Helmuth von Moltke
Unter dem Halbmond
Helmuth von Moltke

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16.
Smyrna und seine Umgebung – Das türkische Dampfschiff

An Bord im Hafen von Smyrna, den 4. August 1836

Als ich mein letztes Schreiben auf die Post gab, traf ich in Konstantinopel das Dampfschiff der Regierung, eben im Begriff die Anker zu lichten, um nach Smyrna abzugehen. Da ich den Kapitän gut kannte, so stieg ich an Bord, wie ich war, um diesen interessanten Punkt des Orients kennen zu lernen. Wind, Strömung und Dampfkraft vereinigten sich uns schnell durchs Marmarameer und den Hellespont dem Archipel zuzuführen, den die Türken das weiße Meer nennen (ak denis, auf Arabisch bahr-sefid).

Wir eilten an den alten Dardanellen-Schlössern vorüber, die ich erst vor acht Tagen verlassen hatte, und nachdem wir auch die neuen Schlösser mit ihren Riesenkanonen passiert hatten, breitete sich das Ägäische Meer mit seinen schönen Felsinseln Imbros, Lemnos und dem hohen Gipfel von Samothraki vor uns aus. Das Wasser ist von himmelblauer Farbe und so klar, dass man die mächtigen Delphine, die weite Strecken neben dem Schiff pfeilschnell dahinschießen, deutlich sieht. Von Zeit zu Zeit sprangen sie schnaubend aus ihrem Element heraus hoch in die Luft. Jetzt wandten wir uns links um das Vorgebirge Sigeum und steuerten zwischen der Troade und Tenedos auf Mytilene zu. Die mächtigen Ruinen von Alexandra Troas schimmerten aus den Oliven- und Nussbäumen hervor und seltsame genuesische Schlösser, mit Mauern und Türmen umgeben, ragten auf den Inseln und Vorgebirgen empor. Am frühen Morgen liefen wir in das von hohen Gebirgsgruppen umgebene weite Becken von Smyrna ein. Der Vollmond leuchtete noch, als schon der östliche Himmel sich dunkelrot färbte, wie wenn der asiatische Boden von der gestrigen Hitze noch glühte. Die Berge sind ganz kahl, von der Sonne verbrannt, aber von äußerst schönen Formen. Am Fuß derselben, längs des Meeres, zieht sich ein grüner Streifen von bebautem Land mit Weinbergen, Oliven, Maulbeerbäumen und dunklen Zypressen hin. Die Dörfer und Häuser sind aus Stein mit flachem Dach erbaut. Am Ende der Bucht zeigt sich nun Smyrna, das amphitheatralisch an den dahinter liegenden Bergen emporsteigt. Unten am Meer hinter den Schiffen erkennt man zuerst eine große Kaserne, eine Batterie, ein schönes Karavanseraj mit vielen Kuppeln, mehreren Moscheen und links die Frankenstadt mit steinernen Gebäuden. In zweiter Region zeigt sich die eigentlich türkische Stadt. Wenn eine Hand voll kleiner roter Häuser, einige Moscheen und Fontänen vom Himmel auf die Erde herabfielen, so könnte der Bauplan nicht bunter ausfallen als der dieser Stadt. Man staunt, dass man noch Wege und Fußsteige durch die Häusermasse findet. Hoch über das Ganze ragt das alte Schloss oder die Festung von Smyrna, die in der fernsten Vorzeit erbaut, von den Genuesern mit Türmen versehen ist und welche die Türken jetzt verfallen lassen.

Da die Hitze hier sehr groß ist, so eilte ich, mich ganz auf smyrniotische Art zu kleiden, d. h. mit einem weißen Strohhut, weißleinener Jacke und Pantalons, Schuhen und Strümpfen. Die Leute sind hier so gescheit diesen Anzug während des Sommers selbst in Gesellschaften nicht zu ändern. Wenn ich dir aber in meinem leichten Kostüm auf einem Eselpassgänger, mit dem Halfterstrick in der einen und dem Sonnenschirm in der anderen Hand, begegnen könnte, würdest du mich wohl kaum erkennen.

Am 3. August, am Geburtstag unseres Königs, machte ich einen sehr interessanten Ritt auf guten mutigen Pferden in das Innere des Landes. Wir erreichten zuerst und noch in der Morgenkühle das Dorf Kukludscha am Abhang eines Berges, von wo man eine unbeschreiblich schöne Aussicht hat. Links die Stadt und die Festung Smyrna, der Hafen und das Meer bis zum Felsvorgebirge Karaburun, rechts eins der schönsten und bebautesten Täler, die es gibt.

