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Das Schicksal schien es einmal darauf abgesehen zu haben, den Muth und die Ausdauer des Kaisers prüfen zu wollen, und ihn seine unangreifbare Macht fühlen zu lassen. Es widerstrebte allen seinen Wünschen, es zermürbelte alle seine Kraft, es legte ihm die grausamste Enttäuschung von allen seinen Hoffnungen und Wünschen auf. Mit dem stolzen Gleichmuth der unnahbaren und unangreifbaren Gottheit schien es prüfen zu wollen, wie viel die Kraft eines Sterblichen ertragen, wie viel ein menschlich Herz zu dulden vermöge.
Aufruhr und Empörung bedrohte den Kaiser in allen seinen Provinzen, in den Niederlanden und in Ungarn hatte sich schon die Empörung organisirt und bedrohte den Kaiser mit offenem Abfall, wenn er die alten Privilegien nicht herstellen, die alten Verfassungen, die er umgestürzt zum Wohle seines Volkes, nicht wieder aufrichten wolle zum Wohl des stolzen Adels und der herrschsüchtigen Geistlichkeit. In Tyrol begann das Volk auch schon zu murren, und schaarte sich mit drohendem Geschrei hinter seinen Priestern, um diese, wenn es sein müsse, zu vertheidigen gegen den Kaiser selbst. Auch in Rom hatte man noch nicht Frieden gemacht mit dem Kaiser, und mit geharnischtem Widerstand hatte sich der ganze katholische Clerus dem Kaiser gegenüber gestellt.
Und zu diesem Allen kam jetzt noch dieser türkische Krieg, der dem Kaiser und seinem Heer wenige vereinzelte Lorbeern, aber desto mehr Schmerzen und Krankheiten brachte.
Das Schicksal schien es darauf abgesehen zu haben, den Muth und die Ausdauer des Kaisers zu prüfen. Es bedrohte ihn nicht allein mit Aufruhr und Empörung, mit der Vernichtung aller seiner Pläne, es sandte seinem Heer, das in den feuchten Sümpfen zwischen der Donau und Save lagerte, in den Sommermonaten eine glühende Hitze, und in Folge derselben verheerende Krankheiten, die in den Reihen der Regimenter furchtbarer wütheten, als es eine ganze feindliche Armee in offener Feldschlacht vermocht hätte.
Die Spitäler waren überfüllt, traurig und mißmuthig schlichen die Soldaten im Lager umher, und endlich begannen auch sie zu murren, endlich begann auch in der Armee ein finsterer Geist der Unzufriedenheit und der Insubordination sich zu regen, und die Soldaten, besiegt von dem unsichtbaren Schlachtenführer Tod, der unaufhaltsam in ihren Reihen wüthete, muthlos gemacht durch Krankheiten und Entbehrungen aller Art, die Soldaten verloren die Freudigkeit und das Vertrauen zu ihren Heerführern, und murrten laut über diesen lässigen und unthätigen Krieg, und nannten den Kaiser und Lacy die Urheber desselben. Dieses unthätige Lagerleben empörte sie und machte sie unwirsch und träge, sie wollten entweder zurück in die Heimath oder vorwärts dem Feinde entgegen ziehen.
Vorwärts dem Feinde entgegen! Das war auch die Sehnsucht des Kaisers. Und dennoch konnte er ihr nicht genügen, dennoch mußte er auch jetzt wieder, wie im baierischen Krieg, unthätig dem Feinde gegenüber lagern mit seiner Armee, denn er wartete noch immer vergeblich auf das Anrücken der Russen, die, dem gemeinsamen und verabredeten Plan gemäß, sich mit den Oesterreichern vereinigen sollten, um den Grenz-Cordon unüberwindlich zu machen und gemeinsam vorzurücken in die türkischen Länder.
Aber die Russen zögerten noch immer, denn unerwartete Mißhelligkeiten, die mit den Schweden ausgebrochen waren, nöthigten die Kaiserin, auch ein Armeecorps an den nördlichen Grenzen aufzustellen, und hinderten sie, mit gehöriger Kraft in der Moldau und in Bessarabien aufzutreten.
