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Konstantinopel, den 10. August 1839
Der Großherrliche Ferman, welcher Hafiz-Pascha vom Oberbefehl entband und ihn vorläufig nach Sivas beschied, wurde am 28. Juli feierlich verlesen. Mehmed-Aly-Bey, der kaiserliche Abgesandte, hatte uns eingeladen ihn auf seiner Reise zu Lande nach Konstantinopel zu begleiten, da er aber noch in Angora und Kutahia verweilen sollte, so zogen wir es vor, mit dem am 3. August von Samsun abgehenden Dampfboot uns einzuschiffen. Ich begleitete meinen Pascha nach Sivas und es kam nun darauf an, jenen Hafen noch frühzeitig genug zu erreichen, was nur durch einen Gewaltritt geschehen konnte.
Laue und ich beschlossen den Versuch zu wagen, Vincke war zwei Tage früher abgereist; wir nahmen einen Tataren, dem wir die Bedingung stellten, dass, wenn wir vor Abgang des Schiffes ankämen, er einen Beutel oder 50 Gulden als Belohnung, wenn wir aber nur eine Minute später einträfen, er gar nichts bekommen solle. Der Mann überlegte sich die Sache, denn vor uns her zogen eine Menge türkischer Beys und Agas, welche wahrscheinlich alle Postpferde schon in Beschlag genommen hatten, dann sagte er: »Eyi söiledin!« – »Du hast gut gesprochen!« – »Bakalum...« – »Wir wollen es versuchen; bei meinem Kopf, wir werden ankommen!« – »... basch üstüne!« Nach einer Stunde saßen wir im Sattel und jagten über die Hochebene auf den Jildis-Dagh oder »Sternberg« zu. Am folgenden Morgen stiegen wir die steilen Waldschluchten nach Tokat hinab und erreichten spätabends Turhall; dort waren nun aber keine Pferde mehr zu beschaffen, erst am folgenden Morgen kamen einige aus Amasia zurück; wir nahmen sie sogleich in Beschlag, aber die Tiere waren so ermüdet, dass wir fürchten mussten liegen zu bleiben, ehe wir den zwölf Stunden weiten Ritt vollendet haben würden; deshalb entschlossen wir uns zu einem Umweg über Sileh, dem alten Zehlah, wo wir Pferde zu finden hofften. Die Stadt hat eine schöne Lage in einer fruchtbaren Ebene am Fuß des Gebirges; ein hoher künstlicher Berg trägt die alte Zitadelle und Mauern mit Türmen umschließen den Ort; dieser ist fast zugrunde gerichtet durch die Bedrückungen Hassan-Beys, welcher sich dafür ein prachtvolles Konak zu Sivas erbaut hat. Obwohl die Einwohner drohten sich gegen die Pforte zu erheben, fanden wir eine gute Aufnahme und treffliche Pferde; es fing schon an dunkel zu werden, als wir in das tiefe schöne Tal des Tokat-suj hinabstiegen, und erst um Mitternacht erreichten wir Amasia. Obwohl uns die Temperatur nördlich des Taurus um vieles gemildert erschien, so war doch die Nacht drückend heiß; in eine dichte Staubwolke gehüllt, ging es in der Dunkelheit auf dem holprigen, steinigen Pfad in vollem Rennen vorwärts; aber auf dem Hof des Müsselims fanden wir das ganze Gefolge Mehmed-Aly-Beys und nicht ein Pferd war zu haben. Unser Tatar war selbst sehr ermüdet und glaubte, dass es wohl nicht solche Eile haben werde: »Ne japalym?« – »Was können wir tun?