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Varna, 2. Mai 1837
Ich schrieb dir im vorigen Monat, dass ich vom Großherrn den Befehl erhalten habe ihn auf einer Reise durch Bulgarien und Rumelien zu begleiten. Heute benutze ich die erste freie Stunde, um dir eine Nachricht über diese Reise zu geben, und obgleich ich meinen Brief vorerst nicht absenden kann, so will ich doch wenigstens fertig sein, um die erste Gelegenheit zu benutzen, mit der es geschehen kann.
Am 24. April, 10¼ Uhr vormittags, hatte die glückliche Stunde für den Antritt der Reise Seiner Hoheit des Großherrn geschlagen; die Gelehrten hatten diese Stunde richtig genug bestimmt, denn das regnerische Wetter der letzten Tage war durch den heitersten Himmel ersetzt und der Südwind, den wir für unsere Fregatte nötig hatten, blies frisch von den asiatischen Bergen herunter. Ich hatte mich schon abends zuvor an Bord der »Nusrethieh« oder »Siegreichen« begeben, welche den Kanal bis Bujukdere hinaufgegangen war. Um nicht als Franke in der Umgebung des Sultans anstößig aufzufallen, hatte ich die rote Mütze und einen türkischen Anzug angelegt, den der Großherr mir zugeschickt hatte.
Um Mittag sahen wir das grüne Kaik des Sultans mit seinen vierzehn Paar Ruderern schnell wie einen Delphin heranschießen; die Marinesoldaten traten unters Gewehr; die Musik spielte. Die Anker waren fast gelichtet, die Segel halb entfaltet. Se. Hoheit trugen eine scharlachrote Husarenuniform mit goldenen Schnüren, den roten Fes, weiße Beinkleider mit Goldtressen und schwarze Samtstiefel. Sein Gefolge trug blaue Husarenuniform. Man hatte mir meinen Platz in der Parade zwischen den Paschas und den Obersten angewiesen, wo ich mit den Übrigen mein Taminah oder den Gruß mit der Hand zur Erde, auf die Brust und Stirn machte. Se. Hoheit schickte den Kapudan-Pascha ab, um mir sagen zu lassen, »dass das Wetter gut sei«, und dieser brachte glücklich »parfaitement bon le temps« heraus. Dies war eine besondere Gnade und Auszeichnung, welche später noch erhöht wurde, als der Sultan die Bemerkung machte, dass mein roter Fes sehr kleidsam sei, eine Behauptung, mit der ich bisher durchaus nicht einverstanden war.
Jetzt hallten die steilen Bergwände des Bosporus von dem Donner der Geschütze unserer Fregatte und der Batterien am Ufer wider. Die mächtigen Segel entfalteten sich, und mit zunehmender Schnelligkeit ging's hinaus in den gefürchteten Euxin. Die Nusrethieh führt 68 Geschütze und ist vielleicht die schönste und größte Fregatte. Bald ließen wir nicht nur die Leuchttürme an der gefahrvollen Mündung des Bosporus, sondern auch die beiden vortrefflichen österreichischen Dampfschiffe, die uns begleiten sollten, hinter uns, und gegen Abend sah man in der Ferne nur noch ihre Rauchstreifen aufsteigen. Die Reise mit einem großen Kriegsschiff bietet schon an sich Abwechslung genug, an Bord eines türkischen Fahrzeugs kommt der Reiz des orientalischen Gepräges noch dazu. Um die zweite Stunde rief der Imam vom Mastkorb herunter die Gläubigen zum Gebet.
Einen Türken beten zu sehen ist mir immer ein Vergnügen gewesen. Die Sammlung des Mannes ist wenigstens anscheinend so groß, dass man hinter ihm eine Kanone lösen möchte, um zu sehen, ob er um sich blicken würde. Nachdem der Gläubige Hände und Füße gewaschen, seine Richtung nach Mekka genommen, wozu einige einen kleinen Kompass an dem Knopf ihres Dolches führen, schließt er einen Augenblick seine Ohren mit den Händen und spricht dann mit bewegten Lippen, aber lautlos seinen Vers aus dem Koran; darauf verbeugt er sich, fällt auf beide Knie und berührt die Erde mehrmals mit der Stirn. Hierauf erhebt sich der Moslem, hält beide Hände vor sich, wie wenn er ein großes Buch trüge, wirft sich abermals nieder, erhebt sich und fährt endlich mit beiden Händen über das Gesicht, als ob er es in die alten Falten bringen und jeden Schein von frommer Schaulegung verwischen wollte. Er macht eine kleine Verbeugung zu beiden Seiten gegen die zwei Engel, die neben jedem Betenden stehen, und ist fertig.