Wieder also war der Kaiser verurtheilt, zu zaudern und zu warten, wieder durfte er es nicht wagen, vorwärts zu gehen. Denn seine Armee war allein nicht stark genug, um der ganzen vereinten türkischen Macht zu trotzen. Er mußte warten auf Rußland, und Rußland kam noch immer nicht, und die Hitze, die Krankheiten dauerten fort.
Joseph mußte sich dem Schicksal, das wieder ein neues Opfer der Entsagung von ihm forderte, unterwerfen. Seine Truppen mußten sich von allen Seiten aus dem türkischen Gebiet zurückziehen, die Geschütze mußten nach Peterwardein zurückgeführt werden, denn die Belagerung von Belgrad, welche des Kaisers glühender Wunsch gewesen, mußte jetzt vorläufig ganz und gar aufgegeben werden.
Und wieder lagerte sich die Armee in unthätiger Ruhe hin, und die Hitze und die Krankheiten folgten ihnen auch zu ihren neuen Lagerstätten. Immer lauter murrten die Soldaten, immer vernehmlicher klagten sie den Kaiser an für alle Leiden, die sie erduldeten. Sie beachteten es nicht, daß er mit ihnen litt, daß er mehr litt als sie, denn sie hatten nur die physischen Leiden, er hatte aber außerdem noch die moralischen.
Er theilte mit seiner Armee jede Gefahr und jede Beschwerde, jede Entbehrung und jede Noth, er sorgte für sie mit unablässiger Liebe und Treue. Er legte für sie Lagerspitäler an, ließ täglich Wein unter die Mannschaften vertheilen, ließ Brunnen graben, und mit ungeheuren Kosten von fernher kräftige Nahrungsmittel kommen. Vor Sonnenaufgang mußte exercirt und manoeuvrirt werden, damit die Hitze des Tages die Mannschaften nicht erschöpfe. Alles Lagerceremoniell ward aufgehoben, und selbst die Annäherung des Kaisers durfte die Soldaten nicht unterbrechen in ihren Beschäftigungen und in ihrer Ruhe. »Wer liegt, bleibe liegen, wer sitzt, bleibe sitzen,« war der ausdrückliche Befehl des Kaisers, und Niemand durfte auf ihn sehen, wenn er durch das Lager schritt, mit sorgsamen, liebevollen Augen hin- und herspähend, jeden Kranken mit mitleidigen Blicken betrachtend, überall aufmerkend, wo es der Hülfe, der Verbesserung bedurfte.
Und Niemand sah auf ihn. Niemand sah, daß auch auf ihn die tödtliche Luft der Sümpfe, die glühende Hitze, die Entbehrungen und Strapazen ihre Wirkung ausübten, Niemand wußte, daß das Fieber auch in seinem Körper ras'te, daß es seine Kräfte ausdörrte und sein Blut in Feuerströmen durch seine Adern jagte.
Niemand sah es, und der Kaiser klagte zu Niemand. Wenn seine Armee schlief, arbeitete er. Auch im Feldlager war er immer noch der thätige Regent, welcher nicht blos für die Armee zu sorgen und an den Krieg zu denken hatte, sondern der für alle seine Länder und Provinzen der denkende Kopf, die handelnde Hand sein mußte.
Im Lagerzelt arbeitete er daher wie in seinem Cabinet der Burg zu Wien. Alle wichtigen Regierungs-Depeschen mußten ihm von Wien aus gesandt werden, alle Chefs der Hofstellen mußten ihm ihre Acten senden, und von Bergen derselben umgeben, saß er oft inmitten der Nacht vor seinem kleinen Arbeitstisch, umschwärmt von den Schnaken, der fürchterlichen Plage dieser Gegenden, die kalte sumpfige Nachtluft einathmend, mit brennenden, dürstenden Lippen, und arbeitete mit ruhiger Gelassenheit und ohne Klage an seinen Acten und Depeschen. Im Wiener Archiv wird eine Depesche aufbewahrt, welche der Kaiser in der Nacht vor der Einnahme von Sabacz mitten im Walde unter freiem Himmel ausgefertigt hat. Siehe: Groß-Hoffinger III. S. 464.