Die Vegetation ist hier überaus reich, die Orangen und Zitronen bilden große Stämme, doch hatten sie im letzten strengen Winter sehr gelitten. Ich fand hier die Aloe in Blüte, deren Stängel wenigstens 20 Fuß hoch und armdick ist. Besonders aber gedeiht der Granatbaum; das Dörfchen Narlyköi, welches seinen Namen von ihm hat, liegt in einem förmlichen Wald von Granatbäumen; das überaus frische Grün, die dunkelroten großen Blüten und die Unzahl von Äpfeln, die die Zweige herabbogen, überraschten mich sehr. Große Melonen, essbare Kürbisse und riesenhafte Rohrpflanzen umgaben die Ufer der Bäche; Maulbeeren und Weintrauben von vortrefflichem Geschmack gibt es so viele, dass jeder, ohne zu fragen, davon nimmt, was ihm gefällt. Die Zypressen erreichen eine erstaunliche Höhe und Mächtigkeit; der Ölbaum aber, unserer Weide ähnlich, mit seltsam geflochtenen knorrigen Stämmen und blassgrünem Laub, Blüten und Früchten, verleiht erst der Gegend ihren eigentümlichen Charakter. Die von Saft überfüllte Wassermelone wuchert als Unkraut in diesem heißen, durstigen Land und bildet ein wahres Labsal, wo man oft keinen Trunk Wasser haben kann. Die Ortschaften sind indessen äußerst selten und es fehlt daher an Leben; nur wenige steinige Pfade ziehen sich durch die Ebene und an den Bergen hinauf und durch die tiefe Einsamkeit hört man nur das Geläut der schwer beladenen Kamele, die in langen Reihen eins hinter dem anderen wandeln, mit schwankendem langsamem Schritt ihrem Führer folgend, der auf einem kleinen Esel an der Spitze reitet.

In dem Dorf Bunarbaschi fand ich unter einer mächtigen Platane an einem kleinen Wasserbehälter eine solche Karawane in Ruhe. Die Kamele schliefen auf den Knien liegend, die Perser mit ihren weißen Turbanen und schwarzen Bärten labten sich aus dem frischen Quell und aßen Gurken, Oliven und Käse. Weiter im Tal fanden wir bei einer turkmenischen Nomadenhorde gastliche Aufnahme; man bot uns Käse und Eier an und war sehr betrübt, dass wir nicht verweilen wollten.

Gegen Abend ritten wir zur Stadt zurück. Der Sonnenuntergang ist in dieser Gegend außerordentlich schön, die Dämmerung aber sehr kurz; fast senkrecht gleitet die helle Scheibe an dem gelben, leuchtenden Himmel hinter das Felsvorgebirge von Karaburun hinab, und dann tritt ein seltsamer Zustand der Blendung der Augen ein, sodass man fast gar nicht sieht. Eine Stunde später erhebt sich der Imbad oder Landwind, der des Nachts oft sehr heftig weht; am Tage sendet die See frische, kühle Luft. Das Meeresleuchten ist hier eine gewöhnliche Erscheinung; helle Funken klebten an den Rudern und wirbelten an dem Steuer, als ich an Bord zurückkehrte. Ganz eigen ist es, wenn man beim Meeresleuchten badet; man ist wie in Licht und Feuer eingewickelt.

Nach achttägigem Aufenthalt lichteten wir die Anker, um zurückzureisen. Die Abenteuer, die wir auf der Heimfahrt erlebten, werden dir einen Begriff von der türkischen Nautik geben. Kaum waren wir eine Stunde vom Hafen entfernt, als wir abends wieder einmal strandeten. Wir warfen die Anker hinter dem Schiff aus und arbeiteten, um loszukommen, aber umsonst. Es musste das Wasser aus dem Kessel gelassen werden, wodurch das Schiff sehr erleichtert wird, und bald nach Mitternacht wurden wir wieder flott. Nun mussten die Anker gefischt, der Kessel gefüllt und der Herd geheizt werden. Gegen Morgen war alles so weit fertig und die Maschine sollte in Gang gesetzt werden. Der Kessel dachte darüber anders; schon auf der Hinreise hatte er zwei Löcher bekommen; jedermann versprach sich wenig Gutes und war auf seiner Hut. Als wir uns nun eben in Bewegung setzen sollten, platzte der Kessel; man hatte ihm auf seine alten Tage nie mehr als höchstens die Hälfte des Drucks zugemutet, auf welchen er ursprünglich berechnet gewesen war, die Explosion war daher lange nicht so groß, wie ich erwartete. Ohnehin war der Sprung auf der unteren Seite, das Feuer erlosch sogleich und augenblicklich war der Raum, in dem die Maschine arbeitet, mit Dampf und siedendem Wasser angefüllt. Die Leute sprangen auf das Gestell der Maschine und zum sehr großen Glück kam kein Mensch dabei zu Schaden als der Kapitän, dem die Füße verbrüht wurden.

Wir kehrten nach Smyrna zurück und ich schiffte mich auf einem österreichischen Dampfschiff ein, das denselben Abend noch abging.


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