde sagen, ich bringe Ihnen hier meinen Friedenstractat mit dem Leben! Seltsames Leben, fuhr der Kaiser sinnend fort, so bunt und wechselnd wie ein Kaleidoscop! Zuerst besorge ich jetzt mein Testament und übergebe die Regierung an Kaunitz, dann wohne ich einer Trauung bei, und dann – dann geht's in den Kampf mit den Türken! Leben Sie wohl, Quarin, auf Wiedersehen hier unten oder dort oben!
Eine Stunde später begab sich der Kaiser, vom Fürsten Kaunitz heimkehrend in die Kapelle der Burg. Er hatte seine Staatsuniform angelegt, und war geschmückt mit allen seinen Orden. Nur bei außerordentlich festlichen Gelegenheiten pflegte der Kaiser sich so zu schmücken, und seit der Vermählung seines Neffen Franz mit der Prinzessin Elisabeth von Württemberg hatte man ihn nicht in so glänzender Toilette gesehen.
Aber heute war sein Antlitz nicht so heiter und freudig strahlend, wie es an jenem Tage gewesen, heute war sein Blick ernst und finster und als er in die Kapelle eintrat, und da drüben vor dem Altar die Braut gewahrte, welche in ihren weißen Gewändern, umwallt von dem weißen Spitzenschleier, der von ihrem Haupt niederfiel, vor dem Altar stand, da überdeckte eine tödtliche Blässe das Antlitz des Kaisers, und er mußte sich an eine der Säulen lehnen, um nicht umzusinken. Aber dies dauerte nur einen Moment, dann schritt der Kaiser vorwärts zu dem Brautpaar hin, das da, umgeben von den nächsten Verwandten und Freunden, vor dem Altar stand, und nur des Kaisers geharrt hatte, um die Ceremonie beginnen zu lassen.
Der Kaiser näherte sich dem Grafen Dietrichstein, und begrüßte ihn freundlich, dann wandte er sich zu dem Grafen Kinsky und reichte ihm seine Hand dar. Aber der Graf schien dies nicht zu sehen, er verneigte sich steif und ceremoniell vor dem Kaiser, der mit einem schmerzlichen Lächeln seine Hand zurückzog.
Noch nicht einen Blick hatte er auf Therese geworfen, auf die bleiche, zitternde Braut, die eben sich auf einen der Sessel hatte niedersetzen müssen, und um welche die Damen mit Flacons und Essenzen beschäftigt waren, denn Therese hatte soeben einen Anfall von Ohnmacht gehabt, und es schien, als würde sich derselbe erneuern. Die Comtesse Dietrichstein, die Tante Theresens, gab indessen den Anwesenden eine genügende Erklärung dieser Ohnmacht. Therese hatte von Kindheit an eine unüberwindliche Scheu vor Gewittern und jeder zuckende Blitz hatte auch ihren zarten Körper zucken gemacht.
Und es stand ein Gewitter am Himmel, eins jener seltenen Frühlingsgewitter, die mit so donnerndem Jauchzen daherrollen, als wolle der Frühlingsgott der ganzen Menschheit verkünden, daß der Winter wieder verschwunden, und er unter Fanfaren und Wetterleuchten wieder einziehe in seine Welt. Der ganze Himmel war bedeckt mit schwarzen Wolken, die nächtige Schatten in die düstere Kapelle hineinwarfen; durch die hohen gemalten Fenster zuckte Blitz auf Blitz, und der rollende Donner schien die Erde erbeben zu machen.
Aber man hatte nicht Zeit, das Ende des Gewitters abzuwarten, denn die Reisewagen standen bereit, sowohl für den Kaiser als auch für den Grafen Dietrichstein und für das junge Paar, das gleich nach der Trauung nach seinen Gütern in Tyrol abreisen wollte. Auch stand Theresens Oheim, der Fürstbischof von Passau, Graf Leopold von Thun, der auf ausdrücklichen Wunsch der Braut die Trauung verrichten sollte, schon umgeben von Prälaten und Kaplanen, vor dem Altar und harrte des Brautpaars.