Das Schicksal hatte es darauf abgesehen, den Muth und die Ausdauer des Kaisers zu prüfen.
Einen Lichtblick indessen gab es in diesen trüben und unheilsvollen Tagen. Das war die Einnahme der Festung Sabacz; Joseph selber leitete die Belagerung; drei Kanoniere wurden an seiner Seite erschossen, die von den Kugeln aufgewirbelte Erde bespritzte des Kaisers Antlitz und seine Gewänder, Hübner II. S. 472. aber inmitten des Kugelregens blieb er heiter und ruhig, und seit langer Zeit hatte man sein Antlitz nicht so freudig strahlen sehen, als an diesem Tage.
Aber dies, wie gesagt, war doch nur ein Lichtblick in der Reihe der trüben und düstern Tage, die ihm folgten, und welche die Armee zur Unthätigkeit, zum Ausharren in diesen ungesunden, sumpfigen Gegenden Siebenbürgens nöthigten. Plötzlich indessen ward diese verzweiflungsvolle Ruhe durch den Schreckensruf unterbrochen: »die Türken sind über die Donau gegangen und wollen in das Banat einfallen!«
Nun auf einmal ward Alles lebendig in dem siechen, todesmatten Heer. Wie von einer schwer drückenden Last befreit, athmete Joseph auf, der Moment der That war endlich doch gekommen, der Kampf sollte beginnen.
Die Kriegstrompete schmetterte durch das Lager und rief die Grenadiere und den größten Theil der Infanterie- und Cavallerie-Regimenter zum Marsch auf, und mit ihnen zogen der Kaiser und Lacy aus, den Türken entgegen. Aber bald kamen ihnen von allen Seiten fliehende Regimenter entgegen. Mit angstbleichen Gesichtern verkündeten sie, der Großvezier habe mit seinem Heer an zwei Stellen den Grenz-Cordon der Oesterreicher durchbrochen, der General Papilla habe sich schon vor ihnen mit seinen Truppen und Kanonen zurückgezogen, dadurch sei eine Lücke im Cordon entstanden, und durch diese wälzten sich jetzt die raubsüchtigen und wüthenden Schaaren der Türken unter Anführung des Großveziers in das Banat herein.
Und wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Kunde von Posten zu Posten, von Lager zu Lager, und von panischem Schrecken getrieben wich das Heer zurück, immer weiter zurück, denn immer sahen sie vor sich die glühenden Feuersäulen der Städte und Dörfer, welche den nahenden Schritt der Moslems verkündeten; immer hörten sie die Luft erzittern von dem Wehegeschrei der geängsteten Flüchtlinge, welche mit zerfetzten Gewändern, mit blutenden Wunden, mit zerschlagenen Gliedern in ganzen Haufen daher geras't kamen, um bei der Armee des Kaisers Schutz zu suchen gegen diese türkischen Horden, die wie ein beflügeltes Furienheer das Land überströmten, überall hin Tod und Verderben brachten und die Arrièregarde in ganzen Haufen niedersäbelten.
Immer weiter zurück wich das kaiserliche Heer, denn es hatte nicht die Kraft, nicht die moralische und physische Kraft, diesen ungeheuren Türkenhorden, die wie tosende und heulende Sturmeswellen jetzt daher brauseten, zu trotzendes mußte sich zurückziehen vor dieser heranschwellenden Fluth.
Immer weiter, weiter zurück wich das kaiserliche Heer. Jetzt stand es bei Lugos, hier sollte es rasten, denn jetzt glaubte man sich weit genug von den Türken entfernt, um nach so langem qualvollen und angestrengten Marsch einige Stunden der Ruhe und der Erholung genießen zu können. Mit einem Gefühl unaussprechlichen Behagens lagerten sich die Soldaten, bewaffnet und gerüstet zum Weitermarsch, aber voll Sehnsucht nach einigen Stunden Schlafs. Neben den Kanonen legten sich die Kanoniere, neben ihren gesattelten Pferden die Cavalleristen nieder, in langen Reihen sank die Infanterie auf die Erde hin, unbekümmert um ihre Feuchtigkeit und Kühle, nur selig, endlich die Glieder strecken, endlich schlafen zu können.