Schon gegen Abend hatten wir fast den halben Weg zurückgelegt, als plötzlich eine kleine Buraska, ein Sturm, aus Norden kam. Da ich gar nichts vom Seewesen verstehe, so erlaube ich mir auch kein Urteil über das Getümmel von schreienden Menschen und flatternden Segeln, doch habe ich einen starken Verdacht, dass unsere Manöver nicht durchaus schulgerecht waren. Alle Matrosen waren junges Volk und hatten zum Teil noch nie eine Reise gemacht und selbst der Großadmiral, ein trefflicher, braver Mann, hat nur insofern seine Karriere in der Marine gemacht, als er, bevor er Pascha wurde, ein Kaik im Hafen von Konstantinopel ruderte.
Bald eilten indes die Dampfschiffe herbei, nahmen uns unter beide Arme und brachten uns glücklich in den Hafen von Varna. Der Moment des Ausschiffens gewährte einen schönen Anblick. Sobald der Großherr sich in sein Kaik begeben hatte, feuerten die Batterien der Festung und der Fregatte, bunte Wimpel wehten von allen Masten und die Schiffsmannschaft in ihrer roten Uniform parodierte auf den Rahen des Schiffs bis zur schwindelnden Höhe des Mastes.
Ich bin im erzbischöflichen Palast einquartiert, worunter du dir eine sehr bescheidene Bretterbude vorzustellen hast. Mein Wirt führt auf Griechisch den etwas seltsamen Titel: Despot, ein Prädikat, das sich schlecht mit der tief gebeugten Stellung und dem Küssen des Rockzipfels eines türkischen Paschas verträgt. Der Despot hat aber einen trefflichen Wein, das Essen ist schmackhaft und alles reinlich und gut.
Am Morgen nach unserer Ankunft ritt der Großherr mit starkem Gefolge herum, um die Festung in Augenschein zu nehmen. Ich war schon abends zuvor und in der Frühe überall gewesen, um Sr. Hoheit Rede und Antwort stehen zu können. Er zeigte sich sehr wohlwollend und gnädig, gab mir aber so viele kleine Aufträge, dass ich kaum weiß, wie ich fertig werden soll.
Schumla, den 5. Mai 1837
Der Großherr verließ Varna am 3., blieb die Nacht in einem Dorf, wo man binnen zwölf Tagen einen Kiosk für ihn erbaut und vollständig möbliert hatte. Er frühstückte am 4. in einem anderen Dorf, wo ebenfalls ein Haus für diesen viertelstündigen Aufenthalt aufgeführt und eingerichtet war, und traf mittags hier ein. Ich war schon am 2. in der Nacht vorausgereist, um mich vorher zu orientieren.
Die Empfangsfeierlichkeiten scheinen überall dieselben zu sein. Se. Kaiserliche Majestät steigen eine Viertelstunde vor der Stadt in ein Zelt ab, um den blauen Überrock mit der bewussten roten Uniform zu vertauschen. Für wen er eigentlich diese Toilette macht, weiß ich nicht; bei uns ist man gewöhnt, die Pracht des Monarchen durch den Glanz der Großen und Mächtigen, die ihn umgeben, gehoben zu sehen. Hier ist nur ein Herr, die Übrigen sind Knechte. Sobald Se. Hoheit zu Pferde stiegen, ließ man eine Menge Minen in den Steinbrüchen auf den Bergen rings umher auffliegen. Zu beiden Seiten des Weges paradierten die Notabilitäten der Stadt, rechts die Muslime, links die Rajahs. Obenan stehen die Mullahs oder Geistlichen, welche noch immer den schönen weißen Turban tragen, dann folgen die weltlichen hoch stehenden Personen. Links paradierten erst die Griechen mit Lorbeerzweigen, dann die Armenier mit Wachskerzen und endlich die armen verhöhnten und misshandelten Juden. Die Moslems standen aufrecht mit über den Leib verschränkten Armen, die Rajahs aber, und selbst Bischof und Priester mit den geweihten Kirchengeräten, warfen sich nieder und blieben mit der Stirn an der Erde, bis der Sultan vorüber war; sie durften das Antlitz des Padischahs nicht schauen. An mehreren Stellen wurde beim Vorüberreiten des Großherrn der Kurban oder das Opfer an sieben Hammeln vollzogen, denen man die Hälse abschnitt.
