Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Dschesireh am Tigris, den 1. Mai 1838
In meinem letzten Brief schrieb ich dir, dass wir gegen die Araber auszögen. Daraus ist nun nicht viel geworden; aber ich habe doch Gelegenheit gehabt einen sehr interessanten Landstrich kennen zu lernen.
Am 15. April setzten von Mühlbach und ich uns mit zwei wohl bewaffneten Agas des Paschas, unseren Dragomans und Bedienten auf ein Fahrzeug, das so konstruiert war, wie man es schon zu Cyrus' Zeiten verstand, auf ein Floß nämlich von aufgeblasenen Hammelhäuten. Die Türken halten die Jagd für Unrecht, verschmähen das Wild und verachten Rindfleisch, dagegen verzehren sie eine große Menge von Schafen und Ziegen; die Häute dieser Tiere werden so wenig wie möglich vorn an der Brust zerschnitten und sorgfältig abgezogen, dann zusammengenäht und die Extremitäten zugebunden. Wird nun der Schlauch aufgeblasen, so hat er eine große Tragfähigkeit und kann fast nicht zu Grunde gehen; vierzig bis sechzig werden dann unter ein leichtes Gerüst von Baumzweigen in vier oder fünf Reihen so zusammengebunden, dass das Floß vorn etwa acht, hinten achtzehn Schläuche breit ist; darüber wird etwas Laub, dann eine Matte und Teppiche gebreitet und so fährt man ganz gemächlich den Fluss hinab. Bei der Schnelligkeit der Strömung sind die Ruder nicht nötig, um vorwärts zu kommen, sondern nur, um das Fahrzeug zu lenken, es mitten in der Bahn zu halten und gefährliche Wirbel zu vermeiden.
Wir fuhren schnell unter den hohen schwarzen Mauern des Kastells von Diarbekir fort, welche sich auf einem jähen Felsabhang erheben, über den ein kleiner Bach in einer schönen Kaskade hinabstürzt. Diarbekir, in türkischen Urkunden Kara Amid, das schwarze Amida, genannt, war schon zu Kaiser Konstantins Zeit eine starke Festung und mit fünf Legionen besetzt.
Das Gebirgsland, in welchem der Tigris oder Schatt entspringt, ist von dem oberen Euphrat von drei Seiten umschlossen und seine Quellen liegen zum Teil nur zweitausend Schritt von dem Ufer des Stroms entfernt, mit dem sie sich erst 200 Meilen weiter wieder vermischen. Der große See, der hoch über der Ebene von Karput dicht am Ursprung des Tigris liegt, steht jedoch in gar keiner Verbindung mit diesem Strom; bei Argana-Maaden tritt er aus dem Gebirge, fließt an den Mauern von Diarbekir vorbei, wo er im Sommer leicht durchfurtet wird, und in einer weiten, fruchtbaren Ebene fort, bis der Battman-Strom sich mit ihm verbindet, der vom hohen Karsan-Gebirge südlich herabkommt und eine größere Wassermasse dem Tigris zuführt, als dieser selbst besaß. Unmittelbar hinter jener Einmündung tritt der Schatt wieder in ein hohes Sandsteingebirge; die sanft gekrümmten Windungen des breiten, seichten Stromes verwandeln sich in die scharfen Zickzacks einer engen Felsschlucht; steil, oft senkrecht steigen die Steinwände zu beiden Seiten empor und hoch oben an der Berglehne unter dunkelgrünen Palamutbäumen erblickt man einzelne Dorfschaften von Kurden, die hier meist Höhlenbewohner sind.
Einen seltsamen Anblick gewährt die Stadt Hassn-Keifa auf einem hohen Felsen, in dessen senkrechter Wand eine Stiege vom Fluss hinaufführt. Die alte Stadt unten ist zerstört, nur einzelne Minaretts ragen noch empor und zeigen an, dass hier Moscheen und Häuser gestanden; die Bewohner waren genötigt sich auf die hohe Klippe zu flüchten, wo sie sich gegen die einzig zugängliche Seite mit einer Mauer befestigt haben. In der engen Felsschlucht fand ich große Steinblöcke, die von oben herabgerollt sind; man hat sie ausgehöhlt, zu Wohnungen gemacht, und diese Trümmer bilden eine kleine, freilich sehr unregelmäßige Stadt, die sogar ihren Basar hat. Aber der merkwürdigste Gegenstand sind die Reste einer Brücke, die in einem gewaltigen Bogen von 80 bis 100 Fuß hier den Tigris überspannte. Ich weiß nicht, ob man einen so kühnen Bau den alten armenischen Königen, den griechischen Kaisern oder wohl eher den Kalifen zuschreiben darf.