Und der Schlaf kam, die müden Augen der Krieger zu erquicken, und über das stille, schweigende Lager schien der Mond mit ruhiger, stiller Klarheit dahin.
Der Kaiser machte noch einen letzten Gang durch das Lager, er sah, daß überall Friede und Ruhe herrschte, er prüfte mit spähendem Auge nach allen Seiten hin, nirgends ließ sich eine Rauchsäule, eine Flamme gewahren, nirgends auch vernahm man irgend ein Geräusch. Die Türken waren fern, die Oesterreicher konnten also schlafen.
Tiefe Ruhe herrschte in der ganzen Natur, tiefe Ruhe auch in dem improvisirten Lager der Armee des Kaisers, der Kaiser kehrte in seine Lagerstätte, das heißt, in seine Kalesche zurück. Dort wollte er jetzt einige Stunden ruhen. Die Kälte der Nacht fächelte so angenehm seine fieberglühenden Wangen, in der sternenklaren, mondhellen Nacht ließ es sich so köstlich träumen.
Der Kaiser schlief nicht, er träumte mit offenen Augen, er sah, wie allmälig Wolken heranzogen und die Sterne verdüsterten, und den Mond wie mit einem schwarzen Trauerschleier überdeckten, und mit einem trüben Lächeln sagte er zu sich selber, daß dies ein treues Bild sei seines eigenen Lebens, und daß auch für ihn alle Sterne erloschen und jeder Lichtstrahl von schwarzen Trauerschleiern verdüstert sei.
Immer schwerer und schwerer zogen die Wolken herauf und deckten jetzt eine tiefe Nacht über die Erde und über das schlafende Heer. Der Kaiser lag hingestreckt in seinem Wagen und schaute zum Himmel empor und versank tiefer in seine Träume.
Aber nicht Alle schliefen im Lager. Drüben am linken Flügel desselben, da ging es lebendig her, da hatten sich um einen Wagen mit Branntwein Husaren gelagert und tranken in langen Zügen, mehr Stärkung erhoffend von dem berauschenden Getränk, als von dem Schlaf. Und auch einige Soldaten des Freicorps, das in ihrer Nähe lagerte, waren ihrer Meinung. Auch sie wollten lieber mit Branntwein sich erquicken, als mit Schlaf, und sie stürmten heran zu den Husaren und forderten mit Ungestüm, daß diese mit ihnen den Branntwein theilen sollten. Diese weigerten sich, und zwischen den Husaren und den Soldaten des Freicorps kam es zu wüthenden Händeln. Aber die Husaren blieben Sieger bei denselben. Sie jagten die Soldaten in die Flucht und lagerten sich wieder triumphirend um die gewonnenen Fässer, und schlürften in langen Zügen von dem berauschenden Getränk, und sanken dann betäubt, überwältigt vom Schlaf und der Trunkenheit zur Erde nieder.
Eine Zeit lang herrschte jetzt tiefe Stille auch auf diesem Flügel der Armee. Der Himmel war jetzt ganz dunkel und umwölkt und Alles schlief im Lager.
Und hätten Einige auch gewacht, sie würden doch kaum die Soldaten des Freicorps bemerkt haben, welche die Husaren vorher in die Flucht geschlagen, und die jetzt mit Wuth und Rachegedanken im Herzen leise herankrochen, wie Schlangen auf der Erde weiter rutschten, bis sie ganz nahe waren bei der Lagerstätte der Husaren.
Nun auf einmal sprangen sie empor, nun feuerten sie mit schmetterndem Knall ihre Gewehre ab und schrieen und brüllten mit wildem Geschrei: Türki! Türki!
Die Husaren, betäubt noch vom Branntwein, sprangen auf, hier und dort richteten sich andere Schläfer empor, das Wort Türki hatte sie Alle lebendig gemacht.