Heute, am Freitag (dem türkischen Sonntag), ging der Großherr mit zahlreichem Gefolge in die Moschee: Ich habe dagegen tüchtig mit meiner Aufnahme zu tun.
Schumla ist in landschaftlicher Hinsicht ebenso schön, als es in militärischer interessant ist. Erst wenn man die berühmten Verschanzungen passiert, erblickt man die Stadt in einem Tal ohne Ausgang zwischen steilen bewaldeten Bergen; die Kuppeln der Moscheen und Bäder, die schlanken weißen Minaretts, die vielen Bäume zwischen den flachen Dächern, die reiche Kultur der Gegend gewähren ein herrliches Gemälde; überall sprudeln Fontänen, die üppigsten Kornfelder schmücken die weite Ebene und selbst die steilen Berge sind bis zu ihrer halben Höhe mit Gärten und Weinbergen bedeckt.
Ich glaube, dass ich nach dem Padischah die beste Wohnung in der Stadt habe; unsere Speisen sind vortrefflich und wenn wir sie auch auf gut Türkisch mit den Fingern zu uns nehmen, so versäumen wir doch nicht einen trefflichen Cyper-Commandaria-Wein dazu zu trinken. Dies wir bezieht sich auf meine Begleiter, nämlich einen Dragoman der Gesandtschaft und einen Obersten von den Ingenieuren, welcher mir mit drei jungen Türken von der polytechnischen Schule beigegeben ist. Da wir drei Diener haben, so nehme ich allein zwei vierspännige Wagen und sieben Handpferde, zwei Maultiere, vier Kutscher und einige Pferdejungen für die Reise in Anspruch.
Die Wege sind eigens für diese Reise gebahnt worden, und das ist wenigstens ein Vorteil, der dem Lande bleiben wird. Das Gefolge des Großherrn ist natürlich sehr zahlreich. Außer seinen Sekretären und Pagen hat er einen besonderen Beamten, der seine Pfeife, einen anderen, der seinen Schirm trägt; der Wedel aus Straußfedern, der Feldstuhl, das goldene Wasserbecken, das Schreibzeug, jedes hat seinen besonderen Träger zu Pferde; diese Pferde aber machen wieder einen Seïs oder Reitknecht nötig. So reisen wir mit 800 Pferden.