Auch unterhalb Hassn-Keifa ist die Gegend wild und schön. Wir fuhren an einer Höhle vorüber, die durch Schwefelquellen geheizt wird, und erreichten am Morgen des dritten Tages Dschesireh (die »Insel«), welche vom Tigris und einem Arm desselben rings umschlossen ist. Von dieser Stadt ist, soviel ich weiß, im Altertum nie die Rede gewesen; die schönen Trümmer einer großen Burg am Ufer des Stromes wurden von den Einwohnern als ein Bau der Genueser betrachtet, doch glaube ich nicht, dass ihre Faktoreien je so weit in das wilde Binnenland Armeniens hineingereicht haben. Eine Brücke führte aus dem Schloss auf das jenseitige Ufer, wo man noch die Fundamente eines Turmes erkennt, welcher den Zugang sperrte. Die Stadt ist von einer Mauer aus Basalt umschlossen, die Reschid Pascha während mehrerer Monate bestürmte. Nach der Eroberung ist hier furchtbar gehaust worden, fast alle Männer wurden niedergemacht, die Weiber und Kinder in die Sklaverei fortgeschleppt.
Man kann nicht bequemer reisen, als wir es taten: Auf weiche Polster hingestreckt, mit Lebensmitteln, Wein, Tee und einem Kohlenbecken versehen, glitten wir schnell und ohne Anstrengung mit der Schnelligkeit einer Extrapost vorwärts. Aber das Element, welches uns beförderte, verfolgte uns in anderer Gestalt; der Regen strömte seit unserer Abreise von Diarbekir unaufhörlich vom Himmel, unsere Schirme schützten uns nicht mehr und Kleider, Mäntel und Teppiche waren durchweicht. Am Osterfeiertag, als wir Dschesireh verließen, war die Sonne hervorgebrochen und durchwärmte unsere erstarrten Glieder; nun liegen aber eine halbe Stunde unterhalb der Stadt die Trümmer einer zweiten Brücke über den Tigris und ein Pfeiler derselben verursacht bei hohem Wasserstand einen gewaltigen Strudel; alle Anstrengung der Ruderer half nichts, unwiderstehlich zog diese Charybdis unsere kleine Arche an sich, wie ein Pfeil schoss sie in den tiefen Schlund hinab und eine hohe Welle ging über unsere Köpfe hinweg. Das Wasser war eisig kalt, und als das Fahrzeug im nächsten Augenblick, ohne umzuschlagen, schon harmlos weitertanzte, konnten wir das Lachen über die trübselige Gestalt nicht zurückhalten, die jeder von uns zur Schau trug. Das Kohlenbecken war über Bord gegangen, ein Stiefel schwamm neben uns her, und jeder fischte noch eine Kleinigkeit im Strom. Wir landeten auf einem Eiland und da unsere Mantelsäcke ebenso durchnässe waren wie wir selbst, so blieb nichts übrig, als uns auszuziehen und die gesamte Toilette, so gut es gehen wollte, an der Sonne zu trocknen. In geringer Entfernung, auf einer anderen Sandbank, saß ein Schwarm Pelikane, die, als wollten sie uns verhöhnen, ebenfalls ihr weißes Gewand sonnten; plötzlich merkten wir, dass unser Floß sich losgemacht und auf und davon schwamm, der eine Aga stürzte sich sogleich ins Wasser und erreichte es noch glücklich, sonst wären wir im Naturzustand auf der wüsten Insel zurückgeblieben.
Nachdem wir uns notdürftig getrocknet hatten, setzten wir unsere Reise fort, aber neue Regengüsse machten die Arbeit unnütz; die Nacht war so finster, dass wir aus Besorgnis, in neue Strudel zu geraten, anlegen mussten. Trotz der empfindlichsten Kälte und durchnässt bis auf die Haut, wagten wir nicht, ein Feuer anzuzünden, weil wir sonst die Araber herbeigelockt hätten; wir zogen unser Floß in aller Stille unter einen Weidenbaum und warteten sehnsüchtig, dass die Sonne hinter dem persischen Grenzgebirge emporsteigen möchte uns zu erwärmen.
Von Dschesireh an tritt der Tigris wieder in die Ebene und entfernt sich von dem hohen, prachtvollen Dschüdid-Gebirge. Die Gegend wird nun sehr einförmig, selten entdeckt man ein Dorf und die meisten von ihnen sind unbewohnt und zerstört; man erkennt, dass man in den Bereich der Araber geraten ist; nirgends erblickt man einen Baum und wo sich ein kleiner Strauch erhalten hat, da ist er »Siareth« oder Heiligtum und mit zahllosen Fetzen von Kleidern bedeckt, denn die Kranken glauben zu genesen, wenn sie einen Teil ihres Anzuges dem Heiligen weihen.
