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Pera, den 7. April 1836
Es ist lange die Aufgabe abendländischer Heere gewesen, der osmanischen Macht Schranken zu setzen; heute scheint es die Sorge der europäischen Politik zu sein, diesem Staat das Dasein zu fristen.
Die Zeit liegt nicht so fern, da man ernstlich fürchten durfte, der Islam könne in einem großen Teil des Abendlandes die Oberhand gewinnen, wie er im Orient gesiegt hat. Die Bekenner des Propheten hatten Länder erobert, in denen das Christentum seit Jahrhunderten Wurzel gefasst hatte. Der klassische Boden der Apostel, Korinth und Ephesus, Nicäa, die Stadt der Synoden und Kirchen, wie Antiochien, Nikomedien und Alexandrien waren ihrer Gewalt unterworfen. Selbst die Wiege des Christentums und das Grab des Erlösers, Palästina und Jerusalem, gehorchten den Ungläubigen, die ihren Besitz gegen die gesamte abendländische Ritterschaft behaupteten. Ihnen war es vorbehalten, die lange Dauer des Römischen Reiches zu beenden und die Sophienkirche, in welcher fast tausend Jahre Christus und die Heiligen verehrt worden waren, Allah und dem Propheten zu weihen. Zu der Zeit, als man in Konstanz über religiöse Sätze stritt, die Aussöhnung der griechischen mit der katholischen Kirche sich zerschlug und der Abfall von 40 Millionen Christen von der Herrschaft der Päpste sich vorbereitete, drangen die Moslems siegreich bis in die Steiermark und nach Salzburg vor. Der vornehmste Fürst des damaligen Europa, der römische König, floh vor ihnen aus seiner Hauptstadt und wenig fehlte, so wurde der Stephan zu Wien eine Moschee wie die Sophia zu Byzanz.
Damals gehorchten die Länder von der afrikanischen Wüste bis zum Kaspischen Meer und vom Indischen Ozean bis zum Atlantischen Meer dem Padischah. Venedig und die deutschen Kaiser standen im Tributregister der Pforte. Ihr gehorchten drei Vierteile der Küsten des Mittelländischen Meeres; der Nil, der Euphrat und fast auch die Donau waren türkische Flüsse, der Archipel und das Schwarze Meer türkische Binnenwasser geworden. Und kaum zweihundert Jahre später stellt dasselbe mächtige Reich uns ein Gemälde der Auflösung vor Augen, welches ein nahes Ende zu verkünden scheint.
Griechenland hat sich unabhängig gemacht, die Fürstentümer Moldau, Walachei und Serbien erkennen nur zum Schein die Oberherrschaft der Pforte an und die Türken sehen sich aus diesen ihren eigenen Provinzen verbannt. Ägypten ist mehr eine feindliche Macht als eine abhängige Provinz; das reiche Syrien und Adana, Kreta, dessen Eroberung 55 Stürme und das Leben von 70 000 Muslimen gekostet hat, sind ohne Schwertschlag verloren und der Lohn eines rebellischen Paschas geworden. Die Herrschaft, die man in Tripolis kaum erst wiedergewonnen hat, droht aufs Neue verloren zu gehen. Die übrigen afrikanischen Staaten am Mittelländischen Meer stehen beinahe in keiner Verbindung mehr mit der Pforte und wenn Frankreich noch schwankt, ob es das schönste dieser Länder für sich behalten soll, so blickt es dabei weit mehr zum Kabinett von St. James als zum Diwan von Konstantinopel. In Arabien und selbst in den heiligen Städten hat der Großherr keine wirkliche Gewalt mehr.
So ist die osmanische Monarchie heute in der Tat ein Aggregat von Königreichen, Fürstentümern und Republiken geworden, die nichts zusammenhält als lange Gewohnheit und die Gemeinschaft des Korans, und wenn man unter einem Despoten einen Herrscher versteht, dessen Wille alleiniges Gesetz ist, so ist der Sultan von Konstantinopel weit davon entfernt ein Despot zu sein.
Noch hatte das Land sich nicht von so vielen Wunden erholt, als der ägyptische Pascha durch Syrien heranzieht und dem letzten Enkel Osmans den Untergang androht.