Am 7. machte der Großherr seinen Ritt durch die Festungswerke und wohnte zugleich dem Exerzieren eines Rediff- oder Landwehr-Bataillons bei. Andere Länder, andere Sitten; in Schumla sieht ein Manöver anders aus als in Potsdam. Wir sehen dem kriegerischen Schauspiel aus einer angemessenen Ferne von wohl tausend Schritt zu; Se. Hoheit saßen im Zelt und rauchten, wir anderen kauerten an der Erde. Hierauf fand die feierliche Einkleidung von sechzig Notabeln von Schumla statt; der Großherr setzte sich unter einem prachtvollen Baldachin auf einen Diwan, wir Großen des Reiches standen zu beiden Seiten. Nun wurden zuerst die Mullahs, einige Ayans aus der Umgegend, dann die bedeutenden Moslemin und Rajahs der Stadt, Erstere mit dem Zusatz Duwardschinis, »der Gebete für dich macht«, einzeln vorgerufen; Der Zeremonienmeister hing ihnen weite Mäntel von verschiedener Farbe um, der Beglückte küsste das Kleid, berührte dann mit der Hand die Erde, Brust und Stirn und verfügte sich hierauf, stets das Antlitz gegen den Padischah, zurück, eine Retirade, die nicht ohne etwas Stolpern ablief. Der Großherr hielt nun durch seinen ersten Sekretär, Wassaf-Effendi, eine Rede, in der er den Versammelten sagte, dass er selbst gekommen sei, um sich von ihrem Zustand zu überzeugen, dass er ihre Stadt und Festung wieder aufzubauen und Ordnung und Wohlstand im Lande selbst zu befestigen gewillt sei, dass Gesetz und Recht nicht nur in der Hauptstadt, sondern im ganzen Reich gehandhabt werden sollen. »Ihr Griechen«, sagte er, »ihr Armenier, ihr Juden seid alle Diener Gottes und meine Untertanen so gut wie die Moslems; ihr seid verschieden im Glauben, aber euch alle schützen das Gesetz und mein kaiserlicher Wille. Zahlt die Steuer, die ich euch auferlege; die Zwecke, zu denen sie verwendet werden, sind eure Sicherheit und euer Wohl.« Zum Schluss fragte der Sultan, ob jemand unter den Rajahs Beschwerden habe und ob ihre Kirchen der Ausbesserung bedürfen.
In diesem Land, wo der einfache Mann gewöhnt ist, alles umsonst, als Frondienst für den Mächtigen zu tun, bezahlt der Großherr die Kosten seiner Reise bar. Wie ich höre, führt er an Geld 2½ Millionen Gulden, außerdem eine Menge von Pretiosen mit sich; an keinem Armen oder Krüppel reiten wir vorüber, dem der Großherr nicht durch einen seiner Leute ein Goldstück schickt. Bei seiner Abreise hat er für die Armen in Schumla 10 000 Gulden hinterlassen und dabei ausdrücklich dafür gesorgt, dass das Geld wirklich an die ihm besonders namhaft gemachten Notleidenden kommt, und nicht allzu viel zwischen den Fingern der Austeiler kleben bleibt. Die Imame müssen darüber berichten. Sooft wir zurückkehren, sehe ich Gruppen von Weibern, welche Bittschriften über ihre Köpfe emporhalten. Ein Offizier reitet dann heran, rafft die Zettel zusammen, steckt die ganze Korrespondenz in seine Satteltaschen, um sie dem Almosenier zu überreichen.
Silistria, den 11. Mai 1837
Heute erst finde ich Muße, meinen Bericht wieder aufzunehmen. Am 9. ritt ich vor Sonnenaufgang zu einem Dorf auf der anderen Seite des Gebirges; mittags war ich zurück, fand frische Pferde und begleitete den Großherrn bis 5 Uhr; dann wurde ein treffliches Mittagsmahl eingenommen. Wir setzten uns in den Wagen und fuhren die Nacht durch; ich traf um 1 Uhr nachmittags hier ein und konnte noch am Abend und am folgenden Morgen vor Ankunft des Großherrn den Plan der Festung aufnehmen. Der Großherr hat in seinem Benehmen gegen seine Umgebung so viel gemütliche Geradheit und Gutmütigkeit, dass bei aller Strenge und Etikette ein jeder es bequem hat. Wenn man den Herrn so sieht, sollte man nicht denken, dass es derselbe Mann ist, der 20 000 Janitscharen köpfen ließ.
Die Fürsten Ghika und Stourdza sind aus der Moldau und Walachei hier, um ihren Herrn zu begrüßen. Ich war neugierig ihren Empfang zu sehen: Er war eben nicht sehr schmeichelhaft; wohl zwei Stunden warteten diese Halbsouveräne im Sonnenschein, bis der Großherr eintraf, vor seinem Zelt abstieg und Toilette machte. Der Sultan empfing die beiden Vasallen unter einem Baldachin auf Samtpolstern sitzend; die Fürsten, gefolgt von ihren Bojaren, schritten mit über den Leib verschränkten Armen heran, warfen sich auf beide Knie und küssten den Zipfel des Gewandes Sr. Hoheit, welcher die Gnade hatte, ihnen zu gestatten, zehntausend Dukaten zu überreichen; dagegen erhielten sie heute ihre Ehrenpelze, Tabatieren und Schals.