An den Trümmern des sogenannten alten Mossul schifften wir vorüber und entdeckten gegen Abend die Minaretts von Mossul; dies ist der östlichste Punkt, den ich erreicht habe, und meine türkischen Begleiter mussten, als sie ihr Abendgebet verrichteten, sich gegen Westen wenden.
Mossul ist die große Zwischenstation der Karawanen auf dem Weg von Bagdad nach Aleppo; eine Oase mitten in der Wüste, muss die Stadt stets auf ihrer Hut gegen die Araber sein; die Mauern, welche sie rings umschließen, sind schwach, aber hoch und genügen vollkommen gegen die unregelmäßigen Reiterhaufen der Beduinen; das Tor Bab-el-ämadi, das in den Kreuzzügen schon erwähnt wird, steht noch heute, ist aber zugemauert; die Wohnungen sind meist aus Luftziegeln und einer Art Kalk erbaut, der in wenigen Augenblicken erhärtet. Nach altmorgenländischer Sitte legt man hier einen hohen Wert auf die Schönheit und Größe des Tors (Bab), bei jeder Wohnung siehst du gewölbte Portale aus Marmor (der dicht vor der Stadt gebrochen wird) vor Häusern und Lehmhütten, die mit ihrem Dach kaum bis an die Spitze des Bogens reichen. Die Dächer sind flach, von gestampfter Erde und von niedrigen Mauern mit Scharten brustwehrartig umgeben. An vielen größeren Häusern der Stadt erblickt man eine Menge Spuren von Gewehrkugeln und die festungsartige Einrichtung dieser Wohnungen erinnert sehr an die Paläste zu Florenz, nur ist alles kleiner, dürftiger und unvollkommen.
Die Bewohner von Mossul sind eine seltsame Mischung aus den ursprünglichen chaldäischen Einwohnern mit den Arabern, Kurden, Persern und Türken, welche nacheinander ihre Herrschaft über sie geübt haben; die allgemeine Sprache ist indes die arabische.
Bei der furchtbaren Sonnenhitze wohnen die Leute vielfach unter der Erde und jedes Haus hat seine unterirdischen Gemächer, die nur durch eine mit Weinlaub überdeckte Öffnung oben ihr Licht erhalten.
Indsche-Batraktar, der Gouverneur, empfing uns mit der größten Auszeichnung und logierte uns beim armenischen Patriarchen ein. Die nestorianischen und jakobitischen Christen in Mossul besitzen die schönsten Kirchen, die ich in der Türkei gesehen habe, leben aber unter sich in Hader und Zwiespalt. Eine jener Kirchen gehörte, ich weiß nicht durch welche Ursachen, zwei Gemeinden und weil das, was die eine in diesen heiligen Räumen tat, ein Gräuel für die andere war, so hatte man die schöne Wölbung durch eine Mauer mittendurch geteilt.
Unserem jakobitischen Patriarchen machte es freilich allerlei Bedenken, Ketzer zu beherbergen, indes war es ihm immer lieber, als wenn wir Nestorianer oder gar Griechen gewesen wären; da überdies noch nie Christen von dem Pascha so empfangen worden waren und die bedeutendsten Moslems kamen, uns die Aufwartung zu machen, so ließ er es an nichts fehlen und verkaufte mir sogar eine Bibel in arabischer und syrischer (chaldäischer) Sprache.
Der Pascha war sehr erfreut über eine Aufnahme von Mossul, den Riss zu einer neuen Kaserne und die Zeichnung zu einem Wasserrad, die wir ihm schnell anfertigten und beschenkte uns mit Pferden und Mauleseln für die Rückreise durch die Wüste.
Schon vor uralten Zeiten führte, wie jetzt, eine Schiffbrücke hier über den Tigris und das Heer Julians benutzte sie auf seinem Rückzug von Ktesiphon. Von einer steinernen Brücke, wahrscheinlich türkischer Arbeit, stehen nur noch einige Bogen. Auf dem linken Ufer des Stroms, Mossul gegenüber, sieht man ganz deutlich einen noch 10 bis 25 Fuß hohen Wall von wohl einer Meile im Umfang, welcher das alte Ninive umschlossen haben soll. Ein sehr großer künstlicher Erdaufwurf bezeichnet auch hier die Stelle der früheren Akropolis, ein zweiter, etwas kleinerer Tumulus trägt heute ein türkisches Dorf, Nunia, mit einer Moschee, mit dem Sarg Junus-Pegambers oder des Propheten Jonas. Nur ein ausdrücklicher Befehl des Paschas konnte uns den Zutritt zu dieser Reliquie bahnen; unter der Moschee besuchten wir die Reste einer uralten christlichen Kirche.