Fremde Heere hatten das Reich an den Rand des Verderbens gebracht, fremde Heere es gerettet. Man wollte daher vor allen Dingen eine eigene Armee besitzen und mit großer Anstrengung ist man dahin gekommen, 70 000 Mann regulärer Truppen zu errichten. Wie wenig indessen diese Macht ausreicht, um den ausgedehnten Länderbesitz der Pforte zu schützen, zeigt ein Blick auf die Karte. Schon allein die Dimensionen verhindern, die an so viele Orte versplitterte Macht auf einen bedrohten Punkt zu vereinen, und die Truppen von Bagdad sind von jenen zu Scroda in Albanien 350 Meilen entfernt.
Hieraus geht hervor, von welcher hohen Wichtigkeit die Einrichtung einer wohl eingerichteten Miliz im Osmanischen Reich sein würde. Indes setzt dieses natürlich voraus, dass die Interessen der Regierung und der Regierten nicht im Widerspruch stehen.
Die jetzige türkische Armee ist ein neuer Bau auf einer alten, gänzlich erschütterten Grundfeste. Die Pforte dürfte in diesem Augenblick ihre Sicherheit mehr in Verträgen als in Heeren finden und die Schlachten, die über die Fortdauer dieses Staates entscheiden sollen, können ebenso gut in den Ardennen oder dem Waldaigebirge als am Balkan ausgefochten werden.
Die osmanische Monarchie bedarf vor allem einer geregelten Administration, bei der jetzigen wird sie selbst das schwache Heer von 70 000 Mann auf die Dauer kaum ernähren können.
Die Verarmung des Landes hat sich in der verminderten Staatseinnahme nur zu sehr kundgegeben. Umsonst hat man eine Menge von indirekten Abgaben eingeführt. Eine Art von Schlacht- und Mahlsteuer wird auf eine freilich sehr willkürliche Weise an den Straßenecken der Hauptstadt erhoben. Die Fischer zahlen 20 Prozent von dem Fang ihrer Netze; Maß und Gewicht müssen alljährlich neu gestempelt werden und allen Erzeugnissen des Gewerbefleißes, vom Silberzeug und Schal bis zu Schuhen und Hemden, wird der großherrliche Stempel aufgedrückt. Aber das, was von diesen Steuern eingeht, bereichert nur die, welche sie erheben. Die Reichtümer verschwinden vor dem Blick einer habgierigen Verwaltung und der Beherrscher der schönsten Länder dreier Weltteile schöpft mit dem Fasse der Danaiden.
Die Geschenke sind wie im ganzen Orient so auch hier allgemein üblich. Ohne ein Geschenk darf der Geringere sich dem Höheren nicht nahen; wer Recht bei seinem Richter sucht, muss eine Gabe mitbringen. Beamte und Offiziere empfangen Trinkgelder; aber wer am meisten geschenkt nimmt, ist der Großherr selbst.
Wenn es eine der ersten Bedingungen jeder Regierung ist, Vertrauen zu erwecken, so lässt die türkische Verwaltung diese Aufgabe völlig ungelöst. Ihr Verfahren gegen die Griechen, die ungerechte und grausame Verfolgung der Armenier, dieser treuen und reichen Untertanen der Pforte, und so viele andere gewaltsame Maßregeln sind in zu frischer Erinnerung, als dass jemand sein Kapital dort anlegen sollte. In einem Lande, wo dem Gewerbefleiß das Element fehlt, in welchem er gedeiht, kann auch der Handel größtenteils nur ein Austausch fremder Fabrikate gegen einheimische Rohstoffe sein.
Die äußeren Glieder des einst so mächtigen Staatskörpers sind abgestorben, das ganze Leben hat sich auf das Herz zurückgezogen und ein Aufruhr in den Straßen der Hauptstadt kann das Leichengefolge der osmanischen Monarchie werden. Die Zukunft wird zeigen, ob ein Staat mitten in seinem Sturz einhalten und sich organisch erneuern kann oder ob dem mohammedanisch-byzantinischen Reich, wie dem christlich-byzantinischen, das Schicksal bestimmt ist, an einer fiskalischen Verwaltung zu Grunde zu gehen. Was aber die Ruhe Europas bedroht, scheint weniger die Eroberung der Türkei durch eine fremde Macht zu sein, als vielmehr die äußerste Schwäche dieses Reiches und der Zusammensturz in seinem eigenen Innern.