Graf Dietrichstein näherte sich also seiner Tochter und flüsterte ihr einige Worte in's Ohr. Sie nickte leise mit dem Haupt und erhob sich rasch von ihrem Sessel, aber ihre Gestalt schwankte hin und her, und ihr Antlitz war bleich, wie das einer Todten.
Therese konnte ja das Rollen des Donners nicht ertragen, und eben erschütterte ein majestätischer Donner die Mauern und machte die Fenster klirren, und eben zuckte ein so gewaltiger Blitz daher, daß der Kaiser, der sich eben der Braut näherte, wie in einem Flammenmeer dastand. Aber ihn hinderte dieses Tosen der Elemente nicht, er schritt vorwärts mit erhobenem Haupt und stolzer Haltung, grade zu Theresen hin. Ohne ein Wort, einen Blick verneigte er sich vor ihr und reichte ihr dann seine Hand dar.
Therese legte langsam und todesmatt die ihre hinein, und zuckte zusammen vor der Fiebergluth, die aus des Kaisers Hand in ihre eiskalten, erstarrten Finger sich übertrug. Der Kaiser führte sie zum Altar, hinter ihnen ging Graf Dietrichstein mit seiner Schwester, in ihrer Beider Mitte Graf Kinsky, dessen düstere Blicke mit einem finstern, zornigen Ausdruck bald auf den Kaiser, bald auf seine Braut sich richteten, und jede ihrer Bewegungen, jeden ihrer Schritte zu überwachen schienen.
Aber sie sahen sich gar nicht an, nicht ein einziges Mal wandte der Kaiser sein Haupt seitwärts und blickte auf sie hin, nicht ein einziges Mal richtete Therese ihr gesenktes Haupt empor. Nur der Druck seiner Hand, nur das Beben der ihren mochte ihnen Beiden verrathen, was sie Beide empfanden.
Jetzt standen sie vor dem Altar, jetzt nahm der Kaiser Theresens Hand und winkte den Grafen Philipp von Kinsky näher herzu und legte die kalte, willenlose Hand der Braut in die seine – dann trat er zur Seite.
Der Fürstbischof begann seine Rede, und der Himmel schien der bleichen, schwankenden Braut mit seinem rollenden Donner die Gegenwart Gottes verkünden zu wollen, und ihr seine zuckenden Blitze als Hochzeitsfackeln zu senden.
Die Trauung war zu Ende, der Bischof sprach den Segen, und alle Anwesenden sanken auf ihre Kniee nieder. Neben der Braut kniete der Kaiser. Gemeinsam stiegen ihre Gebete zum Himmel empor, in Einem Seufzer, in Einem Gedanken schwangen sie sich aufwärts. Sie beteten für einander, das fühlten und wußten sie Beide, und darum strahlte Theresens Antlitz jetzt in schwärmerischer Begeisterung, und darum waren die Augen des Kaisers feucht von Thränen.
Aber er drückte sie schnell in seine Augen zurück und erhob sich von seinen Knieen, wie es die Andern thaten, und näherte sich der Braut, um ihr seinen Glückwunsch darzubringen.
Der Donner rollte eben so mächtig, daß Niemand die Worte verstand, welche der Kaiser zu ihr sagte. Sie allein verstand, sie allein hörte, wie er leise sagte: »Lebewohl, Therese! Dort oben bist Du mein!«
Ja, dort oben! flüsterte sie leise, und mit einem Ausdruck unaussprechlicher Sehnsucht richteten sich ihre Blicke zum Himmel empor.
Der Kaiser ließ ihre Hand fahren, und wandte sich an den Grafen Kinsky. Herr Graf, auf ein Wort! sagte er gebieterisch, und er trat einige Schritte zurück aus dem Kreis der Herren und Damen. Graf Kinsky folgte zögernd und mit finstern Blicken dem Kaiser, der noch einige Schritte weiter ging bis zu dem Seitenschiff hin, wo sie allein waren und Niemand sie hören konnte.
Hier blieb der Kaiser stehen und wandte sich um nach dem Grafen, der schweigend und finster ihn anschaute.
Herr Graf Kinsky, sagte der Kaiser ernst und feierlich, Sie lieben die Gräfin Therese?