Die Türken sind da! schrie Alles wild durcheinander. Die Türken sind da, laßt uns fliehen!
Und die Schlaftrunkenen erhoben sich taumelnd vom Boden und schrieen mit lallender Zunge: die Türken sind da! und stürzten rathlos, besinnungslos vorwärts, gleichviel wohin, nur fort von hier, wo die Türken sind, wo sie eben mit lautem Gewehrknall die ruhigen Schläfer geweckt. Mitten hinein in die Reihen der Schläfer stürzten die entsetzten, schlaftrunkenen Soldaten vorwärts mit der furchtbaren Klage: die Türken, die Türken sind da!
Halt! Hall! schrieen den entsetzten Schaaren die Besonnenen entgegen. Halt! Hall!
Den geängsteten Ohren klingt das wie Allah, Allah! wie das gefürchtete, oft vernommene Kriegsgeschrei der Türken.
Die Türken also auch hier! Die Türken haben die ganze Armee umringt. Man muß sich seines Lebens wehren, man muß sich hindurch schlagen durch die wüthenden Schaaren.
Die Säbel heraus, die Gewehre geladen, die Türken sind da mit ihrem Allahgeschrei. Der Kampf beginnt, in's Blaue hinein feuern Diese, in's Blaue hinein schwingen Jene ihre Schwerter. Wuthgeheul, Jammergeschrei, Aechzen und Klagen, das Todesgeröchel der Sterbenden, das Winseln der Verwundeten erfüllte die Luft. Immer allgemeiner, immer ungeheurer ward die Verwirrung. In blinder Wuth, in bleichem Entsetzen feuerten und kämpften die Schaaren, der Freund gegen den Freund, der Bruder gegen den Bruder, immer noch überzeugt, daß er die Türken vor sich habe, daß es nur Türken seien, vor denen er floh.
Bald war die Verwirrung, das Entsetzen allgemein. Die fliehenden Schaaren wälzten sich rückwärts in das Lager, der Jammerschrei: die Türken, die Türken kommen! sauste vor ihnen her, und in der Dunkelheit und in der Verwirrung des ersten Schreckens hielt man die Fliehenden für die anstürmenden Türken, und empfing sie mit Kartätschenschüssen, und schwang gegen sie die Schwerter.
Vergeblich, daß die Officiere und Generäle Ruhe und Halt geboten, ein panischer Schrecken hatte sich jetzt durch das ganze Heer verbreitet. Alles floh durch einander, Alles kämpfte gegen einander. Die ganze Armee glich jetzt nur noch einem einzigen wild bewegten Meer, das in brausenden Wellen auf und nieder rauschte.
Der Kaiser war von dem wilden Lärm aus seinen Träumen geweckt, in seiner offenen Kalesche war er, begleitet von einigen Generälen und Adjutanten zu Pferde, vorwärts geeilt, gerade hinein in das wilde Getümmel. Aber die wüthenden Schaaren achteten nicht mehr auf den Kaiser, nicht auf sein Commandowort. Die Kugeln pfiffen um die Ohren des Kaisers, die Kugeln seiner eigenen Soldaten, die in wildem Kreuzfeuer von hüben und drüben die Luft durchsauseten.
Und die Nacht war so dunkel, der Mond ganz von Wolken umhüllt, keine Sterne am Himmel, als fürchteten sie herniederzuschauen auf dieses furchtbare Gemetzel, auf diese Bruderschlacht.
In immer wilderen Wogen brausten die Flüchtenden durcheinander. Nach der kleinen Brücke, die dort drüben über das Flüßchen führt, drängten die angstbleichen Schaaren. Aber gerade vor dieser Brücke hatte der Kaiser seinen Wagen auffahren lassen. Hier wollte er die Fliehenden aufhalten, wollte ihnen sagen, daß Alles nur ein falscher Lärm, daß gar kein Feind da sei.