« –, fragte er, zündete seine Pfeife an und fasste sich in Geduld. Das war nun unsere Absicht nicht, wir forderten durchaus Pferde. » Olmaz!« – »Es ist unmöglich!« –, sagte der Türke; »Olur!« – »Es wird gehen!«–, wir. Der Mann zuckte die Achseln und blieb bei »ne japalym«. Jetzt gab ich die Hoffnung auf, aber Laue hatte einen trefflichen Gedanken: Er eröffnete dem Tataren, dass, nachdem er sein Versprechen nicht erfüllt habe, er auch nicht weiter mit uns zu gehen brauche, und dass er sich vor Hafiz-Pascha in Acht nehmen möge, den wir von seinem Mangel an Eifer benachrichtigen würden. »Dann werdet ihr gar keine Pferde bekommen, auch morgen und übermorgen noch nicht.« – »Nichts ist leichter als das, wir haben dir 500 Piaster versprochen, die wir jetzt sparen; ich werde sogleich 250 davon auf dieser, die übrigen 250 auf der nächsten Station dem Imrahor bieten und heute Abend sind wir in Samsum.« Wirklich würde der türkische Postmeister für ein so bedeutendes Trinkgeld dem Bey selbst ein Pferd gestohlen und uns zugewendet haben, und eine einfache Algebra lehrte unseren Tataren, dass er wohl tun werde, sich selbst mit dem Mann für ein Geringeres zu arrangieren. Die Reise ging nun unaufgehalten weiter, nur dass wir alle aufs Äußerste ermüdet und erschöpft waren; in den letzten 36 Stunden hatten wir 38 Wegstunden zurückgelegt. Von einem Bergrücken mit prächtigem Laubwald erblickten wir endlich das flimmernde Meer und brachen, wie die xenophontischen Griechen, in lautes Freudengeschrei aus; in gestrecktem Galopp ging es zwei Stunden den steilen Hang hinunter in die Quarantäne von Samsun. Aber eine türkische Quarantäne dauert nicht länger, als nötig ist, um ein Empfehlungsschreiben des Paschas zu lesen oder 50 Piaster auf ein Sofakissen hinzuzählen. Zu unserer großen Freude trafen wir Vincke noch an, der nicht mehr gehofft hatte, dass wir ihn einholen würden, und schifften uns am folgenden Morgen zusammen ein.
Der eine Schritt von Samsun auf das österreichische Dampfboot führte uns in die europäische Verfeinerung. Wir forderten zuallererst Kartoffeln, die wir anderthalb Jahre am schmerzlichsten entbehrt hatten, und eine Flasche Champagner, um auf unseres Königs Gesundheit an seinem Geburtstag hier auf den Wellen des Schwarzen Meeres zu trinken. In unserer zerlumpten türkischen Kleidung, mager und abgezehrt, mit langen Bärten und türkischem Gefolge, wollte man uns erst gar nicht in die erste Kabine lassen, bis wir den Kapitän auf Französisch anredeten. Es ist nicht zu beschreiben, wie behaglich uns alles vorkam; da gab es Stühle, Tische und Spiegel, Bücher, Messer und Gabeln, kurz, lauter Bequemlichkeiten und Genüsse, deren Gebrauch wir fast verlernt hatten.
Am nächsten Morgen tauchten die weißen Leuchttürme des Bosporus am Horizont auf; bald entdeckten wir die Brandung an den Kyaneen und die Batterien des Bosporus, dann schwebten Bujukdere, Therapia, endlich alle die mir so wohl bekannten Dörfer des Bosporus an uns vorüber, bis die Spitze des Serajs vor uns leuchtete und wir die Anker im Goldenen Horn auswarfen.