Bemerkenswert sind in Mossul die Hauptmoschee auf uralten Fundamenten einer christlichen Kirche und die Ruinen eines Kassr oder mohammedanischen Schlosses am Tigris, vor 500 Jahren erbaut und mit allerlei Stuckaturarbeit an den Wänden, auf welchen man sogar eine Menge menschlicher Figuren abgebildet sieht. Die Zitadelle im Innern ist eng und unbedeutend.
An der nordwestlichen Ecke fällt der Talrand hoch und steil zum Strom ab und ist durch einen großen Turm gekrönt; an seinem Fuß dampfen heiße Schwefelquellen, die bei hoher Flut überschwemmt werden. Das Wasser wird aus dem Tigris in sehr großen ledernen Schläuchen mittels eines hohen Gerüstes und Seilen emporgehoben, an welchen ein Pferd zieht; die lange Spitze des Schlauchs wird dann über gemauerte Behälter gebracht und geöffnet, um das belebende Element über die Gärten und Felder zu verteilen.
Dicht außerhalb der Mauern von Mossul befindet sich ein eigener Basar für die Araber, damit man nicht genötigt ist diese zweifelhaften Gäste in die Stadt selbst einzulassen. Dorthin kommen die Kinder der Wüste, sie stoßen ihre langen Bambuslanzen mit der Spitze in die Erde und kauern nieder, um die Pracht und Herrlichkeit einer Stadt zu bewundern, einer Stadt zwar, die uns Europäern eher durch das Gegenteil von Herrlichkeit und Pracht auffällt, die aber hier hundert Stunden im Umkreis ihresgleichen nicht hat.
Kein Volk vielleicht hat Charakter, Sitte, Gebräuche und Sprache so unverändert durch Jahrtausende und durch die allerverschiedensten Weltverhältnisse bewahrt wie die Araber. Als unstete Hirten und Jäger streiften sie in wenig gekannten Einöden umher, während Ägypten und Assyrien, Griechenland und Persien, Rom und Byzanz entstanden und verfielen. Aber durch einen Gedanken begeistert schwangen sich eben diese Hirten plötzlich empor und machten sich auf lange Zeit zu Beherrschern des schönsten Teils der alten Welt und zu Trägern der damaligen Gesittung und Wissenschaft. Hundert Jahre nach dem Tod des Propheten geboten seine ersten Anhänger, die Sarazenen, vom Himalaja bis zu den Pyrenäen, vom Indus bis zum Atlantischen Meer. Aber das Christentum, die höhere geistige und materielle Vervollkommnung, welche es hervorrief, und die Unduldsamkeit selbst, die seine erhabene Moral hätte ausschließen sollen, trieben die Araber aus Europa; die rohe Gewalt der Türken verdrängte ihre Herrschaft im Orient und die Kinder Ismaels sahen sich zum zweiten Mal hinausgewiesen in die Wüste.
Ich fand in einem engen Gewölbe oder Stall im Seraj zu Orfa neun Greise, die nun schon zweieinhalb Jahre schmachteten; eine schwere Kette mit Ringen um den Hals fesselte sie einen an den anderen und zweimal am Tage wurden sie zur Tränke getrieben wie das Vieh. Man forderte die ungeheure Summe von 150 000 Piastern als Lösegeld von ihrem Stamm; dieser hatte wirklich ein Drittel davon geboten, jetzt war aber sehr wenig Aussicht, dass man sie überhaupt noch einlösen werde. Der Pascha versprach mir ihre Loslassung, ich habe nicht erfahren, ob es geschehen ist. Solche Beispiele schrecken aber die Araber nicht ab und so weit ihre Rossen schweifen, kann keine dauernde Niederlassung bestehen.
