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Sayd-Bey-Kalessi, den 18. Mai 1838
Sobald man den Tigris überschreitet, erhebt sich ein köstliches Hügelland und steigt allmählich zum hohen Gebirge an, das noch heute mit Schnee bedeckt ist. Dort entspringen die Bäche und Flüsse, die anfangs über starre Felsblöcke und in tiefe Schluchten hinstürzen, dann zwischen bewaldeten Berglehnen fortrauschen und endlich Gärten, Wiesen und Reisfelder tränken. Eichen und Platanen bekleiden die Höhen, die Täler sind von Feigen-, Öl- und Nussbäumen, Granaten, Wein und Oleander erfüllt; das Korn, in die leichten Furchen des braunen Bodens ausgestreut, gibt den reichsten Ertrag und wo der Mensch gar nichts getan, da ruft die Natur den prachtvollsten, mit Millionen buntfarbiger Blumen durchwebten Graswuchs hervor, der fast jeden Abend durch die Wolken erfrischt wird, welche sich um die nahen Gipfel ansammeln. Pferde, Schafe, Kühe, Ziegen gedeihen zu besonderer Güte; in den Bergen liegt das Steinsalz zu Tage und was sie sonst für Schätze in ihrem Innern verschließen mögen, hat, glaube ich, noch kein Mineraloge erforscht.
Wenn nun ein so reiches Land zu mehr als drei Viertel unangebaut liegt, so muss der Grund in dem traurigen gesellschaftlichen Zustand der Bewohner gesucht werden.
Der Kurde ist fast in allen Stücken das Gegenteil von seinem Nachbarn, dem Araber. Die Araber üben nur die Gewalt, wo sie eben die Stärkeren sind; sie fürchten das Schießgewehr und suchen auf ihren trefflichen Pferden das Weite; sie verschmähen den Ackerbau und die Städte, das Kamel ersetzt ihnen alles und befähigt sie ein Land zu bewohnen, in dem niemand sonst leben kann.
Der Kurde hingegen ist Ackerbauer aus Bedürfnis und Krieger aus Neigung; daher die Dörfer und Felder in der Ebene und die Burgen und Schlösser im Gebirge; er kämpft zu Fuß, Mauern und Berge sind sein Schutz und das Gewehr seine Waffe. Der Kurde ist ein vortrefflicher Schütze, das reich ausgelegte damaszierte Gewehr vererbt sich vom Vater auf den Sohn und er kennt es wie seinen ältesten Jugendgefährten.
Der Religion nach sind die meisten Kurden dieser Gegend Mohammedaner, nach der persischen Grenze zu aber wohnen viele jakobitische Christen.
Es ist der Pforte nie gelungen, in diesen Bergen alle erbliche Familiengewalt so zu Boden zu werfen wie in den übrigen Teilen ihres Reiches. Die Kurdenfürsten üben eine große Macht über ihre Untertanen; sie befehden sich untereinander, trotzen der Autorität der Pforte, verweigern die Steuern, gestatten keine Truppenaushebung und suchen ihre letzte Zuflucht in den Schlössern, welche sie sich im hohen Gebirge erbaut.
Die Expedition Mehmed-Paschas ist glücklich gewesen; fünf Tage nach Eintreffen des Geschützes war der Platz zur Übergabe gezwungen, der Gesundheitszustand der Truppen ist vortrefflich, der Verwundeten sind nur wenige, fast nur unter den verbündeten Kurden, und diese werden nicht gezählt. An der Eroberung einer kleinen Gebirgsfestung, die ohnehin jetzt ein Schutthaufen ist, kann freilich dem Padischah wenig gelegen sein, sie war aber einer der Zentralpunkte des Widerstandes gegen die Pforte.