Fürst Ghika hat mich heute Abend zu sich geladen, und da die türkische Uhr 12 schlägt, das heißt da die Sonne untergeht, so schließe ich für heute, um womöglich in Rustschuk fortzufahren.
Rustschuk, den 14. Mai 1837
Nie habe ich ärger gefroren wie gestern Nacht auf der Reise hierher; meine türkischen Begleiter waren ganz erstarrt und der Araber, der die Handpferde führte, rief ein Aman – »Erbarmen« – über das andere und sehnte sich nach dem milderen Himmel des Sennars.
Seit langer Zeit sah ich jenseits in Gjurgewo zum ersten Mal wieder einen Kirchturm und der befreundete Schall der Glocken tönte durch die klare Abendluft zu uns herüber.
Rustschuk liegt auf einer Höhe, die an 50 bis 60 Fuß senkrecht zur Donau abstürzt; der Rand dieses Abhanges war mit zahllosen Frauen bedeckt, und da alle den weißen Schleier um Kopf und Schultern trugen, so sah es aus, als ob die Höhen beschneit wären. Unten am Gestade paradierten wie gewöhnlich die Landwehr, dann die Geistlichkeit der verschiedenen Nationen, die Notabeln des Orts und endlich das Volk.
Tirnowa, den 19. Mai 1837
Was für ein wunderschönes Land ist doch dieses Bulgarien! Alles ist grün; die Wände der tiefen Täler sind mit Linden und wilden Birnbäumen bestanden, breite Wiesen fassen die Bäche ein, üppige Kornfelder bedecken die Ebene und selbst die weiten Strecken unangebauten Landes sind mit reichem Graswuchs geschmückt. Die vielen einzeln stehenden Bäume geben der Gegend einen besonderen Reiz und zeichnen ihren dunklen Schatten auf den lichtgrünen Flächen ab.
In der Nähe der Donau habe ich fast nur türkische Dörfer gefunden; wahrscheinlich sind die christlichen Bewohner jenseits des Stromes in die Fürstentümer gezogen, von wo die Glocken herüberschallen und wo ihre Kirchtürme die Häupter in die blaue Luft zu erheben wagen.
Gestern Mittag kamen wir hier in Tirnowa an. Da ich keine Sonderaufgaben mehr habe, folge ich jetzt mit den Übrigen Sr. Hoheit zu Pferde.
Schon weit vor Tirnowa bildeten die Einwohner ein Spalier, die Landwehr paradierte und die griechischen Frauen standen auf den flachen Dächern und Terrassen, um den Basileus eintreffen zu sehen. Ich habe nie eine romantischere Lage als die dieser Stadt gefunden; denke dir ein enges Gebirgstal, in dem die Iantra sich ihr tiefes Felsbett zwischen senkrechten Sandsteinwänden gewühlt hat und wie eine Schlange in den seltsamsten Windungen fortfließt. Die eine Wand des Tals ist ganz mit Wald, die andere ganz mit Stadt bedeckt. Mitten im Tal erhebt sich ein kegelförmiger Berg, dessen senkrechte Felswände ihn zu einer natürlichen Festung machen; der Fluss schließt ihn ein wie eine Insel, und er hängt mit der übrigen Stadt nur durch einen 200 Fuß langen und 40 Fuß hohen natürlichen Felsdamm zusammen, der aber nur breit genug für den Weg und die Wasserleitung ist. Ich habe eine so abenteuerliche Felsbildung nie gesehen.
Kasanlik, den 21. Mai 1837
Heute haben wir den Balkan überschritten. Auf der Höhe des scharfen Kamms hat man eine weite Aussicht über das Hügelland von Bulgarien und eine noch schönere auf der rumelischen Seite in das reizende Tal von Kasanlik. Wie eine Landkarte liegen die Felder, Wiesen und Dörfer da, die weißen Wege und die Bäche, deren Lauf an prächtigen Bäumen kenntlich ist; jenseits erhebt sich eine andere, aber niedrigere Bergkette, und das Ganze erinnerte mich lebhaft an das schöne Hirschberger Tal, vom Kynast aus gesehen.
