Helmuth von Moltke
Unter dem Halbmond
Helmuth von Moltke

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23.
Mehmed Chosref Pascha in Verbannung

Bujukdere, den 28. Dezember 1836

Noch immer sind hier die Wiesen mit frischem Grün bedeckt und zahllose Rosen blühen in den Gärten; der Bosporus ist spiegelglatt, ein wolkenloser Himmel wölbt sich über uns und die Sonne scheint so hell und heiß, dass man sich gar nicht darein finden kann, dass in wenigen Tagen Neujahr ist.

Ich weiß nicht, ob ich dir schon geschrieben habe, dass mein alter Gönner Mehmed Chosref Pascha seines Postens als Seraskier entsetzt ist. Man traute in Konstantinopel seinen Ohren nicht bei dieser Nachricht. An der Spitze der Partei, die ihn stürzte, stand sein vormaliger Sklave Halil, den er zum »Damat-Pascha« oder Schwiegersohn des Sultans gemacht hatte, und Sayd Pascha, dessen Hochzeit mit der jüngeren Tochter des Großherrn er eben erst ausgerichtet und die ihm eine halbe Million Taler gekostet hatte. Dass der Großherr wagen durfte einen Mann wie Mehmed Chosref, der zweiunddreißig seiner Sklaven zu Paschas und Gouverneuren von Provinzen erhoben hat, abzusetzen, ohne ihm zugleich den Kopf »unter den Arm« legen zu lassen, zeugt für einen vorgeschrittenen Zustand in der Türkei, denn das wäre früher nicht möglich gewesen.

Seit vier Wochen hat der Exseraskier sich in Emirgjan, einem reizenden Landsitz am Bosporus, eingeschlossen. Er sieht keinen Menschen, teils, um nicht Argwohn zu erregen, teils, weil niemand zu ihm kommt, denn wer hier verabschiedet ist – ist in Ungnade, und wer in Ungnade ist – hat keinen Freund mehr. Mir war es gleichgültig, ob die neuen Machthaber es gern sahen oder nicht, und so bin ich auch nach seinem Sturz schon mehrmals zu ihm gefahren.

Als ich das erste Mal nach Emirgjan kam, schien die Dienerschaft über diesen Besuch befremdet, indes meldete man mich sogleich, und der alte Herr empfing mich mit unverhohlener Freude. Als ob der Exseraskier jetzt weiter keine Verpflichtung gegen die Reform habe, war Mehmed Chosref in seiner ganzen Lebensweise zu den alttürkischen Gewohnheiten zurückgekehrt. Ich fand ihn in einem Gewand aus dem feinsten Lahoreschal; die weiten Beinkleider aus weißem Atlas waren mit Spitzen besetzt, die den sehr kleinen Fuß ganz bedeckten. Ein Amulett hing an goldener Kette um seinen Hals, ein anderes war um den Arm gebunden und ein prachtvoller Zobelpelz mit himmelblauem schwerem Seidenstoff und mit breiten goldenen Tressen besetzt, vervollständigte den Anzug.

Das Zimmer, in dem ich den Verbannten fand, war echt orientalisch und schöner, als ich je eines in den Schlössern des Großherrn gesehen hatte. Die eine Front des sehr geräumigen Gemachs blickte auf den Bosporus, dessen tiefblaue Wogen dicht unter den Fenstern gegen einen schönen Kai rauschten; die gegenüberliegende Seite war ganz offen und zeigte einen Garten mit Rosenhecken, Orangenbüschen und mächtigen Lorbeerstämmen. Der blühende Oleander spiegelte sich in Marmorbecken mit kristallhellem Wasser und ein Springbrunnen plätscherte im Vordergrund, in dessen Bassin purpurne Goldfische spielten. Eine breite seidene Markise bildete die Fortsetzung des mit reichen Arabesken geschmückten Plafonds und der prachtvolle Fußteppich ging in die künstlichen Muster von Blumenparterres und in das Dessin der Gänge über, die mit Seemuscheln beschüttet oder mit farbigen Kieseln mosaikartig ausgelegt waren. Man wusste nicht recht, wo das Gemach aufhörte und wo der Garten anfing, ob der Springbrunnen im Zimmer rauschte oder ob man auf dem breiten Diwan im Freien säße. Eine köstliche Kühle drang durch die Rohrgitter der offenen Fenster vom Bosporus herein und mischte sich mit dem balsamischen Duft des von der Sonne hell erleuchteten Gärtchens, und aus dem daneben liegenden Harem erklangen die Akkorde einer Romaika und einer Flöte, welche die Sklavinnen spielten.

Niemanden mochte indes der Zauber dieser Umgebung kälter lassen als Mehmed Chosref, den rastlos tätigen Greis, der sich auf einmal von aller Wirksamkeit ausgeschlossen sah, verdrängt durch die, die er aus dem Staub emporgehoben, bemitleidet von denen, die vor ihm gezittert hatten. Der gewohnte scherzende Ton verhehlte nicht ganz seinen inneren Verdruss, als er von seiner jetzigen Einsamkeit und Verlassenheit sprach; ich bezog dies absichtlich auf seine noch immer aus mehr als hundert Personen bestehende Dienerschaft.

Um seinen Feinden zu zeigen, dass er noch nicht so ganz von Kräften sei, lässt Mehmed Chosref neben seinem jetzigen Palast eine Schule gründen und eine prächtige Moschee bauen. Ich glaube, der alte Pascha hat sich dabei nicht über den Weg geirrt, der in die Gnade seines Herrn und in den Besitz der Gewalt zurückführt.


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