Der Graf schwieg einen Moment, und sein Antlitz ward noch düsterer, und ein trauriges Lächeln zuckte um seine blassen Lippen. Ich habe sie geliebt, sagte er dumpf.
Sie haben sie geliebt, wiederholte der Kaiser. Sie lieben sie nicht mehr?
Nein, ich liebe sie nicht mehr!
Wann ist Ihre Liebe erloschen, Graf?
Heute vor acht Tagen, Ew. Majestät!
Er sah dem Kaiser mit einem drohenden Zornesblick fest in's Antlitz, aber Joseph schien das nicht zu bemerken. Seine Augen behielten ihren milden, sanften Ausdruck.
Graf, sagte er nach einer kleinen Pause, nicht wahr, obwohl Sie mir grollen, halten Sie mich doch für einen Ehrenmann und sind überzeugt, daß ich niemals einen Meineid schwören würde? Sagen Sie, sind Sie dessen überzeugt?
Ja, Sire, vollkommen überzeugt!
Nun wohl, fuhr der Kaiser hastig fort, ich schwöre Ihnen bei Gott und bei Allem, was mir heilig ist, ich schwöre Ihnen bei meiner Ehre als Kaiser und als Mann, Sie dürfen die Gräfin auch jetzt noch so lieben, wie Sie es vor acht Tagen gethan, Sie dürfen sie ehren und lieben und hochhalten als Ihre Gemahlin und als die einstige Mutter Ihrer Kinder, denn Therese ist rein, wie die Engel im Himmel, und sie darf ohne Vorwurf und ohne Scham zu Gott aufblicken, sie hat weder vor ihrem Vater, noch vor ihrem Gemahl, noch dereinst vor ihren Kindern zu erröthen!
Ew. Majestät müssen sehr genau und vertraut auf dem Grunde ihres Herzens gelesen haben, um gut sagen zu können für die Gräfin, sagte der Graf mit einem höhnischen Lächeln.
Der Kaiser sah ihn betroffen an. Ah, sagte er schmerzlich, Sie sind also unversöhnlich. Aber nicht wahr, Sie glauben meinem Ehrenwort?
Der Graf verneigte sich. Ich werde niemals wagen, an dem Ehrenwort meines Kaisers zu zweifeln.
Und Sie werden Ihre Gemahlin, deren Ehre rein ist wie ein Spiegel, der nie von einem Hauch getrübt worden, Sie werden Therese wieder lieben, wie Sie sie geliebt haben?
Die Liebe läßt sich nicht befehlen, Sire, ich kann mein Lieben und Hassen nicht wie ein Paar Handschuhe aus- und anziehen!
Hassen! rief der Kaiser entsetzt. Mein Gott, es ist doch unmöglich, daß Sie die Frau hassen, welcher Sie eben vor dem Altar Ihre Treue und Liebe gelobt? Weshalb haben Sie denn der Gräfin sich vermählt, wenn Sie sie jetzt, heute hassen?
Sire, heute vor acht Tagen befahlen mir Ew. Majestät, die Comtesse Therese von Dietrichstein an diesem Tage zu heirathen. Ich habe mich als gehorsamer Unterthan, als dienstbereiter Edelmann und Cavalier diesem Befehle nicht entziehen wollen! Ich habe der Comtesse Therese meine Hand gereicht.
Und Sie werden glücklich durch sie werden, Graf, sagte der Kaiser trübe. Ihre Liebe wird verzeihen, und Ihre Gemahlin wird Ihren beleidigten Stolz zu heilen wissen. Sein Sie milde und sanft mit ihr, Graf, denn ihr Herz, glaube ich, ist krank und bedarf einiger Schonung.
Der Graf verneigte sich schweigend. Wollen mir Ew. Majestät erlauben, eine Bitte an Sie zu richten? fragte er dann.
Es wird mich freuen, Ihnen irgend einen Wunsch gewähren zu können, rief der Kaiser lebhaft, bitten Sie also!
Ich bitte Ew. Majestät um die Gnade, mir Ihr Ehrenwort zu geben, daß Sie auf eine Frage, die ich mir erlauben will, an Sie zu richten, mir mit der vollen unverkürzten Wahrheit antworten wollen.
Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, sagte der Kaiser ganz ruhig. Fragen Sie!
Was sagten Ew. Majestät vorher zu der Gräfin, als das Ceremoniell beendet war, und was antwortete sie Ew. Majestät?
Der Kaiser sah den Grafen betroffen und verwirrt an, und antwortete nicht.
Ew. Majestät hatten die Gnade, mir Ihr Ehrenwort zu geben, daß Sie meine Frage mit der vollen Wahrheit beantworten wollten.
Ja, Herr Graf, ich gab Ihnen mein Ehrenwort, und ich werde es halten. Ich sagte: Lebe wohl, Therese! Dort oben bist Du mein!
Ew. Majestät hatten die Gnade, meine Gemahlin zu duzen! Und sie erwiederte?
Sie erwiederte: Ja, dort oben!
Ich danke Ew. Majestät, sagte der Graf, sich tief verneigend.
Der Kaiser nickte leicht mit dem Kopf, und dem Grafen den Rücken zuwendend, kehrte er zu der Gesellschaft zurück. Einen einzigen raschen Blick warf er auf Therese hin, die im Kreise der Damen stand, bleich und matt, mit einem schmerzvollen Lächeln um die zitternden Lippen, dann wandte er sich an den Grafen Dietrichstein.
Jetzt, Herr Graf, sagte er, wird es wohl für uns Beide an der Zeit sein, abzureisen, denn unser Beider Urlaub ist abgelaufen, und wir müssen, als treue Beamte des Staats, unsern Dienst antreten. Leben Sie wohl, Graf, und möchten wir Beide siegreich heimkehren! Addio!
Er drückte dem Grafen die Hand und schritt rasch dahin durch die Kapelle, nach der Thür zu, welche in die innern Gemächer der Burg führte.
Eine Viertelstunde später rollte ein einfacher Kaleschwagen aus dem großen innern Hof der Burg. Darin saß der Kaiser, nur begleitet von seinem General-Adjutanten und einem Kammerdiener.
Er begab sich zur Armee, zu der schon einige Tage zuvor der General-Feldmarschall Lacy abgereist war.
Um dieselbe Zeit stand auch der Reisewagen bereit, in welchem der Graf von Kinsky mit seiner jungen Gemahlin abzureisen gedachte.
Graf Dietrichstein hatte seine Tochter und seinen jetzigen Schwiegersohn in das Hôtel des Grafen von Kinsky begleitet, dort hatte er Abschied von ihnen genommen, und dann sofort seine Reise nach den Niederlanden angetreten. Therese war also jetzt allein, ganz dem Willen und der Gewalt ihres Gemahls dahingegeben! Wie sie das dachte, durchrieselte ein Schauder ihre ganze Gestalt, und mit einem angstvollen Blick schaute sie umher in dem großen düstern Zimmer, in welchem sie sich befand, und das in seiner weiten Ausdehnung nur spärlich von den zwölf Wachskerzen erleuchtet ward, die auf den beiden silbernen Armleuchtern da auf dem Tisch brannten. Dieses düstere Zimmer sollte ihr künftiges Wohnzimmer sein; sie war eben, nachdem sie ihre Reisetoilette beendet, in dasselbe eingetreten, und erwartete jetzt den Grafen.
Sie erwartete ihn mit hochklopfendem Herzen, mit athemloser Brust, es schien ihr, als leuchteten aus jedem dunklen Winkel dieses großen Gemachs ihr seine zornigen Augen entgegen, als tauchte überall aus der Dunkelheit sein bleiches, drohendes Antlitz hervor. Sie fürchtete sich, und wußte selbst nicht weshalb, sie wußte nur, daß der einzige Freund, den sie ersehnte, den sie freudig willkommen heißen möchte, der Tod war.
Eben öffnete sich die Seitenthür, und eine dunkle, ganz in einen schwarzen Mantel eingehüllte Gestalt trat ein. Therese stieß einen Schrei aus und sank auf einen Sessel nieder.