Die Araber haben bei ihren Raubzügen vor sich die Hoffnung auf Beute, hinter sich die Gewissheit des Rückzuges; sie allein kennen die Weideplätze und die versteckten Brunnen der Wüste; sie allein können in diesen Regionen leben und auch sie nur durch die Hilfe des Kamels. Dieses Tier, das eine Last bis 600 Pfund trägt, schafft all ihr Eigentum, ihre Frauen, Kinder und Greise, ihr Zelt, ihre Lebensmittel und Wasser von einem Ort zum anderen; es macht sechs, acht, selbst zehn Tagereisen, ohne zu trinken; sein Haar dient zur Bekleidung und zu den Zelten; der Urin des Tieres liefert Salz, der Mist dient als Feuerung und erzeugt in Höhlen den Salpeter, aus dem die Araber ihr Schießpulver selbst verfertigen. Die Milch des Kamels ernährt nicht nur die Kinder, sondern auch die Füllen, welche danach mager, aber kräftig wie unsere trainierten Pferde werden; das Fleisch ist schmackhaft und gesund, das Fell und selbst die Knochen des Kamels werden benutzt. Das elendste Futter, dürres Gras, Disteln und Gestrüpp, genügen diesem geduldigen, starken, wehrlosen und nützlichsten aller Tiere. Nächst den Kamelen bildet das Pferd den Hauptreichtum des Arabers. Es ist bekannt, wie diese Tiere mit den Kindern im Zelt aufwachsen, wie sie ihre Nahrung, ihre Streifzüge und Entbehrungen teilen und wie die Geburt eines Füllens von edler Rasse ein Tag der Freude im ganzen Lager ist.
Die Araber vom Stamm Schamarr, welche auf dem Land zwischen den beiden Flüssen lagern und 10 000 Reiter ins Feld stellen, hatten sich neuerdings viele Räubereien zu Schulden kommen lassen und den von der Pforte eingesetzten Scheich nicht anerkennen wollen. Hafiz-Pascha beschloss ihnen eine gründliche Züchtigung angedeihen zu lassen. Die Paschas von Orfa und Mardin sollten gegen sie aufbrechen und er wünschte, dass der von Mossul, der jedoch nicht unter seinem Befehl steht, gleichzeitig ausrücken möge, dann wären die Araber gegen den Euphrat gedrängt worden, an dessen jenseitigem Ufer der ihnen feindselige Stamm Aennesi wohnt. Indsche-Bairaktar hatte aber wenig Lust zu einer Expedition, die ihm große Kosten machte und wenig Beute versprach. Als endlich der bestimmte Befehl vom Bagdad-Valessi eintraf, hatten die anderen Paschas den Feind schon aufgeschreckt, und dieser war in unabsehbare Entfernung zurückgewichen.
Nach einem kurzen interessanten Aufenthalt beschlossen wir nun mit der eben abgehenden Karawane durch die Wüste zurückzugehen. Da die Araber durch die letzten Angriffe sehr erbittert waren, so wurde der Zug mit vierzig irregulären Reitern verstärkt, und wir trafen am Abend bei der Karawane ein, die zwei Stunden vor Mossul am Tigris lagerte, als wollte sie sich zu guter Letzt noch einmal recht mit Wasser gütlich tun. Der Kierwan-Baschi oder Anführer der Karawane, der durch den Pascha von unserer Ankunft benachrichtigt war, erschien sogleich selbst, ließ sein eigenes Zelt für uns aufschlagen und schenkte uns eine Ziege zur Abendmahlzeit.
Während fünf Tagen durchzogen wir die Wüste des nördlichen Mesopotamien, ohne irgendeine menschliche Wohnung zu erblicken. Du musst dir diese Wüste nicht als eine Sandscholle, sondern wie eine unabsehbare grüne Fläche denken, welche nur hin und wieder sanfte Terrainwellen zeigt; die Araber nennen sie »Bahr«, das Meer, und die Karawanen steuern in schnurgerader Linie vorwärts, indem sie sich nach künstlichen Hügeln richten, welche wie große Hünengräber sich über die Fläche erheben. Diese Hügel zeigen an, dass hier früher ein Dorf stand und folglich ein Brunnen oder eine Quelle sich befinde; aber die Hügel liegen oft sechs, zehn bis zwölf Stunden auseinander, die Dörfer sind verschwunden, die Brunnen trocken und die Bäche bittersalzig. Noch einige Wochen später, und diese grüne Ebene, welche jetzt ein reichlicher Tau nährt, ist nichts als eine von der Sonne versengte Einöde; das üppige Gras, das uns jetzt bis an die Steigbügel reicht, ist dann verdorrt und jedes Wasser versiegt. Dann kann man nur auf einem weiten Umweg dem Ufer des Tigris in der Nähe folgen; nur die Schiffe der Wüste, die Kamele, durchschneiden dann noch die Fläche.
Der zweite Marsch führte uns nach Kessy-Köpry, der Ruine eines befestigten Hauses neben einer zerstörten Brücke über einen Bach, der jetzt noch sein dunkelbraunes Wasser aus einem nahen Sumpf erhält. Im Süden erblickt man fern in der Ebene den steilen Felsgrat Sindschar-Dagh wie eine Insel sich mauerartig erheben, welcher außer vierunddreißig Kurdendörfern eine kürzlich von Reschid-Pascha verwüstete Stadt trägt.