Aber die Fliehenden achteten nicht auf seine Worte, nicht auf seinen Commandoruf. Sie drängten vorwärts, sie schoben in ihrer wilden Angst den Wagen des Kaisers vorwärts, gerade hin an das steile Ufer des Flusses. Er neigte sich, die fliehenden Schaaren stießen in dem Wahnsinn ihres Entsetzens gegen ihn mit den Kolben ihrer Gewehre, sie wußten nur, daß dieser Wagen ein Hinderniß sei, das sie aufhielt, nichts weiter.
Der Wagen stürzte nieder von dem Ufer, gerade hinein in das Wasser, das zischend emporschlug. Niemand achtete darauf. Jeder dachte nur an sich, nur an seine Flucht. Niemand achtete auf den Wagen, der im Wasser versank, auf den Kaiser, der besonnen und kühn in dem Moment, wo der Wagen sich neigte, aus demselben heraussprang.
Jetzt stand er auf seinen Füßen, jetzt fühlte er wieder Boden unter sich; aber er war allein, Niemand von seiner Suite war mehr bei ihm. Sie Alle hatte der wilde Strom der Flucht, das wahnsinnige Drängen und Schieben von ihm getrennt.
Der Kaiser war allein, denn der Strom der Flüchtenden hatte jetzt eine andere Richtung genommen, die kleine Brücke war zusammengebrochen, und mit wüstem Geschrei lief jetzt Alles an dem Ufer entlang, nach einem anderen Uebergang spähend. Weit ab wälzte sich die Flucht.
Der Kaiser stand allein und verlassen inmitten der grausen Nacht auf ödem Feld.
Mit trostlosem Schmerz blickte er empor zum Himmel und seine Lippen flüsterten leise: jetzt könnt' ich sterben! In dieser Nacht des Schreckens könnte mein Leben ausglühen wie ein Licht, das man in's Wasser wirft, und das zischend erlischt! Oh, meine Seele ist wund und todesmatt, alle meine Hoffnungen sind zerschmettert. Könnt' ich jetzt nicht sterben? Liegt nicht mein Wagen da unten im Wasser? Wer will's wissen, wer den Kaiser da mit seinem Wagen hinabgestürzt? – Er schwieg und schaute sinnend und schwermuthsvoll aufwärts. Nein, nein, rief er dann laut und mit mächtiger Stimme, nein, es ist noch nicht Zeit zum Sterben! Ich will, ich kann, ich darf noch nicht sterben. Ich will nicht dahin gehen, verkannt und geschmäht von meinem Volk! Ich muß noch leben, um mein Volk überzeugen zu können, daß nur die feste Begründung seines Glückes das einzige Ziel aller meiner Arbeiten und Mühen ist! Des Kaisers eigene Worte. Siehe: Hübner II. S. 488.
Eben trat der Mond hinter zerrissenen Wolken hervor und beleuchtete mit hellem Schein das Antlitz Josephs, dies traurige, bleiche, schmerzzuckende Antlitz. Hübner II. S. 475.
Der Kaiser! rief eine laute Stimme unfern von ihm. Der Kaiser! rief sie noch einmal, und ein Reiter sprengte heran, er hielt gerade vor dem Kaiser an und schwang sich hastig vom Pferd.
Hier, Majestät, mein Pferd! Besteigen Sie es! Es ist ein sicheres Thier!
Du kennst mich? fragte der Kaiser.
Ja, Majestät, ich bin ja ein Reitknecht von der Suite Ew. Majestät. Wollen Sie die Gnade haben, mein Pferd zu besteigen?
Aber Du? fragte der Kaiser, indem er sich in den Sattel schwang. Was wird aus Dir werden?
Ich werde Ew. Majestät begleiten, sagte der Jockey frohen Muths. Die Pferde laufen heute Nacht wie toll herum, wir werden schon einem Thier begegnen, und ich werd's mir einfangen, und wenn's dann Ew. Majestät gefällig ist, reiten wir nach Karansebes. Der Mond scheint ja jetzt wieder hell, und ich glaube, ich werde den Weg schon finden!