Der ausgezeichnete Empfang, der uns von allen türkischen Großwürdenträgern zuteil wurde, machte einen sehr angenehmen Eindruck auf uns; ich fand meinen alten Gönner Mehmed-Chosref-Pascha aus der Verbannung wieder zur höchsten Macht erhoben. Er empfing mich mit demselben Wohlwollen wie früher, und da ich ihn jetzt ohne Dragoman sprechen konnte, musste ich ihm in Gegenwart des Ministers des Inneren und des Groß-Schatzmeisters wohl eine Stunde lang erzählen. Man war sehr geneigt alle Schuld auf Hafiz-Pascha zu werfen und den Stab über ihn zu brechen; der Wesir bat mich, ihm einen schriftlichen Bericht über alle Vorgänge seit Aufbruch der Armee einzureichen. Ohne im Mindesten die Fehler zu bemänteln, die, wie ich glaube, Hafiz-Pascha begangen hat und worüber ich mich ja auch gegen ihn selbst bestimmt genug ausgesprochen hatte, war es mir doch sehr angenehm, ihn bei Chosref-Pascha, der etwas auf dieses Urteil gab, gegen die Anschuldigungen rechtfertigen zu können, welche ihn nicht trafen; nicht seine Schuld war es, dass man statt 80 000 Mann, über die man disponierte, nur 40 000 ins Gefecht gebracht hatte; nicht seine Schuld, dass man nicht alle Korps unter denselben Oberbefehl gestellt hatte, worauf wir in allen unseren Schreiben an den damaligen Seraskier so wiederholt gedrungen; ebenso wenig konnte man ihm die fehlerhafte Zusammensetzung des Heeres aus zwei Drittel Kurden zur Last legen, die entschieden gegen ihren Willen dienten und davonliefen, als die Entscheidung kam. Hafiz-Pascha ist ein rechtschaffener Mann und unter den osmanischen Generälen immer noch der beste. Er hatte für die Ausbildung seines Korps getan, was irgend möglich war.
Der Pascha glich einem Künstler, dem man aufgibt, ein Gewölbe zu bauen, und dem man statt harten Steins nur weichen Ton bietet. Wie richtig er auch seine Werkstücke fügt, der Bau muss bei der ersten Erschütterung doch in sich zusammenstürzen; denn der Meister kann den Stoff formen, aber nicht umwandeln. Das Heer Hafiz-Paschas war ohne Zweifel die am weitesten ausgebildete, am besten disziplinierte, ausexerzierteste und doch die moralisch schlechteste Armee gewesen, welche die Pforte jemals aufgestellt hat.
Ich beruhigte den Wesir über die Besorgnis, dass Hafiz-Pascha wie Achmed (sein Freund) Partei für Mehmed-Aly ergreifen könne, und stellte ihm vor, dass der Augenblick, wo ganze Korps ihre Waffen weggeworfen und die Flotte übergegangen, nicht der passende sei, um streng gegen einen General zu verfahren, der unglücklich, aber persönlich tapfer gegen einen überlegenen Feind gefochten hatte. Ich bat einige der einflussreichsten Diplomaten, sich für Hafiz-Pascha zu verwenden, der auch bald darauf begnadigt und mit dem Paschalik von Erzerum belehnt wurde.
Unterdes war der Sultan gestorben, die Gesandten hatten ihre neuen Kreditive noch nicht erhalten, und keiner war bis jetzt dem neuen Herrn vorgestellt worden; ein Schreiben des mächtigen Wesirs verschaffte uns aber sogleich eine Audienz, in der wir von Sr. Hoheit huldreich empfangen, beschenkt und entlassen wurden. Der Seraskier äußerte, dass es ihm sehr lieb sein würde, wenn wir wieder nach Konstantinopel zurückkehren möchten, sobald die jetzige Verwicklung gelöst sein werde, umso mehr, als wir ihre Sprache und Sitte jetzt kannten; und er hoffe, dass wir mit ihnen so zufrieden sein würden, wie sie es mit uns gewesen.
Wir trafen den Sultan zu Beglerbeg in denselben Sälen, in denen sein Vater uns vor zwei Jahren so gnädig und freundlich empfangen hatte, und der Anblick des jungen Monarchen erinnerte mich lebhaft an den Hingeschiedenen. Abdul-Medschid ist ein junger Mann von gutem Aussehen; obwohl er erst siebzehn Jahre alt sein kann, ziert doch schon ein stattlicher schwarzer Bart das feine, etwas blasse Antlitz; der Großherr scheint weniger von kränklicher als zarter Konstitution zu sein; er trägt ganz die Tracht seines Vaters, den roten Fes mit der Brillantagraffe und den weiten dunkelblauen Mantel; aber er erschien mir schweigsam und ernster als Sultan Mahmud. Er hat wohl Ursache ernst zu sein.