Unsere Karawane besteht aus 600 Kamelen und etwa 400 Maultieren. Die großen Säcke, welche die Ersteren tragen, enthalten meist Palamuteicheln, die zum Färben nach Aleppo gebracht werden, und Baumwolle; der kostbarere Teil der Ladung, die Stoffe aus Bagdad, die Schals aus Persien, die Perlen aus Bassora und die guten Silbermünzen nehmen den geringsten Teil der Lasttiere in Anspruch.
Die Kamele gehen in einer Reihe hintereinander; voraus reitet auf einem kleinen Esel der Besitzer, dessen Beine, trotz der kurzen Bügel, fast an die Erde stoßen; er arbeitet dem armen Tier unaufhörlich mit den scharfen Schaufeln in die Flanken und raucht dabei gemächlich die Pfeife; seine Diener sind zu Fuß. Mit langen bedächtigen Schritten ziehen die Kamele dahin und langen sich mit ihren dünnen beweglichen Hälsen die Disteln und das Dornengestrüpp am Wege. Die Maultiere schreiten lebhaft einher, sie sind mit Glocken und mit schönen Halftern herausgeputzt, die mit Schneckenköpfen bunt besetzt sind.
Sobald die Karawane das Nachtquartier erreicht, sprengt der Kjerwan-Baschi voraus und bezeichnet die Stelle des Lagers. Je nachdem sie ankommen, werden die Lasttiere abgeladen und die großen Säcke zu einer Art Burg oder Schanze in ein Viereck gestellt, innerhalb dessen jeder sein Lager bereitet. Unser Zelt, das einzige der Karawane, stand außerhalb und wurde mit einer besonderen Wache vom Baschi-Bosuks versehen. Die Kamele und Maulesel werden nun ganz frei in das hohe Gras getrieben und suchen sich das Wasser selbst auf, die Pferde aber stehen gefesselt an den Füßen: Ein Strick aus Ziegenhaar vereint mittels zweier wattierter Schleifen den rechten Vorder- und Hinterfuß und wird rückwärts mittels eines Pflocks an der Erde befestigt.
Sobald aber die Dämmerung eintritt, werden die Kamele, die sich oft eine halbe Stunde weit zerstreuen, versammelt. Die Führer rufen ihnen mit lauter Stimme zu, jedes kennt das »Poah! Poah!« seines Herrn und kommt folgsam herbei. Innerhalb des Vierecks werden sie aufgestellt; der kleinste Knabe regiert das große, kräftige, aber durchaus harmlose und wehrlose Geschöpf; er ruft: »Krr! Krr!«, und die gewaltigen Tiere werfen sich geduldig auf die Vorderknie, dann falten sie die langen Hinterbeine, und nach allerlei seltsamen schaukelnden Bewegungen liegen sie in Reihen, eins neben dem anderen, am Boden, den langen Hals rings umher bewegend und sich umsehend. Mir ist immer die Ähnlichkeit des Kamelhalses mit dem des Straußes aufgefallen und die Türken nennen diesen Deve-Kusch, »Kamel-Vogel«. Eine dünne Schnur wird dem liegenden Kamel um das gebogene Knie gebunden; wenn es sich erhebt, muss es auf drei Beinen stehen und kann nicht fort. Wenn am Morgen das Tier beladen werden soll, so legt es sich schnarrend und mit kläglichem Gestöhn und Seufzern nieder, um seine Last aufzunehmen, und setzt die Wanderung fort.
Wir hatten an diesem Abend den Besuch einiger Araber aus befreundeten Stämmen, lauter kleine magere Gestalten, aber von kräftigem, gedrungenem Wuchs; die Gesichtsfarbe ist gelblich braun, der Bart kohlschwarz, kurz und gekräuselt, die Augen klein, aber lebhaft. Eine angenommene Würde übertüncht nur leicht die Lebhaftigkeit ihres Wesens, und ihre Kehlsprache erinnert durchaus an das Jüdische. Der Anzug besteht aus einem groben baumwollenen Hemd, einem weißen wollenen Mantel und einem Tuch aus rotem und gelbem halbseidenem Stoff mit einem Strick um den Kopf befestigt, wie die ägyptischen Bildsäulen.