Der südliche Abhang des Balkans fällt jäh gegen die Ebene hinab; in weniger als einer Stunde erreichten wir auf der für den Großherrn neu erbauten Straße Schibka, am Fuße der Bergkette.
Schon von fern entdeckten wir ein Wäldchen von riesenhaften Nussbäumen und in dem Wäldchen das Städtchen Kasanlik. Selbst die Minaretts vermögen nicht über die Berge von Laub und Zweigen hinauszuschauen, unter welchen sie begraben liegen. Von dem Wasserreichtum dieser Gegend kann man sich kaum eine Vorstellung machen. Ich fand eine Quelle am Wege, die 9 Zoll stark senkrecht aus dem Kiesgrund emporsprudelte und dann als kleiner Bach davoneilte. Wie in der Lombardei werden alle Gärten und Felder täglich aus dem Wasservorrat getränkt, der in Gräben und Rinnen dahinrauscht. Das ganze Tal ist ein Bild des gesegnetsten Wohlstandes und der reichsten Fruchtbarkeit, ein wahres gelobtes Land; die weiten Felder sind mit mannshohen, wogenden Halmen, die Wiesen mit zahllosen Schaf- und Büffelherden bedeckt.
Kasanlik ist das Kaschmir Europas, das türkische Güllistan, das Land der Rosen; diese Blume wird hier nicht wie bei uns in Töpfen und Gärten, sondern auf den Feldern und in Furchen wie die Kartoffel angebaut. Nun lässt sich wirklich nichts Anmutigeres denken als solch ein Rosenacker; wenn ein Dekorationsmaler dergleichen malen wollte, so würde man ihn der Übertreibung anklagen.
Die Rose (Güll) würde mich jetzt auf die Nachtigall (Büll-Büll) leiten, wenn ich nicht fürchtete, mich gar zu sehr ins Poetische zu verlieren. Ich will daher nur noch bemerken, dass man hier die Rosen nicht nur sieht und riecht, sondern auch isst; eingemachte Rosenblätter sind in der Türkei eine sehr beliebte Konfitüre und werden mit einem Glas frischen Wassers morgens vor dem Kaffee genossen, was ich zur Nachahmung empfehlen kann.
Hier in Kasanlik wird denn auch das Rosenöl gewonnen, auf das man so hohen Wert legt. Es ist selbst in Konstantinopel äußerst schwer, sich dieses Öl unversetzt zu verschaffen. Ich hatte mir einen Vorrat Rosenöl mitgenommen und da ich genötigt war, einen Tag mit der Flasche in der Tasche zu reiten, so dufte ich auch acht Tage wie ein Rosenstock.
Der Großherr findet immer eine Gelegenheit irgendein freundliches Wort an mich zu richten, was hier eine nicht geringe Auszeichnung ist. Bei aller Untertänigkeit der Formen herrscht doch keineswegs der strenge Ernst und die Abgemessenheit der Etikette wie bei uns und es hat etwas Gemütliches, wenn der Padischah seine lange Pfeife im Phaeton »trinkt«, auf dessen Rücksitz zwei Pagen sitzen, von denen jeder einen kleinen weißen Bologneserhund auf dem Schoß hält.
Die Bewohner der zunächst gelegenen Ortschaften stehen an der Straße aufgestellt, um ihren Herrn zu begrüßen. Hinter dem Zuge fährt der Münzdirektor und Schatzmeister des Großherrn, der Armenier Duhs Oglu, mit einem schwer beladenen Wagen; er hält bei jeder neuen Volksgruppe an und teilt weiße Geldsäcke von beträchtlichem Gewicht unter die Landleute aus. Es heißt, dass die Kopfsteuer heruntergesetzt und besonders dass die Frondienste beschränkt werden sollen; im Allgemeinen kann es nicht fehlen, dass die Reise des Großherrn einen sehr günstigen Eindruck auf die Bevölkerung des Landes macht, welche bisher von ihrem Beherrscher nichts sahen als die Peiniger, die Steuern eintrieben oder Frondienste forderten. Außer dem offiziellen »Chosch gjeldin!« – »Willkommen!« – und »Amin!«, welches beim Vorüberfahren des Sultans erschallt und das die kleinen pausbäckigen Kinder aus voller Kehle schreien, höre ich doch auch, wenn ich manchmal hinterdreinreite, so manches »Maschallah!« – »Gott behüte dich!« –, welches weder gefordert noch bemerkt wird und der wahre Ausdruck der Gesinnung ist. Besonders gut scheinen Se. Hoheit bei den Frauen angeschrieben zu sein, und das ist eine gute Sache in diesem Land, wo die ganze Erziehung der Kinder in den Händen der Mütter liegt.