Ich habe meinen Weg schon gefunden, flüsterte der Kaiser leise vor sich hin, als er langsam dahinritt durch die schweigende Nacht. Gott hat mir meinen Weg gezeigt, als er mir Hülfe sandte in dieser einsamen, dunklen Stunde. Das Leben hat mich wieder zu sich gerufen, und ich will es muthig und geduldig tragen, so lange es Gott gefällt!
Eben sprengte in wildem Lauf ein herrenloses Pferd daher; der Jockey faßte es mit kräftiger Hand und brachte es zum Stehen, und schwang sich mit lautem Jauchzen in den Sattel.
Jetzt, Herr Kaiser, jetzt wollen wir fröhlich davon jagen, rief er jubelnd. Da sind wir auf dem rechten Weg, und in einer Stunde werden wir in Karansebes sein.
In Karansebes, sagte der Kaiser gedankenvoll vor sich hin. Cara mihi sedes! so hat Ovid gesungen, und aus der Ode ist eine Stadt geworden Groß-Hoffinger. III. S. 471. – ein Denkmal seines Ruhmes und der Stadt, der seine Ode den Namen gegeben, das ist das Grab Ovid's. In Karansebes ist er gestorben, und jetzt kommt ein verirrter, einsamer Kaiser zu dem Grabe des Dichters, um bei ihm ein wenig Trost und Schutz zu suchen, und auszuruhen auf seiner dornenvollen Pilgerfahrt in dem Schatten seines Dichtergrabes. Ovid, gönne mir eine Zuflucht in Deiner Stadt! Oh Cara mihi sedes! wo bist Du?
Schweigend und in sich gekehrt ritt er weiter, der Jockey sprengte vor ihm her; gedankenvoll folgte ihm der Kaiser.
Der Morgen dämmerte herauf, da ritten sie in Karansebes ein. Und jetzt war die Gefahr vorüber, denn hier hatten einige der Regimenter sich gesammelt, hier fand der Kaiser seine Generäle, seine Suite und auch seinen geliebten Neffen, den Erzherzog Franz, wieder, der, gleich ihm, von dem Gedränge mit fortgerissen, aber von seinen Getreuen gerettet worden. Mit ihren eigenen Leibern hatten sie den Erzherzog geschützt, und ein Quarré um ihn bildend, hatten sie ihn sicher aus dem Getümmel entführt und nach Karansebes gebracht. Hübner II. S. 477.
Die Gefahr war beendet, aber diese Schreckensnacht von Lugos hatte des Kaisers letzte Kräfte aufgezehrt. Das Fieber durchraste von nun an so heftig seinen Körper, daß er nicht mehr sein Pferd besteigen, nicht mehr arbeiten konnte.
Und zu dem physischen Leiden kam noch das moralische. Die Armee hatte kein Vertrauen mehr zu ihm, sie glaubte nicht an ihn. Sie rief mit lautem Ungestüm nach Loudon, sie beschwor den Kaiser, Loudon zum Heere zu rufen, denn Er allein sei im Stande, die Truppen zu siegreichen Schlachten zu führen.
Der Kaiser, in tiefster Seele verwundet von diesem Mißtrauen seiner Soldaten, schmerzvoll resignirend auch auf die letzte Hoffnung, sich selber im Felde Ruhm und Lorbeern zu verdienen, der Kaiser gab dem Flehen seiner Armee nach und berief Loudon zur Armee und an die Spitze seines Heeres.
Und Loudon, getreu dem kaiserlichen Ruf, nicht achtend seines Alters und seiner Hinfälligkeit, Loudon kam.
Mit lautem Jubel empfing ihn das Heer. Dieser Jubel hallte hinein in das ärmliche, kleine Zimmer, in welchem der Kaiser fiebernd auf seinem Lager lag. Er vernahm ihn mit einem traurigen Lächeln, und sagte nur leise vor sich hin: Loudon ist da! Jetzt kann der Kaiser gehen! Niemand bedarf seiner mehr! Ich will heimkehren nach Wien, heimkehren und beten, daß Gott London und meinem Heere den Sieg verleihe, den ich ihm nicht habe geben können.
Das Schicksal hatte nicht den Muth des Kaisers gebrochen, aber wohl sein Herz.