Graf Kinsky beantwortete diesen Schrei mit einem kurzen höhnischen Lachen. Fürchten Sie sich, Madame? fragte er, immer näher zu ihr heranschreitend, und dann mit übereinander geschlagenen Armen vor ihr stehen bleibend, seine düsterflammenden Blicke mit zornigem Ausdruck auf sie gerichtet.
Therese hob langsam ihre Augen zu ihm empor und sah ihn stolz und ruhig an. Ich fürchte mich nicht, sagte sie, auch dann nicht, wenn Sie gekommen sind, mich zu tödten.
Der Graf lachte laut auf. Ach, Madame, rief er rauh, Sie denken, ich werde es machen, wie der Fürst Bragation oder der Herzog von Orleans, die Beide ihre schönen jungen Frauen erwürgten, weil sie von ihnen ihre Ehre verletzt glaubten? Beruhigen Sie sich, Madame, solche romantische Schreckensgeschichten gehören dem vorigen Jahrhundert an, in unserer prosaischen und nüchternen Zeit sucht man seine Ehre auf weniger gewaltsame Weise rein zu waschen, und wenn man sich rächt, so geschieht das nicht durch corsisches Blutvergießen, sondern durch Verachtung. Ich bin nur gekommen, um die gnädige Gräfin zu fragen, ob Sie bereit sind, abzureisen?
Ich bin bereit, sagte Therese, sich langsam erhebend.
Und ich darf die Ehre haben, Sie zu Ihrem Wagen zu geleiten? Sie wollen mir das erlauben?
Mein Vater hat Sie zu meinem Gemahl ernannt, Herr Graf, und also habe ich kein Recht, Ihnen diese Erlaubnis zu verweigern.
Vorher aber bitte ich die Frau Gräfin, gnädigst bestimmen zu wollen, welches meiner Güter die Frau Gräfin Kinsky zu ihrer vorläufigen Residenz erwählen will?
Sie haben auch darüber zu bestimmen, Herr Graf, ich kenne Ihre Güter nicht.
So wähle ich für Sie dasjenige meiner Güter in Ungarn, welches am nächsten an der Grenze nach der Türkei liegt, denn dort werden Madame am raschesten und leichtesten Nachrichten von der Armee und den Heerführern derselben haben können.
Therese antwortete auf diese beißende Anspielung des Grafen nur mit einem ruhigen, kalten Blick. Da ich meinem angetrauten Gemahl gehorchen muß, sagte sie, so werde ich Ihnen das Recht nicht streitig machen dürfen, für mich den Aufenthaltsort auszuwählen, und muß mich fügen.
Ich hoffe, daß die Frau Gräfin nicht lange dem Zwang unterworfen sein wird, sich meinem Willen zu fügen, sagte er finster, und daß die Reise, welche ich soeben antreten will, zu einem günstigen Resultat für uns Beide führen wird. Ich komme nicht blos, um Sie zu Ihrem Wagen zu führen, sondern auch, um mich von der Frau Gräfin zu beurlauben, denn ich bin im Begriff, eine Reise nach Rom anzutreten. Ich will mich dem heiligen Vater zu Füßen werfen und ihn um die Gnade anflehen, die Frau Gräfin zu erlösen von den Fesseln, die Sie an mich binden.
Sie wollen den Papst um Scheidung anflehen? fragte Therese ruhig. Vielleicht können Sie sich diese Mühe ersparen, Herr Graf. Ich bin Ihnen zuvorgekommen. Ich habe schon vor meiner Trauung ein schriftliches Gesuch um unsere Scheidung an den heiligen Vater gerichtet, und –
Se. Majestät hat die Gnade gehabt, Ihr Schreiben durch einen eigenen Courier nach Rom zu befördern, nicht wahr, das wollten Sie sagen?
Therese fuhr ruhig, als habe sie die Unterbrechung gar nicht gehört, fort: und ich habe dieses Schreiben selbst an den päpstlichen Nuntius Monsignore Garampi gegeben. Er hat mir versprochen, es sogleich zu befördern und bei dem heiligen Vater mein dringendes Flehen um Scheidung zu befürworten.