Adrianopel, den 1. Juni 1837
Wir sind jetzt in der Stadt Kaiser Hadrians angekommen, des Römers, der seinen Namen an der Donau und dem Tiber, am Euphrat und an der Maritza verewigte. Bereits sechs Tage ruhen wir aus und werden übermorgen nach Konstantinopel zurückkehren, wo der Großherr seinen feierlichen Einzug halten will.
Die Lage Adrianopels erhält einen eigentümlichen Charakter durch den Zusammenfluss von vier beträchtlichen Strömen: Maritza, Arda, Tundscha und Usundscha; daher die weite, mit Maulbeerbäumen bedeckte Niederung, welche die Stadt einschließt. Adrianopel ist auf einem Hügel erbaut, dessen Gipfel von der prachtvollen Moschee Sultan Selims gekrönt ist. Zahlreiche große Steinbrücken von schöner Arbeit überqueren die vielen Wasserarme in allen Richtungen und der Anblick dieser Stadt von außerhalb ist höchst prachtvoll.
Adrianopel war, nachdem die osmanischen Herrscher den europäischen Boden betraten, der Sitz ihrer Regierung, wie Brussa es zuvor gewesen und wie Konstantinopel es später wurde.
Hoch über alle die vielen Moscheen erhebt sich die Kuppel Sultan Selims mit den vier schlanken Minaretts. Ich fand den Durchmesser der Wölbung hundert Fuß, also fast so groß wie irgendeine in Konstantinopel, selbst die Aya-Sophia nicht ausgenommen. Zweihundertundfünfundvierzig Stufen führten mich auf den obersten der drei Umgänge oder kranzförmigen Balkone eines der Minaretts. Die Höhe beträgt über 200 Fuß, bei einem Durchmesser von unten 11, oben nur 8 Fuß, am Schatten gemessen. Die Minaretts gleichen daher in der Tat eher Säulen als Türmen, und doch, so künstlich sind sie erbaut, winden sich in ihrem Innern drei vollkommen bequeme Treppen ineinander, sodass drei Menschen zugleich hinaufsteigen können. Ohne im Geringsten zum Schwindel zu neigen, schien mir der erste Blick von oben herunter schauerlich. Die breite Kuppel, der steinerne Vorhof mit der schönen Fontäne in der Mitte, die ausgedehnten Imarete oder Armenküchen, Medresseen oder Schulen und viele andere mit Bleikuppeln gedeckte Gebäude, welche zur Moschee gehören, das alles liegt tief und unmittelbar unter den Füßen des Beschauers. Man glaubt, die entsetzlich schlanke Steinsäule könne umschlagen, wenn man sich dem Rand der Galerie nähert. Die Kuppel erhebt sich bis beträchtlich über die halbe Höhe des Minaretts und mag im Innern 120 Fuß hoch sein.
Konstantinopel, den 6. Juni 1837
Heute früh um 9 Uhr kamen wir vor Konstantinopel an und zogen durch das Tor Topkapu, das Tor der Kanone, vormals des heiligen Romanus', in die Hauptstadt ein. Es ist dasselbe Tor, durch welches Mohammed der Zweite in die Stadt der griechischen Kaiser drang und vor welchem der letzte Konstantin unter einer nahe stehenden Zypresse fiel. Die Enkel der Eroberer (die, beiläufig gesagt, von dem allen nicht viel wissen), waren zu tausenden gekommen, um den Großherrn zu empfangen, der sich zum alten Seraj begab, um im Gemach, wo das Kleid des Propheten aufbewahrt wird, seine Andacht zu verrichten.