Helmuth von Moltke
Unter dem Halbmond
Helmuth von Moltke

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38.
Der Euphrat – Kieban-Maaden

Kieban-Maaden am Euphrat, den 16. März 1838

Durch die einförmige Schnee-Einöde ging es am 14. fort bis Hassan-Tscheleby; die Häuser dieses Dorfes sind mit flachen Erdterrassen eingedeckt und liegen mit dem Rücken gegen eine Anhöhe, sodass, wenn man von dieser Seite kommt, man sie fast gar nicht gewahr wird. So geschah es mir, dass ich auf das Dach eines Hauses hinaufritt und beinahe durch den Rauchfang in den Salon der unterirdischen Familie gefallen wäre. Ich war sehr bestürzt über diesen Vorfall, als wir aber nach dem Frühstück weiterritten, ging die ganze Karawane über die gesamten Dächer der Ortschaft im fröhlichen Trabe fort.

Je langweiliger die Gegend, je mühsamer der Weg bisher gewesen, umso erfreulicher war es jetzt, im raschen Galopp durch ein tiefes Felstal längs eines schäumenden Gebirgsbachs hinzueilen; das Wetter war sehr frisch, aber heiter, die Luft hatte schon die schöne blaue Farbe der italienischen Landschaft und die Felsen von rötlichem und blauem Gestein mit schroffen kühnen Abhängen waren malerisch schön. Im Hintergrund erhoben sich zu beiden Seiten mächtige Berge mit Schnee hoch überlagert, von der Abendsonne purpurn gemalt. So aus der Ferne sah der Schnee wundervoll aus, wir waren aber herzlich froh, ihn von unserem Wege vorerst los zu sein; die Nacht brachten wir in Hekimhann zu, eine Palanka oder Festung; der Hof des Hanns nämlich ist von einer Mauer umschlossen und enthält einige Dutzend Hütten, eine Moschee und ein Bad.

Wir fanden beim Müsselim, dem Gouverneur, ein sehr gutes Unterkommen, ein loderndes Kaminfeuer, weiche Polster und Teppiche und ein reichliches Mahl. Der alte Herr trank aus Gefälligkeit eine Flasche Xeres mit mir aus; nur darüber war er erstaunt, dass ich mit dem Degen äße, so nannte er meine Gabel.

Schon von der Höhe von Ugürüli-Oglu hatten wir am Fuße eines hohen steilen Berges einen Fluss von bedeutender Größe gesehen, es war der Euphrat. Nach einstündigem Ritt gelangten wir in eine tiefe Felsschlucht, die Gegend wurde immer wilder und die Berge glichen in ihrer Form den Wogen eines stürmischen Meeres. Nicht die geringste Vegetation, kein Busch, kein Gras, kein Moos bekleidet die Abhänge und doch ist die Färbung überaus schön und abwechselnd; die schwarzen, zinnoberroten und brauen Felswände, die untere Böschung aus grünem und blauem Letten, der weiße Schnee auf den Gipfeln und der lichte Himmel darüber. Tief unten erblickten wir jetzt in der engen Schlucht den Frat, den Fluss, den die großen römischen Imperatoren als die natürliche Grenze ihres unermesslichen Reiches ansahen. Die ganze Umgebung ist so wild, das jenseitige Ufer so ohne Spur von Anbau und die Berge so wegelos, dass man sie sich als das Ende der Welt vorstellen kann.

Das Städtchen Kleban-Maaden wird erst jetzt unten sichtbar; es liegt am Fuß einer schmalen Reihe von zackigen Bergen, die den Fluss zu einer weiten Windung nötigen. In seltsam geformten Booten setzten wir über; das Städtchen ist ganz gut gebaut und lebt von dem Ertrag der Silberminen, die sich in dieser schroffen Bergwand finden. Eine Stunde oberhalb fließen die beiden Wasser, der Murad vom Ararat kommend und der eigentliche Frat von Erzerum her, zusammen und bilden nun einen auch im Sommer nicht mehr zu durchwatenden Strom, der hier etwa 120 Schritt breit und überaus reißend ist. Sobald die Fähre in die Mitte des Flusses kam, glitt sie, mit Menschen und Pferden angefüllt, pfeilschnell abwärts und es schien, als ob sie unmöglich das andere Ufer erreichen könne, aber ein Gegenstrom erfasst sie bald und führt sie genau an die Landestelle.

Zur größten Freude unseres Effendis gab's keine Pferde auf der Post. Der Pascha gibt uns morgen dreißig von seinen eigenen. Wir benutzten den Aufenthalt uns hier umzusehen und ins Bad zu gehen, denn ein verdächtiges Jucken erinnerte uns daran, dass wir in Asien reisten, und ich benutzte die Ruhe, um diese Zeilen auf meinem Knie niederzuschreiben.


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