Welch ein seltenes und musterhaftes Ehepaar wir sind! rief der Graf mit einem rauhen Lachen. Wir hegen schon jetzt dieselben Gedanken, dieselben Wünsche, und sehnen uns nach demselben Ziel! Ich nehme jetzt Abschied von Ihnen, Madame, und ich werde nicht eher die Ehre haben, Sie wiederzusehen, als bis ich Ihnen das Decret überreichen kann, durch welches der Papst unsere Scheidung bewilligt.
Sie werden mir alsdann sehr willkommen sein, sagte Therese ruhig. Wollen Sie jetzt die Güte haben, mich zum Wagen zu geleiten?
Ich bitte die Frau Gräfin, mir ihren Arm reichen zu wollen. Nur eins habe ich noch zu bemerken! Ich hoffe, daß Madame dem Kaiser beweisen kann, daß er nicht durchaus nöthig hatte, zu dieser Phrase: »Dort oben bist Du mein!« seine Zuflucht zu nehmen. Aber ich bitte, daß Sie ihm dies hier unten doch nicht eher beweisen, als bis ich die Ehre gehabt, mich Ihnen nach meiner Rückkehr von Rom mit meinen Depeschen zu präsentiren.
Therese hatte nicht die Kraft zu einer Erwiederung. Sie neigte leise ihr Haupt, und zwei Thränen glitten langsam über ihre bleichen Wangen nieder, mit einer stummen Verneigung nahm sie den Arm des Grafen und ließ sich von ihm zu dem Wagen führen, auf welchem schon die Kammerfrauen und Bedienten ihre Plätze eingenommen.
Der Graf hob Therese in den Wagen und machte selbst den Schlag zu. Dann ging er ruhigen Schrittes zu dem Kaleschwagen, der hinter der großen hochbeladenen Reise-Equipage stand, und schwang sich rasch hinein.
Zu gleicher Zeit donnerten die beiden Wagen von dem Schloßhof, nur daß sie nicht dieselbe Straße einschlugen, nur daß das junge Ehepaar, welches soeben vor Gottes Altar geschworen, den Weg durch das Leben gemeinsam zu machen, ihre Ehe damit begann, daß ihre Wege sich trennten, um sich nie wieder zu begegnen. Die Gräfin begab sich auf eins der ungarischen Güter ihres Gemahls, der Graf fuhr nach Rom, den Papst um seine Scheidung anzuflehen. Der ganze Hergang dieser Scene ist historisch. Die »himmlische Therese«, wie Hormayr sie nennt, ward wirklich so vermählt, und so von ihrem jungen Gemahl verlassen, »denn,« so sagen die Geschichtsbücher, »er glaubte sich verletzt, glaubte an ein mehr als platonisches Verhältniß zwischen ihr und dem Kaiser, schied gleich nach der Trauung von ihr, und eilte nach Rom.« – Indessen erfolgte die Scheidung nicht so leicht und schnell, als Beide gehofft hatten. Der Papst weigerte sich, die Scheidung auszusprechen, vielleicht weil er glaubte, daß er gerade den Oesterreichern, deren Kaiser ihm und der Kirche so oft feindlich und hemmend entgegengetreten, die Unbeugsamkeit und Macht der katholischen Kirche beweisen müsse. Jahre vergingen unter nutzlosen Bemühungen, endlich gab der päpstliche Nuntius Severoli den Rath, Therese möge constatiren, die Trauung sei unter den heftigsten, von Therese überhaupt ungeheuer gefürchteten Gewitterschlägen geschehen, und sie sei während dessen stets halb ohnmächtig und fast ganz bewußtlos gewesen. – Außerdem gab der Fürstbischof Leopold von Thun das Attest: »er habe gar nicht gehört, daß die Ohnmächtige das Ja ausgesprochen habe.« Diese Erklärungen führten endlich zu dem gewünschten Ziel. Die Ehe des Grafen Kinsky ward als wesentlich defect, ja null erklärt, und Beide wurden von den Fesseln derselben befreit. Nach dem Tode des Kaisers vermählte sich Therese an den Grafen Max Meerveldt, denselben, der 1797 mit Napoleon den Frieden von Campo Formio schloß. Siehe Hormayr: Kaiser Franz und Metternich. Ein Fragment. S. 180.