Ein junger Araber mit zwei Begleitern schlenderte um unser Zelt und sah aus einiger Entfernung in dasselbe hinein; ich winkte ihm näher zu treten, worauf er sich am Eingang auf die Erde niederließ, mit der Hand die Brust und Stirn berührte und »Merhabah!« sprach. Da wir uns gerade bei der Mahlzeit befanden, so nahm er tätigen Anteil, und als wir fertig waren, wickelte er die Reste in sein Hemd; er wollte unsere Pistolen nicht anrühren, bewunderte aber die schönen Lahore-Klingen unserer Säbel und ein Füllen, das ich in Mossul von einem arabischen Scheich gekauft hatte. Der Kjerwan-Baschi diente unserem Dolmetscher als Dolmetscher fürs Arabische und ich zeigte unserem Gast den Stammbaum des Tiers, mit dessen Genealogie er bekannt zu sein behauptete; er sagte mir, dass er vom Stamm des Kohilan, aber von der Zucht der Terafi sei; er versicherte mir, dass das Pferd selbst bei der glühendsten Hitze nie an einem Bach anhalte, um zu trinken, und dass, wenn ich hinunterfiele, es stehen bleiben werde, bis der Reiter wieder oben sein würde. Ferner machte er mich aufmerksam auf einen Haarwirbel am Hals in Form einer Zypresse und darauf, dass das Pferd drei weiße Füße habe; ein und zwei weiße hat man gern, drei sind die vollendetste Schönheit, vier aber gilt als so hässlich, dass niemand ein solches Pferd kaufen mag. Zum Schluss wollte mein Araber mir einen Rat geben und ich war begierig ihn zu erfahren: Er bestand darin, dass ich das Pferd nie verkaufen möge. Die Pfeife und der Kaffee machten meinen Gast ganz zutraulich, ich erfuhr, dass er selbst ein Scheich oder Ältester eines Stammes sei, und er versprach mir, wenn ich ihn in seinem Lager besuche, so gehöre alles, was er besitze, mir. Dessen ungeachtet möchte ich meinem kaffeebraunen Freund mit seinen Gefährten nicht in einem einsamen Hohlweg begegnen, ohne dass ich deshalb schlechter von ihm denke, als von den Raubrittern unserer glorreichen Vorväter.
Die Jagd lohnt sich in der Wüste; zahllose Gazellen durchstreifen sie und Fasanen und Rebhühner verbergen sich in dem hohen Gras. Wir waren am dritten Marschtag eben beschäftigt einigen Trappen nachzusetzen, die sich schwerfällig emporschwingen und auf kurze Entfernung wieder einfallen, als bei der Karawane allgemeiner Lärm entstand. Die Araber kommen!, hieß es. Man hatte in großer Ferne einen Schwarm gesehen, der sich äußerst schnell näherte. Die Spitze unserer Kolonne machte Halt, aber der Zug war wohl eine Meile lang, und wenig Hoffnung bestand, mit etwa sechzig Bewaffneten den ganzen Konvoi zu decken. Die Reiter sprengten voraus auf einen künstlichen Erdhügel, von wo ich mir die Araber zeigen ließ; wirklich bewegte sich eine Menge schwarzer Punkte mit großer Schnelligkeit durch die Ebene, da ich aber ein kleines Fernglas bei mir führte, so konnte ich die Gesellschaft bald davon überzeugen, dass, was wir vor uns sahen, nur ein ungeheures Rudel wilder Schweine sei, die gerade auf uns zukamen. Bald erkannte man die Tiere mit bloßen Augen.
Der Kjervan-Baschi erzählte mir heute Abend eine charakteristische Anekdote von einem Araber, die ich schon in Orfa gehört hatte.
Ein türkischer Kavalleriegeneral, Dano-Pascha zu Mardin, stand schon seit langem in Unterhandlung mit einem arabischen Stamm wegen einer edlen Stute vom Geschlecht Meneghi; endlich einigte man sich zu dem Preis von 60 Beuteln oder fast 2000 Talern. Zur verabredeten Stunde trifft der Häuptling des Stammes mit seiner Stute im Hof des Paschas ein; dieser versucht noch zu handeln, aber der Scheich erwidert stolz, dass er nicht einen Para herablasse. Verdrießlich wirft der Türke ihm die Summe hin mit der Äußerung, dass 30 000 Piaster ein unerhörter Preis für ein Pferd sei. Der Araber blickt ihn schweigend an und bindet das Geld ganz ruhig in seinen weißen Mantel, dann steigt er in den Hof hinab, um Abschied von seinem Tier zu nehmen; er spricht ihm arabische Worte ins Ohr, streicht ihm über Stirn und Augen, untersucht die Hufe und schreitet bedächtig und musternd um das aufmerksame Tier. Plötzlich schwingt er sich auf den nackten Rücken des Pferdes, das augenblicklich vorwärts und zum Hofe hinausschießt.
In der Regel stehen hier die Pferde Tag und Nacht mit dem Palann oder Sattel aus Filzdecken. Jeder vornehme Mann hat wenigstens ein oder zwei Pferde im Stall bereit, die nur gezäumt zu werden brauchen, um sie zu besteigen; die Araber aber reiten ganz ohne Zaum, der Halfterstrick dient, um das Pferd anzuhalten, ein leiser Schlag mit der flachen Hand auf den Hals, es links oder rechts zu lenken. Es dauerte denn auch nur wenige Augenblicke, so saßen die Agas des Paschas im Sattel und jagten dem Flüchtling nach.
Der unbeschlagene Huf des arabischen Rosses hatte noch nie ein Steinpflaster betreten und mit Vorsicht eilte es den holprigen steilen Weg vom Schloss hinunter. Die Türken hingegen galoppieren einen jähen Abhang mit scharfem Geröll hinab, wie wir eine Sandhöhe hinan; die dünnen, ringförmigen, kalt geschmiedeten Eisen schützen den Huf vor jeder Beschädigung, und die Pferde, an solche Ritte gewöhnt, machen keinen falschen Tritt. Am Ausgang des Ortes haben die Agas den Scheich beinahe schon ereilt; aber jetzt sind sie in der Ebene, der Araber ist in seinem Element und jagt fort in gerader Richtung, denn hier hemmen weder Gräben noch Hecken, weder Flüsse noch Berge seinen Lauf. Wie ein geübter Jockei, der beim Rennen führt, kommt es dem Scheich darauf an, nicht so schnell, sondern so langsam wie möglich zu reiten; indem er sich beständig nach seinen Verfolgern umblickt, hält er sich auf Schussweite von ihnen entfernt, dringen sie auf ihn ein, so beschleunigt er seine Bewegung, bleiben sie zurück, so verkürzt er die Gangart des Tieres, halten sie an, so reitet er Schritt. In dieser Art geht die Jagd fort, bis die glühende Sonnenscheibe sich gegen Abend senkt; da erst nimmt er alle Kräfte seines Rosses in Anspruch; er lehnt sich vornüber, stößt die Fersen in die Flanken des Tieres und schießt mit einem lauten »Jallah!« davon. Der feste Rasen erdröhnt unter dem Stampfen der kräftigen Hufe und bald zeigt nur noch eine Staubwolke den Verfolgern die Richtung an , in welcher der Araber entfloh.
Hier, wo die Sonnenscheibe fast senkrecht zum Horizont hinabsteigt, ist die Dämmerung äußerst kurz und bald verdeckt die Nacht jede Spur des Flüchtlings. Die Türken, ohne Lebensmittel für sich, ohne Wasser für ihre Pferde, finden sich wohl zwölf oder fünfzehn Stunden von ihrer Heimat entfernt in einer ihnen ganz unbekannten Gegend. Was war zu tun, als umzukehren und dem erzürnten Herrn die unwillkommene Botschaft zu bringen, dass Ross und Reiter und Geld verloren. Erst am dritten Abend treffen sie halb tot vor Erschöpfung und Hunger mit Pferden, die sich kaum noch schleppen, in Mardin wieder ein; ihnen bleibt nur der traurige Trost, über dieses neue Beispiel von Treulosigkeit eines Arabers zu schimpfen, wobei sie jedoch genötigt sind, dem Pferde des Verräters alle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und einzugestehen, dass ein solches Tier nicht leicht zu teuer bezahlt werden kann.
Am folgenden Morgen, als eben der Imam zum Frühgebet ruft, hört der Pascha Hufschlag unter seinen Fenstern und in den Hof reitet ganz harmlos unser Scheich. »Sidi!«, ruft er hinauf: »Herr! Willst du dein Geld oder mein Pferd?«
Etwas weniger schnell, als der Araber geritten war, erreichten wir am fünften Tag den Fuß des Gebirges und an einem klaren Bach das große Dorf Tillaja. Hier erfuhr ich, dass am Morgen Mehmed-Pascha mit einem Truppenkontingent nördlich hinauf zu einer Unternehmung gegen die Kurden marschiert sei; ich beschloss sofort mich dieser Expedition anzuschließen, verließ die Karawane und traf noch am selben Abend im Lager ein. Dort erfuhr ich, dass Hafiz-Pascha uns fünfzig Reiter zu unserer Bedeckung entgegengeschickt hatte, die uns aber von Sindjar her erwarteten und uns so verfehlt hatten.